Print Friendly, PDF & Email

Mit 900 Ausstellern aus 120 Ländern und knapp 11.000 Besuchern verzeichnete die Cruise Shipping Miami eine Rekordbeteiligung. Zwar könnte die Havarie der »Costa Concordia« zu einer kleinen Delle führen, mittelfristig stehe dem Wachstum der Kreuzfahrtbranche aber nichts entgegen, so das Fazit.

Intensiv wurde Mitte März auf der Weltleitmesse Cruise Shipping Miami über die Folgen der »Costa Concordia«-Katastrophe für die Kreuzfahrtbranche[ds_preview] gesprochen, während die möglichen Ursachen ange­sichts der noch laufenden Ermittlungen kaum zur Sprache kamen. Einig waren sich die Dele­gierten, darunter die Chefs aller großen Reedereien, dass die Zeichen trotz einer kurz­fristigen Abschwächung auf Wachstum stehen. Der Informationsdienst CruiseMarketWatch rechnet für 2012 mit weltweit 20,3 Mio. Passagieren, was immerhin noch ein Plus von 5,6 % gegenüber 2011 bedeuten würde. Auch in den darauffolgenden Jahren sei ein hohes einstelliges Wachstum zu erwarten. 2011 und zuvor war der Markt noch zweistellig angestiegen. »Viele Branchen wären über ein kräftiges einstelliges Wachstum froh«, sagte Kreuzfahrtexperte Helge Grammerstorf von Seaconsult. »Krisengerede ist daher nicht angebracht.«

Laut einer Umfrage des European Cruise Council (ECC) würden 90 % der Kreuzfahrer wieder eine derartige Reise machen. Und angesichts der Havarie der »Costa Concordia« seien noch immer 54 % der Nicht-Kreuzfahrer gegenüber dieser Reiseform positiv gestimmt. Acht von zehn Befragten sehen Kreuzfahrten weiterhin als sicher an.

Auch das vor allem in Europa eingetrübte makroökonomische Umfeld wird der Boombranche offenbar nicht viel anhaben können. »Die Europäer verzichten eher auf einen neuen Fernseher oder ein neues Auto, als am Urlaub zu sparen«, sagte Richard Vogel, Chef von TUI Cruises. Daher war sich Chris Hayman vom Messeorganisator Seatrade sicher: »Trotz Staatsfinanzkrise und Rezession in Teilen Europas geht die dynamische Entwicklung des Marktes weiter.«

Deutschland wächst am kräftigsten

Gerade Europa hat mit einem durchschnittlichen Wachstum von 11,5 % in den vergangenen sieben Jahren den Kreuzfahrtmarkt stark angetrieben. Von den 6 Mio. europäischen Passagieren im vergangenen Jahr (+9 %) gingen 5,7 Mio. in einem Hafen auf dem Heimatkontinent an Bord. 2011 haben die hier tätigen 45 Reedereien 132 Schiffe eingesetzt. Insbesondere das Mittelmeer boomt, da es längst ein Ganzjahresziel geworden ist: Seit 2006 hat sich die Zahl der Passagiere mehr als verdoppelt.

Das Potenzial in Europa ist noch groß, vergleicht man die Marktpenetration von 1 % mit der in Nordamerika von mehr als 3 %. Zudem haben die Europäer (wie übrigens auch die Südamerikaner) 30 Tage Urlaub, dreimal so viel wie die Nordamerikaner. Während letztere im Schnitt sieben Tage auf einem Kreuzfahrtschiff verbringen, sind es bei den Europäern neun Tage.

»Die Chance liegt darin, klassische Pauschalreisende zu Kreuzfahrern zu machen«, so Grammerstorf. Vom Produkt her ähnelten sich beide Reiseformen. Und die Einstiegspreise seien durch die größeren Schiffe für viele Urlauber bezahlbar geworden.

Dies haben inzwischen vor allem die Bundesbürger mitbekommen und buchen eifrig Kreuzfahrten. Im vergangenen Jahr stieg die Gästezahl um 14 % auf 1,4 Mio. (Tab. 1). Damit ist Deutschland die dynamischste Region unter den großen Märkten und wird »in absehbarer Zeit Großbritannien überholen«, prognostizierte Tim Marking, ECC-Generalsekretär, auf der Messe. 2011 gingen 1,7 Mio. Briten (+5 %) auf Kreuzfahrt; auf den Plätzen drei und vier lagen Italien (923.000 Gäste) und Spanien (703.000).

Erlebnishungrige Mittelschichten

Weltweit kommen schon mehr als ein Drittel der Kreuzfahrtpassagiere von außerhalb Nordamerikas. Neben Europa zeigt sich auch in Südamerika, Asien und Australien eine starke Dynamik. So ist Brasilien mit knapp 900.000 Gästen bereits der fünftgrößte Quellmarkt der Welt. Mit einer über ausreichend Kaufkraft verfügenden Mittelklasse von rund 100 Mio. Menschen sowie den vor der Tür stehenden Großveranstaltungen Fußball-WM 2014 und Sommer-Olympiade 2016 ist Brasilien für die Reedereien weiter vielversprechend.

