Print Friendly, PDF & Email

Die Bundesregierung will mit der späteren Zielsetzung des Aufbaus einer

Nationalen Küstenwache zunächst die Kompetenzen der am Küstenschutz

beteiligten Bundesbehörden zusammenführen.

Ausgangslage

1994 wurde eine Küstenwache als Koordinierungsstelle der Bundesvollzugskräfte auf See entsprechend eines Bundestagsbeschlusses gegründet. Die orginären Zuständigkeiten[ds_preview] verblieben bei den jeweiligen Behörden.

Nach der schweren Havarie des Holzfrachters »Pallas« wurde 2003 das Havariekommando mit dem permanent besetzten Maritimen Lagezentrum, dem Kompetenzzentrum (Alltagsbetrieb) und dem Havarie­stab (bei komplexer Schadenslage) unter direkter Fach- und Dienstaufsicht des BMVBS (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS)) eingerichtet. Aufgrund der Terroranschläge am 11. September 2001 forderte der Deutsche Bundestag im Dezember 2004 die Bundesregierung auf, ge­meinsam mit den Küstenländern unter Wahrung der bestehenden Zuständigkeiten eine optimierte Küstenwachstruktur zu schaffen, die den aktuellen Herausforderungen an die Seesicherheit gewachsen ist.

Die beteiligten Bundesministerien BMVBS, BMI, BMF, BMELV und BMU (Bundesministerium des Inneren (BMI), Bundesministerium der Finanzen (BMF), Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), Bundesumweltministerium (BMU).) und die Küstenländer unterzeichneten im September 2005 eine Verwaltungsvereinbarung zur Errichtung eines Maritimen Sicherheitszentrums (MSZ) in Cuxhaven. Das MSZ sollte die Erledigung verschiedenartiger Fachaufgaben durch besonders befähigte Spezialisten sicherstellen.

Am 1. Januar 2007 nahm das Gemeinsame Lagezentrum See (GLZ-See) im MSZ seinen Betrieb auf. Das GLZ-See ist der operative Kern des Netzwerkes aller Beteiligten, die flexibel und schlagkräftig die Seeraumüberwachung, die Gefahrenabwehr und das Unfallmanagement organisieren sollen. Hier arbeiten die operativen Kräfte des Bundes und der Küstenländer für maritime Sicherheit unter dem Namen Deutsche Küstenwache eng zusammen:

1. das Maritime Lagezentrum des Havariekommandos

2. die Leitstellen der Bundesbehörden

• Bundespolizei

• Zoll

• Fischereiaufsicht

3. die Leitstelle der Wasserschutzpolizei der Küstenländer

4. die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) mit »Point of Contact«

5. Verbindungsoffizier zur Marine

Alle Wachhabenden der Behörden im GLZ-See versehen zusammen rund um die Uhr ihren Dienst. Sie tauschen ihre Informationen aus, gründen ihre Lagebewertungen auf identischen Erkenntnissen und koordinieren gemeinsam den Einsatz ihrer Kräfte.

Im Betrieb des GLZ-See wird nach Alltagsbetrieb und Sonderlage unterschieden. Im Alltagsbetrieb bleiben die Zuständigkeiten der Behörden der deutschen Küstenwache zur Erledigung ihrer gesetzlichen Fachaufgaben in den folgenden Bereichen erhalten:

• maritime Notfallvorsorge

• grenzpolizeiliche Aufgaben

• Ein- und Ausfuhrkontrolle des Warenverkehrs

• Fischereischutz

• allgemeinpolizeiliche und schifffahrtspolizeiliche Aufgaben

Eine »Besondere Aufbauorganisation« (BAO) wird jedoch bei einer terroristischen Bedrohung oder einer komplexen Schadenslage im GLZ-See aktiviert. Dann unterstehen alle Einsatzmittel einer einheitlichen Führung. Die Einsatzleitung übernimmt dabei die Behörde, in deren Zuständigkeit die Aufgabe fällt.

Aussagen zur Nationalen Küstenwache im Koalitionsvertrag

Die Bundesregierung will laut dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP von 2009 »mit der späteren Zielsetzung des Aufbaus einer Nationalen Küstenwache (…) zunächst die Kompetenzen der gegenwärtig am Küstenschutz beteiligten Bundesbehörden zusammenführen«.

Die vom BMI im April 2010 eingesetzte Expertenkommission unter Leitung des ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Eckart Werthebach, hat bei der »Evaluierung der Sicherheitsbehörden« jedoch fachliche und verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine umfassende Verlagerung von Zuständigkeiten (Die »Werthebach-Kommission« lehnt vor allem die Aufgabenübertragung vom Zoll auf die Bundespolizei wegen der Heterogenität der jeweils spezifischen kriminalpolizeilichen oder fiskalischen Aufgabenstellung und der daraus abzuleitenden unterschiedlichen Eingreifbefugnisse und deren verfassungsrechtliche Grenzen ab) auf eine einzige Behörde vorgetragen. Daher wurde unter der Federführung des BMI im November 2010 die Arbeitsgruppe »Küstenwache des Bundes« eingesetzt, an der die vier Bundesministerien BMVBS, BMI, BMF, BMELV beteiligt sind. Diese soll die Wahrnehmung aller Küstenwachfunktionen der im Maritimen Sicherheitszentrum vertretenen Bundesbehörden sowie die Prozesse und die Organisation im Netzwerk Maritimes Sicherheitszentrum ergebnisoffen überprüfen und etwaige erforderliche gesetzliche oder sonstige Regelungen vorschlagen. Die Arbeitsgruppe wird voraussichtlich zum Jahresbeginn 2012 ihren Bericht vorlegen.

