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Beim Einrammen von Pfählen in den Meeresboden entsteht Lärm – im Moment noch zu viel. Erbauer von Windparks sind auf der Suche nach Lösungen zur Minderung der Schallemissionen. Die Zeit drängt.

Die entscheidende Zahl lautet 160. Genau 160 Dezibel (dB) in einer Entfernung von 750 m zur Schallquelle beträgt der Grenzwert, um den[ds_preview] es aktuell beim Rammschall geht. Festgelegt wurde er, um die Schweinswale zu schützen. Ein For­schungsprojekt hatte zuvor ergeben, dass bei einem so genannten Einzelereignis­schalldruckpegel von 164 dB eine temporäre Hörschwellenverschiebung bei den Meeres­säugern festzustellen ist – was unter anderem die Orientierung, die Nahrungssuche und die innerartliche Kommunikation der Tiere schwer stört. Für die Erbauer jener Offshore-Windparks, die vom Bundes­amt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) bis Mai 2008 genehmigt wurden, gilt, dass sie den festgelegten Wert einhalten sollen. Alle anderen müssen es.

Grenzwerte überschritten

Weder beim Bau der abgeschlossenen Projekte »Alpha Ventus« und »EnBW Baltic 1« noch bei den ersten Rammarbeiten für »Bard Offshore 1« ist dies allerdings gelungen: Die gemessenen Unterwasserschalldruckpegel lagen zum Teil deutlich über 160 dB. »Allzu lange werden wir das nicht mehr tolerieren«, sagt Christian Dahlke, Leiter des Referats »Ordnung des Meeres« beim BSH. »Das kann nur in einer Übergangsphase so sein: Es müssen jetzt neue Techniken entwickelt werden.« Die Industrie habe das verstanden und sei mittlerweile auf einem sehr guten Weg. Für die ersten Projekte dränge er darauf, dass verschiedene Verfahren getestet würden, so Dahlke. »Wenn ich jetzt nämlich etwas stoppe, weil der Grenzwert nicht eingehalten wird, wird es auch keine Weiterentwickelung bei der Lärmminderung mehr geben. Dann werden die geplanten Parks in den nächsten drei Jahren vermutlich gar nicht erst gebaut.«

Sowohl die Bauherren der Windparks als auch verschiedene Hersteller von Schallminderungssystemen und Wissenschaftler arbeiten derzeit mit Hochdruck daran, das Problem in den Griff zu bekommen. Mit besonderem Interesse dürfte die Branche die Ergebnisse eines Projekts erwarten, das Ende August in der Lübecker Bucht durchgeführt worden ist. Unter dem Dach der Stiftung Offshore-Windenergie und unter Federführung von RWE OLC haben dort mit Bard Engineering, Dong Energy, EnBW Erneuerbare Energien, Eon Climate Renewables, EWE Energie, RWE Innogy, Stadtwerke München und Vattenfall insgesamt acht Errichter und Betreiber deutscher Offshore-Windparks gemeinsam unterschiedliche Verfahren getestet. Für den Feldversuch mit dem Titel »ESRa« (»Evaluation von Systemen zur Rammschallminderung«) stellte die Firma Menck ihren »Brodtener Pfahl«, einen Testpfahl rund 3 km vor Travemünde in einer Wassertiefe von 8 m, zur Verfügung.

»Die Entwicklung der Offshore-Windenergie wird entscheidend auch von ökologischen Fragen wie dieser abhängen«, betonte Projektleiter Fabian Wilke am letzten Tag der Versuchsreihe. Zunächst müssten jetzt jedoch die Messergebnisse ausgewertet werden, bevor man Anfang 2012 den Abschlussbericht einschließlich Empfehlungen für einzelne Technologien vorlegen werde. Bei gleichen Bedingungen wurden in der Ostsee folgende Verfahren getestet:

1. Kleiner (gestufter) Blasenschleier

Zum Referenzsystem haben die Projektpartner den kleinen (gestuften) Blasenschleier bestimmt. Bei diesem System werden um das Fundament herum vom Meeresboden bis zur Wasseroberfläche in verschiedenen Höhen Rohrringe mit Düsen angebracht. Während des Rammens wird Druckluft eingeleitet, die einen Schleier aus Blasen erzeugt und so die Ausbreitung des Unterwasserschalls verringern soll.

2. Schallminderungsrohr (IHC Noise Mitigation Screen)

Hier wird ein doppelwandiges Stahlrohr um den zu rammenden Pfahl installiert. Der Raum zwischen den beiden Wänden ist mit Luft gefüllt. Im inneren Wasserraum ist darüber hinaus ein Blasenschleier eingebaut, der die Gründung von allen Seiten umgibt. Da Strömungen und Wellenbewegungen den Blasenschleier innerhalb des Rohres nicht mehr verwirbeln können, entstehen keine so genannten Schallbrücken (durch Verdriftung der Blasen hervorgerufene Lücken) – der Schallschutzeffekt bleibt unvermindert bestehen.

