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Im zweiten Teil der Kurzbiographie des Reeders und »seines« Unternehmens schildert Dr. Johannes Gerhardt die Anfänge der Kreuzschifffahrt und die durch den Ersten Weltkrieg verursachte Zerstörung des Ballinschen Lebenswerks

Die Hapag als Tourismus-Anbieter

In den Herbst- und Wintermonaten waren die Passagierschiffe schlecht ausgelastet und nicht rentabel[ds_preview]. Dies ist damals sicherlich vielen aufgefallen. Es war jedoch Ballin – und hier zeigt sich wieder das Moment des »schöpferischen Unternehmers« –, dem der Gedanke kam, Schiffsreisen anzubieten, die nicht mehr der Beförderung, sondern der Erholung, der Bildung und dem Vergnügen gelten sollten. Was ihm vorschwebte, war eine »Lustfahrt« mit gut organisierten Landausflügen in verschiedenen Häfen. Im Januar 1891 war es dann soweit. Auf der »Augusta Victoria« versammelten sich 241 »kühne Reisende«, wie Ballin sie nannte: betuchte Passagiere aus dem In- und Ausland, darunter 67 – überwiegend englische – Damen. In Deutschland galten damals noch für Frauen längere Touren, oder gar derartige Bildungsreisen, als körperlich und geistig zu anspruchsvoll. Ballin teilte diese Ansicht offenbar nicht, denn seine Gattin Marianne war ebenfalls an Bord. Dass er selbst an der Reise teilnahm und sie auch persönlich leitete, trug erheblich zum Erfolg des ganzen Unternehmens bei.

Die »Augusta Victoria« wurde zum ersten Kreuzfahrtschiff überhaupt und Ballin hatte wieder einmal eine Marktlücke entdeckt. Die Hapag bot fortan regelmäßig »Lustfahrten« an, neben Mittelmeer- und Orient- auch Westindien- und Nordlandreisen. Gerade letztere waren im Kaiserreich sehr populär – schließlich kreuzte auch Wilhelm II. auf der kaiserlichen Yacht »Hohenzollern« jeden Sommer vor der norwegischen Küste. Die Kreuzfahrt nahm in den folgenden Jahren immer mehr Ressourcen in Anspruch, so dass sie die Hapag schon bald nicht mehr allein mit den aus der ­Linienfahrt herausgezogenen Dampfern bewältigen konnte. 1900 lief deshalb die »Prinzessin Victoria Luise« vom Stapel, das erste speziell für diese Art von Fahrten gebaute Luxusschiff.

Ballin erfand nicht nur die moderne Kreuzfahrt. Er war es auch, der die Hapag von einer reinen Reederei zu einem Tourismusanbieter ausbaute. Hierfür reichte es nicht, sich nur auf das Segment der wohlhabenden Kreuzfahrtpassagiere zu konzentrieren. Ballin »demokratisierte« deshalb den Luxus auf älteren Hapag-Schiffen, die nicht mehr höchsten Ansprüchen genügten. Deren erste Klasse wurde nun auch weniger wohlhabenden Passagieren zugänglich gemacht.

Vor allem begann die Hapag, andere Sparten des Tourismus auf- und auszubauen. Ihr Jahresbericht für 1904 schildert dies in folgender Weise: »Eine Ausdehnung uns n uns gepflegtes Gebiet haben wir durch die Errichtung eines Allgemeinen Reisebureaus vorgenommen. Der große Erfolg, dessen sich die von uns veranstalteten Vergnügungsreisen zur See zu erfreuen hatten, legte uns den Gedanken nahe, unsere Tätigkeit auch auf die Veranstaltung von Gesellschaftsreisen zu Lande, auf die Vermittlung des Verkaufs von Eisenbahn-Fahrkarten, insbesondere Rundreise-Billets, kurz, auf alle, der Förderung des Reiseverkehrs dienenden Geschäfte zu erstrecken.«

Entscheidend war für Ballin der Aspekt der Unternehmenskonzentration. Um dies realisieren zu können, betrieb er 1905 die Übernahme des Reisebüros von Carl Stangen, seinerzeit das größte und bedeutendste im Deutschen Reich. Seit 1910 verkauften die Reisebüros der Hamburg-Amerika Linie, wie die Hapag jetzt auch genannt wurde, exklusiv die Tickets für die Luftschiffe des Grafen Zeppelin – bis 1914 rund 42.000 Stück. Ballin wurde dadurch auch zu ei-

nem der geschäftlichen Pioniere der zivilen Luftfahrt.

