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Seit der Kürzung der Bundeszuschüsse für das Maritime Bündnis in der Seeschifffahrt ist die

Frage nach der Zukunft der ehemals getroffenen Absprachen neu gestellt. Während ein Eck-

pfeiler der Übereinkunft, die Rückflaggung unter die Bundesflagge, für einen Teil der Bündnispartner nicht verhandelbar ist, wünschen sich andere eine Qualifizierungsoffensive jenseits des Flagge-Zählens. Auch vor dem Hintergrund der Herausforderungen durch Piraterie gilt es, einen breiten Konsens herzustellen.

Bei der Frage nach den Schiffen unter deutscher Flagge gibt sich die Branche zurzeit eher bedeckt. »Wir erfüllen aktuell nicht[ds_preview] unser Kontingent und möchten uns deshalb nicht äußern«, ist beispielsweise aus der Unternehmenszentrale eines der mittelgroßen Supplier für Containertonnage zu hören. Und auch eine Bereederungsgesellschaft, die damit wirbt, »… als eine der führenden Reedereien der Welt … mit einer Flotte, die zu 60 % unter deutscher Flagge fährt … Sicherheit und Qualität »Made in Germany«, zu schaffen, ist jetzt zu keiner Aussage bereit.

Ein Grund für die Zurückhaltung mag sicherlich aus der derzeitigen Unsicherheit über die Zukunft des »Maritimen Bündnisses« resultieren. Diese sogenannten Lübeck-Absprachen über Ausbildung und Beschäftigung in der Seeschifffahrt, die 2003 zwischen Bund, Ländern, Gewerkschaften und maritimer Wirtschaft zur Stärkung des Schifffahrtsstandortes Deutschland getätigt wurden, sahen auch eine Vereinbarung über die Höhe der Rückflaggungen in das deutsche Schiffsregister vor.

Äußerer Anlass für die diffuse Situation ist der Finanzbeitrag für die Seeschifffahrt im Bundeshaushalt 2011, der im Gegenzug die Verpflichtung des Bundes für einen jährlichen Finanzzuschuss an die Seeschifffahrt vorsieht. Durch die im Rahmen der Haushaltskonsolidierung nunmehr vorgenommene Halbierung der Fördermittel und vor dem Hintergrund von Aussagen des Maritimen Koordinators, Staatssekretär Hans-Joachim Otto, die Bundesregierung bestehe nicht mehr auf der vereinbarten Anzahl an rückgeflaggten Schiffen bis 2010, sieht manch einer die vormals getroffenen Verabredungen auf der Kippe. Denn von den im vorigen Haushaltsjahr festgelegten 57,2 Mio. € dienten rund 52,2 Mio. € als Mittel zur Senkung der Lohnnebenkosten für Seeleute auf Handelsschiffen unter Bundesflagge. Die übrigen 5 Mio. € wurden zur Förderung der Ausbildung des seemännischen Nachwuchses aufgewendet.

Die deutschen Reeder, die mit ihren aktuell 3.716 Schiffen die weltweit drittgrößte Handelsflotte hinter Japan und China stellen, hatten ihrerseits als Teil der Absprache einen Anteil von bis zu 600 Schiffen unter der deutschen Flagge in Aussicht gestellt. Doch die wirtschaftliche Krise wirkte diesem Bestreben entgegen, im Wesentlichen auch durch die erheblichen Mehraufwendungen bei den Personalkosten, die nach Aussage des Verbandes Deutscher Reeder zwischen 250.000 und 500.000 € pro Jahr liegen. So führen in der offiziellen Statistik derzeit 571 Schiffe die deutsche Flagge, wobei die aktuelle Kürzung der Bundeszuschüsse beim VDR als »wenig hilfreich im Hinblick auf mögliche Rückflaggungen« bewertet wird.

Doch auch auf der politischen Ebene stößt die Kürzung der Haushaltsmittel für die Seeschifffahrt auf Kritik. In einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung »Zur Zukunft des Maritimen Bündnisses für Ausbildung und Beschäftigung in der deutschen Seeschifffahrt« werden seitens der SPD-Bundestagsfraktion die möglichen Auswirkungen auf den Schifffahrtsstandort Deutschland hinterfragt. Ihr verkehrspolitischer Sprecher, der Bundestagsabgeordnete Uwe Beckmeyer, sieht dabei durch die neuerlichen Kürzungen eine Entwicklung vorangebracht, »die das Maritime Bündnis grundsätzlich in Frage stellt«. Denn schon für 2010 hatte er einen Finanzbedarf für die Schifffahrtsförderung ausgemacht, die mit 75 Mio. € mehr als 18 Mio. € über dem Ansatz der Zuwendungen zu den Lohnnebenkosten lag. Die Halbierung der Haushaltsmittel und auch die neuerliche Haltung der Bundesregierung, die als Ziel der Bündnispartner nun »möglichst viele Schiffe« unter deutscher Flagge beschreibt, würde dementsprechend einer Auflösung des Maritimen Bündnisses und des Zusammenhanges von Tonnagesteuer, Ausbildungsplatzförderung, Lohnnebenkostenzuschuss und Lohnsteuerabgabe Vorschub leisten.

