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Die großen Autohersteller könnten bald Probleme haben, die Exportmärkte zu erreichen. Getrieben durch Ausfuhren aus Europa, Nordamerika und Indien wächst die Nachfrage nach Schiffsraum schneller als das Angebot.

Die Automobilbranche macht einen ra­santen Wandel durch, der Zulieferer sowie Transport- und Logistikdienstleister vor nicht unerhebliche Herausforderungen stellt. Montagekapazitäten[ds_preview] werden zuneh-mend in neue wachstumsstarke Märkte verlagert. Zudem bringen die Hersteller immer mehr Fahrzeugmodelle auf gemeinsame Plattformen und passen Bauteile se­rien­übergreifend an, was die weltweiten Verschiffungen im Zulieferbereich stark ankurbeln könnte. »Wir steuern in ein völlig verändertes Marktumfeld«, erklärte Michael Robinet, Geschäftsführer der Beratungsfirma IHS Automotive Consulting, Anfang März auf dem Branchenkongress Automotive Logistics Europe in Bonn.

Die meisten Hersteller trieben derzeit mit Hochdruck die Globalisierung ihrer Produktion voran, indem sie mehr und mehr Fertigungskapazität »co-lokalisie­ren«, wie Robinet es nannte. Das heißt: Neue Werke werden heute direkt in den Absatzmärkten, die bislang vor allem durch Importe versorgt werden, aufgebaut. Dadurch können die Konzerne Wechsel­kursrisiken abbauen, die in den vergangenen Jahren solche Ausmaße angenommen haben, dass sie über Gewinn und Verlust entscheiden können. Auch sind sie dadurch in der Lage, erhöhte Einfuhrzölle auf Fertigfahrzeuge zu umgehen und den steigenden Anforderungen der Schwellenländer an den lokalen Wertschöpfungsanteil in der Fahrzeugproduktion nachzukommen. Ein klassisches Beispiel ist die Verlagerung der C-Klasse-Produk­tion durch Daimler. Die Fertigung im Stammwerk Sindelfingen wird herunter­gefahren, während die Kapazitäten in Nord­amerika und China kräftig erweitert werden. Koordiniert werden die C-Klasse-

Programme samt der entsprechenden Logistik künftig aus dem Bremer Werk. »Noch näher am Markt, mit einem höheren Lokalisierungs­anteil«, fasste Peter Theurer, Leiter Logistik im Mercedes-Werk Bremen die Strategie auf dem VDA-Logistikkongress in Bremen zusammen. Bis 2016 werde China zum größten Produktionsland innerhalb des Daimler-Konzerns aufsteigen – vor Sindelfingen mit seiner Jahresproduktion von rund 450.000 Fahrzeugen, so Theurer.

Trost für die RoRo- und Auto-Carrier: Nach Einschätzung von IHS-Berater Robinet führt der Ausbau der lokalen Produk­tion rund um die Welt nicht zu einem absoluten Rückgang der Exportverschiffungen von Fertigfahrzeugen. Die über See transportierten Volumina wachsen seiner Prognose nach sogar weiter an – nur nicht mehr im selben Tempo, wie man es aus dem vergangenen Jahrzehnt gewohnt war. Relativ gesehen würde der Anteil der Exportverschiffungen an den globalen Fahrzeugverkäufen aber abnehmen. Die IHS-Prognose geht von einem Anstieg der Fahrzeugtransporte per Seeschiff von rund 14 auf 17 Mio. Einheiten bis zum Jahr 2019 aus. Ihr Anteil am weltweiten Absatz der Hersteller geht demnach von 18 auf 16 % zurück.