Ausdehnung der Hapag-Fahrtgebiete

Als Ballin 1886 zur Hapag kam, unterhielt die Reederei einen Postdampferdienst von Hamburg nach New York und eine West­indisch-mexikanische Linie. Am Vor­abend des Ersten Weltkrieges hatte sich diese Zahl auf insgesamt 67 Linien erhöht. Sie verbanden Hamburg mit verschiedenen Häfen in Nord-, Mittel- und Südamerika, in Süd- und Ostasien, am Persischen Golf und in Afrika. Daneben gab es einen Seebäderdienst sowie diverse Küstenlinien und Hapag-Routen, die Hamburg nicht berührten. Die Reederei besaß nicht nur in Hamburg, sondern auch in Cuxhaven, New York und auf der Karibikinsel Saint Thomas eigene Kaianlagen, um ihr globales Liniennetz betreiben zu können. Der entscheidende Knotenpunkt war der Hamburger Hafen: 1898 war die Hapag mit der Hansestadt übereingekommen, dass auf dem südlichen Elbufer, dem Kuhwärder, neue ausgedehnte Hafenanlagen gebaut und zu einem großen Teil der Reederei verpachtet werden sollten. 1903 wurden sie eingeweiht. Die Hapag verfügte nunmehr über ein Viertel des gesamten überdachten Lagerraums des Hamburger Hafens.

Der Ausbau des Hapag-Liniennetzes ging mit einem enormen Konzentrationsprozess einher, in dessen Verlauf die meisten Hamburger Reedereien unter Ballins Einfluss gerieten. Die Hapag übernahm viele kleinere Linien und entwickelte sich zu einem trustartigen Gebilde. Innerhalb der Führungsgremien der Hapag stieß Ballins Expansionspolitik nicht auf ungeteilte Zustimmung. Wiederum gehörten Johannes Merck und Max Schinckel zu Ballins schärfsten Kritikern. Schinckel vertrat die Ansicht, dass spezielle Gebiete befahrende Reedereien ihren Aktionären bessere Erträge bieten würden als eine monopolisierende Riesengesellschaft. Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Hapag unter Ballins Führung permanent riesige Gewinne erzielte (sieht man einmal von den Cholera-Jahren 1892 und darauf ab).

So konnte Albert Ballin am Vorabend des Ersten Weltkrieges auf eine eindrucksvolle Bilanz zurückblicken: Als er 1886 als Abteilungsleiter in die Hapag eingetreten war, stand diese in der Rangfolge der weltweit größten Linien auf dem 22. Rang. Dank Ballins ausgeprägter Fähigkeit, Chancen zu erkennen, die der Markt bot, gelang es ihm, eine Trendwende herbeizuführen.

1897, zum 50-jährigen Bestehen der Hapag, war diese unter Ballins Leitung zur größten Reederei der Welt geworden und blieb es bis 1914. In den Jahren zwischen 1885 und 1913 stieg die Zahl der Hapag-Dampfer durch Neubauten, Ankäufe und Verschmelzung mit anderen Linien von 23 auf 194, die Tonnage von knapp 55.000 auf über 1,3 Mio. BRT und das Aktienkapital von 15 auf 180 Mio. Mark. Der Höhepunkt des Aufstiegs war erreicht.

Die »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«

Die griffige Formulierung »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« stammt vom amerikanischen Diplomaten und Historiker George F. Kennan. Dieser umschreibt damit den Ersten Weltkrieg als eine Epochenwende. Kennans Urteil trifft nicht nur allgemein auf den spektakulären Moment des Kriegsausbruchs im Juli 1914 zu. Genauso lässt es sich auch auf die Person Albert Ballins beziehen, dessen Lebenswerk, die Hapag, dadurch zerstört wurde.

