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Die EU will mit der Mission Atalanta die Infrastruktur der Seeräuberbanden

entlang der somalischen Strände zerstören.

Diese Nachricht entspricht einer oft geäußerten Forderung aus Schifffahrts­kreisen: Ende Dezember erteilte der EU-Ministerrat dem Befehlshaber der EU[ds_preview]-Mission Atalanta den Auftrag, ein Konzept zu entwickeln, wie die Logistik der Piraten an der somalischen Küste zerstört werden könnte. Tatsächlich sind die eingesetzten Militärs aufgrund ihrer Luftaufklärung gut darüber informiert, was sich in den Rückzugsräumen der Seeräuber abspielt. Auf Luftbildern ist zu erkennen, dass die Piraten ihre anfangs provisorischen Unterkünfte mittlerweile zu festen Gebäuden ausgebaut, Lager für Ausrüstung und Treibstoff einge­richtet haben sowie die Zahl der Reifen-spuren im Sand zugenommen hat. Offenkundig haben sie sich für einen langen Aufenthalt komfortabel eingerichtet.

Im Hauptquartier der Mission Atalanta im britischen Northwood bei London arbeiten Stabsoffiziere jetzt also an den Plänen möglicher Militärschläge gegen diese Stützpunkte. Dabei wägen sie die Chancen und Risiken unterschiedlicher Vorgehensweisen ab und werden diese in Kürze dem Ministerrat für dessen weitere Entscheidungen vorlegen. Dem Vernehmen nach soll eine Bekämpfung aus der Luft erfolgen, der Einsatz von Bodentruppen also vermieden werden.

Obgleich Einzelheiten der Pläne noch gar nicht bekannt sind, macht in Deutschland die Opposition bereits gegen diese Einsätze mobil. Sie warnt vor einer Eskalation des EU-Einsatzes und fordert, die Bundesregierung solle ein solches militärisches »Abenteuer« der EU verhindern.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Omid Nouripour, nannte die Überlegungen den »blanken Wahnsinn«. Für einen solchen Einsatz fehlten sowohl das politische Gesamtkonzept als auch die Mittel. Zudem sei zu befürchten, dass sich die EU-Mission zu einem Landeinsatz ausweite, der dann nicht mehr zu begrenzen sei, sagte Nouripour. Sollte das Bundestagsmandat entsprechend erweitert werden, könne der Grünen-Politiker seiner Fraktion die Zustimmung nicht empfehlen.

Auch der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold vermisst ein klares operatives Konzept für EU-Angriffe auf Ziele an Land. Er zeigte sich skeptisch, ob der Beschuss von Zielen an der somalischen Küste erfolgreich sein könnte. Die Drahtzieher der Piraterie säßen nicht am Strand, »sondern in ihren Villen irgendwo im Hinterland«, lautet sein Argument.

Die Unionsparteien dagegen signalisierten Zustimmung: CDU-Außenexperte Andreas Schockenhoff schloss eine Beteiligung der Bundeswehr an derartigen Einsätzen nicht aus. Dies sei jedoch nicht automatisch der Fall. »Nicht jede teilnehmende Nation muss sich auch an allen Operationen beteiligen«, sagte er. Die Frage sei: Welche Fähigkeiten werden gebraucht und welche Nation kann diese zur Verfügung stellen? Außerdem müsste der Bundestag zustimmen.

Mit einer solchen Militäraktion die Drahtzieher der Piraterie treffen zu wollen, ist tatsächlich kein realistisches Ziel. Bei diesem erweiterten Auftrag an die Mission Atalanta geht es in erster Linie darum, die Infrastruktur, also die kleinen Boote und das am Strand gelagerte Material, zu zerstören und damit die Basen entlang der Küste so empfindlich zu stören, dass die Zahl der Angriffe auf Handelsschiffe zwangsläufig zurückgehen muss.

