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Die Anforderungen an Seeleute steigen immer weiter. Computer Based Training und

besonders simulationsgestützte Lernverfahren können bei der Weiterbildung an Bord hilfreiche Methoden sein.

Der 3. März 2010 wird für den Seemann Raymund unvergesslich bleiben. Der 30-jährige Philippiner ist an diesem Tag unterwegs[ds_preview] auf dem Atlantik zwischen Phila­delphia und Savannah, als gegen 14 Uhr an Bord des Containerschiffes der Feueralarm ertönt. Unwillkürlich denkt er zuerst an eine der obligatorischen Feuerschutzübungen und macht sich entsprechend dem Notfallplan auf den Weg zur »Musterstation«. Als er in der Nähe seiner Kammer die Wäscherei passiert, bemerkt er das Feuer. Es ist das erste Mal in seiner beruflichen Laufbahn, dass der Ernstfall eingetreten ist und er sagt später, dass er es einem besonderen Umstand verdankte, die notwendigen Handlungsmaßnahmen sofort habe abrufen können: Dadurch, dass er im Rahmen seiner Ausbildung zum Junior Officer kurz zuvor in seiner Heimat den erforderlichen Kurs für fortschrittliche Brandbekämpfung absolviert hatte, sei er dementsprechend trainiert gewesen.

An Bord ist er laut dem Notfallplan für die aktive Löschposition eingeteilt – darum ist sein Ziel jetzt der Brandschutzraum, um sich rasch mit der notwendigen Ausrüstung zu versehen. Nach Rücksprache mit dem Zweiten Maschinisten über das weitere Vorgehen – insbesondere wegen einer erforderlichen Stromunterbrechung – haben Raymund und das für diesen Schiffsbereich zuständige Löschteam das Feuer nach kurzer Zeit mit Kohlendioxid und Löschpulver unter Kontrolle. Als Brandursache wird im Nachhinein ein Kleidungsstück identifiziert, das durch die Schiffsbewegung im Seegang von der Leine auf einen darunter befindlichen Heizlüfter gefallen war und sich entzündet hatte. Der Heizlüfter war nicht ordnungsgemäß abgedeckt.

Der geschilderte Fall mag exemplarisch für das Entstehen einer der häufigsten Notfälle, dem »Feuer im Schiff«, stehen. »Lloyd’s List« veröffentlichte Ende Mai 2011 die Ergebnisse einer von Det Norske Veritas (DNV) erstellten Studie zum weltweiten Seeunfallgeschehen. Mit Verweis auf eine aktuelle Auswertung von eigenen Unfallstatistiken, Schadensersatzansprüchen an Versicherungsgesellschaften sowie einer Befragung unter mehr als 1.400 Seeleuten aus den wichtigsten Seefahrtsnationen kam die Klassifikationsgesellschaft zu dem Ergebnis, dass nach einer langen Periode mit sinkenden Unfallzahlen etwa seit dem Jahr 2000 eine Trendwende eingetreten und eine konstante Zunahme an Unfällen zu verzeichnen ist.

Ungenügende Berücksichtigung des Faktors Mensch

Nach Ansicht von DNV-Präsident Tor Svensen ist dieser Umstand generell auf die ungenügende Berücksichtigung des »Human Element« zurückzuführen. Als maßgeblich seien dabei insbesondere eine erschreckend lasche Haltung und Heran-

gehensweise im Bereich der Ausbildung sowie die nur rudimentäre Anwendung von Kompetenztests zu nennen. Es wird angegeben, dass die Trainingsmaßnahmen in vielen Fällen unzureichend und von teilweise zweifelhafter Qualität seien. Zudem findet sich in der Studie der Hinweis, dass eine große Diskrepanz feststellbar ist, einerseits ein bestimmtes Zertifikat zur Vorlage bei der Port State Control zu erhalten, andererseits aber diesem Kompetenzlevel in der jeweiligen Tätigkeit an Bord auch tatsächlich gerecht zu werden.

Folgerichtig werden die nachhaltige Verbesserung der Sicherheitskultur, ein effektiveres und mehr zielgerichtetes Training und die regelmäßige Überprüfung der Kompetenzen des Personals an Bord gefordert. Gegenwärtig ist das On-the-Job-Training, das sich hauptsächlich mit der praktischen Ausübung zu erlernender Tätigkeiten und Abläufe befasst, die vorzugsweise angewendete Methodik in der Aus- und Weiterbildung an Bord. Zur Unterstützung dieser Trainingsform können neben den üblichen Hilfsmitteln auch Lehrfilme (Video, DVD) und sogenannte Computer-Based-Training/(CBT)-Module eingesetzt werden.

