Print Friendly, PDF & Email

Auf einer Exkursion in den asiatischen Stadtstaat konnten sich zwölf Studierende

schiffbaulicher Hochschulen einen Eindruck vom dortigen maritimen Cluster machen.

Ein Großteil der von der Schiffbautechnischen Gesellschaft (STG) gebildeten Rücklagen wird zur Förderung des maritimen Nachwuchses verwendet. So wurde hiervon[ds_preview] beispielsweise auch die zweiwöchige Exkursion von zwölf Schiffbau­studierenden der deutschen Hochschulen nach Singapur ermöglicht. Ein wichtiger Grund für die Zielauswahl war, dass Singapur ein ausgeprägter maritimer Standort ist. Hier befindet sich eine Vielzahl von Universitäten und Forschungseinrichtungen, Werften, Zulieferern, Ingenieurbüros, Reedereien und Hafenbetreibern.

Singapur ist seit 1965 ein unabhängiger Stadtstaat mit einer Fläche von 710 km², wovon fast 20 % durch Landaufschüttungen hinzugewonnen wurden. Der Umgang mit den engen Grenzen und begrenzten Ressourcen zieht sich wie ein roter Faden durch die Vorträge während der Reise. Als Eintrittsland in den asiatischen Markt ist Singapur bei europäischen Firmen sehr gefragt: Neben der stabilen wirtschaftlichen und politischen Situation, dem Schutz des geistigen Eigentums und der zentralen Lage (innerhalb eines Sieben-Stunden-Flugradius leben 3 Mrd. Menschen) wird vor allem die englische Sprache geschätzt.

Wichtiger Transhipment-Hafen

Hinsichtlich der Wirtschaftsstruktur wird von Seiten der Regierung auf einen ausgewogenen Mix zwischen Dienstleistungen und produzierendem Gewerbe geachtet. Als weltweit bedeutender Transhipment-Hafen mit täglichen Diensten in über 90 Häfen, davon 70 im süd- und südostasiatischen Raum, genießt Singapur einen exzellenten Ruf bei der zuverlässigen und zügigen Containerabfertigung. Nach spätestens drei Stunden (auch bei verzögerter Schiffsankunft) wird einem Containerschiff ein freier Liegeplatz zugewiesen. Durch die guten Fluganbindungen wird Singapur bevorzugt für den Crewwechsel angelaufen, ebenso als Bunkerhafen. Aufgrund des daraus resultierenden hohen Schiffsaufkommens ist es auch nicht verwunderlich, dass fast alle namhaften Zulieferer und Shipmanagement-Unternehmen in Singapur Niederlassungen unterhalten.

Die während der STG-Exkursion besuchten Zulieferer unterscheiden sich kaum von europäischen Niederlassungen. Je nach Ausprägung gibt es entsprechende Lager für Ersatzteile und mehr oder weniger umfangreiche Bearbeitungs- und Reparaturmöglichkeiten. Während man in Deutschland indes bei Werftbesuchen seltener auf voll ausgelastete Betriebe trifft, entsteht in Singapur ein gegensätzlicher Eindruck. Dort sieht man volle Kaianlagen – und da die automatisierte Fertigung erst langsam Einzug hält, finden sich auf den größten Werften bis zu 30.000 Mitarbeiter. Das Produktportfolio erstreckt sich von Semi Subs, Jack-up Vessels über FPSO-Umbauten bis hin zu Spezialschiffen, vornehmlich für die Offshore-Industrie. Ausrüstungspiers mit einem halben Dutzend Semi Subs oder Jack-ups waren für die Teilnehmer aufgrund ihrer immensen Abmessungen, der hochkomplexen Ausrüstung sowie Stückpreisen jenseits der Milliardengrenze besonders beeindruckend.

Werft auf der grünen Wiese

Dies gilt auch für den kontrastreichen Abstecher nach Batam in Indonesien, bei dem die Reisegruppe mit Marco Polo Marine Ltd. eine Werft im Entstehen auf der grünen Wiese mit voll manueller Panelstraße unter freiem Himmel erleben durfte. Bei der amerikanischen Firma McDermott konnte zudem der Bauplatz für die derzeit weltweit größte Jacket-Konstruktion besichtigt werden. Die Bandbreite und auch die kulturellen und sozialen Unterschiede zwischen Batam und Singapur unmittelbar erleben zu können, war eine besonders bereichernde Erfahrung während der Exkursion.

