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Der erste Neubau der Reederei hilft STX in Turku aus der Auftragsflaute. Für die Vergabe spielten offenbar Preis- und Kapazitätsgründe eine Rolle. Kreuzfahrt-experten rechnen mit weiteren Bestellungen 2011.

Was in den Wochen zuvor in Fachkrei­sen schon erwartet worden war, hat sich zur internationalen Kreuzfahrtmesse Seatrade Europe in[ds_preview] Hamburg bestätigt: Der deutsche Kreuzfahrtveranstalter TUI Cruises, ein Gemeinschaftsunternehmen der TUI AG und dem amerikanischen Kreuzfahrtunternehmen Royal Caribbean Cruises Ltd. (RCCL), setzt nach dreieinhalb Jahren am Markt weiter auf Expansion: Nach erfolgreicher Markteinführung der beiden in den Jahren 2009 und 2011 für jeweils rund 50 Mio. € auf der Lloyd Werft umgebauten Schwesterschiffe »Mein Schiff 1« (ex »Celebrity Galaxy«) und »Mein Schiff 2« (ex »Celebrity Mercury«) folgt nun die Erweiterung der Flotte um einen Neubau, der im Mai 2014 ausgeliefert werden soll. Auf der Kreuzfahrtmesse schloss TUI Cruises dazu Ende September einen Vertrag mit STX Finland ab. Gebaut wird das Schiff in Turku. Vorbehaltlich der Zu­stimmung durch die Aufsichtsgremien – wovon Branchenkenner ausgehen – kann TUI Cruises innerhalb der kommenden zwölf Monate eine Option für einen weiteren Neubau wahrnehmen.

Im Rahmen der Vertragsunterzeichnung betonte Richard J. Vogel, CEO von TUI Cruises, dass die Startup-Phase der Reederei nun abgeschlossen sei. »Die Akzeptanz von TUI Cruises im deutschsprachigen Kreuzfahrtsegment ist sehr hoch. Verbunden mit der starken Marktnachfrage und unserer exzellenten Buchungslage ist ein Flottenausbau nur konsequent«, sagte Vogel. In den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 2010/11 (Stichtag 30. September) lag die Auslastung der bisherigen, aus zwei Einheiten bestehenden Flotte bei 97,1 %.

TUI füllt leeres Auftragsbuch

Vogel betonte die »herausragende Stellung« der Werft und die langjährige Ko­operation mit RCCL. Sujou Kim, CEO von STX Europe und STX Finland, fügte hinzu: »Diese Bestellung ist höchst wichtig für STX. Durch den Bau dieses innovativen Schiffs setzen wir unsere lange und erfolgreiche Geschichte im Bau von erstklassigen Kreuzfahrtschiffen fort.« STX Europe hat an den Standorten in Finnland und dem französischen Saint Nazaire nach eigenen Angaben die 14 weltweit größten Kreuzfahrtschiffe erbaut – darunter in Turku auch die absoluten Giganten »Oasis of the Seas« und »Allure of the Seas«. Allerdings hatte die Werft seit der Ablieferung der »Allure of the Seas« im November 2010 keine Kreuzfahrtschiffe mehr in den Auftragsbüchern stehen.

Die Kosten für den fremdfinanzierten Neubau für TUI Cruises werden auf rund 390 Mio. € geschätzt. Das noch namenlose Schiff wird eine Länge von ca. 295 m und eine Bruttoraumzahl (BRZ) von ca. 97.000 haben. Die 1.250 Kabinen mit 2.500 Betten verteilen sich auf 15 Decks. 90 % werden Außen- und 82 % Balkonkabinen sein. Zum Vergleich: Die Schwesterschiffe »Mein Schiff 1« und »Mein Schiff 2« sind mit jeweils rund 77.000 BRZ vermessen und bieten 2.000 Passagieren in 960 Kabinen Platz. Von den 655 Außenkabinen verfügen 430 über einen eigenen Balkon.

Nach Verkündigung des Neubauauftrages stellt sich die Frage, warum die Papenburger Meyer Werft, eine der weltweit größten Kreuzfahrtschmieden, auch bei diesem Auftrag leer ausgegangen ist – ähnlich wie bei dem im August verkündeten Neubauvorhaben von Aida Cruises für zwei 3.250 Passagiere fassende Clubschiffe, die in Japan bei Mitsubishi Heavy Industries erbaut werden.

Meyer-Werft-Sprecher Peter Hackmann bestätigte auf Anfrage Gespräche mit TUI Cruises im Vorfeld, wies jedoch darauf hin, dass eine von TUI Cruises geplante Ablieferung des Neubaus im Jahr 2014 aufgrund der derzeit guten Auftragssituation bei der Meyer Werft nicht möglich gewesen wäre, da 2014 die Bauplätze für das RCCL-Projektschiff »Sunshine« sowie das zweite Schiff für Norwegian Cruise Lines (NCL) vom Projekt »Breakaway« belegt sind.

Preiskampf zieht an

Branchenkenner geben aber auch zu bedenken, dass ein Neubau in dieser Größenordnung bei der Meyer Werft, wie STX Finland ihn nun bietet, nicht zu dem genannten Preis zu bekommen wäre. So lag der Preis eines bereits im Jahr 2006 von der Meyer Werft gelieferten NCL-Schiffes der »Jewel-Klasse«, das ungefähr die gleiche Größe wie der jetzige TUI-Cruises-Neubau haben wird, schon seinerzeit bei weit über 400 Mio. €. Das von Royal Caribbean bei Meyer bestellte 158.000 BRZ große Schiff der neuen »Sunshine«-Klasse mit einer Kapazität für bis zu 4.100 Gäste wird branchenintern auf rund 700 Mio. € taxiert.

