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Befürchtungen, dass Piraten aufgrund bewaffneter Kräfte an Bord von Frachtschiffen künftig schwerere Waffen einsetzen und noch aggressiver angreifen könnten, mehren sich.

Seit einigen Monaten schon ist zu beobachten, dass Piraten immer größere gekaperte Seeschiffe als Basisstationen einsetzen, um auch weitab von[ds_preview] den Küsten operieren zu können. Um diese Mutterschiffe herum versammeln sich die kleineren Skiffs, offene, schnelle Motorboote, mit denen die eigentlichen Angriffe gefahren werden. Je größer die Mutterschiffe werden, für umso wahrscheinlicher halten einige Beobachter, dass diese eines Tages mit schweren Bordwaffen bestückt werden und es unmittelbare Angriffe von großen Mutterschiffen auf Frachtschiffe im Indischen Ozean gibt.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sich die Seeräuber vor der somalischen Küste immer sehr schnell auf neue Gegebenheiten eingestellt haben. So wichen sie dem zunehmenden Überwachungsdruck in küstennahen Gewässern vor Ostafrika immer weiter in den Indischen Ozean aus und griffen mit Hilfe der Mutterschiffe auch auf hoher See an. Als immer mehr Reeder auf ihren Schiffen Sicherheitsräume installieren ließen, in die sich die Besatzung bei einem Überfall zurückziehen konnte, um nicht als Geiseln genommen zu werden, da fanden die Piraten auch diese Sicherheitsräume und schweißten sie auf.

Wenn aber Schiffe immer besser geschützt werden, dann, so die Befürchtungen einiger Sicherheitsexperten, werden die Piraten auch ihrerseits ihre Kampfintensität erhöhen, um Beute zu machen. Eine derartige Eskalation hält Oliver Schneider vom international agierenden Unternehmen Result Group, das selbst bewaffnete Teams auf Schiffe schickt, allerdings für unwahrscheinlich. Zwar beobachtete er, dass die Seeräuber angesichts von Schutzmaßnahmen nicht einfach aufgeben, sondern durchaus einfallsreich sind, wenn es darum geht, Sperren zu überwinden. So warfen sie schon Draggen in die ausgebrachten Stacheldrahtrollen, um diese von der Reling zu reißen, damit sie anschließend ohne Verletzungsgefahr ein Schiff entern konnten. An bewaffnete Auseinandersetzungen um Schiffe trotz Schutzmannschaften mag Schneider aber trotzdem nicht glauben: »Die Piraten meiden den langen Feuerkampf. Wir erwarten daher, dass sie sich bei zu starker Abwehr nach alternativen, weniger gut geschützten Objekten umsehen.«

Oliver Schneider war eingeladen worden, seine Erfahrungen während einer Fachtagung an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg vorzutragen. Zu dem Treffen unter dem Titel »Bekämpfung der Piraterie als Herausforderung für Staat und Wirtschaft« hatten neben der Bundeswehrakademie das Deutsche Maritime Institut (früher Deutsches Marine Institut) und die Handelskammer Hamburg eingeladen.

Rückblick auf »Hansa Stavanger«

Aus der Sicht eines betroffenen Seemannes schilderte Frederik Euskirchen als einer der Redner seine Erlebnisse auf dem Containerschiff »Hansa Stavanger« der Hamburger Reederei Leonhardt & Blumberg, das am 4. April 2009 von Piraten gekapert wurde. Euskirchen war zu jener Zeit Zweiter Offizier auf dem Schiff und berichtete, wie seine Mannschaft durch einen Zickzack-Kurs versuchte, wie er in solchen Situationen empfohlen wird, den Piraten zu entkommen und deren Aufentern zu verhindern. Die Piraten fuhren drei Angriffe, beschossen das Handelsschiff mit Schnellfeuergewehren sowie Panzerabwehrgranaten und brachten es schließlich in ihre Gewalt. Als die deutsche Fregatte »Mecklenburg-Vorpommern« zur Hilfe eintraf, konnte sie schon nicht mehr eingreifen. Denn die Seeleute waren bereits als Geiseln genommen. Das Marineschiff blieb jedoch in der Nähe.

