Print Friendly, PDF & Email

Die Zahl der Kaperungen ging 2011 zurück. Doch militärische Maßnahmen und bewaffnete Schutzkräfte können nur die Symptome kurieren, nicht die Ursachen.

Der Wechsel erfolgte routinemäßig. Am 6. Dezember 2011 übergab Flottillenadmiral Thomas Jugel nach vier Monaten das Kommando über die Mission[ds_preview] Atalanta von der deutschen an die spanische Marine. Aber auch ohne diese Führungsaufgabe sichern weiterhin rund 530 deutsche Soldaten die Schifffahrt vor der Küste Somalias gegen Piratenangriffe. Damit ist dies nach Afghanistan und dem Kosovo der drittgrößte Auslandseinsatz der Bundes­wehr.

Aus Anlass des Kommandowechsels war auch Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière ans Horn von Afrika gereist und sprach deutliche Worte: »Was militärisch geleistet wurde, ist erfolgreich, was politisch geleistet wird, ist nicht genug.« Damit bezog sich der Minister auf viele noch ungeklärte Fragen in der Bekämpfung der Piraterie, wie beispielsweise diejenige, wo festgenommene Piraten vor Gericht gestellt werden sollten. Abgesehen davon könne das Militär nur die Symptome dieser Form der Kriminalität bekämpfen, nicht aber die Ursachen.

Aufbau rechtstaatlicher Strukturen

Für dauerhafte Sicherheit am Horn von Afrika müsse jedoch die Piraterie »an der Wurzel bekämpft« werden, so der Minister. Nur der Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in Somalia, die Suche nach den Hintermännern der Piraten sowie das Unterbinden von deren Finanzströmen könne langfristig die Gefahr des Seehandels durch Piraten eingrenzen. Der Minister sagte weiter, dass Piraterie nicht nur im Seegebiet am Horn von Afrika den Welthandel behindere und Piraterie zu einer globalen Gefahr zu werden drohe.

Tatsächlich wurden im vergangenen Jahr vor der Küste Somalias deutlich weniger Schiffe erfolgreich von Piraten gekapert, obwohl die Anzahl der Angriffe auf zivile Handelsschiffe in den vergangenen drei Jahren nahezu unverändert blieb. Aber während 2009 und 2010 noch 53 beziehungsweise 50 Schiffe von Piraten gekapert werden konnten, waren im Jahr 2011 nach vorläufigen Zahlen nur 26 Angriffe erfolgreich. Oder anders ausgedrückt, drei Jahre nach Beginn der Mission Atalanta wird nicht mehr jedes vierte attackierte Schiff gekapert, sondern nur noch jedes zehnte.

Dabei heften sich die Marineeinheiten der Mission Atalanta diese Erfolge keineswegs allein an ihre Fahnen. Der scheidende Atalanta-Seebefehlshaber Jugel nannte weitere Faktoren für diese Entwicklung: Zum einen folgen immer mehr Reeder ziviler Handelsschiffe den Empfehlungen des Atalanta-Hauptquartiers im britischen Northwood, nur angemeldet und im Konvoi das gefährliche Seegebiet vor der Küste Somalias zu passieren. Zum anderen hätten Seeleute auf Frachtschiffen passive Schutzmaßnahmen ergriffen, um mit eigenen Mitteln Angriffe abwehren zu können. Und letztlich haben auch die veränderten Einsatzregeln von Atalanta zu mehr Sicherheit beigetragen. Seit Mai 2011 gelte zudem ein robusteres EU-Mandat, dessen Einsatzregeln (Rules of Engagement) es erlauben, Piraten auch dann noch zu verfolgen, wenn diese einen Angriff aufgrund der Präsenz der Kriegsschiffe erfolglos abbrechen mussten. Außerdem dürfen die Atalanta-Einheiten verdächtige Schiffe durchsuchen, auch wenn sie nicht bei einem Angriff beobachtet wurden.

Steigende Lösegeldforderungen

Die Piraten reagieren auf die geringere Erfolgsbilanz ihrer Überfälle, indem sie in erfolgreichen Fällen ihre Lösegeldforderungen nach oben schrauben. Das durchschnittliche Lösegeld für ein gekapertes Schiff ist von 150.000 US$, wie sie noch im Jahr 2005 verlangt wurden, auf mittlerweile 6 bis 7 Mio. US$ gestiegen. Für Tanker verlangen sie sogar bis zu 13 Mio. US$. Insgesamt haben die somalischen Piraten trotz der zurückgegangenen Zahl erfolgreicher Überfälle allein 2010 etwa 238 Mio. US$ an Lösegeldern eingenommen.

