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Die Klimaerwärmung gibt neue Seewege frei und die Schiffsgrößenentwicklung erfordert den Ausbau künstlicher Wasserstraßen. Ob und wie sich Routen verlagern, ist allerdings noch nicht absehbar.

Überall wird gebaut. Am einen Ende der Welt entstehen immer größere Schiffe, an anderen Enden werden Kanäle und Schleusen verbreitert[ds_preview], vertieft und erweitert. Panamax-Schiffe nach heutiger Definition schrumpfen zunehmend zu Feedergrößen und Containerfrachter jenseits der 8.000 TEU sind zum Standard geworden. Besonders im Europa-Asien-Verkehr wird diese Entwicklung deutlich. Das mag auch daran liegen, dass der Seeweg dorthin – über Mittelmeer, Suezkanal, Rotes Meer, Indi­schen Ozean und die Straße von Malakka – diese Schiffsgrößen problemlos zulässt.

2014 sollen die erweiterten Schleusen des Panamakanals fertig sein, spätestens dann muss die Größe »Panamax« neu definiert werden. Schiffe bis zu 13.000 TEU können dann den Kanal passieren. Auch in der Türkei wird mit dem Kanal Istanbul ein gewaltiges Bauvorhaben geplant, das bereits als Jahrhundertprojekt gilt. Bei uns »vor der Haustür« dagegen muss das Jahrhundertbauwerk Nord-Ostsee-Kanal mit Großinvestitionen erst einmal dem hohen Schiffsaufkommen und der Größenentwicklung der Schiffe angepasst werden. Und schließlich haben sich mit der Nordost- und Nordwestpassage, die 2008 erstmals zeitgleich eisfrei waren, neue mögliche Schifffahrtswege ergeben. Auch daran ist der Mensch beteiligt, wenn auch nur unmittelbar durch von ihm beeinflusste Klimaveränderungen.

In einer Überblicksdarstellung geht die HANSA nun folgenden Fragen nach: Wie haben sich die Wasserstraßen der Welt zuletzt verändert? Welche Auswirkungen hat das für die Schifffahrt? Und verlagern sich künftig Verkehre auf neue Routen?

Suezkanal

Der Suezkanal ist die älteste künstliche Seewasserstraße. Im November 1869, nach zehnjähriger Bauzeit, wurde er eröffnet. Im Jahr 2010 passierten 17.993 Schiffe, das sind 49 pro Tag, den 162,3 km langen Kanal. Der bisherige Rekord wurde 2008 mit sogar 21.415 Schiffen geschrieben. Die Meeresspiegel des Mittel- und des Roten Meeres unterscheiden sich nicht, es sind keine Schleusen notwendig. Einzig die Breite lässt ein Passieren von zwei großen Schiffen nicht zu, daher werden die Schiffe in nord- und südgehende Transitkonvois eingeteilt und gelotst – in insgesamt drei Bypässen können sie aneinander vorbeifahren.

Nach den jüngsten Ausbaumaßnahmen, die 2009 fertig gestellt wurden, beträgt der zulässige maximale Tiefgang 66 Fuß bzw. 20,1 m, für Schiffe bis zu einer Breite von 50 m. Das entspricht bereits knapp 67 % der Tankerflotte weltweit, fast 97 % der Bulker und deckt 100 % aller Containerschiffsgrößen ab. Pläne zur Vertiefung der Ausweichkanäle und eine weitere Vergrößerung des Tiefgangs auf 72 Fuß bzw. 21,95 m existieren bereits.

Anfang 2011 drohte der Suezkanal während des Arabischen Frühlings, der Aufstände in Ägypten, geschlossen zu werden. Das wäre nicht das erste Mal in der Geschichte gewesen: Im Juni 1967 besetzte Israel während des Sechstagekrieges das Ostufer; im Oktober 1973 folgte der Jom-Kippur-Krieg. Nach acht Jahren, die letzten Wracks waren beseitigt, konnte der Verkehr durch das weltweite Nadelöhr der Schifffahrt 1975 wieder aufgenommen werden. Während der Schließung wichen die Schiffe auf die Route um das Kap der Guten Hoffnung aus, mit einem Umweg von 3.500 sm und weiteren sieben Tagen. Heute hätte eine Schließung eine dramatische Verknappung der Tonnage zur Folge, mindestens zwei weitere Containerschiffe müssten in einem wöchentlichen Service (Asien–Europa) eingesetzt werden; bei 56 Diensten, die zurzeit diesen Service bedienen, wären bis zu 100 Großfrachter mehr nötig.