Gleiches lässt sich über die zahlreichen persönlichen Gespräche mit örtlichen Ingenieuren und Studierenden sagen. Vor allem beim STG-Abend im Raffles Town Club mit mehr als hundert Vertretern aus der maritimen Wirtschaft Singapurs gab es für die Studierenden die Gelegenheit zum individuellen Austausch jenseits von Präsentationen und Firmenvorstellungen. Besonderes Interesse von singapurischer Seite wurde dabei den europäischen Aktivitäten im Bereich der Erneuerbaren Energien entgegengebracht.

Ingenieurskompetenz im Vergleich

Auch für die Universitäten spielen Erneuerbare Energien eine zunehmend bedeutende Rolle und sind Gegenstand von Forschungsschwerpunkten und Kooperationen zwischen Industrie und Hochschulen. Typische Problemstellungen von Offshore-Konstruktionen sind ein weiterer Fokus der Entwicklungsaktivitäten. Eine klassische vergleichbare Ausbildung zum Schiffbauingenieur gibt es derzeit in Singapur allerdings noch nicht. Die staatlichen Hochschulen NTU (Nanyang Technological University) und NUS (National University of Singapore) erlauben lediglich eine Vertiefung als Masterstudiengang. Anstrengungen zum Aufbau eines maritimen Kompetenzzentrums werden jedoch unternommen. Die beiden großen Werften Sembcorp und Keppel sind zudem eng mit den Hochschulen verbunden und stellen auch Stiftungsprofessuren.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Universitäten in Singapur finanziell sehr gut ausgestattet sind. Wenn man jedoch den Erfahrungen deutscher Firmen folgt, ist eine Auslagerung von Ingenieursleistungen von Europa nach Singapur offenbar nur bedingt empfehlenswert: Gerade die Fähigkeiten zur kreativen Problemlösung, wie etwa die Durchführung eigenständiger Iterationsschleifen im Entwurfsprozess, scheinen in der europäischen Ausbildung ausgeprägter zu sein.

Trend zu Basic-Designs

Die von den Studierenden besuchten Ingenieurbüros waren zumeist Bestandteil größerer Unternehmensgruppen: Die Fertigung dort bearbeiteter Schiffe, zum Beispiel Offshore-Versorger, erfolgte auf eigenen Werften an kostengünstigeren Standorten und oft nur für den eigenen Reederei-Bedarf. Das Basic-Design wird dabei häufig aus Europa, vornehmlich Norwegen, importiert. Die Kompetenzbandbreite schien jedoch sehr groß zu sein: Während bei einigen Ingenieursabteilungen das Verständnis für das System Schiff offenbar nur gering ausgeprägt war, war bei anderen erkennbar, dass in absehbarer Zeit auch eigene Entwürfe (Basic-Designs) erstellt werden sollen. In einigen Unternehmen wurde auch offen und detailliert über Entwicklungen zur Erforschung und Exploration der Tiefsee berichtet. Beachtenswert ist, wie viel Werftkapazitäten, auch über den momentanen Bedarf hinaus, durch diese Unternehmen derzeit aufgebaut werden. Hier stellt sich die Frage, inwieweit diese Werften in Zukunft fremde Aufträge akquirieren können.

Auch in Singapur sind ähnliche Tendenzen wie in Europa zu beobachten: Die Fertigung gilt selbst dort als teuer. Deshalb konzentrieren sich die Werften bei Neubauten auf Spezialschiffe für den Offshore-Bereich sowie besondere Umbauten, insbesondere von Seeschiffen zu FPSOs. Sie unterhalten allerdings meistens weitere Produktionsstätten in Indonesien oder China, auf denen der Bau inklusive Erstellung der Fertigungs- und Detailzeichnungen vorgenommen wird. Die zunehmende Auslagerung der Produktion aus Kostengründen ist klar erkennbar.

