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Nach der Atomwende der Bundesregierung dürfte sich der Ausbau der Offshore-Windenergie beschleunigen. Welche Herausforderungen und Chancen sich für die maritime Wirtschaft ergeben, diskutierte die Branche beim HANSA-Forum Offshore in Rostock

Die japanische Atomkatastrophe von Fukushima hat, so traurig sie auch sein mag, der Windenergie in Deutschland ein Zeitfenster eröffnet. Darin[ds_preview] waren sich alle Experten und 700 Teilnehmer der Kongressmesse BalticFuture Anfang Mai in Rostock einig. Nun müssten rasch die richtigen Rahmenbedingungen für die Energiewende geschaffen werden, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD). Vonnöten sei eine »nationale Kraftanstrengung« der Länder gemeinsam mit dem Bund, welche neben den richtigen Förderanreizen für die Offshore-Windkraft auch ein bundesweites Konzept zum Ausbau der Stromnetze umfasse.

Ein »radikaler Konsens« bei der künftigen Energiepolitik könne dazu führen, den Atomausstieg bis 2022 ohne neue Kohlekraftwerke zu vollziehen, erläuterte der Generalsekretär des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU), Christian Hey. Dies sei auch ökonomisch sinnvoll, denn bereits nach 2030 wäre ein erneuerbarer Energiemix günstiger als ein konventioneller. Die kosteneffizienteste Energiequelle sei dabei die Offshore-Windkraft. Zunächst würden die Stromkosten durch die regenativen Energiequellen allerdings steigen, sagte Hey, wobei er die Mehrkosten insgesamt auf zwei bis drei Cent pro Kilowattstunde (kWh) bezifferte.

Hey, der bei der Eröffnung der Kongressmesse das Impulsreferat hielt, forderte die Politik auf, über die nationalen Grenzen hinweg zu denken. Der Ausbau der Stromnetze müsse europaweit aus einem Guss erfolgen. Entscheidend dabei sei vor allem die Schaffung ausreichender Speicherreservoire, um die bei der Erzeugung von Wind- und Sonnenenergie entstehenden Strommengenschwankungen auszugleichen. Infrage kämen, so Hey, insbesondere die norwegischen Stauseen, wobei die zurzeit bestehenden Wasserkraft- zu Pumpspeicherkraftwerken umgebaut werden könnten. Voraussetzung für deren Nutzung sei, dass Stromleitungen mit 50 Gigawatt (GW) durch die Ostsee verlegt werden – das könne kein privatwirtschaftliches Thema sein, sondern vielmehr ein politisches.

Dass ein schneller Übergang in Richtung erneuerbare Energien technisch möglich ist, wie ihn SRU-Forscher Hey skizzierte, haben bereits viele Planspiele gezeigt. Aber Theorie und Praxis gehen bekanntlich häufig auseinander. Dies zeigte Andreas Wagner auf, Geschäftsführer der Stiftung Offshore-Windenergie. Auf dem 1. HANSA-

Forum Offshore stellte er die ursprünglichen Planungen der Bundesregierung beim Aufbau von Windparks auf hoher See dem tatsächlichen Stand gegenüber. 2002 war man noch davon ausgegangen, dass im Jahr 2006 500 Megawatt (MW) Offshore-Leistung installiert sind. Diese Marke wird mit dem Ostsee-Windpark »Baltic 1« und dem Nordsee-Park »Bard Offshore 1« voraussichtlich erst Ende dieses Jahres erreicht werden. Auch das damals von der Regierung gesetzte Ziel für das Jahr 2010 von 2.000 bis 3.000 MW ist selbst unter den veränderten energiepolitischen Prämissen weit außer Sicht. Und von den erhofften 25.000 MW Offshore-Windenergie im Jahr 2030 sind erst ein Prozent realisiert.

3 Mio. € Kosten pro Megawatt

Wo drückt also der Schuh? Auf dem HANSA-Forum Offshore diskutierten die Referenten mit den 150 Teilnehmern die verschiedenen Hemmnisse, zeigten Lösungswege auf und sprachen über die neuen Herausforderungen für Schifffahrt und Schiffbau. Konsens bestand darin, dass es massive Finanzierungsengpässe gibt. Dazu hat die Finanzkrise in den vergangenen Jahren sicher ihren Teil dazu beigetragen. Doch selbst unter wirtschaftlich normalen Bedingungen sind die Errichtung eines Windparks mit Kosten von beispielsweise 1,5 Mrd. € bei 500 MW Leistung (als Faustformel gelten rund 3 Mio. € pro MW) oder auch der Bau eines Installationsschiffes für 100 Mio. € und mehr schwer zu stemmen. Zumal das Investitionsrisiko aufgrund der vielen Unwägbarkeiten bei der noch jungen Technik vergleichsweise hoch ist. »Ein Offshore-Windpark mit 80 Anlagen ist für einen Mittelständler nicht zu realisieren«, sagte Jörg Asmussen von Hochtief Solutions. Er appellierte an die Politik, weitere Förderanreize zu schaffen. Zudem müsse das zugesagte 5-Mrd.-€-Bürgschaftsprogramm der KfW schnell umgesetzt werden.