Einzelne Routenverschiebungen aufgrund der steigenden Piraterieaktivitäten am Horn von Afrika habe es gegeben, teilt der Verband Deutscher Reeder (VDR) mit, sie seien aber die Ausnahme geblieben. Weder Ostafrika noch die arabischen Staaten oder das westliche Indien dürften vom Welthandel abgeschnitten werden.

Panamakanal

Bevor 1914 das erste Schiff den Panamakanal passieren konnte, vergingen 33 Jahre seit dem ersten Spatenstich. Das gewaltige Bauwerk forderte einen hohen Tribut: In zwei Bauphasen von 1881 bis 1889 und von 1906 bis 1914 starben mehr als 27.000 Arbeiter an Gelbfieber, Malaria oder Unfällen. Heute passieren durchschnittlich 40 Schiffe pro Tag den Kanal, 2011 waren es insgesamt 14.684 Schiffe. Obwohl sich die Wasserspiegel des Atlantiks und des Pazifiks nur um 24 cm unterscheiden, müssen die Schiffe einen Höhenunterschied von 26 m überwinden; in drei Schleusenstufen steigen sie hinauf und wieder hinab. Das harte Gestein machte es nahezu unmöglich, einen Kanal auf der Höhe des Meeresspiegels anzulegen.

Nachdem 2006 die Pläne für einen Ausbau verkündet wurden, begann dieser 2007 und soll zum hundertjährigen Jubiläum des Kanals 2014 beendet sein. Während die bestehenden Schleusen die Schiffsgröße »Panamax« entstehen ließen, passen sich die Dimensionen der neuen Schleusen an heutige Schiffsgrößen an: Sie sind 427 m lang, 55 m breit und 18,3 m tief. Zugelassen werden Schiffe mit einer maximalen Länge von 366 m, einer Breite von 49 m und einem maximalen Tiefgang von 15,2 m. Dies entspricht einem 13.000-TEU-Schiff.

Im Oktober 2011 wurde die dritte Bauphase des Zufahrtkanals zu den neuen Schleusen auf der Pazifikseite beendet. Laut der Kanalbehörde ACP liegt der Ausbau im Zeit- und Finanzierungsplan. Der Bau der neuen Schleusen konnte damit begonnen werden. Die ACP beziffert die Gesamtkosten auf 5,25 Mrd. US$.

Sankt-Lorenz-Seeweg

Vom westlichsten Zipfel, dem Hafen von Duluth in Minnesota am Lake Superior, bis zum Atlantik benötigt ein Schiff achteinhalb Tage für 2.038 sm. Der errichtete Seeweg selbst umfasst nur 158 sm, der Rest der Route führt durch die Großen Seen und Flusssysteme des Sankt-Lorenz-Stroms. In acht Jahren, von 1951 bis 1959, wurden Kanäle, Schleusen, Dämme, Brücken und Kraftwerke erbaut. Ein Höhenunterschied von 184 m musste überwunden werden, hiervon allein 100 m über die Niagarafälle. Hochseeschiffe der »Seawaymax-Klasse« (225,5 m Länge, 23,7 m Breite, 8,08 m Tiefgang) passen noch in die Schleusen. 2010 passierten insgesamt 3.922 Schiffe mit 37 Mio. t Ladung den Seeweg.

In den Wintermonaten von Dezember bis April ist der Seeweg wegen Eisbedeckung geschlossen, in dieser Zeit werden Wartungs- und Reparaturarbeiten an den Bauwerken vorgenommen.

Nord-Ostsee-Kanal

Unter den künstlichen Wasserstraßen ist der Nord-Ostsee-Kanal (NOK) die meist befahrene der Welt, mit 31.933 Transits im Jahr 2010 (87 Schiffe pro Tag). Umso mehr mag die Situation erstaunen, dass die Funktion der Schleusentore, die noch immer auf Holzkufen bewegt werden, dem Stand der Technik von vor 4000 Jahren im Ägyptischen Reich entspricht, wie unlängst

Gunther Bonz, Präsident des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg (UVHH), kritisierte.

