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Sietas erhält 23 Mio. € als Kredit und Bürgschaft. Große Hoffnungen liegen auf dem Bau des kontraktierten Offshore-Errichterschiffes. Die Investorsuche läuft auf Hochtouren.

Es sind harte Zeiten angebrochen für den deutschen Schiffbau. Das gilt auch für die Hamburger Sietas-Werft, die im Verlauf[ds_preview] ihrer fast 400-jährigen Existenz wahrlich viele Stürme erlebt und überlebt hat. Dann der große Schock: Im November 2011 musste die Werftleitung Insolvenz für das Schiffbauunternehmen anmelden. Umso größer war die Freude für die Mitarbeiter, als wenige Tage vor Weihnachten die erlösende Botschaft kam: Es gibt frisches Geld, so dass die Werft eine Verschnaufpause bis Sommer 2012 bekommen hat.

Letztes Containerschiff 2009 abgeliefert

Dass die Schiffbaugruppe Sietas – zu ihr gehören auch die Neuenfelder Maschinenfabrik (NMF) sowie die auf Reparaturen ausgerichtete Norderwerft – in eine Schieflage geriet, dafür gab vor allem die im September 2008 ausgelöste Weltwirtschaftskrise, in deren Folge dann die Schifffahrts-

krise ausgelöst wurde, einen entscheidenden Anteil. Das bis zu dem Zeitpunkt satte Auftragspolster schmolz binnen weniger Wochen weg wie das Eis unter der Sonne. Anfang 2009 zogen die Banken, allen voran die »Hausbank« HSH Nordbank, dann die Notbremse. Und das hieß auch: Eigentümerwechsel und das Einsetzen eines neuen Managements. Fortan hatten Rüdiger Fuchs, lange Jahre erfolgreicher Manager bei Airbus, und Rüdiger Wolf das Sagen.

Doch dabei blieb es nicht. Es erfolgten Einschnitte in die Belegschaft, zu der nicht wenige Arbeitnehmer gehören, die auf familien­eigene Sietas-Werft-Traditionen zurückblicken können. Das neue Management leitete zudem eine umfangreiche Neuausrichtung der Werft ein. Sietas, zuletzt stark auf den Bau von Containerschiffen für die europäischen Verteilerverkehre ausgerichtet, verabschiedete sich aus dem Containerschiffneubau-Geschäft. Mit der Baunummer 1294 wurde am 6. November 2009 das letzte Containerschiff (Typ 178 ER 4) an die niederländische Reederei JR Shipping abgeliefert. Fortan wollte sich die Traditionswerft nur auf Spezialschiffe wie Schwergut- und Projektladungsfrachter, Schwimmbagger, Fähren und andere Schifftstypen konzentrieren. Eines verbindet diese Schiffe: Sie sind Maßkonstruktionen, die auf die Bedürfnisse der Kunden optimal zugeschnitten sind. Erhebliche Vorleistungen erbrachte die Werft durch die Entwicklung neuer Schiffstypen. Der F & E-Bereich wurde nachhaltig gestärkt.

Intensive Verkaufsbemühungen

Neben der Neuordnung in der Produktenpalette setzte das neue Management auch eine Veränderung in der Produktion durch. Fuchs, durch Airbus in Sachen »industrielle Serienfertigung« geprägt, entwickelte die Werft weg vom – wie er sich ausdrückte – »Manufakturbetrieb« hin zu einer schnelleren und auch preiswerteren Industrieproduktion.

2009 stand auch ganz im Zeichen einer verstärkten weltweiten Akquisition. Mit Erfolg. Im Juni 2010 schloss die Werft die Verhandlungen mit der dänischen Nordic Ferry Services über den Bau von zwei Doppelendfähren ab. Wert: rund 20 Mio. € pro Schiff. Auch schaffte die Sietas-Gruppe etwas, wovon andere deutsche Werften bis dahin nur träumten: Die Neuenfelder zogen den ersten Vertrag über den Neubau eines Offshore-Errichterschiffs an Land. Mit der niederländischen Van-Oord-Gruppe gewannen sie einen Kunden, der vom werfteigenen Entwurf überzeugt war. Am 8. Dezember 2010 erfolgte in Hamburg die feierliche Vertragsunterzeichnung. Damit nicht genug: Die Niederländer sprachen auch eine Option für ein zweites Schiff aus. Auch wenn kein Preis genannt wurde – inoffiziell beträgt der Baupreis für ein solches Spezialschiff »etwas über 100 Mio. €«. Einen weiteren Meilenstein stellte die am 9. Dezember 2010 erfolgte Ablieferung des Schwergutschiffes »Svenja« für den Stammkunden SAL dar, ein Unternehmen, das seit Sommer 2011 zu 100 % der japanischen

K-Line gehört. Das Schwesterschiff »Lone« folgte im Frühjahr 2011. Beide Schiffe konnten für sich den Titel »leistungsstärkstes Schwergutschiff der Welt« in Anspruch nehmen.