»Sicherheit auf See: Perspektiven für die Deutsche Küste«

Das Fachgespräch »Sicherheit auf See: Perspektiven für die Deutsche Küste«, am 23. November 2011 im Deutschen Bundestag in Berlin geführt, sollte der Umsetzung des Koalitionsvertrages unter Berücksichtigung der Aussagen der »Werthebach-Kommission« und der vorläufigen Ergebnisse der vom BMI eingesetzten Arbeitsgruppe »Küstenwache des Bundes« dienen. Dabei diskutierten Parlamentarische Staatssekretäre (PStS) aus vier Bundesministerien (BMVBS, BMI, BMF, BMELV) mit externen Fachleuten über die Effektivität der Sicherheitsstrukturen für Nord- und Ostsee.

Von vielen Experten wurde anerkannt, dass die Küstenwache in den letzten Jahren vor allem durch die Einrichtung des Havariekom­mandos und des Maritimen Sicherheitszentrums effizienter und schlagkräftiger geworden ist. Dennoch gibt es starke Bestrebungen, sie hin zu einer Nationalen Küstenwache mit umfassender Übertragung von Zuständigkeiten auf die Bundespolizei (BPOL) zu verändern.

Hauptargumente der Befürworter einer Nationalen Küstenwache sind: Zuständigkeit für die Küstenwache und damit ihre Leitung müssen zu jeder Zeit in einer Hand sein, um klare Befehlsstrukturen zu haben. Von der Schaffung einer Nationalen Küstenwache werden mehr Entscheidungsbefugnis und Durchsetzungsvermögen erwartet als von einem Netzwerk Maritimes Sicherheitszentrum. Das BMI und verschiedene Experten halten dies nur für erreichbar durch eine umfassende Verlagerung von Zuständigkeiten auf eine einzige Behörde. PStS Dr. Ole Schröder (BMI) sah keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber einer solchen Lösung.

Die Staatssekretäre aus den Bundesministerien BMVBS, BMF und BMELV hielten jedoch an den verfassungsrechtlichen Bedenken fest. Sie setzten sich, unterstützt von externen Fachleuten, aufgrund dieser und fachlicher Bedenken für folgende Alternative zu einer Nationalen Küstenwache ein: Optimierung des bewährten Netzwerks Maritimes Sicherheitszentrum durch Intensivierung des Zusammenwirkens der beteiligten Bundes- und Länderbehörden, etwa durch eine Straffung der Führungsstrukturen im MSZ und der operativen Zusammenarbeit an Bord der Einsatzschiffe.

Vorteile dieser Lösung sind die Erledigung verschiedenartiger Fachaufgaben durch besonders befähigte Spezialisten, höhere Flexibilität im Hinblick auf Erweiterungen und Anpassungen an aktuelle (nationale und internationale) Entwicklungen und die Erreichung einer optimalen Einsatzfähigkeit auf der Basis des geltenden Rechts.

BMVBS, BMF und BMELV setzten sich damit eindeutig für eine Fortentwicklung des Netzwerkes MSZ mit folgenden Schwerpunkten ein:

• stärkere Zusammenarbeit der beteiligten Ministerien des Bundes und der Länder im Maritimen Sicherheitszentrum,

• Einrichtung einer Bundesleitstelle im Gemeinsamen Lagezentrum See,

• gemeinsame Bereederung der Schiffe von Zoll, Bundespolizei, Fischereiaufsicht und der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) mit gemischten Besatzungen.

Bei diesem Fachgespräch gab es einen Austausch der Argumente mit dem Ziel, die andere Seite zu überzeugen, jedoch keine Abstimmung über die Schaffung einer Nationalen Küstenwache versus Optimierung des bestehenden Netzwerkes MSZ. Hier besteht weiterhin Diskussionsbedarf.

Mit den folgenden Überlegungen möchte der Verfasser deutlich machen, warum er (neben den genannten verfassungsrechtlichen Bedenken) die Fortentwicklung des bestehenden Netzwerkes MSZ der Schaffung einer Nationalen Küstenwache vorzieht.

Bewertung

Im Betrieb der von der Küstenwache eingesetzten Schiffe der Bundesministerien BMVBS, BMF, BMI und BMELV wird nach Alltagsbetrieb und Sonderlage unterschieden.

Im Alltagsbetrieb erledigen die Schiffe der Küstenwache jeweils unterschiedliche Kernaufgaben. Diese sind mit mehr als 90 % ihrer gesamten Tätigkeit prägend für die Organisation der Küstenwache. Die qualifizierte Erledigung der Kernaufgaben kann nur durch Spezialisten geschehen, d. h. die Mitarbeiter müssen vor allem für die originären Aufgaben ausgebildet sein, nicht nur für die Bewältigung einer Bedrohungs-/Schadenslage.

Die Übertragung von Aufgaben eines Ministeriums auf Mitarbeiter eines anderen Ministeriums (unter Beibehaltung der Ressortverantwortung), wie sie bisher von Fall zu Fall üblich ist, lässt sich daher nicht beliebig ausdehnen. Eine umfassende Verlagerung von Zuständigkeiten, wie sie die Nationale Küstenwache erfordert, hätte eine weitreichende organisatorische und personelle Umstrukturierung zur Folge. Es ist zu befürchten, dass der hohe Standard der Qualifikation von Spezialisten dann nicht gehalten werden kann. Die Folge wäre eine Absenkung der bestehenden hohen Sicherheitsstandards. Das darf nicht sein.

RDir a.D. Kapitän Jörg Neubert