Neue Kunden erzeugt auch der wirtschaftliche Aufschwung in China und Indien. So stationiert Royal Caribbean International

ab Mai mit der »Voyager of the Seas« in Schanghai erstmalig ein Schiff für eine Saison. 350.000 Passagiere zählte der chinesische Markt zuletzt – Tendenz stark steigend. Daher könnte das Reich der Mitte der China Cruise & Yacht Industry Association zufolge »in absehbarer Zeit« eine eigene Reederei auf die Beine stellen. Immer kreuzfahrtlustiger werden auch die Australier, weshalb Carnival Cruise Lines erstmals ganzjährig ein Schiff »down under« abstellt. Bis 2020 soll sich die Zahl der australischen Kreuzfahrer auf eine Million verdoppeln.

Verlagerung wegen ECA-Zonen?

Etwas bremsend auswirken könnten sich allerdings die enorm gestiegenen Treibstoffpreise sowie Investitionen, um Umweltregularien zu erfüllen, befürchten die Reedereichefs. Diese Mehrausgaben müssten an die Passagiere weitergegeben werden. So wird die Senkung des maximalen Schwefelanteils im Treibstoff in den ECA-Zonen auf 0,1 % laut Schätzungen für jeden Passagier mit

4 bis 7 $ pro Tag zu Buche schlagen, weil höherwertiger Bunker benötigt wird. Auch etwaige Entschwefelungsanlagen mit Stückkosten von bis zu 2 Mio. € sowie LNG-Antriebe haben ihren Preis.

Adam Goldstein, Chef von Royal Caribbean International, mahnte im Hinblick auf die ECA-Zonen in Nord- und Ostsee sowie großen Teilen der US-amerikanischen und kanadischen Küste, dass ökonomische und ökologische Interessen besser gegeneinander abgewogen werden müssten. Stein Kruse, Präsident und CEO der Holland America Line, drohte gar: »Wenn wir in einigen Regionen nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können, werden wir unsere Schiffe verlagern. Dies könnte gravierende Folgen für Häfen in den ECA-Zonen haben.« Abgesehen von den Kosten werde man nicht überall den Bunker bekommen, der benötigt werde, kritisierten die Reedereien. Zum anderen ­sei etwa der Umstieg auf LNG-Antriebe auch wegen der noch nicht ausgereiften technischen Umsetzung kurzfristig unrealistisch.

Großer Refitting-Bedarf

Mittelfristig wird sich wegen der Umweltregularien aber etwas tun müssen, und davon werden die Werften im Refitting-Bereich profitieren. So drängt die Nachrüs­tung von Ballastwasser-Reinigungsanlagen wegen der ab 2016 verschärften Standards bereits jetzt. Allerdings dürfe man nicht den Fehler machen, mit Dollarzeichen in den Augen auf die Reedereien zuzugehen, sagte ein Werftchef in Miami.

Aber auch ohne Verordnungsdruck werden die Reedereien immer mehr Schiffe für Umbauten in ein Trockendock bringen. So will Royal Caribbean nach 1 Mrd. $ in den vergangenen acht Jahren weitere 300 Mio. $ für Refittings ausgeben. Marktführer Carnival hat hierfür sogar 500 Mio. $ vorgesehen, und Celebrity Cruises immerhin 200 Mio. $ Das Ziel ist, die eigenen Marken zu stärken und die Schiffe auf den neuesten Stand von Technik und Design zu bringen. Zu den üblichen Maßnahmen gehören die Nachrüstung mit zusätzlichen Balkonen, die Multimedia-Ausstattung von Kabinen, gehobenere Gastronomie- und Bar-Einrichtungen, der Einbau energiesparender Beleuchtung und Klimaanlagen sowie verbesserte Rumpfanstriche u.v.m. »Wir sind sehr optimistisch, in diesen Bereichen weitere Aufträge zu bekommen«, sagte Rüdiger Pallentin, Geschäftsführer der Lloyd Werft (siehe auch S. 24/25). Mehr als 150 Kreuzfahrtschiffe wurden in den vergangenen 30 Jahren in Bremerhaven bereits umgebaut, darunter auch »Mein Schiff 1« und »Mein Schiff 2« für TUI Cruises.

Weniger Neubau-Ablieferungen

Im Neubaubereich sieht der Ausblick für die Werften etwas trüber aus. Nachdem in den Vorjahren im Schnitt zwölf Kreuzfahrtschiffe abgeliefert wurden, werden es 2012 sieben sein und in den Jahren 2013–2015 nach jetzigem Stand 16 – auf dann 231 insgesamt. Zusammen hat das Orderbuch einen Wert von mehr als 10 Mrd. €. Allerdings ist es seit 2008 krisenbedingt etwas geschrumpft. Zudem sind die Neubaupreise seitdem um knapp ein Drittel gesunken.

