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Gute Nachrichten in bewegten Zeiten: Nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs bleiben ausländische Heuern hierzulande steuerfrei, wenn ein Doppelbesteuerungsabkommen dem Vertragsstaat das Besteuerungsrecht zuweist. Nun stellt sich allerdings die Frage: Wie reagiert die deutsche Finanzverwaltung?

Eine bemerkenswerte und für deutsche Seeleute und Reedereien positive Ent­scheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) kürzlich auf seiner Website veröffentlicht[ds_preview] (Urteil vom 11.1.2012 – I R 27/11; vgl. BFH-Pressemitteilung Nr. 21/12 vom 28.3.2012). Das Urteil kann wie folgt grob zusammengefasst werden: Arbeitnehmer, die in Deutschland wohnen, aber für ein ausländisches Unternehmen arbeiten, sind mit ihren Bezügen in Deutschland steuerfrei, wenn der ausländische Staat nach dem maßgeblichen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn hat. Das gilt ausdrücklich auch dann, wenn der ausländische Vertragsstaat sein Besteuerungsrecht tatsächlich nicht ausübt, d.h. den Arbeitslohn nicht besteuert. Was wie selbstverständlich klingt, ist für die Finanzverwaltung eine herbe Niederlage. Im Ergebnis kann es nämlich zu letzt­lich unversteuerten, sogenannten »weißen« Einkünften kommen – insbesondere bei deutschen Seeleuten.

Aber der Reihe nach: Der BFH hatte zu entscheiden, ob Deutschland das Gehalt eines hier ansässigen Piloten einer irischen Fluggesellschaft besteuern darf. Nach dem DBA zwischen Deutschland und Irland (DBA Irland) und in Übereinstimmung mit Art. 15 Abs. 3 des Musterabkommens der OECD (OECD-MA) hat die Republik Irland das Besteuerungsrecht für die Vergütung des Piloten, weil sich die Geschäftsleitung der Fluggesellschaft in Irland befindet. Deutschland ist deshalb abkommensrechtlich an der Besteuerung dieser Einkünfte gehindert. Nun ist es in Irland wie auch in anderen Staaten so, dass bestimmte Einkünfte nur beschränkt Steuerpflichtiger von der Einkommensbesteuerung ausgenommen sind, so auch die Einkünfte des klagenden Piloten. Infolgedessen ging der Pilot davon aus, dass sein Arbeitslohn letztlich steuerfrei sei – in Irland wie in Deutschland.

Rückfallklauseln verhindern doppelte Nichtbesteuerung

Um dieses aus Sicht des deutschen Fiskus unerwünschte Ergebnis zu vermeiden, hat der Gesetzgeber sogenannte »Rückfallklauseln« im nationalen Recht kodifiziert. Zweck dieser Regelungen ist es, die aus deutscher fiskalischer Sicht nachteiligen Bestimmungen eines DBA zu »unterlaufen«. Vertreter der Finanzverwaltung versuchen die Rückfallklauseln damit zu rechtfertigen, dass das Ziel von DBAs nicht nur die Vermeidung einer Doppelbesteuerung, sondern auch die Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung sei. In der Literatur werden die Rückfallklauseln (»treaty override«) dagegen überwiegend kritisch gesehen.

Im Falle der Besteuerung von Arbeitnehmern kamen als Rückfallklauseln bisher grundsätzlich zwei Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Betracht: § 50d Abs. 8 EStG und § 50 d Abs. 9 Nr. 2 EStG. Beide Normen setzen zunächst vo­­raus, dass das maßgebliche DBA dem ausländischen Staat das Besteuerungsrecht für die Einkünfte zuteilt und diese in Deutschland – unter Progressionsvorbehalt – freizustellen sind. Bezogen auf den Urteilsfall: Irland hat nach dem DBA Irland das Besteuerungsrecht für die Einkünfte des Piloten, während Deutschland diese Einkünfte unter Progressionsvorbehalt freizustellen hat.

