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Wie der ABB-Konzern Anfang Februar dieses Jahres bekannt gab, hat das Unternehmen einen Auftrag im Wert von 50 Mio. US$ zur Lieferung der kompletten Energie- und Antriebssysteme für zwei neue Kreuzfahrtschiffe der Reederei Norwegian Cruise Lines (NCL) erhalten. Den Auftrag zum Bau dieser Schiffe hatte die Meyer Werft in Papenburg bereits im Oktober des vergangenen Jahres gemeldet (vgl. HANSA 11/2010, S. 22). Es handelt sich um die größten bislang in Deutschland bestellten Kreuzfahrtschiffe. Die Ablieferungen sind für das Frühjahr 2013 bzw. 2014 geplant.

Mit der Indienststellung der »Norwegian Epic« hatte Norwegian Cruise Lines sein Cruising-Konzept auf ein neues Niveau gehoben. Mit den[ds_preview] beiden neuen Schiffen, die mit rund 4.000 Passagieren fast dieselbe Kapazität haben werden, soll dieses Konzept fortgesetzt werden. Wenn auch im Unterhaltungsbereich an Bord dieselben Voraussetzungen gegeben sein werden, wird die Technik des Schiffes doch eine andere sein, zumindest was den Antrieb betrifft. Während die »Norwegian Epic« einen diesel-elektrischen Antrieb mit MaK-Maschinen und eine konventionelle Doppel-Wellenanlage mit fünfflügeligen Propellern hat, werden die von Meyer zu bauenden Schiffe Pod-Antriebe von ABB erhalten.

Die NCL-Flotte umfasste 2010 elf Kreuzfahrtschiffe. Davon waren vier mit einer konventionellen Antriebsanlage und sieben mit Pod-Antrieben ausgerüstet, sechs dieser Anlagen lieferte ABB. Außer dem jüngsten Schiff, der 2010 von STX France abgelieferten »Norwegian Epic«, sind die 1999 bzw. 2001 von der Lloyd-Werft gebauten Schiffe »Norwegian Sky« und »Norwegian Sun« sowie die 1999 von Meyer gebaute »Norwegian Spirit« mit konventionellen Wellenanlagen und Propellern ausgerüstet, während die von der Meyer Werft 2001 abgelieferte »Norwegian Star« Pod-Antriebe erhielt. Die unterschiedlichen Antriebsarten der frühen Schiffe sind wohl nur dadurch zu erklären, dass NCL verschiedene Schiffe von anderen Reedereien übernommen hat. Doch konnte NCL vor der Bestellung der »Norwegian Epic« mit bis zu sieben Schiffen Erfahrungen mit Pod-

Antrieben sammeln, deren Einsparungspotential immer wieder betont wird. Insofern ist es nur schwer nachzuvollziehen, warum NCL für die »Norwegian Epic« konventionelle Antriebe wählte, um nun bei den neuen Ordern wieder auf die Pod-Antriebe zu setzen.

Der Großauftrag für ABB umfasst alle elektrischen Systeme für die Stromerzeugung und die Energieverteilung beider Schiffe. Dafür wird das ABB-Werk in Brilon (Sauerland) allein 30 spezielle Trockentransformatoren liefern. Der wichtigste Anteil des Auftrags sind jeweils zwei Ruderpropeller aus der neuen Azipod-Generation XO, die jeder eine Leistung von 17,5 MW übertragen können.

Die jüngsten ABB-Lieferungen von Ruderpropelleranlagen betreffen unter anderem die größten Kreuzfahrtschiffe der Welt, die »Allure of the Seas« und ihr Schwesterschiff, die »Oasis of the Seas«. Beide Schiffe erhielten jeweils drei Azipods für die Übertragung von je 20 MW. Darüber hinaus lieferte ABB für diese Schiffe alle Hauptkomponenten der Energieversorgung, die Generatoren, die Hauptschaltanlagen, Transformatoren und Frequenzumrichter sowie die Abgasturbolader der Dieselmotoren. Das Unternehmen spricht im Zusammenhang mit den neuen XO-Azipods generell von einer Kraftstoff­einsparung zwischen 10 und 15 % gegenüber dieselelektrischen Antrieben mit konventionellen Wellenanlagen.

ABB hatte die neue Generation seiner Ruderpropeller bereits vor drei Jahren auf der SMM 2008 vorgestellt und ein Jahr später mit der Markteinführung begonnen. Ziel der Weiterentwicklung waren Verbesserungen hinsichtlich der Zuverlässigkeit, der Wartung, des Wirkungsgrades und der Sicherheit. Darüber hinaus sollte die Herstellung vereinfacht werden. Eine stark modifizierte Gondel führte dazu, dass die meisten lebenswichtigen Bauteile nun gewartet werden können, ohne mit dem Schiff ins Dock zu gehen, sagt ABB. Die neue Gondel bietet einen verbesserten hydrodynamischen Wirkungsgrad und benötigt ein geringeres Drehmoment für den elektrischen Antrieb der Steuerung.

Gegenwärtig stehen die Ruderpropeller der Baureihe XO von ABB in fünf Größen für den Leistungsbereich von 10 bis 25 MW zur Verfügung. Die Propellerdrehzahlen für maximale Leistung liegen zwischen 130 und 220 min–1. Die Propeller werden mit vier oder fünf Flügeln ausgeführt. Das Gewicht eines einzelnen Ruderpropellers liegt einschließlich Propeller zwischen 157 und 185 t. Hinzu kommt noch das Gewicht der Steuereinheit mit 60 bis 70 t.

Hinsichtlich der Verbesserung des Wirkungsgrades gibt ABB an, dass die Azipods XO um mehr als 9 % besser sind als die erste Generation, die 1997 in den Markt eingeführt wurde. Im Vergleich zu diesel-elektrischen Antrieben mit konventionellen Wellenanlagen sieht das Unternehmen bei Antrieb von Kreuzfahrtschiffen einen grundsätzlichen Vorteil mit Ruderpropellern von 7,5 bis 9 %. Trifft dieser Vorteil wirklich zu, dann dürften unter den Gesichtspunkten von Energieeffizienz und Umweltschutz keine Kreuzfahrtschiffe mehr mit diesel-elektrischem Antrieb und konventionellen Wellenanlagen gebaut werden.

Autor: Dipl.-Ing. Hans-Jürgen Reuß

Freier Journalist

E-Mail: mail@pr-reuss.de


Hans-Jürgen Reuß