Die Sorge um einen möglichen Landeinsatz geht auf das Jahr 1991 zurück, als die somalische Hauptstadt Mogadischu Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen zwei Clans war, die beide die Präsidentschaft beanspruchten. Die US-Armee versuchte, die Parteien zu trennen, was in einem Desaster endete, den Tod einer Reihe von US-Soldaten forderte und zu einem Rückzug aus dem Land führte.

Tatsächlich gibt es auch bei dem jetzt zu erarbeitenden Einsatz gegen die Landziele einige Risiken, denn die Piraten werden sich ihre Einnahmequellen aus den Lösegeldern für gefangene Seeleute sicherlich nicht so einfach nehmen lassen. Sie haben bisher immer erfolgreiche Gegenaktionen unternommen. So wichen sie weiter auf den Indischen Ozean aus, als die Überwachung in Küs­tennähe immer dichter wurde. Sie kaperten größere Dhaus und Fischtrawler, die sie als Mutterschiffe für die kleinen Schnellboote einsetzten, um weit entfernt von der afrikanischen Küste auf Kaperfahrt zu gehen. Dabei wurden sie sogar bis zu 1.000 km vom Gebiet der Mission Atalanta entfernt aktiv, also außerhalb der von den Einsatzregeln für die eingesetzten Kriegschiffe festgelegten Seeregion.

Nachdem immer mehr Reeder an Bord ihrer Schiffe Sicherheitsräume einrichteten, in die Seeleute sich bei Überfällen zurückziehen und auf Hilfe von Marineschiffen warten konnten, schweißten sie auch diese Räume auf.

Doch auch die weit draußen auf See eingesetzten Mutterschiffe brauchen eine Landbasis, an der sie ihre Vorräte an Wasser, Treibstoff, Lebensmitteln sowie Munition ergänzen und die Mannschaften sich ausruhen können. Eine Reaktion auf die Zerstörung dieser Landbasen aus der Luft könnte sein, als Geiseln gehaltene Seeleute künftig an diesen Orten gefangen zu halten und sie gewissermaßen als menschliche Schutzschilde einzusetzen. Das würde die Gefahr für Leib und Leben dieser Seeleute erheblich erhöhen.

Eine Ausweitung des Mandates bis an die Strände war in der Vergangenheit bereits mehrfach von Frankreich und Großbritannien diskutiert worden, jedoch auf Widerstand Deutschlands gestoßen – offenbar, weil Bundespolitiker vermeiden möchten, im Bundestag ein neues Mandat zur Abstimmung stellen zu müssen. Als Alternative zur direkten Bekämpfung der Piraterie will die EU noch in diesem Jahr ziviles und eventuell auch militärisches Personal nach Somalia entsenden.

Eine neue EU-Mission zur »Unterstützung des Aufbaus maritimer Kapazitäten in den Staaten am Horn von Afrika und im westlichen Indischen Ozean« soll nach dem Willen des EU-Ministerrats voraussichtlich Mitte des Jahres dabei mitwirken, regio­nale afrikanische Kräfte in die Lage zu versetzen, gegen Piraten vorzugehen. Dafür will die EU die Marinen in den von Piraterie betroffenen Nachbarstaaten Somalias, wie Dschibuti, Jemen, Kenia, Mauritius, Mosambik, den Seychellen und Tansania, ausbauen und in Somalia selbst eine Küstenpolizei und ein Gerichtswesen aufbauen.

In Somalia ist eine solche Mission besonders schwierig, weil weite Teile des Landes Kriegsgebiet sind. Die geplante Ausbildungsmission soll sich daher auf den eher ruhigen Nordteil Somalias beschränken, wo am Golf von Aden die seit 1991 faktisch unabhängige Republik Somaliland liegt, dazu Puntland an Somalias Nordostspitze und Galmudug weiter südlich. Aus diesen autonomen Gebieten kommen die meisten Piraten Somalias.
Eigel Wiese