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Positionspapier des Deutschen Nautischen Vereins

Problem

Die Ankündigung der Bundesregierung zum gesetzlich geregelten Einsatz von privaten, staatlich zertifizierten Sicherheitskräften ab 2012 wird ausdrücklich[ds_preview] begrüßt. Mit Rücksicht auf die akute und lebensbedrohliche Gefahrenlage und die weitere Zunahme von Angriffen durch Piraterie wird die besondere Eilbedürftigkeit bei der Umsetzung gesetzgeberischer und ministerieller Maßnahmen ausdrücklich hervorgehoben. Zwar ist schon nach der geltenden Rechtslage der Einsatz privater Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen, die unter deutscher Flagge fahren, nicht verboten, wobei private Sicherheitsdienste keine eigenständigen Eingriffsbefugnisse haben, sondern nur in Wahrnehmung der sog. Jedermannsrechte, insbesondere der Notwehr, Angriffe abwehren dürfen (Hawxwell, Schutz vor Piraten durch private Sicherheitsdienste, WD 3-3000-258/11 vom 4.8.2011). Mit Hilfe einer staatlichen Zertifizierung und weiteren gesetzlichen Regeln, die eine unzumut-bare uneingeschränkte straf- und haftungsrechtliche Verantwortung des Kapitäns für Notwehrmaßnahmen verhindern, kann die Rechtssicherheit und die Handlungsfähigkeit optimiert werden.

§ 106 Seemannsgesetz

Mit Rücksicht auf die besondere Stellung des Kapitäns (sogenannte »Schiffsgewalt«) gemäß § 106 Seemannsgesetz (SeemG) ist eine ergänzende Regelung notwendig, die für den Anti-Piraterie-Einsatz das hohe Risiko für die Verletzung und den Verlust menschlichen Lebens sowie hoher Sachwerte (Schiff und Ladung) die strafrechtliche Verantwortung und die zivilrechtliche Haftung des Kapitäns deutlich einschränkt. Eine solche Haftungsprivilegierung ist unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit erforderlich und auch vertretbar, soweit professionelle staatlich zertifizierte Sicherheitsdienste für die Ausführungen der Notwehrhandlungen zum Einsatz kommen. Die besonderen straf- und haftungsrechtlichen Risiken, die bei der Durchführung entsprechender Notwehrmaßnahmen sich zwangsläufig ergeben, gehen über das übliche und zumutbare Maß, das mit § 106 SeemG durch den Gesetzgeber beabsichtigt war, deutlich hinaus. Die »Schiffsgewalt« dient der Erhaltung der Ordnung und Sicherheit an Bord und verleiht dem Kapitän die Vorgesetztenstellung gegenüber den Besatzungsmit-gliedern und den sonst an Bord tätigen Personen. Die dem Kapitän verliehenen Zwangs-rechte gem. § 106 Abs. 3 SeemG mögen geeignet sein, notwendige Maßnahmen gegen den genannten Adressatenkreis (Besatzung und sonstige Personen an Bord) durchzusetzen, um Schiff, Ladung und Besatzung sowie Passagiere sicher an den Bestimmungsort bringen zu können. Diese gesetzliche Regelung wird der besonderen Gefahrenlage durch Piraterieangriffe, zumeist mit schwerer Waffengewalt durchgeführt, nicht gerecht. Für einen Kapitän ist es schon schwierig genug, eine unmittelbar drohende Gefahr dieser Art als solche frühzeitig fachkundig zu erkennen, die Entscheidung darüber, welche Maßnahmen im konkreten Einzelfall verhältnismäßig aber auch hinreichend effektiv sind, ist weitestgehend eine Frage der professionellen Kompetenz zertifizierter Sicherheitsdienste.

Die uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit für die Frage, ob der Sicherheitsdienst mit seinen Mitteln zur Tat schreiten soll oder nicht bzw. ob überhaupt eine Notwehrlage vorliegt, bleibt dem Kapitän erhalten. Hinsichtlich der Ausführung von Notwehrmaßnahmen durch professionelle (zertifizierte) Sicherheitsdienste kann der Kapitän sein »fachmännisches Urteil« gar nicht anwenden, weil er diese Fachkompetenz i.d.R. nicht besitzt.