Neue Schifffahrtsrouten

Die Schwellenländer würden auch in Zukunft teilweise durch Exportlieferungen aus den westlichen Industriestaaten sowie aus Japan und Südkorea versorgt. Außerdem sei zu erwarten, dass die neuen oder erweiterten Montagewerke vor allem in Nord­amerika und am indischen Subkontinent ebenso ein zweites Standbein im Export entwickeln bzw. entsprechende Aktivitäten ausbauen werden. Zum Teil würden neue Fabriken in den Schwellenländern gezielt zu Mutterwerken für ganze Modellreihen ausgebaut, denen damit auch eine Hauptlieferfunktion im globalen Maßstab zukomme, wie Robinet ausführte. Dementsprechend würden sich die weltweiten Lieferströme in den kommenden Jahren neu ausrichten.

Die Haupttrends: Der Anteil der Exportverschiffungen an den Produktionsmengen in Nordamerika und Indien werde zunehmen, während die Exportquoten der japanischen und südkoreanischen Hersteller zurückgingen. Für Südasien sagte IHS eine Zunahme der Exportverladungen von 11 auf 16 % voraus, für Nordamerika von 11 auf 13 %. In Japan und Südkorea werde sich die Quote von 59 auf 50 % verringern, hieß es.

Die verstärkte Globalisierung stelle die RoRo-Schifffahrt noch vor eine Reihe weiterer Herausforderungen. So sei davon auszugehen, dass die Autohersteller ihre Übersee-Lieferungen auf Basis der weltweiten Produktionsnetze noch dynamischer steuern werden. Auf Wechselkursentwicklungen, regulatorische Veränderungen oder Naturkatastrophen könnten sie so viel flexibler reagieren. »Verschiffungsrouten, Hafenrotationen und Abfahrtfrequenzen werden in Zukunft viel schneller wechseln«, warnte Robinet Reeder Häfen und andere Dienstleister in der Fertigfahrzeuglogistik.

Allerdings könnten den Exporteuren im Seefrachtbereich bald erhebliche Kapazitätsengpässe drohen. Zum einen hatten die RoRo-Carrier und Schiffseigner angesichts des Verkehrseinbruchs während der globalen Rezession 2009 mehr als 100 Car Carrier abgewrackt. Zum anderen investieren sie trotz steigender Ladungsmengen aktuell nicht weiter in Neubautonnage. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Einerseits haben die Reeder trotz der stark gestiegenen Nachfrage erhebliche Probleme, die Frachtraten auf ein auskömmliches Niveau anzuheben. So sollen die Preise im boomenden Verkehr von Europa nach Asien immer noch gut ein Drittel niedriger liegen als in der Gegenrichtung. Früher ließen sich die günstigen Preise für die europäischen Exporteure darstellen, weil es aufgrund der Dominanz der japanischen Lieferungen nach Europa stets ein großes Volumen an Schiffsraum für die Rückbefrachtung gab. Die Verkehrsströme kehren sich nun allmählich um, doch wegen der großen Marktmacht einiger weniger Autoexporteure in Europa fällt es den Reedern offenbar extrem schwer, die Raten anzupassen.

Laut dem Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) wird sich die Schere zwischen Schiffsraum und Transport­bedarf in den kommenden Jahren weiter öffnen. Einem prognostizierten Verkehrswachstum von 7,1 % stehe dieses Jahr nur ein Flottenwachstum im Car-Carrier-Sektor von 4,8 % gegenüber. 2013 werde der Kapazitätszuwachs sogar auf 2 % abflachen. »Das Orderbuch ist in den vergangenen Jahren nicht stark gewachsen, und die Ablieferungen laufen nun langsam aus«, warnte ISL-Direktor Prof. Burkhard Lemper auf dem Logistikkongress in Bremen. »Wir gehen von einer deutlich verbesserten Auslastung der Kapazitäten aus«, sagte er.

Wie aus Agenturkreisen in Bremen und Hamburg zu erfahren ist, sind viele Schiffe in Nordwesteuropa in den kommenden Wochen bereits überbucht. So sorge der saisonale Aufschwung der Exportverschiffungen im März für eine Zuspitzung der Engpässe. Derzeit würden zahlreiche Space-Charter-Anfragen bis in den Mai hinein zwischen den Reedern kursieren, die sich im Sommer gar nicht erfüllen ließen, wie ein Befrachtungsmanager gegenüber der Hansa erklärte.