Wagner pflichtete Asmussen bei. »Die finanziellen Rahmenbedingungen waren in Deutschland nicht ausreichend«, stellte der Geschäftsführer der Stiftung Offshore-Windenergie fest. Er verwies darauf, dass erst im Rahmen der Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) 2009 die Einspeisevergütung für Offshore-Strom von 9 auf bis zu 15 Cent pro kWh angehoben wurde. Dennoch seien 7 % Rendite – laut den Förderbedingungen des EEG von 2009 – angesichts der Risiken zu wenig. Die künftig beabsichtigte Stauchung der Förderdauer, die mit einer Anhebung der Anfangsvergütung auf 19 Cent einhergehen soll (siehe S. 54), begrüßte Wagner. Dies sei nötig, um das »Vollzugsdefizit« in Deutschland aufzulösen. Immerhin sind hierzulande bereits mehr als zwei Dutzend Windparks mit einer Gesamtleistung von 8.000 MW genehmigt – dies entspricht 42 % der gesamten genehmigten Leistung in der Europäischen Union. Die zuweilen als kompliziert kritisierte Genehmigungspraxis in Deutschland kann demnach wohl kaum als Nadelöhr ausgemacht werden.

Neben dem Hindernis der Fremdkapitalbeschaffung haben unter anderem die besseren Förderbedingungen in Großbritannien zu dem deutschen »Vollzugsdefizit« beigetragen. Mehrere große deutsche Energiekonzerne, darunter RWE und E.on, investieren dort in großem Stil in Offshore-Windparks. Die Förderung wurde Wagner zufolge kurzfristig auf 18 bis 20 Cent pro kWh erhöht. Zudem sind die ausgewiesenen Bauzonen vor den britischen Inseln in der Regel maximal 15 km von der Küste entfernt, die größten Wassertiefen betragen 20 bis 25 m. Dagegen sind die in Deutschland für Windparks genehmigten Flächen in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) meist 40 bis 100 km von der Küste entfernt – bei Wassertiefen von 30 bis 40 m. Dieses geografische Umfeld erhöhe Risiken und Kosten, sagte Wagner.

Wie neuartig und komplex Offshore-Windparks sind, haben die bisherigen Projekte in Deutschland schnell gezeigt. So fielen beim ersten Testfeld »Alpha Ventus« zwei der zwölf Windräder für mehrere Wochen aus. Die tonnenschweren Gondeln mussten ausgetauscht werden. Beim ersten kommerziellen Park in der Ostsee, »Baltic 1«, verzögerten Lieferprobleme beim Kabelhersteller den Netzanschluss um fast ein halbes Jahr. Der Bauherr EnBW will den Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz nun verklagen, kündigte Stefan Thiele, Sprecher der EnBW-Geschäftsführung, auf dem 2. Wind-Energy-Tag in Rostock an.

1.300 Schiffsbewegungen beim Bau von »Baltic 1«

Andererseits zeigt das Beispiel EnBW die großen Chancen für die maritime Industrie. 60 unterschiedliche Schiffe seien beim Aufbau des Parks eingesetzt worden, so Thiele, davon bis zu 25 gleichzeitig. Insgesamt 1.300 Schiffsbewegungen wurden verzeichnet. Dabei hat das Offshore-Feld nur 21 Windräder – aktuelle Projekte kommen auf 80 Turbinen und mehr. Entsprechend steigt der Bedarf an Installations-, Kabelleger-, Bagger- oder Serviceschiffen.

Für viele Forumsteilnehmer war es durchaus überraschend zu hören, dass auch hier ein Engpass besteht. Vor allem bei Installationsschiffen ist dieser gravierend, wie Dirk Briese, Geschäftsführer des Forschungsinstituts Windresearch, aufzeigte. In ganz Europa seien nur sechs Schiffe verfügbar, die Windkraftanlagen mit 3,6 MW und mehr in 30 bis 45 m Wassertiefe installieren können. Künftig gehen Angebot und Nachfrage noch weiter auseinander, wie Briese ermittelt hat (siehe S. 55).

Viele Parkprojektierer unterschätzten dieses Thema, sagte Henning von Wedel, Senior Mechanical Engineer von Wärtsilä Ship Design auf dem HANSA-Forum. Von Kunden höre man mitten in der Planungsphase immer wieder den Satz: »Wir chartern dann was ein.« Aber es gebe meist nichts Passendes einzuchartern. Und der Planungshorizont sei beim Bau eines Installationsschiffes mit bis zu fünf Jahren deutlich länger als bei einem Containerschiff »von der Stange«.

Im aktuellen Anbietermarkt gehe der Trend voraussichtlich zu eigenen Schiffen, erläuterte der maritime Sachverständige Gunnar Pihl von 8.2 Pihl-Expert Maritime Expediting. RWE Innogy ist mit zwei Jack-up-Schiffen für jeweils rund 100 Mio. € für den Bau des Windparks »Nordsee Ost« bereits diesen Weg gegangen. Die in Korea gebauten »Seabreeze«-Schiffe sollen bis zu vier Offshore-Windturbinen der Multi-Megawattklasse gleichzeitig transportieren und anschließend in Wassertiefen von über 40 m errichten können. Sie sind speziell für die geografischen Bedingungen im Baugebiet Nordsee ausgelegt und nicht – da sie keinen üblichen Schiffsrumpf haben – für den weltweiten Einsatz.