§ 511 HGB

Die uneingeschränkte zivilrechtliche Haftung des Kapitäns nach § 511 HGB ist im Hinblick auf die besondere Ausnahmesituation und der damit verbundenen erhöhten Risiken bei gewaltsamen Piraterieangriffen nicht angemessen. Gemäß § 511 HGB ist der Kapitän verpflichtet, bei allen Dienstverrichtungen, namentlich bei der Erfüllung der von ihm auszuführenden Verträge, die Sorgfalt eines ordentlichen Kapitäns anzuwenden. Er haftet für jeden durch sein Verschulden entstehenden Schaden, insbesondere für den Schaden, welcher aus der Verletzung der in diesem und den folgenden Abschnitten ihm auferlegten Pflichten entsteht. Mit dieser (noch gültigen) Regelung haftet der Kapitän für jeden von ihm schuldhaft verursachten Schaden, die ihm nach Vertrag oder Gesetz aufgrund seiner Stellung obliegt. Ihn trifft die gesamte Verantwortung für das Geschehen an Bord (vgl. Rabe, Seehandelsrecht, § 511 Rn. 5, BGH NJW 73, 1327). Auch die geplanten Änderungen zum seehandelsrechtlichen Teil des HGB (vgl. Referentenentwurf), die eine Einschränkung von der bislang unternehmerähnlichen Stellung des Kapitäns hin zur arbeitnehmerähnlichen Stellung vorsehen, heben dessen Haftung nicht gänzlich auf. Selbst nach den Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung für gefahrgeneigte Arbeit wäre eine Mithaftung schon bei normaler »mittlerer« Fahrlässigkeit weiterhin möglich. Dabei können in Folge eines gewaltsamen Angriffs mögliche Schäden am Schiff, an der Ladung und Ansprüche aus Verletzung von Leben und Gesundheit im beträchtlichen Ausmaß entstehen.

Empfehlung zu § 106 Seemannsgesetz

Erforderlich ist deshalb eine besondere Regelung im Rahmen des § 106 SeemG, die feststellt, dass die Verantwortung für die konkrete Ausführung von Notwehrmaßnahmen gegen tatsächliche oder vermeintliche »Piraterieangriffe« (»gewaltsame Angriffe oder Bedrohungen, die sich gegen Besatzung, Schiff oder Ladung richten«) im eigenverantwortlichen Ermessen des beauftragten Sicherheitsdienstes liegt. Deshalb wird folgende Fassung vorgeschlagen:

In § 106 soll folgender Absatz 5a eingefügt werden: »Der Kapitän kann die konkrete Ausführung von Notwehrmaßnahmen gegen tatsächliche oder vermeintliche Piratenangriffe (gewaltsame Angriffe oder Bedrohun-gen, die sich gegen Besatzung, Schiff oder Ladung richten) staatlich zertifizierten bewaffneten Sicherheitskräften übertragen. Für die von diesen Sicherheitskräften ergriffe-nen Maßnahmen ist der Kapitän weder strafrechtlich noch zivilrechtlich verantwortlich.«

4. Empfehlung zur Haftungsprivilegierung

Erforderlich ist darüber hinaus eine besondere Regelung im HGB (§ 511 HGB, Sorgfaltspflicht und Haftung des Kapitäns) die das Verschulden des Kapitäns bei allen Notwehrmaßnahmen gegen tatsächliche oder vermeintliche Piraterieangriffe auf Fälle der groben Fahrlässigkeit und des Vorsatzes beschränkt.

Deshalb wird vorgeschlagen, § 511 HGB um folgenden Satz 3 zu ergänzen: »Die Haftung des Kapitäns bei allen Notwehrmaßnahmen gegen tatsächliche oder vermeintliche Piratenangriffe ist auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt.«