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Die 106. Hauptversammlung der STG fand im November an der Ostsee statt. Nach der

Mitgliederversammlung wurde in 24 Vorträgen ein Überblick über viele Bereiche

der Schiffstechnik gegeben.

1. Eröffnung

Abweichend vom bisherigen Rhythmus im Wechsel zwischen Berlin und Hamburg fand die Hauptversammlung der Schiffbautechnischen Gesellschaft[ds_preview] (STG) diesmal in Rostock statt. Am Mittwoch, dem 16. November 2011, wurde die 34. Georg-Weinblum-Gedächtnisvorlesung durchgeführt und die Fachausschüsse Meerestechnik (Leitung Michael vom Baur), Schiffsmaschinen (Leitung Fred Deichmann) sowie der Fachausschuss Konstruktion und Festigkeit (Leitung Prof. Wolfgang Fricke) führten hier ihre Sitzungen durch. Der Begrüßungs­abend fand im Rostocker Rathaus statt. Das Grußwort von Rostocks Oberbürgermeisters Roland Methling stellte den maritimen Hintergrund der Stadt dar (Abb. 1).

Die nichtöffentliche Mitgliederversammlung begann am folgenden Tag. Der STG-Vorsitzende Dr. Hermann J. Klein eröffnete die öffentliche Tagung, die mit einer großen studentischen Beteiligung durchgeführt wurde. Die Grußworte von Werner Lundt (VSM), Hauke Schlegel (VDMA) und Capt. Wolfgang Hintzsche (VDR) sowie die anschließenden Ehrungen von STG-Mitgliedern erhielten einen feierlichen Rahmen durch die von zwei Studentinnen der Hochschule für Musik und Theater (Rostock) vorgetragenen Musikstücke.

Der Rektor der Universität Rostock, Prof. Dr. Wolfgang Scharec, hielt den Festvortrag mit dem Titel »Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung – Universität und Maritime Unternehmungen in Rostock im Wandel der Zeiten« und sprach dabei u. a. die Reederei August Cords an, deren 1903 auf der Neptun Werft gebautes Schiff, die »Grete Cords«, unter dem Namen »Vorwärts« das erste Handelsschiff der DDR wurde (Abb. 2).

2. Fachvorträge

Der Nachmittag war den Fachvorträgen vorbehalten, ergänzt von Besichtigungen. Das abendliche Dinner wurde gekrönt von einem studentischen Vortrag über die von der STG unterstützte Singapur-Exkursion. Der Freitag war weiteren Fachvorträgen gewidmet, die in zwei zeitlich parallelen Gruppen gehalten waren.

Vortragsprogramm

Das Vortragsprogramm der STG-Hauptversammlung 2011 war gefüllt mit anspruchsvollen Themen, die von der Entwicklung neuer Technologien, Innovationen zur Umweltverträglichkeit der Schifffahrt sowie der Effizienz des Schiffsbetriebes vor dem Hintergrund steigender Ölpreise und drohender CO2-Abgaben handelten. Das Programm mit den einzelnen Vorträgen ist auf der Homepage der STG nachzulesen. Neben der Gruppe der Preisträger (mit Preisen ausgezeichnete Dissertationen und Hochschul-Abschlussarbeiten) waren Vortragsgruppen mit den Überschriften »Hafen- und Meerestechnik«, »Schiffbau«, »Schiffshydrodynamik«, »Elektrotechnik«, »Manövrieren«, »Schiffsmaschinen« sowie »Schiffskonstruktion und Schiffsfestigkeit« mit interessanten Beiträgen vertreten. Somit wurde diese Tagung dem selbst gestellten Anspruch der STG gerecht, der Öffentlichkeit einen breiten Überblick zu neuen Entwicklungen in der Schiffstechnik zu bieten. An dieser Stelle sollen nur einige Vorträge kurz angesprochen werden; die ausführlichen Vorträge werden im STG-Jahr-

buch 2011 abgedruckt.