Die weitere Entwicklung für die Werften hängt stark vom Marktwachstum ab. Um einen Anstieg der weltweiten Nachfrage nach Kreuzfahrten um 5 % zu befriedigen, würden zwischen 2015 und 2017 acht neue Schiffe pro Jahr benötigt, erläuterte Gustave Brun-Lie vom Analysten R.S. Platou in ­Miami. Sollte das Branchenwachstum 7 % betragen, seien es bereits zwölf Schiffe.

Erwartet werden Neubauten vor allem im Bereich 140.000–150.000 GT und vorerst keine Mega-Liner mehr wie die »Oasis«-Klasse mit über 200.000 GT.

»Das Vorkrisenniveau werden wir so schnell nicht erreichen«, sagte Fincantieri-Chef Corrado Antonini. »Zudem streiten sich mehr Wettbewerber um den kleineren Kuchen.« Mitsubishi hat mit den beiden Neubauten für Aida die Phalanx der großen Vier (Fincantieri, Meyer Werft, STX France und STX Finnland) bereits durchbrochen. Auch der koreanische STX-Konzern wird früher oder später ein Kreuzfahrtschiff vor der Haustür bauen. Gleiches dürften die Chinesen tun, im ersten Schritt wohl mit einem europäischen Partner.

»Für die Eigner ist mehr Wettbewerb unter den Schiffbauern ein gutes Zeichen«, sagte Mike Kaczmarek, Vizepräsident für Schiffbau bei der Carnival-Gruppe. Er glaubt aber nicht an signifikante Verlagerungen weg von Europa. »Die asiatische Serienfertigung passt nicht zur komplexen, individuellen Produktion von Kreuzfahrtschiffen«, so Kaczmarek. Europas Zukunft, hielt Antonini fest, liege in Innovation, gutem Design, grüner Technologie und schlanken Produktionsprozessen.

Vorrang für Sicherheit

Heiß diskutiert wurde in Miami schließlich das Thema Sicherheit. Alle Beteiligten waren sich einig, dass hier die Priorität Nummer eins liegt. Gefragt seien aber keine neuen Vorschriften, sondern die Eigeninitiative der Branche. Denn mit SOLAS, ISM-Code und Paris MoU sei kaum eine Industrie so stark reguliert. Neben der bereits geltenden Selbstverpflichtung zur Durchführung von Muster Drills vor Ablaufen aus dem Hafen wollen die Reedereien sich künftig insbesondere dem Brückenmanagement widmen. Hier könne man noch einiges aus der Luftfahrt lernen, hieß es unisono. So hat Royal Caribbean ein entsprechendes Schulungsprogramm in seinem neuen Simulationstrainingszentrum in Fort Lauderdale eingeführt. »Ein Kernelement unserer Trainings besteht darin, dass Crew­mitglieder unabhängig vom Rang deutlich machen sollen, wenn sie auf Gefahren oder mögliche Fehler aufmerksam werden – auch gegenüber dem Kapitän«, sagte Daniel Hanrahan, Chef der zur Royal-Caribbean-Gruppe gehörenden Celebrity Cruises. Die Maxime, der Kapitän habe immer recht, sei veraltet, bestätigte Bill Wright. Der »Oasis of the Seas«-Kapitän, der auch über eine Fluglizenz verfügt, sagte, seine Verpflichtung sei es, alle Ressourcen auf der Brücke, d.h. vor allem die Erfahrung seiner Crewkollegen, in Anspruch zu nehmen.

Trotz vieler technischer Hilfsmittel sind Navigationsfehler in den vergangenen Jahrzehnten mit mehr als 50 % der Unfallursachen auf hohem Niveau geblieben, zeigt eine Studie von Det Norske Veritas (DNV). »Das muss uns zu denken geben«, sagte DNV-Chef Tor Svensen in Miami. Dennoch seien Kreuzfahrten so sicher wie die Luftfahrt. »Deutlich gefährlicher ist der Straßenverkehr in Florida«, so Svensen.

Zwischen 2005 und 2010, als 98,2 Mio. Menschen eine Kreuzfahrt machten, gab es 16 Todesfälle, wobei darunter die Mehrheit Crewmitglieder waren, hat das Analysehaus G. P. Wild ermittelt (Tab. 2). Dies entspricht einer Quote von 0,16 Opfern auf einer Million Passagieren, während sie in der Luftfahrt demnach bei 0,3 liegt. Auch wenn sich die Quote in der Kreuzfahrtindustrie durch die »Costa Concordia« deutlich erhöht, dürfte die Grundaussage stehen bleiben können.


Nikos Späth