Engpässe auf Schiene und Straße

Im Vorlauf zu den Häfen sowie in der kontinentalen Distribution von Fahrzeugen per Lkw und Eisenbahn gilt die Situation ebenfalls als angespannt. Matthias Wellbrock, Leiter Fahrzeugversand und Distribution in der BMW-Zentrale in München, geht aktuell von einem Kapazitätsengpass auf Straße und Schiene von 15 bis 20 % aus. Von allein würden die meisten Dienstleister nicht in neue Fahrzeugtransporter und Waggons investieren. »Es gibt nur dann eine Bereitschaft, wenn wir langfristige Regelungen vereinbaren«, so der Manager.

Auch wenn die zu transportierenden Stückzahlen künftig langsamer wachsen, spreche einiges dafür, dass der Bedarf an Transportleistung überproportional zunehme. Denn wenn heute neue Fertigungsstandorte entstehen – wie etwa in Zentral- und Osteuropa – seien die Distanzen zu den Exporthäfen in der Regel deutlich länger. Entsprechend höher sei der effektive Kapazitätsbedarf im Vorlauf zu den Häfen. BMW arbeite seit diesem Jahr verstärkt daran, die Disposition in der Fahrzeugdistribution zu optimieren. Dadurch könnten einerseits vorhandene Kapazitäten effizienter genutzt und andererseits die Zuverlässigkeit bei der Belieferung von Händlern und Kunden verbessert werden. Aufgrund des exportgetriebenen Mengen-Booms war die Pünktlichkeitsquote bei den Lieferungen im Vorjahr drastisch gesunken.

BMW verspricht sich erhebliche Fortschritte durch eine stärkere Integration von Produktionssteuerung und Distribution. Seit Jahresanfang würden die Daten aus der Produktion mit den Versandabteilungen und den angeschlossenen Transportdienstleistern geteilt, um bereits im Vorwege die Kapazitäten planen zu können, erläuterte Wellbrock. Zudem führe BMW im kommenden Jahr eine neue Versand- und Distributionssoftware ein, die eine Schnittstelle zu den Systemen der Logistikdienstleister biete. Damit soll eine Echtzeit-Lokalisierung der Autos nach Fahrzeug-Identifikationsnummer ermöglicht werden. Bislang sei die Transparenz in der Outbound-Logistik sehr gering. Aufgrund der Datenbrüche zwischen Verlader und Dienstleister könne es zwei bis drei Tage dauern, den Standort der Fahrzeuge in der Distribution zu ermitteln. »Traditionell war die Herangehensweise im Outbound-Geschäft: Das kriegen wir schon irgendwie hin«, erklärte Andreas Graffe, Logistikleiter bei Opel Vauxhall. Auch bei den Töchtern des General-Motor-Konzerns gingen die Bemühungen dahin, Produktion und Distribution stärker zu integrieren. Man müsse die Wertschöpfungskette noch stärker geschlossen betrachten, damit man sich im Versand besser vorbereiten könne, so Graffe.

Auch die europäische Orga­nisation von Toyota beschäftigt sich intensiv mit dem Thema. Disposition und Sendungsverfolgung in der Fertigfahrzeuglogistik seien inzwischen so weit verbessert worden, dass man den Händlern stufenweise engere Zustellfenster übermitteln könne. Bevor ein Kundenauftrag in die Produktion geht, bekommen die Händler ein Zwei-Wochen-Fenster für die Anlieferung, das schrittweise auf den taggenauen Liefertermin verdichtet werde, sobald das Auto am Distributions-Hub im Inland oder in Übersee eintreffe, sagte Levent Yuksel, Chef der Teile- und Fertigfahrzeuglogistik bei Toyota Motor Europe.


Michael Hollmann