Versunkene Träume

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Kein Thema hat in den vergangenen Wochen so sehr die Schlagzeilen beherrscht wie die Havarie der »Costa Concordia« vor der[ds_preview] italienischen Küste. Für die Massenmedien waren die grausig-spektakulären Fotos des halb versunkenen Schiffs ein gefundenes Fressen, genauso wie das grotesk-unfähige Verhalten von »Capitano dilettante« Fran­cesco Schettino. »Ein Traum versinkt«, titel­te die Wochenzeitung »Die Zeit«. »Kreuzfahrt in die Katastrophe«, schrieb »Der Spiegel«.

Die Negativ-PR könnte für die gesamte Kreuzfahrtbranche unschöne Folgen haben. Nach Jahren des scheinbar unbegrenzten Wachstums bei Passagierzahlen und Schiffsgrößen droht der »Concordia«-Unfall das Vertrauen der Gäste und den Mythos der schwimmenden Traumfabriken zu zerstören. Dabei ist es unerheblich, ob ein eitler, sich selbst überschätzender und schließlich auch noch feiger Kapitän das Unglück verursacht hat – oder ob nicht sogar die Reederei das riskante Heranfahren an die Insel Giglio aus Werbezwecken forderte und dadurch mitverantwortlich ist. Letztere Frage werden die Richter klären; künftigen potenziellen Kreuzfahrtgästen wird das Ergebnis angesichts der Schreckensbilder egal sein.

So oder so ist die menschliche Hybris, ohne die der Super-GAU auf See nicht geschehen wäre, eklatant. Die »Verneigung« des Schiffes vor den Küstenbewohnern soll mehrfach vorgekommen sein. Nicht umsonst spricht man in Giglio von einem »Kreuzfahrtschiff-Anlockbürgermeister«. Nach unbestätigten Aussagen kam diese waghalsige Art des Grüßens auch bei anderen Costa-Schiffen an anderen Orten vor, etwa vor Sorrento und Capri. Dabei muss jedem Nautiker, der bei Sinnen ist, das Annähern mit einem 290 m langen Schiff bis rund 300 m an die Küste heran als Himmelsfahrtkommando erscheinen.

Die ins Zwielicht geratene Kreuzfahrtbranche sollte nun schnell Antworten auf die vielen Fragen finden, die im Raum stehen. Warum kann ein Kapitän ohne Not den Autopilot ausschalten, von der festgelegten Route abweichen und einen so gewagten Kurs einschlagen? Sollte bei einer Kollisionsgefahr die Maschine dem Menschen das Ruder aus der Hand nehmen und automatisch den Kurs korrigieren? Wird das Brückenpersonal ausreichend geschult – und auch auf psychologisch-soziale Eigenschaften überprüft, so wie dies in der Luftfahrt längst Standard ist?

Zu begrüßen ist, dass die EU-Kommission bereits eine Revision der Gesetzgebung zur Sicherheit von Passagierschiffen bis Mitte 2012 angekündigt hat. Die IMO und andere Schifffahrtsorganisationen sollten kurzfristig folgen und vieles auf den Prüfstand stellen. Dabei dürfte es um pflichtgemäße Sicherheitsschulungen von Passagieren schon vor Ablegen der Schiffe gehen (die »Concordia«-Gäste hatten zum Zeitpunkt des Unglücks noch gar keine See­notrettungsübung absolviert), um die Optimierung von Evakuierungsmaßnahmen – gerade bei immer größeren Schiffen – und eine bessere Ausbildung des Bordpersonals.

Schließlich stellt sich die Frage, ob Kreuzfahrtschiffe künftig auch physisch sicherer gebaut werden, etwa mit durchgängig doppelwandigen Rumpfsektionen, um ein schnelles Kentern zu verhindern. Aus Sicht der Reedereien würde dies sicherlich erhöhte Baukosten bei geringerem Raum­angebot bedeuten, aber letztlich geht Sicherheit für das wichtigste Gut – die Passagiere – doch immer vor.


Nikos Späth