Diese durch das DBA angeordnete Freistellung der im Ausland erzielten Einkünfte in Deutschland soll nach § 50d Abs. 8 EStG jedoch nur vorgenommen werden, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass entweder der ausländische Staat die Einkünfte besteuert oder auf die Besteuerung verzichtet. Zweck dieser Vorschrift ist es zu verhindern, dass »weiße« Einkünfte entstehen, weil der Steuerpflichtige seinen Erklärungspflichten im ausländischen Staat pflichtwidrig nicht nachkommt. Ein Verzicht auf das Besteuerungsrecht im Sinne der Vorschrift ist deshalb darin zu sehen, dass die entsprechenden Einkünfte – wie im Urteilsfall – nach dem innerstaatlichen Recht des aus­ländischen Staates steuerfrei sind.

An den Nachweis des Verzichts sind im Übrigen keine besonderen Voraussetzungen zu knüpfen; wortwörtlich führt der BFH in seiner Urteilsbegründung aus: »Was ohnehin feststeht, muss nicht gesondert nachgewiesen werden.« Den Nachweis zu führen, dass der ausländische Staat auf das ihm durch das DBA zugewiesene Besteuerungsrecht verzichtet, ist somit unproblematisch. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die Rückfallklausel des § 50d Abs. 8 EStG auf die Einkünfte des Piloten keine Anwendung findet, denn er konnte den Nachweis führen, dass Irland seinen Arbeitslohn nicht besteuert. Damit blieb dem BFH zu prüfen, ob Deutschland – so übereinstimmend Finanzamt und Finanzgericht Bremen (EFG 2011, 988) – die Einkünfte des Piloten über § 50d Abs. 9 Nr. 2 EStG besteuern darf. Nach dieser Vorschrift will die Verwaltung die Einkünfte entgegen der ausdrücklichen Bestimmung im DBA nicht steuerfrei stellen, wenn der ausländische Staat die Einkünfte nur deshalb nicht besteuert, weil sie von einer nur beschränkt steuerpflichtigen Person bezogen werden. Die Rückfallklausel in § 50d Abs. 9 Nr. 2 EStG kommt somit allenfalls dann zur Anwendung, wenn der ausländische Staat gleiche Einkünfte bei unbeschränkter Steuerpflicht besteuert und bei nur beschränkter Steuerpflicht nicht. Im Urteilsfall lag es so, dass Irland die Arbeitslöhne von Piloten dann und nur dann besteuert, wenn die Piloten in Irland unbeschränkt steuerpflichtig sind.

Die Finanzverwaltung glaubte, mit den beiden genannten Rückfallklauseln gewissermaßen doppelten Boden zu haben: Solange der Arbeitnehmer seine ausländischen Einkünfte der ausländischen Behörde nicht erklärt hat, besteuert Deutschland über § 50d Abs. 8 EStG. Wenn er die Einkünfte im Ausland zwar vorschriftsgemäß erklärt, der ausländische Staat sie dort aber aufgrund der beschränkten Steuerpflicht nicht besteuert, sollte § 50d Abs. 9 Nr. 2 EStG die Besteuerung in Deutschland sicherstellen. Dem hat der BFH mit dem Urteil einen Riegel vorgeschoben. Seiner Ansicht nach findet § 50d Abs. 9 Nr. 2 EStG bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit regelmäßig keine Anwendung: § 50d Abs. 8 EStG als die speziellere Norm hat sowohl inhaltlich als auch in seiner gesetzessystematischen Stellung Vorrang. Ausdrücklich offen gelassen hat der BFH, ob die Rückfallklauseln gegen das Rechtsstaatsgebot verstoßen, weil sie völker- und verfassungswidrig sein könnten. Im Ergebnis blieb es für den Piloten somit bei »weißen Einkünften«.

Crewing-Gesellschaften

Für Reedereien und Seeleute ist die BFH-Entscheidung von besonderer Bedeutung, denn das DBA Irland entspricht hinsichtlich der hier maßgeblichen Regelung dem OECD-MA und somit der ganz überwiegenden Anzahl der von Deutschland abgeschlossenen DBAs. Nach dem OECD-MA werden Vergütungen von Piloten genau wie die Heuern für den Einsatz in der inter­nationalen Seeschifffahrt und der Binnenschifffahrt behandelt: Das Besteuerungsrecht hat der Vertragsstaat, in dem sich die tatsächliche Geschäftsleitung des Unternehmens befindet. Unternehmen in diesem Sinne kann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BFH vom 18.5.2010 – I R 204/09, BFH/NV 2010, 1636) grundsätzlich nur eines sein, das selbst internationalen See- bzw. Binnenverkehr betreibt und zugleich wirtschaftlicher Arbeitgeber des Besatzungsmitgliedes ist. Eine Crewing-Gesellschaft ist deshalb nicht Unternehmen in diesem Sinne, wenn sie nicht selbst Schiffe betreibt.