3. BeKa-Schallschutzschalen

Bei diesem Verfahren legen sich verschieden ausgekleidete und befüllte Schallschutzkammern wie die Ringe eines Baumes um den Gründungspfahl: beginnend mit einem Blasenschleier, gefolgt von einer Gummiauskleidung, danach ein doppelter Stahlmantel mit Dämmfüllung, schließlich erneut ein Blasenschleier, der wiederum von einem doppelwandigen und mit Schalldämmmaterial befüllten Stahlmantel umgeben ist. Zusammengehalten wird diese Mehrfachverschalung entlang des Fundaments durch eine Rahmenkonstruktion mit Schallentkoppelung.

4. Feuerwehrschlauchsystem

Dabei wird ein mehrlagiger Vorhang aus Feuerwehrschläuchen rund um das Pfahlfundament gelegt und durch einen Ballastring am Meeresboden gehalten. Durch einen separaten Luftschlauch wird vor Beginn der Rammarbeiten einmalig Luft in die Schläuche gedrückt, die so als Schallschutzkammern fungieren.

5. Hydroschalldämpfer (HSD)

Anstelle von flüchtigen und schwer zu regulierenden Luftblasen, wie sie beim Blasenschleier zum Einsatz kommen, arbeitet der Hydroschalldämpfer mit unterschiedlich großen und aus elastischem Material gefertigten Ballons, die in einem engmaschigen Netz befestigt werden. Dieses Netz wird anschließend um die Schallquelle herum im Wasser aufgespannt und auf dem Meeresboden mit Gewichten festgehalten.

Welche Systeme sich am Ende durchsetzen werden, wird sowohl von den jeweils erreichbaren Schallschutzwerten als auch von der praktischen Anwendbarkeit auf hoher See und nicht zuletzt von den Kosten abhängen. »Beim ESRa-Projekt geht es zunächst einmal darum, die Schallschutzpotenziale der einzelnen Methoden zu testen«, erläutert Projektleiter Wilke. Um das Handling werde es dann in einem zweiten Schritt gehen. Feststehe allerdings schon jetzt: »Es wird nie ein einziges System geben, das die eierlegende Wollmilchsau ist.« Jeder Betreiber werde für sich entscheiden, welches Verfahren in seine Logistik passe – was ganz wesentlich auch von der Art der Gründung abhänge. »Wir hoffen, dass ein Ergebnis der Testreihe sein wird, dass eben unterschiedliche Methoden genutzt werden dürfen und diese dann je nach individuellen Bedürfnissen der Parkbetreiber weiterentwickelt werden«, so Wilke.

Stand der Technik

In den vom BSH ausgesprochenen Genehmigungen steht geschrieben, dass eine Schallminderung nach dem »Stand der Technik« anzuwenden sei. Der ist bislang jedoch noch bei keinem der bekannten Verfahren erreicht. Laut einer Studie mit dem Titel »Stand der Entwicklung schallminimierender Maßnahmen beim Bau von Offshore-Windenergieanlagen«, die das Bundesamt für Naturschutz (BfN) in Auftrag gegeben hatte und die seit Juli dieses Jahres vorliegt, wird dies am ehesten beim Blasenschleier der Fall sein – und zwar sowohl beim kleinen als auch beim großen. Letzterer arbeitet mit einem einzelnen perforierten Leitungsring, der in einem Abstand von rund 70 m um die Gründungsstruktur auf den Meeresboden gelegt wird und dann ebenfalls durch nach oben steigende Luftblasen für eine Minderung des Rammschalls sorgt. »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind Blasenschleier die Methode der Wahl«, heißt es im Fazit der BfN-Studie. Die Schallminderung müsse hier allerdings noch optimiert werden. Eine voraussichtlich größere Wirkung würden Hydroschalldämpfer, Schutzmäntel wie das Schallminderungsrohr und die BeKa-Schalen sowie Kofferdämme (die Funktionsweise ist ähnlich, anstelle von Wasser befindet sich jedoch Luft im Zwischenraum) erzielen, schreiben die Autoren. »Da der Stand der Technik hier voraussichtlich später erreicht wird, werden sie sicher erst mittelfristig zum Einsatz kommen.« Aus schalltechnischer Sicht am besten seien alternative Gründungsvarianten, bei denen überhaupt nicht oder zumindest weniger gerammt werden müsse.