Erweitertes STCW durch Manila-Novellierung

CBTs werden seit mehr als zehn Jahren auf dem Lehrmittelmarkt als »Stand alone«-Module oder auch als komplette Kurse angeboten. In der Regel sind diese Angebote mit Hinweisen versehen, dass sie entsprechend den Forderungen der von der Weltschifffahrtsorganisation IMO verabschiedeten Konventionen (insbesondere STCW 95) bzw. entsprechend spezifischer IMO Model Courses entwickelt wurden. In der im vergangenen Jahr in Manila verabschiedeten Novellierung des STCW 95 ist die Verwendung von Distance Learning und E-Learning explizit als empfohlene Möglichkeit zur Schulung der Seeleute an Bord aufgeführt. CBT-Kurse sind ein probates Mittel, um beispielsweise im Rahmen des reedereibezogenen International-Safety-Management (ISM)-Regimes auf erkannte Defizite gezielt zu reagieren. Da CBT-Kurse an Bord durch die Seeleute im Selbststudium und in der Regel in deren Freizeit durchgeführt werden und mittels integrierter Kompetenztests vor Ort computergestützt überprüft und dokumentiert werden können, sind sie für Reeder bei der Erfüllung der IMO-Minimalanforderungen insbesondere unter ökonomischen Aspek­ten sehr attraktiv.

Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die Verwendung von Computer Based Training einen hohen Grad an Selbstlernkompetenz voraussetzt. So erfordern beispielsweise einzelne Module eines CBT-Anbieters mit ihren bis zu 14 Kapiteln vom Benutzer die Fähigkeit, den dafür benötigten Lernzeitraum von mindestens drei Zeitstunden entsprechend zu strukturieren und sinnvoll einzuteilen. Für die Mehrzahl der pädagogisch ungeschulten Seeleute, die sich in ihrer beruflichen Laufbahn bisher vielleicht nur ansatzweise mit dem Aufbau von wirkungsvollen Lernstrukturen beschäftigt hat, kann dies möglicherweise ein Lernhemmnis darstellen. Auch die – insbesondere von Seiten des Fleet Managements – als positiv herausgestellte Möglichkeit, die einzelnen Themen beliebig und entsprechend der Arbeitszeit oder der Vertragsdauer zu unterbrechen, muss im Hinblick auf ein nachhaltiges Lernen skeptisch gesehen werden. Durch das Loslösen einzelner Inhalte aus ihrem Sinnzusammenhang werden diese nur schlicht »gepaukt«. Die Folge ist eine dem »Nürnberger Trichter« vergleichbare Lernsituation, die eher geeignet ist, »träges« Wissen anzusammeln anstatt einen auf Nachhaltigkeit angelegten Lernprozess zu fördern.

Insbesondere die Struktur vieler CBTs, die durch das Frageschema auf vorgegebene Antwortmuster hinleitet und den Lernenden entsprechend »konditioniert«, ist weniger geeignet, tief verankerte Kenntnisstände, die insbesondere in Stresssituationen exakt abrufbar sind, aufzubauen. Es mag ernüchtern, doch auch eine 100-prozentige Erfolgsquote beim Assessment sagt wenig darüber aus, ob und wie lange der Lernstoff bei dem Einzelnen »hängen bleibt«.

Keine objektive Leistungsbewertung

Ebenso zeigt das Assessment hinsichtlich einer objektiven Leistungsbewertung Schwachpunkte. Diese werden offenkundig zum Beispiel im Zusammenhang mit den kulturraumabhängigen Gruppenpräferenzen. So bevorzugen – vor allem unter dem Eindruck der oben angesprochenen CBT-immanenten Lernrestriktionen – Crew­mitglieder aus dem asiatischen Raum das Lernen in der Gruppe, was grundsätzlich und im Hinblick auf die an Bord notwendigen Teamwork-Qualitäten zu begrüßen ist. Doch auch das anschließende (Einzel)-Assessment wird oft unter Einbeziehung der (Lern)-Gruppenmitglieder absolviert: die Prüfung als kollektive Lernleistung.

