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Die Erdbebenkatastrophe behindert die maritime Wirtschaft kaum durch direkte Zerstörungen, sondern Angst vor nuklearer Strahlung. Weil Seeleute und Fracht dagegen nicht versicherbar sind, nehmen viele Reeder Umwege in Kauf. Unterdessen stehen die Notfallpläne der Häfen.

Schreckliche Bilder kaum vorstellbaren Ausmaßes kommen seit Wochen aus Japan. Im Hafen von Sendai waren Tausende vom Tsunami zerstörte Exportautos[ds_preview] von Toyota zu sehen. Von den Fluten aufgeschwemmte Container lagen wie verstreutes Spielzeug in den betroffenen Häfen, unwirklich wie in einem apokalyptischen Gemälde. Nachbeben lassen dem gebeutelten Land keine Ruhe. Die direkten Schäden an Hafenanlagen indes halten sich in Grenzen. Weitaus höhere Belastungen kommen auf die Schifffahrt zu durch die eventuelle Gefahr radioaktiver Strahlen.

Sieben Containerhäfen im Nordosten der Insel sind wegen des Bebens und des anschließenden Tsunamis zum Teil schwer beschädigt worden. Dies sind allerdings kleinere Häfen, so dass die Überseeschifffahrt von direkten Zerstörungen nur marginal betroffen ist. Laut dem Branchendienst Alphaliner lag der Umschlag dort 2010 bei insgesamt 245.000 TEU, was 1,3 % des Gesamtcontainerumschlags in Japan entsprach. Der größte von der Naturkatastrophe betroffene Hafen ist Sendai mit zuletzt rund 155.000 TEU – damit liegt er auf Rang 13 in Japan.

Die Angst vor der unsichtbaren atomaren Strahlung bleibt jedoch. Viele Reedereien ergreifen Vorsichtsmaßnahmen, so etwa Hapag-Lloyd. Die Hamburger Linienreederei bediente die Häfen Tokio, Yokohama und Nagoya nach der Katastrophe zunächst nicht mehr, sondern leitete den Verkehr nach Kobe um. »Wir wollen keine Risiken eingehen«, erklärt Unternehmenssprecherin Eva Gjersvik. Das Unternehmen beobachtet nach eigenen Angaben die Situation in Japan kontinuierlich und entscheidet von Tag zu Tag, welche Häfen angesteuert werden. Nukleare Risiken seien nicht zu versichern, die Reederei hafte selbst für Personen, Schiffe und Container, so Gjersvik. Dagegen wickelt beispielsweise die japanische Containerreederei NYK alle Dienste nach den gewohnten Fahrplänen ab. Daran werde sich erst etwas ändern, wenn offizielle Messwerte etwas anderes nahelegen, sagte ein Sprecher des Unternehmens.

Bei Schiffen, die Yokohama und Tokio in den Wochen nach Erdbeben, Tsunami und Reaktorkatastrophe angelaufen haben, mussten sich die Besatzungen auf Strahlung scannen lassen. Jodtabletten gibt es an Bord in der Regel nicht, da diese nur unter strenger ärztlicher Aufsicht eingenommen werden dürfen. Das Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin rät von der Einnahme ab, da diese nur sinnvoll sei, wenn man direkt im verstrahlten Gebiet arbeite.

Auch die Schwergutreederei Schifffahrtskontor Altes Land (SAL) nahm Projektladung Anfang April sicherheitshalber nicht in Yokohama, sondern im Hafen von Kobe an Bord. »Wir bemühen uns, in Japan für unsere Ladung entsprechende Zertifikate zu bekommen, die beweisen, dass diese nicht strahlenbelastet ist«, erklärt SAL-Gesellschafter Lars Rolner. Um nicht in die Strahlenwolke zu geraten, fahren die SAL-Schiffe die Westküste entlang, zwischen China / Korea und Japan. Die Mehrkosten müsse SAL selbst tragen.

Die Frachtraten, die aktuell nur knapp kostendeckend sind, werden im Japan-Verkehr immer schwerer kalkulierbar. Ausgaben für aufwändige Kontrollen und Vorsichtsmaßnahmen lassen sich nicht einfach an die Kunden weitergeben. Auch wenn die Strahlung, was nur zu hoffen ist, bald wieder abklingen würde, wird die Japan-Katastrophe die maritime Wirtschaft auf Jahre hinaus beschäftigen. Denn sie stellt einen Präzedenzfall dar. Die Situation ist sehr kompliziert, und es ist absehbar, dass es noch einige Auseinandersetzungen darüber geben wird, wer für die Kosten und Schäden, die beispielsweise durch ausbleibende Lieferungen entstehen, aufkommt.

So stoppten die Behörden der ostchinesischen Hafenstadt Xiamen als ersten Frachter das aus Tokio kommende Containerschiff »MOL Presence« der japanischen Reederei Mitsui O.S.K. Lines. Auf dem Oberdeck und auch an den Außenseiten von Containern wurde eine erhöhte Strahlung gemessen. Das Schiff musste mit seiner Fracht nach Japan umkehren.