Eine Ausnahme besteht hingegen im neuen DBA Zypern, das ausdrücklich auch Crewing-Ausrüster als Unternehmen im Sinne der Regelung definiert (vgl. HANSA 7/2011, S. 101; IStR 2012, S. 164). Insofern ist der Gestaltungsspielraum für Reedereien mit dem hier besprochenen Urteil nochmals erheblich erweitert worden.

Dazu folgendes Beispiel: Ein Seefahrer mit Wohnsitz in Deutschland ist bei einer Crewing-Gesellschaft mit tatsächlicher Geschäftsleitung in Zypern angestellt. Er ist ausschließlich auf Schiffen tätig, die in Zypern registriert sind (Alternative eins) bzw. außerhalb Zyperns registriert sind (Alternative zwei). Nach dem innerstaatlichen Recht Zyperns sind die Heuern für den Einsatz auf in Zypern registrierten Schiffen steuerfrei, ganz gleich ob die Seeleute in Zypern beschränkt oder nur unbeschränkt steuerpflichtig sind. Dagegen sind die Heuern für die Arbeit an Bord von Schiffen, die nicht in Zypern registriert sind, nur dann steuerfrei, wenn sie von in Zypern beschränkt steuerpflichtigen Seeleuten bezogen werden, während Zypern die unbeschränkt steuerpflichtigen Seeleute mit diesen Einkünften besteuert (vgl. Art. 55 Merchant Shipping Law 2010). Im Beispielfall sind die Heuern des im Ausland nur beschränkt steuerpflichtigen Seemanns also sowohl in Alternative eins als auch zwei in Zypern steuerfrei. Während in der Alternative eins ein Rückfall des Besteuerungsrechts an Deutschland seit jeher ausgeschlossen ist, hat die Finanzverwaltung die Vergütung in Alternative zwei – bisher und unter Geltung des neuen DBA – der deutschen Einkommensteuer unterworfen. Nach dem aktuellen Urteil des BFH sind die Einkünfte nunmehr in beiden Alternativen auch in Deutschland steuerfrei.

»Nichtanwendungserlass« gegen das BFH-Urteil?

Mit seiner Entscheidung hat der BFH sehr eindeutig Stellung bezogen gegen die bisherige Verwaltungspraxis (vgl. BMF vom 12.11.2008, BStBl. I 2008, 988; Bay. Landesamt für Steuern vom 8.6.2011, DStR 2011, 1714, beide ergangen zum in Deutschland ansässigen Flugpersonal irischer Fluggesellschaften). Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung auf dieses Urteil reagieren wird. In der Vergangenheit sind aus Sicht des Fiskus unerwünschte Entscheidungen des BFH nicht selten mit einem sogenannten »Nichtanwendungserlass« belegt worden, indem sie über den Urteilsfall hinaus keine Anwendung finden sollten. Wenn das Bundesfinanzministerium die Verwaltung auch hier anweist, das Urteil nicht anzuwenden, sollten betroffene Steuerpflichtige prozessieren. Mit dem Urteil des BFH im Rücken wäre alles andere als ein klares Obsiegen zwar eine handfeste Überraschung, nicht ausgeschlossen ist aber, dass der Gesetzgeber noch in diesem Jahr eine Anpassung der entsprechenden Regelungen im EStG rückwirkend zum 1.1.2012 vornehmen wird, um das von ihm gewünschte Ergebnis zu erhalten: einmalbesteuerte Arbeitslöhne.

Dem Vernehmen nach hat das Land Bremen bereits am Tag der Veröffentlichung des Urteils durch den BFH signalisiert, die Entscheidung anwenden zu wollen. Für Seeleute wie Reedereien besteht Grund zur Hoffnung, dass sich die anderen Bundesländer entsprechend verhalten.

Keinen Gebrauch hat Deutschland von der Möglichkeit gemacht, sein Besteuerungsrecht in dem neu verhandelten DBA Zypern selbst zu verankern. An der Steuerfreiheit der Heuern dürfte sich daher insoweit auch in der Zukunft nichts ändern.

Thomas Rauert