Die hohe Beanspruchung der Schleusen hat zu notwendigen Instandhaltungsmaßnahmen geführt, die allerdings lange verzögert wurden. Nach langem Ringen um finanzielle Mittel – der Planfeststellungsbeschluss (Baurecht) besteht bereits seit Juni 2010 – genehmigte der Haushaltsauschuss des Bundestags im November 2011 schließlich 300 Mio. €, die in jährlichen Raten von 60 Mio. € in den Bau der fünften Schleusenkammer (360 m lang, 45 m breit, 14 m tief) fließen. Sie wird auf der Schleuseninsel in Brunsbüttel entstehen. Nach einer Vertiefung des Kanals um bis zu 1,5 m auf der gesamten Länge und der Verbreiterung und Abflachung der Kurven im östlichen Teil sollen Schiffe bis zu einer Länge von 280 m und einem Tiefgang von 10,5 m zugelassen werden.

Kanal Istanbul

Pünktlich zum Parlamentswahlkampf kündigte der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan im April 2011 den Neubau eines Verbindungskanals zwischen dem Marmarameer und dem Schwarzen Meer an, der den Bosporus entlasten soll. Die Meerenge zwischen Europa und Kleinasien stellt aufgrund der vielen Kurven und Strömungen ein hohes Risiko für Schiffsunfälle dar. Rund 60.000 Schiffe passieren jährlich die Wasserstraße, darunter auch große Tanker. Eine Limitierung der Schiffsgröße gibt es nicht und wird es auch für den neuen Kanal nicht geben.

Wo genau dieser Kanal lokalisiert sein soll, ist noch unklar: Verkündet wurde bislang nur, dass er 60 km westlich von Istanbul von der Marmarameerküste durch die Regionen Silivri und Catalca zur Schwarzmeerküste führen soll. Der europäische Teil Istanbuls würde damit zu einer Insel. Die Kosten werden auf 10 Mrd. US$ geschätzt.

Die Idee ist nicht neu, bereits im 16. Jahrhundert gab es Pläne für das gigantische Bauvorhaben. Nach einer zweijährigen Planungsphase soll mit dem Bau begonnen werden, der 2023 zum 100-jährigen Geburtstag der türkischen Republik vollendet sein soll.

Nördliche Seewege

Die Nordost- wie auch die Nordwestpassage waren 2008 zum ersten Mal zur gleichen Zeit eisfrei, eine Folge der Erderwärmung. Die Nordostpassage ist rund 3.500 sm lang und führt entlang der Nordküsten Europas und Asiens vom Weißen Meer bis zur Beringstraße. Eine erste Durchquerung ohne Überwinterung gelang 1932 einem russischen Eisbrecher; alle anderen vorhergehenden bekannten Versuche gelangen nur mit einer Überwinterung oder scheiterten am Packeis. 2009 wurde die Nordostpassage erstmals von zwei Handelsschiffen mit der Eisklasse E3 genutzt, der »Beluga Fraternity« sowie der »Beluga Foresight«. Im Juli 2010 folgten zwei Tanker der Reederei Sowkomflot und im September 2011 ebenfalls zwei Tanker mit der Eisklasse 1A der Reederei Marinvest. Sie alle waren in Begleitung eines Eisbrechers unterwegs.

Auch die Nutzung der Nordwestpassage für Handelsschiffe gewinnt immer mehr an Bedeutung. Die »Camilla Desgagnés« war im September 2008 das erste Handelsschiff, das die Passage fahrplangemäß durchfuhr; die erste Durchfahrt war 1969 ohne Überwinterung dem zum Eisbrecher umgebauten Tanker »SS Manhattan« gelungen. Die Nordwestpassage führt auf rund 3.100 sm entlang des Nordpolarmeeres, der Labradorsee, der Baffin Bay durch den kanadisch-arktischen Archipel in das arktische Meer und entlang der Beringstraße. Manche Durchfahrten sind nicht breiter als 24 sm, das bedeutet, sie gehören zum Hoheitsgebiet Kanadas. Während die USA den Seeweg als internationales Gewässer ansehen, beansprucht Kanada diesen für sich und erlaubt Durchfahrten nur nach vorheriger Genehmigung.

Verlagerung der Schifffahrtsrouten

Eine grundlegende Verlagerung von Schifffahrtsrouten und Liniendiensten aufgrund der Schiffsgrößenentwicklung, neuer Panamakanalschleusen oder der zunehmenden eisfreien Tage der nördlichen Seewege wird es wohl nicht geben, sagt Prof. Dr. Burkhard Lemper vom Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL).