Das Problem ist bekannt, und auch Flaggenstaatverwaltungen wie etwa die britische Maritime Coastguard Agency (MCA) sehen die Gewährleistung von objektiv gestalteten Abschlusstests mit Skepsis: »What concerns us is the consistency and verification of the assessment of that knowledge.« Zwar formuliert hier der neue STCW 95 deutlich, dass seitens der verantwortlichen Verwaltungen mit »anerkannten« Assessment-Abläufen sicherzustellen sei, dass nicht »geschummelt« wird, und fordert entsprechend »secure procedures for the examination system so that it will prevent cheating«. Wie ein solches Verfahren aussieht und ob es bewährte Konzepte ersetzen oder ergänzen kann, muss sich noch zeigen – oder wie es seitens der MCA inoffiziell formuliert wird: »Our old fashioned favoured op­tion is the invigilated written examination.«

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Computer Based Training an Bord zwar grundsätzlich als Lernoption zu begrüßen ist, insbesondere auch, um interessierte Seeleute in die unterschiedlichen Themenbereiche einzuführen. Die Frage nach der Nachhaltigkeit der vermittelten Wissensbestände und ihrer Implementierung in alltäglichem Handeln oder Notfallsituationen kann jedoch nicht eindeutig beantwortet werden. Auch mit Blick auf die heutige multilinguale und multikulturelle Zusammensetzung von Schiffsbesatzungen und dem in Notsituationen zusätzlich wirkenden Stress sind hinsichtlich eines zielgerichteten effektiven Trainings deutlich weitergehende und umfassendere Lehr- und Ausbildungsformen, wie sie sich beispielsweise in »Blended Learning«-Ansätzen finden, ebenso wie geeignete Hilfsmittel und Verfahren zur Bewertung der Kompetenzen erforderlich.

Neue Trainingsmethode mit Simulation

Einen geeigneten Ansatz für das situationsbezogene zielgerichtete Training an Bord, ebenso wie für die Ausbildung an Land, bieten hier möglicherweise auch simulationsgestützte Lernmodule. Insbesondere zum Training und zum Nachweis der Kompetenz über Verfahren und Abläufe bei der Gefahrenabwehr muss auch das Interagieren der in der Regel willkürlich zusammengesetzten Teams unter Notfallbedingungen Berücksichtigung finden. Hersteller maritimer Simulatoren in Zusammenarbeit mit Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen arbeiten in internationalen und nationalen Projekten gemeinsam an solchen Lösungen.

Innerhalb des vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung geförderten Projektes »Erhöhung der Sicherheit von Passagieren in der Fährschifffahrt« wurden beispielsweise umfangreiche Untersuchungen zur dreidimensionalen Modellierung von Schiffs­innenräumen und zur Entwicklung einer Simulationsumgebung für das maritime Sicherheitstraining geschaffen. In ersten Tests wurde die Bekämpfung von Notfällen im Zusammenspiel von mehreren Akteuren simuliert. Weiterhin wird im Rahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms der EU unter anderem im Projekt »Team Safety« an der Entwicklung einer Trainingsplattform speziell für das Teamtraining zum Notfallmanagement gearbeitet. In diese Plattform werden Gaming-Technologien, etwa zur Gestik- und Spracherkennung, integriert, um damit insbesondere die Aspekte der effektiven Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den handelnden Besatzungsmitgliedern in Notfällen berücksichtigen zu können. Mehrere Akteure sollen beispielsweise die Abläufe zur Bekämpfung eines Brandes an Bord bis hin zur Einleitung der Evakuierung und Besetzung von Rettungsmitteln üben können.

Der (Lern-)Effekt solcher simulationsgestützter Trainingseinheiten und ihr Vergleich zu den Effekten des Trainings von CBT-Modulen sind vor der praktischen Anwendung noch detailliert zu untersuchen. Prinzipiell werden mit solchen Projekten wichtige Voraussetzungen für das zielgerichtete Training und auch für situationsbezogene Kompetenztests geschaffen, wie sie gemäß STCW gefordert werden. Durch die Möglichkeit, solche Kompetenzen nicht nur theoretisch abzufragen, sondern auch in der praktischen Umsetzung einer Prüfung zu unterziehen, haben simulationsgestützte Trainingsmodule somit in jedem Fall ein deutlich über das Computer Based Training hinausgehendes Potenzial.


Michael Baldauf, Nolte-Schuster