Offshore-Know-how wächst zügig

Bei den Offshore-Bauwerken zeichnet sich ein Trend zur Installation in immer größeren Wassertiefen klar ab. Auch der Bereich der Erneuerbaren Energien und hierbei insbesondere die Konstruktion von Offshore-Windenergieanlagen sowie den zugehörigen Errichterschiffen spielt bei den größeren Werften und an den Hochschulen eine große Rolle. Das im Öl- und Gas-Segment erworbene Know-how bei Jack-up-Plattformen wird auf die Konzeption von Windparkerrichterschiffen übertragen. Besonders bemerkenswert war für die Exkursionsteilnehmer, dass beispielsweise bei Keppel umfangreich ausgearbeitete Entwürfe vorliegen, die gewissermaßen auf Verdacht in den Forschungsabteilungen entwickelt wurden, um in den sich bietenden Markt direkt einsteigen zu können. Die Arbeit daran wurde bereits vor einigen Jahren begonnen, als das Thema in Deutschland noch nicht in aller Munde war.

Abgerundet wurde das Besuchsprogramm durch die sich während der beiden Wochen bietende Gelegenheit zum Kennenlernen Singapurs. So blieb mehr Zeit als nur zur Visite der üblicherweise von Touristen frequentierten Stadtviertel Little India und Chinatown oder der künstlichen Welt des Entspannungsparadieses Sentosa. Zahlreiche Besuche in lokalen Foodcourts und die Erkundung der Stadt zu Fuß brachten den Studierenden Singapur und seine Eigenart näher.

Blick über den Tellerrand

Die auf der Exkursion gesammelten Eindrücke lassen sich zu folgenden Schlussfolgerungen verdichten: Singapur ist als Stadt und als maritimer Knotenpunkt ein sehr interessanter Standort. Die Vielzahl an unterschiedlichen Eindrücken, Gegensätzen wie Gemeinsamkeiten war eine wertvolle Erfahrung. Dabei beeindruckte vor allem die Mentalität, Dinge konsequent und langfristig denkend umzusetzen, und der hohe Stellenwert, den Forschung und die maritime Industrie insgesamt genießen. Der Blick über den Tellerrand war somit sehr aufschlussreich. Es zeigt sich auch, dass erfolgreiche mittelständische westliche Unternehmen ebenfalls bereit sind, diesen vorurteilsfrei zu tätigen. Eine Kenntnis der Fähigkeiten der in Asien stattfindenden Forschung, Entwicklung und Fertigung ist für Europa in jedem Fall von Nöten.

Das Vertrauen auf den eigenen Know-how-Vorsprung und das Setzen auf Spezial- und Nischenschiffbau, der eben auch an anderer Stelle forciert wird, dürfte im Wettbewerb mittel- bis langfristig nicht genügen. Dennoch darf ein gesundes Selbstvertrauen an den Tag gelegt werden, wenn es um die Einordnung der eigenen Leistungsfähigkeit in Europa geht: Gerade die ingenieurswissenschaftliche Ausbildung mit der Fähigkeit zur selbständigen Problemlösung ist in Europa ein herausragendes Merkmal. Gut ausgebildete Ingenieure werden daher wohl in jedem Fall eine Arbeit finden und sind auch in anderen Ländern gern willkommen.

Für einige Teilnehmer stellte sich Singapur sogar als potenzieller Arbeitsplatz dar. Es wird in den kommenden Jahren ein verstärkter Wettbewerb um Fachkräfte stattfinden, der bereits bei dieser Exkursion festzustellen war. Grundsätzlich äußerten die Exkursionsteilnehmer, dass sie bereit sind, sich mit Tatkraft dem Wettbewerb mit den Asiaten zu stellen, solange die europäischen (Unternehmens-)Strukturen es zulassen.

Ein ganz besonderer Dank gilt der Schiffbautechnischen Gesellschaft sowie allen Förderern und Unterstützern, insbesondere den Initiatoren der Exkursion Iwer Asmussen (STG) und Dirk Lehmann (Becker Marine Systems). Weitere Informationen finden sich unter www.stg-excursion.org. Zudem wird das Thema auf der Jahreshauptversammlung der STG vom 16. bis 18. November 2011 in Rostock beim Conference Dinner vorgestellt.

Christian Schnabel, Timo Wilcke, Robert Sehmisch