2.1 AGaPaS – Autonomer Galileo-gestützter Rettungskatamaran auf See

In diesem Vortrag stellte Prof. Dr. Günther Clauss (TU-Berlin) ein innovatives, autonom operierendes Rettungssystem vor, das das Rettungswesen von Überseeschiffen und der Offshore-Industrie revolutionieren kann. Ein unbemannter ferngesteuerter Rettungskatamaran bildet das Kernstück. Er wurde als Modell (Abb. 3) entwickelt und untersucht, um mit einer Großausführung die Überlebenschancen von über Bord gefallenen Seeleuten zu verbessern. Mit der Großausführung fanden Anfang Dezember 2011 Funktionstests im Rostocker Hafen und in der Ostsee statt. Der Katamaran soll im Freifall zu Wasser gelassen werden und satellitengestützt Kurs auf das zu rettende Besatzungsmitglied nehmen. Der eigentliche Rettungsvorgang vor Ort soll beim Erreichen der im Wasser treibenden Person vom Schiff aus ferngesteuert werden (Abb. 4).

2.2 BESST – Breakthrough in European Ship and Shipbuilding Technologies:

Überblick über ein Europäisches Integriertes Projekt

Dieses umfangreiche EU-Projekt präsentierte Thomas Witolla (Meyer Werft). Es zielt auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheit und Umweltverträglichkeit von in Europa gebauten Schiffen und umfasst insgesamt 64 Partner aus zwölf Ländern (davon zwölf deutsche Partner). Neben den Werften und Industrieunternehmen sind 20 Forschungsinstitute und Universitäten sowie fünf Klassifikationsge-

sellschaften beteiligt. Das Projekt wird von Fincantieri SpA koordiniert (Abb. 6), das Gesamtbudget beträgt 29 Mio. €, davon ca. 17,5 Mio. € Förderung bei einer Laufzeit von 42 Monaten ab September 2009. Das Projekt umfasst neben einer Life-Cycle-Analyse der Schiffe den Wartungsaufwand, die Optimierung der Funktionen und Kosten beim Bau der Schiffe sowie bei der Erneuerung. Weitere wichtige Forschungsthemen waren neben der Steigerung der Energieeffizienz die Reduzierung der Emissionen sowie die Erhöhung der Zuverlässigkeit und Sicherheit.

2.3 Eine Port Feeder Barge mit LNG-Antrieb für den Hamburger Hafen

Die Lösung der wachsenden Verkehrs­probleme auf den Straßen im Hamburger Hafen sowie im Hinterland sprach Prof. Dr. Ulrich Malchow an. Das Projekt einer zunächst für den Hamburger Hafen geplanten umweltverträglichen Port Feeder Barge (PFB) wurde universeller und mittlerweile mit LNG-Antrieb projektiert sowie auf die Abfertigung von 13.000-TEU-Schiffen ausgelegt. Die projektierte Kranbarge weist entsprechende Dimensionen und einen

eigenen vollwertigen Containerkran auf; sie verfügt über eine eigene Stellplatzkapazität von 168 TEU. Die Problemfelder Containerumfuhr, Abfertigung von Feederschiffen, der derzeit kritische Binnenschiffsumschlag (Abb. 5) und eine Emissionsverringerung könnten mit diesem logistischen Ansatz erfolgreich bestellt werden. Damit ließe sich die umweltfreundliche Binnenschifffahrt für den Hinterlandverkehr des Hamburger Hafens auf die angestrebten 5 % (heute <2 %, Rotterdam, Antwerpen >30 %) steigern.

Diese Art der Containerabfertigung hat sich in Fernost bereits bewährt. Mit diesem Prinzip könnten kurzfristig die derzeit in Frage kommenden jährlich 300.000 Container (450.000 TEU) auf dem Wasser bei moderaten Umschlagkosten (Abb. 6) abgefertigt werden. Bislang werden jährlich ca. 40.000 Container im Hamburger Hafen mit einfachen Schuten und Schleppern transportiert.

2.4 Die Entwicklung der Frachtschiffe für den Nördlichen Seeweg

Von Guido Schulte und Jakob Nilius wurde die Entwicklung eines vielseitigen Eisbrecher-Frachtschiffes der Nordic Yards vorgestellt. Speziell für den Einsatz auf dem Nördlichen Seeweg konzipiert, wird damit die Fahrt von Nordeuropa nach Fernost von 11.500 auf 6.900 Seemeilen verkürzt (Abb. 7). Bei dieser Projektentwicklung konnte auf die Erfahrungen der Werft im Bau von rund 120 Schiffen für den arktischen Einsatz zurückgegriffen werden.