Umfassende Studien gäbe es noch nicht, aber anhand der Handelsströme und Volumina sei eine deutliche Verlagerung der Güter, die zurzeit über die Schiene die USA durchqueren, auf das Schiff via Panamakanal, unwahrscheinlich. Die großen Industriezentren der USA liegen an der Ostküste, den Großen Seen und in Kalifornien, wobei der Transpazifikverkehr den Transatlantikverkehr übersteige. Vorstellbar wäre höchstens eine Erweiterung des Transpazifikverkehres von der Westküste der USA durch den Panamakanal zur Ostküste, jedoch nicht weiter nach Europa.

Hierzu passen Pläne der Reederei American Feeder Lines, die an der Ostküste einen Feederdienst zwischen Houston und Portland (Maine) mit insgesamt 18 beteilig­ten Häfen aufbauen will. Durch eine möglicherweise zunehmende Zahl von Großschiffen hofft das Unternehmen, an dem unter anderem Tobias König von König & Cie. beteiligt ist (vgl. HANSA 7/11, S. 74 ff), nach Öffnung der Panamakanalschleusen steigende Containermengen verteilen zu können.

Die Schiffe, welche die Transpazifikdienste zurzeit bedienen, überschreiten die »alte« Panamax-Größe. Sollten einige von ihnen künftig bis in den Golf von Mexiko und weiter fahren, muss jedoch auch der verlängerte Weg von Los Angeles zum Panamakanal und auf der Atlantikseite vom Panamakanal zu den Häfen der Ostküste hinzugerechnet werden. Besonders der zusätzliche Weg auf der Pazifikseite würde sich mangels Häfen wenig lohnen. Hinzu kommt laut ISL-Forscher Lemper die zusätzliche Zeit, die die Ware auf See verbringen würde, im Vergleich zum schnellen Schienenverkehr.

Auch die Einsparungen durch sogenannte »Äquatorialdienste« fielen durch den doppelten Umschlag gering aus. Hier verbinden größere Einheiten Häfen entlang des Äquators wie Tanger, Kingston, Port Said, Singapur etc., von denen aus die Ladung weiter nach Süden oder Norden gefeedert wird. Je nach Größe der eingesetzten Feederschiffe könnte ein weiterer Umschlag auf kleinere Einheiten für die Ostseehäfen hinzukommen. Zwar laufen mittlerweile 14.000-TEU-Schiffe Ostseehäfen wie Gdansk an, dies sei aber auf die derzeit vorhandenen Überkapazitäten zurückzuführen, sagt Lemper. Grundsätzlich gelte das Prinzip: Große Schiffe auf kurzen Strecken lohnen sich nicht.

Nördliche Seewege werden keine Transitroute

Die Nutzung der nördlichen Seewege als reine Transitroute dürfte sich auch nicht ergeben. Sobald Häfen weiter südlich als Nordeuropa im Westen oder Japan im Osten angelaufen werden, relativiert sich der Wegevorteil. Für die Erschließung und den Abbau von Rohstoffen in den arktischen Regionen, die somit direkte Ziel- und Abfahrtshäfen sind, wird sich die zunehmende Eisfreiheit indes als Treiber erweisen.

»Die Durchquerung der Arktis, um andere Kontinente zu erreichen, beflügelt zwar die Phantasie der Menschen«, heißt es in einer Stellungnahme des Verbands Deutscher Reeder dazu, »doch aus Sicht der Schifffahrt ist die Arktis zunächst vorrangig als Zielgebiet zu sehen.« Damit verbunden seien Anlieferungen von Geräten und Nachschub und der Abtransport von Rohstoffen. Die Durchquerung der Arktis über die Nordwestpassage als Weg von Europa nach Asien, so der VDR, bleibe aber wegen geografischer, klimatischer, bürokratischer, infrastruktureller und rechtlicher Hindernisse mittelfristig problematisch – und das auch betriebswirtschaftlich. Für die Kreuzschifffahrt hingegen sei die Arktis als Ziel und als Route gleichermaßen von Interesse. In jedem Fall müssten die notwendigen Rahmenbedingungen für eine sichere Arktisschifffahrt geschaffen werden, fordert der Reederverband, denn tatsächlich würden sich ja neue Schifffahrtsrouten öffnen.

Die Nutzung der Nordostpassage werde auf absehbare Zeit vor allem für Punkt-zu-Punkt-Verkehre interessant sein. Dies werde jedoch eher Massen- oder Schwergutschiffe betreffen. Containerlinien sind in der Regel daran interessiert, auf langen Routen eine Reihe von Häfen anlaufen zu können. Diese gibt es nur auf den nicht-arktischen Südrouten.


Karina Wieseler, Mitarbeit: Nikos Späth