Auf dem Forum wurde die von Henning von Wedel skizzierte Gegenüberstellung von »Spezialist« vs. »Alleskönner« bei den Installationsschiffen heiß diskutiert. Karsten Müller, Technischer Direktor von Beluga Hochtief Offshore, verteidigte sein Konzept des »Alleskönners« vehement, wobei er den Begriff »Multispezialist« bevorzugte. Neben der weltweiten Installation von Offshore-Windparks (erstes Einsatzgebiet wird das Feld »Global Tech 1« 110 km nordwestlich von Cuxhaven sein) soll die bei Crist in Danzig gebaute »Innovation« auch bei der Exploration von Öl- und Gasfeldern auf hoher See zum Einsatz kommen. Ziel ist hier also die weltweite Vercharterbarkeit des Schiffes bei vergleichsweise kräftigen Raten, um den relativ hohen Baupreis wieder hereinzubekommen. Geschwindigkeit, Einsatzgebiet, Tragkraft, Befrachtungskonzept, Wassertiefe, Baukosten – all das sind Kriterien, die bei der Entscheidung für ein Installationsschiff abgewogen werden müssen.

Zwangspause an jedem fünften Tag

Vor allem angesichts der Tatsache, dass im Durchschnitt nur die Hälfte der Einsatzzeit für tatsächliche Installationsarbeiten genutzt werden kann. Dass etwa jeder fünfte Einsatztag dem Wetter zum Opfer falle und das Schiff im Hafen stehe, sei nicht die Ausnahme, sondern die Regel, sagte Rasmus Stute, Bereichsleiter Offshore Service Vessels beim Germanischen Lloyd. 14 % der Einsatzzeit bezifferte er für Fahrtzeiten, 8 % für Beladung.

Je weiter draußen die Parks künftig liegen, desto kürzer dürften wegen längerer Fahrtzeiten und wetterbedingter Ruhezeiten die eigentlichen Arbeitszeiten der Schiffe werden. Umso mehr waren sich die Referenten und Forumsteilnehmer einig, dass die Parkentwickler und Energiekonzerne »nicht am falschen Ende sparen sollten«, so von Wedel. »Die Qualität der Schiffe ist entscheidend für einen erfolgreichen Bau der Windparks«, sagte er. Auf 70.000 € pro MW, also rund 2 % der Gesamtkosten, schätzte von Wedel die Kosten für ein Installationsschiff bei der Parkerrichtung – bei 500 MW wären dies beispielsweise 35 Mio. €, wobei hier zwischen reinen Charterkosten sowie dem Eigenbau wie im Fall von RWE Innogy differenziert werden muss.

Für die deutschen Werften ergeben sich durch den neuen Markt in jedem Fall neue Chancen – ein kleines Stück des 140-Mrd.-€-Kuchens für die erwarteten gesamteuropäischen Investitionen (inklusive Netzausbau) bis 2020 sollte bei ihnen landen können. So baut die Hamburger Werft Sietas für die niederländische Van-Oord-Gruppe ein Windkraftanlagen-Transport- und Installationsschiff. Die P+S Werften erhielten aus Asien einen Auftrag für ein Offshore-Schwerlastschiff. Und Nordic Yards, die in Rostock ein Modell für ein Schiff vorstellten, das an Land vorgefertigte Windräder auf See installieren kann, rechnen sich ebenfalls recht gute Chancen aus, hierfür bald einen Kunden präsentieren zu können (Foto S. 51).

Potential gibt es für die heimischen Schiffbauer auch bei den häufig noch außer acht gelassenen Service- und Zubringerschiffen. Hier ist Abeking & Rasmussen mit der SWATH-Technologie bereits gut im Geschäft. Diese Schiffe bestechen durch eine enorme Stabilität auch bei starkem Seegang, sind aber teurer als herkömmliche Crewboote. Die Werften Baltec und Tamsen stellten auf dem HANSA-Forum Konzepte für leichte, kostengünstigere Katamarane mit Seegangsfolgeeinrichtungen vor. Für die weit draußen liegenden Felder wird es angesichts längerer Fahrzeiten wichtig sein, eine vergleichsweise schnelle Beförderung mit angenehmem Seeverhalten zu kombinieren. Denn nicht jeder Windradmonteur ist so seefest wie ein erfahrener Seemann.

Neben den Herausforderungen für die deutschen Häfen, ihre Infrastruktur den Offshore-Bedürfnissen anzupassen, ist auch das Thema Aus- und Weiterbildung für die Reedereien von großer Wichtigkeit. Einigkeit herrschte auf dem Forum, dass hier noch viel getan werden muss. Denn sowohl die hohen Kosten für Gerät und Fracht als auch die schwierigen Seebedingungen in den Offshore-Einsatzgebieten bergen hohe (Haftungs- und Charter)-Risiken.