Das Schiff ist für den ständigen Betrieb bei Temperaturen bis zu -50 °C projektiert und trägt das Klassezeichen RMRS ARC8 (PC2). Es wird bei der Realisierung das größte und stärkste eisbrechende Frachtschiff für die polaren Seewege darstellen und soll auch spezielle Eisbrecherfunktionen und Aufgaben wie das Führen von Konvois oder auch verschiedenartige Schleppaufgaben im Eis übernehmen.

2.5 Die nächste Generation redundanter Automatisierungssysteme

Die Halbierung der Besatzung von Überseefrachtern von 40 auf 20 Personen erfolgte vor zwei Schiffsgenerationen und ist weitgehend der Automation der Schiffsanlagen zu verdanken. Vor diesem Hintergrund sprach Wolfgang Papesch (Bachmann Electronic) über heutige Automatisierungssysteme, die mit schnellen Rechnern und zuverlässigen Bussystemen arbeiten. Die Redundanz bei Ausfällen der Anlagen und besonders der Systeme zur Automatisierung (Abb. 8) wird wichtiger, da die immer größeren Schiffe mit ihren Ladungen extrem hohe Werte darstellen.

Papesch erläuterte die Unterschiede zwischen der kalten, warmen und heißen Redundanz und die Auswirkungen auf den Schiffsbetrieb. Für den Schiffsbetrieb besonders interessant ist die hochauflösende Protokollierung bei Störungen und Ausfällen, die bei guten Automationssystemen auch den Unterstationen einen Zeitstempel im Millisekunden-Bereich ermöglicht. Die in der Alarmdatenbank nach dieser genauen Zeit sortierten Meldungen erlaubt eine einfache und schnelle Auffindung der Fehlerquelle.

2.6 Untersuchung eines trockenen Verfahrens zur Minderung der Schwefeloxide in Schiffsabgasen

Die Antwort der Zulieferindustrie auf die zukünftigen Grenzwerte für den Schwefelgehalt im Brennstoff der Schiffe in den Emission Control Areas (ECAs) lautet »Abgasreinigung«. Christoph Schladör (TUHH) stellte in seinem Vortrag die trockene Entschwefelung mit Kalkgranulat der Firma Couple Systems vor. Das Verfahren wird im Prüfstand der TUHH im Rahmen eines Forschungsprojektes optimiert. Eine Prototypanlage des Absorbers und der Mess- und Analysetechnik befindet sich seit 2009 an Bord der »Timbus« (Reederei Rörd Braren), einem der wenigen mit dem »Blauen Engel« ausgezeichneten Handelsschiffe. Bei der Durchströmung des Fließbettabsorbers (Abb. 10) reagiert das Schwefeloxid im Abgas mit dem Kalkgranulat (Calciumhydroxid) zu Gips. Nach der Reaktion findet der Gips Verwertung an Land bei der Produktion von Rigipsplatten oder im Bergversatz. Eine interessante Nebenwirkung dieses Verfahrens ist die deutliche Reduzierung der Partikelemissionen durch katalytische Oxidation.

3. Exkursionen

Der Technisch-Wissenschaftliche Beirat (TWB) der STG unter der Leitung von Prof. Dr. Günter Ackermann hatte neben dem wissenschaftlichen Vortragsprogramm mit örtlicher Unterstützung von Michael vom Baur ein sehr interessantes Exkursionsprogramm zusammengestellt. Die Auswahl fiel den Tagungsteilnehmern aufgrund der drei attraktiven Angebote schwer und damit wurde diese für praktischen Belange sehr wichtige Rahmenveranstaltung außerordentlich gestärkt.

Neben der Neptun Werft in Warnemünde konnten das Gondelwerk und außerdem das Rotorblattwerk von Nordex Energy Rostock (DMR) besichtigt werden. Nordex, das umsatzstärkste Unternehmen des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit Sitz in Rostock, hat bis zum Herbst 2011 weltweit rund 4.700 Windenergieanlagen (Abb. 9) mit einer installierten Gesamtleistung von 7.111 MW abgeliefert.


Dr. Karl-Heinz Hochhaus