Aber es geht nicht nur um die Höhe der Lösegelder. Viel schlimmer ist das Schicksal der Seeleute, die in die Hände der Piraten fallen. Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF), die die Interessen von Seeleuten vertritt, konnte in den Häfen der Welt mit einer Petition zum Schutz der Seeleute mehr als 930.000 Unterschriften sammeln und sie den Vereinten Nationen übergeben. Generalsekretär Ban Ki-moon versprach, die UN würden »alles daran setzen, die durch das Problem der Piraterie entstehenden Herausforderungen in Angriff zu nehmen«.

Als Reaktion erklärte ITF-Generalsekretär David Cockroft, er hoffe nun auf tatsächliches Handeln der Vereinten Nationen: »Nur konkrete und entschlossene Gegenmaßnahmen werden bei diesen Straftaten wirksam sein, die sich zu einem globalen Problem entwickeln.«

Seit mehr als zwei Jahren sind durchschnittlich 400 Seeleute verschiedener Nationen in der Gewalt von Geiselnehmern. Das wäre so, als wenn jedes Jahr 20 Großflugzeuge von Luftpiraten entführt und deren Passagiere zur Erpressung von Lösgeld festgehalten würden, sagte Ralf Nagel, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder, angesichts dieser besorgniserregenden Entwicklung.

Sorge bereiten dem Verband aber auch die Erfahrungen, die Seeräuber aus ihren Überfällen ziehen: »Die Piraten stellen sich schnell und intelligent auf unsere neuesten Sicherheitsmaßnahmen ein«, erklärte Nagel. So hätten sich die schwer zu öffnenden Panikräume, auch Zitadellen genannt, in die sich Besatzungen bei einem Angriff flüchten sollen, nach ersten Erfolgen als wirkungslos erwiesen: »Die Piraten sind dazu übergegangen, die Räume zu sprengen«, erklärte Nagel. Der Verband Deutscher Reeder forderte deshalb erneut »hoheitliche Schutzkräfte auf besonders gefährdeten Routen für die zivile Schifffahrt«. Allerdings haben die hoheitlichen Sicherheitskräfte wie Bundeswehr oder Bundespolizei gar nicht genug Einsatzkräfte, um diese zusätzliche Aufgabe zu erfüllen. Nach offiziellen Quellen gibt es vor der somalischen Küste etwa 1.700 Schiffsbewegungen pro Jahr. Das sind fünf deutsche Schiffe pro Tag, die mit Wachmannschaften zu besetzen wären.

Zulassung privater Sicherheitskräfte

Daher wurde in den vergangenen Monaten immer häufiger der Ruf nach privaten bewaffneten Sicherheitskräften laut, Medien sprachen abwertend von »Söldnern an Bord von Schiffen«. Auf der anderen Seite untersuchen seriöse zivile Personenschutzunternehmen derzeit, wie sie in dieses neue Geschäftsfeld einsteigen können.

Internationale Vorreiter waren die britische und norwegische Regierung, die als erste Schiffen unter ihrer Flagge den bewaffneten Schutz durch private Sicherheitsfirmen gestatteten. Zug um Zug folgten andere Nationen, auch Liberia, unter dessen Flagge viele Schiffe deutscher Eigner fahren. Tatsache ist, dass bisher kein einziges, von einer bewaffneten Sicherheitsmannschaft geschütztes Schiff von Piraten gekapert worden ist. Ein Beispiel dafür ist der Frachter »Greta« der Leeraner Reederei Nimmrich & Prahm, der im August 2011 von Seeräubern angegriffen wurde. Reeder Klaus Nimmrich bestätigte der Zeitung »Täglicher Hafenbericht«, drei bewaffnete britische Sicherheitsleute, die in Muscat an Bord gekommen waren, hätten die Attacke erfolgreich abgewehrt. Die Besatzung hatte sich währenddessen in einem Sicherheitsraum eingeschlossen und blieb unverletzt.

Auch für den Markt der Schiffsbeteiligungen ist Schutz vor Piratenangriffen ein wichtiges Thema. Das Hamburger Emissionshaus Lloyd Fonds berät bereits bei Abschluss einer Beschäftigung mit dem Vertragsreeder, welche Sicherheitsmaßnahmen für das Durchqueren von Piratengebieten zu treffen sind. »Vor allem Tanker, die voll beladen einen deutlichen Tiefgang vorweisen, sind ein attraktives Ziel für die neue Generation von Piraten«, sagt Jürgen Hutt, Leiter des Fondsmanagement. »Wir begrüßen die aktuelle Diskussion um die Erlaubnis bewaffneter privater Kräfte an Bord von Handelsschiffen.«

Skeptiker befürchten allerdings, diese Entwicklung könne auch zur Aufrüstung auf Seiten der Piraten führen und eines nicht allzu fernen Tages Feuergefechte um Schiffe zur Folge haben.


Eigel Wiese