Die atomare Katastrophe als Folge des verheerenden Erdbebens und der zerstörerischen Flutwelle traf die Branche weitgehend unvorbereitet. Notfallpläne und klare, verbindliche Regeln für die Hafenverwaltungen und Schifffahrt gab es nur wenige. Angebracht sind hier europäische oder international verbindliche Regeln.

Behörden, Zoll, Hafenbetreiber, Reedereien erarbeiten jetzt unter Hochdruck Notfallpläne, die beim Einlaufen radioaktiv kontaminierter Schiffe aus Japan angewandt werden sollen. Von den etwa 10.000 jährlich in Hamburg anlandenden Schiffen kommen etwa 300 aus Japan. Mit dem Fahrtgebiet sind 2010 rund 200.000 Container umgeschlagen worden, erklärt Hafen Hamburg Marketing. Das Land liegt damit auf Platz acht der wichtigsten Handelspartner des Hafens.

Die Konsortien Grand Alliance und New World Alliance sowie die Reedereien Rickmers und Maersk unterhalten sechs Liniendienste zwischen Hamburg und Japan. Pro Woche machen etwa zwei aus Japan kommende Frachter im Hamburger Hafen fest. Sie steuern fast alle zuvor in Europa entweder Le Havre, Southampton oder Rotterdam oder Antwerpen an.

Wenn aus einem dieser Häfen eine Bestätigung vorliege, dass der Frachter unbelastet ist, werde in Hamburg nichts mehr unternommen, sagt ein Sprecher der Hamburger Innenbehörde. Das erste japanische Schiff, das nach der Katastrophe die Hansestadt erreichte, war die »MOL Majesty«. Es lief allerdings in Japan aus, bevor aus Fukushima radioaktive Strahlung entwich. Nach seiner Abreise hatte der Frachter bereits in Singapur und Hongkong sowie in Häfen in China und Vietnam angelegt.

Europas größter Containerhafen Rotterdam kontrolliert aus Japan kommende Schiffe bereits auf hoher See auf Radioaktivität. Der zweitgrößte europäische Containerhafen Antwerpen lässt ähnliche Kontrollen vor dem Anlegen von Schiffen durchführen. Bei verdächtigen Schiffen zieht Antwerpen Belgium’s Federal Agency for Nuclear Control hinzu. Die Hafenverwaltung von Antwerpen hält es zwar für unwahrscheinlich, dass verstrahlte Schiffe anlegen, möchte jedoch seinem Personal die Angst nehmen. »Die Leute, die Schiffe aus Japan entladen müssen, sind sehr besorgt«, sagt eine Hafensprecherin.

Schon allein im Sinne der Hafenbeschäftigten sind klare Regeln und Sicherheitsstandards notwendig. Am Frankfurter Flughafen weigerten sich Luftfrachtmitarbeiter kürzlich, drei Lufthansa-Maschinen zu entladen, aus Angst, dass sie mit radioaktiv verstrahlten Gegenständen in Kontakt kommen könnten. Die Lufthansa überprüft jetzt bereits in Japan alle zu verladenden Waren auf Verstrahlung, um diesbezüglich 200-prozentige Sicherheiten zu bieten, erklärt ein Sprecher der Fluggesellschaft.

Unterdessen hat die Innenbehörde in Hamburg zusammen mit den Hafenfirmen und der Hamburg Port Authority eine Strategie für den Umgang mit aus Japan kommenden Schiffen erstellt (siehe »Leitfaden« für Hamburg). Doch ein Ernstfall ist wohl eher unwahrscheinlich. »Wir rechnen nicht damit, dass belastete Frachter an unseren Terminals anlegen«, erklärt Florian Marten, Sprecher der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). In der Hansestadt sollen darüber hinaus nur aus Japan ankommende Nahrung und Tierfutter extra einem Screening unterzogen werden. Es werde zudem überprüft, ob die ankommenden Güter bei ihrer Abreise in Japan bereits untersucht worden seien und ob die Grenzwerte den Anforderungen der EU entsprechen, teilt der Hamburger Senat mit.

Die Auswirkungen auf europäische Häfen dürften demnach voraussichtlich nicht dramatisch werden. Der innerasiatische Schiffs­verkehr und besonders zu China ist indes empfindlich erschwert. Als Nachbar habe China große Besorgnis über die Emission des atomar belasteten Wassers in Japan, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Hong Lei. China hoffe, dass Japan nach dem Völkerrecht konkrete Maßnahmen ergreifen werde, um die Meeresumwelt zu schützen.

China hat die Lebensmitteleinfuhren aus zwölf Gebieten in der Nähe des havarierten japanischen Atomkraftwerks Fukushima verboten. Es handele sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme, um zu verhindern, dass verstrahlte Lebensmittel ins Land gelangen, berichtet die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Die Importe aus anderen Teilen Japans würden zudem auf Radioaktivität getestet. Alle Produkte müssten eine Bescheinigung haben, wo sie hergestellt wurden. Radioaktive Teilchen, die aus Fukushima stammten, wurden in vielen Teilen Chinas nachgewiesen. China äußerte sich als erstes Land öffentlich besorgt über eine radioaktive Belastung und drängt auf genauere Informationen.

Autor: Dr. Thomas Kiefer, Journalist

E-Mail: dr.thomas.kiefer@t-online.de

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Dr. Thomas Kiefer