Dabei entzünden sich gerade auch an dem System der Tonnagegewinnermittlung die Gemüter. Eingeführt im Jahre 1999, dient es der steuerlichen Anpassung an internationale Standards und in den Leitlinien der EU für staatliche Beihilfen im Seeverkehr ist insbesondere der standortsichernde Aspekt im Hinblick auf Schiffsbereiche wie die maritimen Finanzdienstleister als positiv angeführt. In der Auslegung von § 7 des Flaggenrechtsgesetzes, der im Grundsatz für die Dauer von jeweils zwei Jahren eine außereuropäische Flaggenführung erlaubt, sehen Kritiker hier jedoch eine Aushöhlung der Zielrichtung der europäischen Beihilferegelung für die Seeschifffahrt. Die intendierte Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von EU-Schiffen gegenüber Billigflaggen werde verwässert, weil dann EU-Rechte auch längerfristig für Schiffe z. B. unter liberianischer Flagge geltend gemacht werden können.

Als gravierend bewertet Karl-Heinz Biesold, Leiter der Fachgruppe Schifffahrt bei ver.di, insbesondere die damit verbundenen Restriktionen in der Beschäftigung von deutschen und EU-Seeleuten, denn auch wenn die ausgeflaggten Schiffe in der »weißen Liste« geführt sind und damit die internationalen Sicherheitsstandards erfüllen, »gilt dort kein deutsches Arbeitsrecht«. In der Feststellung, »dass fast der gesamte neue Patentträgernachwuchs nur eine Anstellung auf Billigflaggenschiffen gefunden hat«, zeigt sich für Biesold »die mangelnde gesellschaftliche Verantwortung der deutschen Reeder«.

Diese halten dem entgegen, dass Schifffahrt ein globales Geschäft ist und Seeleute weiter wie bisher aus der ganzen Welt kommen werden. Gleichzeitig sei ihnen sehr wohl an einer Festigung des maritimen Know-hows in Deutschland gelegen, nicht zuletzt, »… da in den Reedereien ebenso wie im sekundären und tertiären Bereich der maritimen Wirtschaft weiterhin Männer und Frauen gebraucht werden, die aktiv zur See gefahren sind«. Und der VDR stellt weiter fest: »Der Bedarf an Seeleuten kann auf keinen Fall vollständig im Ausland gedeckt werden.«

Als möglicher Weg, dieses Ziel zu erreichen, wird eine direkte Förderung von Ausbildung und Beschäftigung an Bord gesehen. Diese soll losgelöst von der Flaggenfrage und eher unbürokratisch angegangen werden. Der Vorsitzende des Bremer Rhedervereins, Torsten Mackenthun, bringt diese angedachte Richtung auf die Formel: »Weniger Nation, dafür mehr Qualifikation.«

Schritte in diese Richtung weist die Statistik der Berufsbildungsstelle Seeschifffahrt aus, die bei der Anzahl der anerkannten Ausbildungsschiffe für die Berufsausbildung zum Schiffsmechaniker eine kontinuierliche Steigerung auf aktuell 146 Schiffe unter fremder Flagge dokumentiert. Diese, auf den Decks- und Maschinenbereich ausgerichtete Ausbildung eines »dual purpose rating«, kann im Rahmen der Schiffsbesetzungsordnung auch auf ausgeflaggten Schiffen erfolgen, und die Förderung des Bundes sieht seit Juni 2010 hier – und dies auch weiterhin ungeachtet der Haushaltskürzung – für jeden Ausbildungsplatz eine Förderung von 25.500 € vor. Darüber hinaus gewährt der VDR für jeden vom Bund geförderten Ausbildungsplatz einen weiteren Zuschuss. Auch bei der Frage nach geeigneten Schutzmaßnahmen gegen die Piratenüberfälle vor Somalia zeigt die Flagge am Heck, woher der Wind weht. Da die Mission Atalanta und auch die Präventionsmöglichkeiten der Reeder selbst nicht mehr ausreichend seien, wünscht sich der VDR hier seitens der Politik »die Unterstützung auch durch bewaffnete hoheitliche Kräfte an Bord«. Doch auch die Bereitschaft der Reedereien, sich an den Kosten für solche Einsätze zu beteiligen, erscheint den politischen Entscheidungsträgern wenig verlockend. Sie sieht im Prinzip nur Handlungsbedarf für Schiffe mit Bundesflagge.

Ein möglicher Ausweg wäre der Umweg um das Kap der Guten Hoffnung. Die dänisch-geflaggte »Emma Maersk« wählte diese Variante der Piratenumschiffung im Oktober 2010 von Algeciras nach Yantian. Vierunddreißig Tage war sie unterwegs, doppelt so lange wie über die Suez-Kanal-Route. In Anbetracht eines geschätzten Tagesverbrauchs von 400 t Schweröl wird schnell deutlich, dass auch im Hinblick auf die aktuelle Diskussion von Umweltbilanzen in der Seeschifffahrt eine geeignete Klärung hinsichtlich der Maßnahmen gegen Piraterie mehr als dringlich wird. Der Verband Deutscher Reeder sieht hier grundsätzlich auch die internationale Gemeinschaft in der Verantwortung, um eine Lösung zu finden, »nach der alle Seeleute auf allen Schiffen geschützt werden«. Also mehr den Menschen und weniger die Flaggen in den Blick, denn Schifffahrt ist global.

Autorin: Dr. Birgit Nolte-Schuster

Dr. Birgit Nolte-Schuster