Erfolgreiches Geschäft mit Schiffskranen

Einen recht stabilen Verlauf nahm die Entwicklung in den anderen Bereichen der Werft, der Reparatursparte, dargestellt über die Norderwerft in Hamburg, und die NMF. Letztere hatte ein dickes Auftragsportfolio für ihre Schiffskrane. Die Auslastung umfasste 2008 sogar bis zu drei Jahresproduktionen, auslaufend Ende 2012. Im Jahr 2010 lieferte die NMF 217 Krane aus – so viel, wie nie zuvor. 2011 waren es mehr als 150. Im gerade angefangenen Jahr wird der Ausstoß nach Unternehmensangaben bei »knapp unter 100« liegen. Großabnehmer von Kranen »Made in Hamburg-Neuenfelde« sind vor allem Werften in Fernost. Eine Folge des Auftragsbooms bei NMF war auch, dass die Belegschaft rasant anwuchs: auf rund 250 Mitarbeiter, einschließlich Aushilfskräfte. Mit der absehbaren und auch geplanten Rückführung der Jahresproduktion auf »Normalniveau« wird die Belegschaft in etwa halbiert.

Das Werftmanagement war sich von Anfang an darüber im Klaren, dass der Erfolg der Neuausrichtung des Traditionsunternehmens auch davon abhängen würde, dass sich die finanzielle Situation der Werft nachhaltig verbessern müsste. Doch genau das gestaltete sich offenkundig schwierig, zumal auch die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sich im Verlauf von 2011 binnen weniger Monate verschlechterten. Mitte November dann die Alarmmeldung aus Hamburg-Neuenfeld: Insolvenz für die Sietas-Werft, nicht aber für die beiden anderen Tochtergesellschaften.

Hartes Verhandeln hinter den Kulissen

Ein umfangreiches Krisenmanagement setzte ein. Vor allem der Stadtstaat Hamburg, der der Werft bereits 2009 gemeinsam mit dem Bund im Rahmen einer Bürgschaft unter die Arme gegriffen hatte, um so die erforderliche Umstrukturierung zu ermöglichen, wurde erneut aktiv. Schließlich ist die Sietas-Werft der letzte noch im klassischen Handelsschiffbau in Hamburg verbliebene Werftbetrieb. Am 16. Dezember 2011 kam dann die erlösende Nachricht, die der vorläufige Insolvenzverwalter Berthold Brinkmann und Werftchef Rüdiger Fuchs, gemeinsam mit Betriebsratschef Peter Bökler und Eckard Scholz von der IG Metall Region Hamburg, verkünden konnte. Zuvor waren die rund 700 Werftmitarbeiter – zur Gesamtbelegschaft gehören noch die Mitarbeiter von NMF und Norderwerft – darüber informiert worden, dass es weitergehen kann. Ein weiteres Mal wird der Geldhahn geöffnet. So bekommt der Schiffbaubetrieb einen sogenannten Massekredit in Höhe von rund 15 Mio. € sowie eine Bürgschaft von rund 8,2 Mio. €. Für die Mitarbeiter des Werftkernbetriebes läuft die Zahlung des Insolvenzgeldes noch bis zum 31. Januar 2012. Nicht von der Insolvenz betroffen sind, wie bereits gesagt, NMF und die Reparatursparte.

Dass die dringend benötigten Kreditmittel fließen können, dazu hätten verschiedene Akteure aus Hamburg, aber auch beim Bund beigetragen, lobten Fuchs und Brinkmann vor den Journalisten. Die Barmittel stellt die HSH Nordbank zur Verfügung. Mit dem Geld, so Brinkmann und Fuchs, könnte der Schiffbaubetrieb bis Sommer 2012 fortgeführt werden, sprich die benötigten Materialien auch bezahlt werden. Denn mit der Verbreitung der Insolvenzmeldung brach der Materialfluss sofort ab.

Werftmitarbeiterstamm vor Anpassung

Dank der Barzuwendungen, die – das betonten Brinkmann und Fuchs wiederholt – »keine Schiffbauhilfen« sind, können die laufenden Vorhaben weitergeführt werden: die Fertigstellung der ersten Fähre für Nordic Ferry Services, der Baubeginn für das Schwesterschiff sowie der Bau eines Schwimmbaggers für die Möbius-Gruppe. Große Hoffnung setzt das Unternehmen auch darauf, dass der Auftrag für das Offshore-Errichterschiff umgesetzt werden kann. Die Verhandlungen mit den Niederländern über das Projekt liefen vielversprechend, betonte Fuchs. Für die Werft gehe von dem Projekt große Symbolkraft aus.

Bis zum Sommer dieses Jahres muss die Schiffbaugruppe aber noch eine Reihe von weiteren Hausaufgaben anpacken. Dazu gehört vor allem, dass bis dahin ein Investor gefunden wird. Erste Gespräche gibt es bereits. Auch muss ein neues Unternehmenskonzept erarbeitet werden, aus dem die weitere Ausrichtung der Werft hervorgeht. Und auch dieser Schritt ist unvermeidlich: Der Mitarbeiterstamm wird noch einmal zur Ader gelassen werden. Wie groß der Abbau am Ende ausfallen wird, ließen Brinkmann und Fuchs offen. Nur das stellten sie klar: Er werde nicht nach der Rasenmähermethode erfolgen, schließlich seien die Mitarbeiter für die Werft das wertvollste Betriebskapital. IG-Metall-Fachmann Scholz stellte eine Art »Transfergesellschaft« in Aussicht, die erstmal alle Mitarbeiter aufnehmen soll, die nicht mehr weiterbeschäftigt werden können. Ein kleiner Trost: Weil der Facharbeitermangel im Metallbereich immer spürbarer wird, dürfte sich ein Arbeitgeberwechsel etwas einfacher gestalten.


Eckhard-Herbert Arndt