Auch der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) ist über die derzeitige Preisentwicklung in der Kreuzfahrtindustrie – ob in Europa oder auf dem asiatischen Markt – nicht begeistert. Schon bei der Auftragsvergabe von Aida Cruises nach Japan bedauerte der VSM die Entscheidung des Rostocker Kreuzfahrtunternehmens, dass es für je rund 455 Mio. € zwei noch wesentlich größere 125.000-BRZ-Kreuzfahrtschiffe für bis zu 3.250 Passagiere bauen lässt. VSM-Geschäftsführer Werner Lundt sagte dazu im August: »Es stört uns sehr, dass Aida einen Preis vereinbart hat, der aus heutiger Sicht jenseits von Gut und Böse ist. Für den ausgehandelten Preis könne man in Deutschland nicht einmal das Material einkaufen.«

Somit lässt sich vermuten, dass TUI Cruises auch von STX Finland ein sehr günstiges Preisangebot unterbreitet wurde, um dort die Fortführung des Werftbetriebes sicherzustellen. Denn die Auftragslage ist alles andere als rosig. Derzeit werden dort nur noch ein 214 m langes Fährschiff für die Viking-Line, ein 105 m langes Offshore-Spezialschiff für die Gesellschaft Gaiamare und eine kleines Inselfährschiff gefertigt. Somit kommt der Auftrag von TUI Cruises der Werft sehr gelegen, um einer drohenden Stellenkürzung oder Teilschließung zu entgehen. Die Werft in Turku ist mit einer Fläche von 144 ha eine der größten in Europa und verfügt über ein in Fels geschlagenes 365 m langes und 80 m breites Baudock. An den drei Standorten Turku, Rauma und Helsinki beschäftigt STX Finland insgesamt rund 3.800 Mitarbeiter.

Weitere Aufträge wahrscheinlich

Neben STX soll sich auch die italienische Fincantieri-Werftengruppe um den Auftrag bemüht haben, die ebenfalls dringend Neubauaufträge für das aus acht Werften bestehende Unternehmen verbuchen muss. Schon am Anfang des Jahres drohte Werftchef Giuseppe Bono mit der Schließung von zwei Standorten und dem damit verbundenen Verlust von rund 2.500 Arbeitsplätzen, sollten keine neuen Aufträge verbucht werden. Im August konnte dann die größte Werft in Maghera bei Venedig einen Vertrag für einen 132.500 BRZ großen Kreuzfahrer für 4.928 Passagiere zur Ablieferung 2014 von Costa Crociere verbuchen.

Auch wenn das weltweite Orderbook im Vergleich zum Vorjahr geschrumpft ist (derzeit 20 Neubauten), erwarten Kreuzfahrtexperten in den nächsten Monaten weitere Auftragsvergaben für die großen Drei der Branche (Meyer Werft, STX und Fincantieri). So wurde jetzt bekannt, dass die einzige französische Kreuzfahrtreederei Ponant Yachtkreuzfahrten für rund 100 Mio. Euro den Bau eines weiteren yachtähnlichen Kreuzfahrtschiffes bei Fincantieri in Ancona in Auftrag gegeben hat. Auch MSC-Chef Pierfranceso Vago bestätigte auf der Seatrade in Hamburg, dass die Reederei – neben einer möglichen Übernahme des ursprünglichen Neubaus der libyschen Reederei GNMTC bei STX in St. Nazaire – zwei Neubauten einer neuen Klasse plant, mit der Option für zwei weitere Schwesterschiffe. Die Indienststellung des GNMTC-Neubaus könnte noch 2013 erfolgen, die der beiden anderen Neubauten 2014 und 2015.

Der derzeitige Flottenausbau der deutschen Kreuzfahrtanbieter Hapag-Lloyd, Aida und TUI Cruises passt zur positiven Einschätzung des deutschen Kreuzfahrtmarktes für die kommenden Jahre. »Wir gehen davon aus, dass die Zahl der deutschen Passagiere bis zum Jahr 2015 jährlich um durchschnittlich 11 % wachsen wird«, sagte TUI-Cruises-Chef Vogel vor Beginn der Kreuzfahrtmesse. In diesem Jahr soll die Zahl der Urlauber an Bord von 1,22 Mio. im Vorjahr auf nun 1,35 Mio. zulegen. Insgesamt rechnet Vogel für den deutschen Markt auch künftig nicht mit Überkapazitäten. »Die Zeiten, als hier nur kleine Schiffe gefüllt werden konnten, sind vorbei.«

Deutsche bald auf Platz zwei?

Tourismusexperten schätzen das Potenzial für Reisen auf See sogar auf bundesweit mehr als vier Mio. Menschen. Ursächlich für die seit mehr als zehn Jahren anhaltenden, mit zweistelligen Raten wachsenden Passagierzahlen gilt neben den weitgehend konstanten Preisen, dass sich die Branche rasch auf neue Urlaubstrends eingestellt hat. So gibt es an Bord nicht nur Fitness- und Wellnessangebote, sondern auch Klassik- oder Popkonzerte sowie weitere kulturelle, sportliche oder kulinarische Schwerpunkte.

»Es ist möglich, dass die Deutschen bei den Kreuzfahrtgästen künftig vom weltweit dritten auf Platz zwei vorrücken«, sagte Vogel. Dort liegen derzeit die Briten mit 1,62 Mio. Touristen. Die meisten Seereisenden kommen aus den USA. Europaweit lag die Zahl der Buchungen 2010 bei 5,5 Mio. Das entspricht in etwa 30 % des Weltmarktes.
Christian Eckardt