Für Frederik Euskirchen war das eine »starke psychologische Hilfe«. Er schilderte, wie die Piraten die Seeleute mit Scheinhinrichtungen unter Druck setzten und dass nach und nach bis zu 40 Somalis auf die »Hansa Stavanger« kamen. Sie standen nach seinen Erzählungen stark unter Drogeneinfluss: »Die Kaudroge Kat kam täglich säckeweise an Bord.«

Euskirchen beobachtete auch, wie hierarchisch die Seeräuber einerseits strukturiert waren, aber dass sie andererseits auch alle in die Abstimmung über die Höhe der Lösegeldverhandlungen eingebunden waren.

Beeindruckt zeigten sich die Tagungsteilnehmer von den Schilderungen Euskirchens über die psychischen Belastungen während der Zeit ihrer Geiselhaft – zumal sich derzeit fast 400 Seeleute in der Hand somalischer Piraten befinden. Diese Zahl wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. »Man überlege nur, was für eine Aufmerksamkeit es gäbe, wenn ein Großflugzeug mit der gleichen Zahl von Passagieren in der Hand von Luftpiraten wäre«, war der Tenor der Tagungsteilnehmer.

Zur wirkungsvollen Bekämpfung der Piraterie bekräftigte Vizeadmiral a. D. Lutz Feldt, der Präsident des Deutschen Maritimen Institutes, dass eine Lösung des Problems nur an Land gefunden werden könnte: »Soldaten sind kein Ersatz für Politik.« Allerdings könnten die zum Schutz auf See eingesetzten Kräfte der Marine effektiver eingesetzt werden. »Es liegt nicht an den militärischen Mitteln und Fähigkeiten. Es liegt an der Politik«, stellte er fest und appellierte: »Gebt uns bessere Man­date innerhalb des beste­hen­den Rechtsrahmens!«

MS&D mit 1.400 Teilnehmern

Eine Woche vor der Tagung an der Führungsakademie der Bundeswehr war Hamburg außerdem Schauplatz eines internationalen Kongresses zum Thema maritime Sicherheit, womit die wachsende Bedeutung der Hansestadt in diesem Bereich unterstrichen wurde. An der dreitägigen Fachtagung Maritime Security and Defence (MS&D) beteiligten sich 1.400 Fachleute von allen Kontinenten, darunter 19 internationale Marinedelegationen. Eine begleitende Ausstellung zeigte den neuesten Stand der Sicherheitstechnik und Entwicklungen von Industrieunternehmen.

Besonders eindringlich war der Vortrag des niederländischen Marineoffiziers Cap­tain Hans Lodder, dem Kommandanten der HNLMS »Tromp«. Die Besatzung der Fregatte hatte Anfang April 2010 die Seeleute des deutschen Frachtschiffes »Taipan« befreit, die sich nach einem Piratenüberfall in einen Sicherheitsraum zurückgezogen hatten. In einem spektakulären Einsatz nahmen die Niederländer zehn Piraten fest, welche seither in Hamburg vor Gericht stehen. Lodder schilderte, welche Einschränkungen des Atalanta-Mandates er überwinden musste, um überhaupt zugreifen zu können. Denn die »Taipan« befand sich einige Seemeilen außerhalb des vorgegeben Schutzgebietes. So nahm er sein Schiff aus der Unterstellung von Atalanta heraus und stellte es unter das nationale niederländische Kommando. Von dort aus erhielt er die Genehmigung zum Zugriff.

Die beiden Chairmen der Veranstaltungsschwerpunkte maritime Sicherheit und Verteidigung, Lutz Feldt sowie Konteradmiral a. D. Ulrich Otto, forderten zum Abschluss des Kongresses, die politischen Entscheidungsträger müssten sich näher mit dem Themenkomplex maritime Sicherheit und Verteidigung befassen. Die Konferenz habe eine Reihe von neuen Erkenntnissen über asymmetrische Bedrohungen hervorgebracht, die Grundlage für politisches Handeln sein könnten. Otto betonte, dass die Industrie bereits gute Lösungen für viele Sicherheits- und Verteidigungs-Probleme entwickelt habe, welche jedoch politisch weiter gefördert werden müssten. Auf der MS&D sei auch deutlich geworden, so Feldt, dass das internationale Völkerrecht jedem Staat die Möglichkeit einräume, gegen maritime Bedrohungen mit einem sehr breiten Spektrum an Maßnahmen vorzugehen. »Wenn Länder dieses Recht nicht wahrnehmen«, sagte Feldt, »ist das eine politische Entscheidung.«


Eigel Wiese