Ministerium nimmt »Problem« ernst

Im Bundesumweltministerium wird das Thema derzeit ebenfalls diskutiert. Einerseits will man dort durch den Ausbau der Offshore-Windenergie den Klimaschutz vorantreiben, andererseits hat man mit dem BfN eine Behörde im Geschäftsbereich, die explizit für den Schutz gefährdeter Arten und damit auch für den Schutz von Schweinswalen zuständig ist. »Auf jeden Fall ist der Rammschall ein Problem, das wir sehr ernst nehmen«, sagt Ministeriumssprecher Jürgen Maaß. Innerhalb des Hauses arbeite man gerade an einer Schallschutzstrategie, die »möglichst bald« veröffentlicht werden solle. Die Strategie werde unter anderem Wege aufzeigen, wie zu den verschiedenen Gründungssystemen ein Stand der Technik erreicht werden könne – damit dieser dann letztlich auch eingefordert werden könne.

»Von der Offshore-Industrie erwarten wir, dass sie sich aktiv daran beteiligt, den Stand der Technik zu entwickeln.« Dafür brauche es Übung: »Das kann man nicht in der Theorie, sondern das muss man in der Praxis tun«, meint Maaß. Angesichts der unterschiedlichen Verhältnisse und Gründungsvarianten in den Windparks laufe es darauf hinaus, dass die Errichter am Ende des Prozesses aus unterschiedlichen Schallminderungsverfahren wählen könnten.

Für die Offshore-Industrie sind sowohl die Entwicklung als auch die Anwendung solcher Verfahren mit erheblichen Investitionen verbunden. Allein die Kosten des ESRa-Projekts werden von den Koopera­tionspartnern mit 3,9 Mio. € beziffert, wobei ein Teil davon mit Fördergeldern finanziert wird. Solange weder die Ergebnisse der Testreihe noch andere neue Erkenntnisse vorliegen, soll bei den aktuellen Bauprojekten erstmals im Echtbetrieb der Blasenschleier zum Einsatz kommen.

Erste praktische Erprobungen

Während Bard Engineering beim Bau von »Bard Offshore 1« so bald wie möglich den kleinen Blasenschleier nutzen will, wird der gerade begonnene Windpark »Borkum West 2« das weltweit erste kommerzielle Offshore-Projekt sein, bei dem durchgängig von der ersten bis zur letzten Rammung mit einem Unterwasserlärmschutz gearbeitet wird. Die Trianel Windkraftwerk Borkum GmbH & Co. KG hat sich dabei für den großen Blasenschleier entschieden – Gleiches plant nach jetzigem Stand RWE Innogy, die demnächst mit dem Bau des Windparks »Nordsee Ost« beginnen wird. EnBW Erneuerbare Energien wiederum hat Anfang des Jahres bei Test­rammungen mit einem kleinen Blasenschleier gute Ergebnisse erzielt. Nachdem noch beim Bau von »EnBW Baltic 1« in der Ostsee der Grenzwert überschritten worden war, blieb man nun nach Aussage des EnBW-Schallschutzverantwortlichen Christian Brüske unter den geforderten 160 dB. »Allerdings konnten wir das System aufgrund technischer Schwierigkeiten nur einmal anwenden«, berichtet Brüske. Da die Testpfähle im Durchmesser geringer seien als die späteren Bauwerkspfähle, bleibe abzuwarten, welche Ergebnisse letztlich unter realen Bedingungen zu erzielen seien. Bei »EnBW Baltic 2« (angestrebter Baubeginn: Mitte 2012) solle auf jeden Fall eine Schallminderungsmaßnahme zum Einsatz kommen – welche, das hänge nun unter anderem von der Auswertung des ESRa-Projekts ab. Brüske: »Wir haben ja noch einige Monate Zeit, darum ist es unnötig, sich jetzt schon festzulegen.«

Über die Anwendung der neuen Verfahren hinaus wird man in deutschen Windparks auch künftig weiterhin auf die jetzt schon im Genehmigungsverfahren vorgeschriebenen Methoden zum Schutz von Schweinswalen zurückgreifen. Dazu gehören das Vertreiben der Meeressäuger mittels Sonar-Bojen (»Pinger«), die im Vorfeld der Rammarbeiten akustische Signale aussenden, sowie weiche Starts mit reduzierter Hammer-Energie. In anderen europäischen Ländern reicht das übrigens derzeit aus, um die Genehmigung für einen Offshore-Windpark zu bekommen: Die Festlegung eines Rammschall-Grenzwerts ist bislang eine deutsche Besonderheit. Es ist jedoch davon auszugehen, dass andere Länder früher oder später nachziehen werden. Und bis dahin könnten sich die Hersteller von Schallminderungssystemen hierzulande einen wertvollen Vorsprung bei der Entwicklung ihrer Technologie erarbeitet haben.


Anne-Katrin Wehrmann