Während der Kriegsjahre sah sich Ballin mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert, die den Anhänger des Laissez-faire-Prinzips zu einem Getriebenen machten, der staatliche Förderungspolitik nicht mehr ablehnen konnte. Neben der Frage nach der Unterbringung der rund 25.000 Hapag-Beschäftigten trieb ihn vor allem die Sorge um die Schiffe der Reederei um. Nur 80 der 175 Hapag-Dampfer befanden sich bei Kriegsbeginn in deutschen Häfen; einige von ihnen übernahm die Marine als Hilfskreuzer oder Versorgungsschiffe. Ballin versuchte zunächst, die im neutralen Ausland liegenden Schiffe der Reederei zu verchartern, später dann, sie zu verkaufen (diejenigen, die in den Häfen der Entente-Länder lagen, waren sofort beschlagnahmt worden). Seine Bemühungen scheiterten allerdings zumeist am Widerstand des Admiralstabes, der seine ablehnende Haltung damit begründete, dass ein Verkauf der Schiffe zu einer Vergrößerung der Handelsflotte der Entente führe. Nach und nach mussten deshalb die meisten dieser Schiffe abgeschrieben werden.

Vor diesem Hintergrund sind Ballins Bemühungen um ein Kriegsentschädigungsgesetz zugunsten der Schifffahrt zu sehen, für das er sich seit August 1915 einsetzte. Zwar bekam die Hapag schon zuvor von der Regierung monatlich 2 Mio. Mark als Darlehen. Dies reichte jedoch nur aus, um die laufenden Kosten zu decken – verlorene Schiffe konnten damit nicht ersetzt werden.

Regierung und die Marine waren gegen Ballins Vorhaben eingestellt, er fand jedoch im Reichstag Unterstützung. Dort setzte sich vor allem sein Freund Gustav Stresemann für die Interessen der Reedereien ein. Nach endlos langen Verhandlungen trat am 7. November 1917 das »Gesetz über die Wiederherstellung der deutschen Handelsflotte« in Kraft. Dieses sah billige, teils auch zinslose Kredite in Höhe von 50 Mio. Mark vor. Es wurde also keine Gesamtentschädigung gewährt, wie sie die Reedereien eigentlich gewünscht hatten, sondern Beihilfen, die zur Wiederbeschaffung von Handels­schiffen dienen sollten.

Die Existenz der Hapag war vorerst gesichert – der Frieden jedoch immer noch in weiter Ferne. Ballin setzte fortan seine ganze Kraft dafür ein, bei Militärs, Diplomaten, Politikern und Fürsten auf diesen hinzu­wirken, durch politische Lobbyarbeit, durch Briefe, Eingaben und Memoranden. Allein, es war ein Kampf gegen Windmühlen. War er bereits im Juli 1914 mit seinem Versuch, einen Ausgleich zwischen London und Berlin zu vermitteln, gescheitert, so hatte er auch jetzt keinen Erfolg. Die radikalen Elemente gewannen zunehmend an Gewicht, das Deutsche Reich entwickelte sich seit 1916 immer mehr zu einer Militärdiktatur unter maßgeblicher Führung des Ersten Generalquartiermeisters Erich von Ludendorff. Hier mit Maßstäben für politisches Handeln zu kommen, die auf einem ökonomischen Fundament basierten – wie Ballin es tat –, war hoffnungslos. Entscheidend für solche Personen war allein die Kategorie des Prestiges.

Erst als alles schon verloren war, wurde Ballin Anfang November 1918 gebeten, die Friedensverhandlungen für das Deutsche Reich zu führen. Sein Kommentar dazu: »Ich habe (…) sagen lassen, dass ich nicht kneifen würde, aber jedem anderen es lieber gönnte.« Schon lange war der außergewöhnliche Mensch und Unternehmer nicht mehr die gewinnende Persönlichkeit, die er vor Kriegsbeginn gewesen war. Der Journalist Theodor Wolff traf ihn im Oktober 1918 und berichtete: »Ballin war wie eingesponnen in Schwermut, er sah schlecht aus, die früher so frische braune Gesichtsfarbe war (…) schon seit langem abgeblasst, die Furchen hatten sich vertieft.« Dennoch arbeitete Ballin unermüdlich weiter. Selbst als der Hamburger Arbeiter- und Soldatenrat am 8. November einen Teil des Hapag-Gebäudes besetzen ließ, nahm er dies äußerlich gefasst auf. Dann jedoch versagten ihm die Nerven. Als er sich am späten Nachmittag des Tages in seine Hamburger Villa in der Feldbrunnenstraße zurückzog, ließ er sich in den Stunden der Dämmerung ein Glas Wasser bringen und schluckte eine übergroße Dosis Beruhigungsmittel. Schon seit langem war er von Brom, Veronal und anderen Drogen abhängig.

Der anarchistische Schriftsteller Theodor Plievier hat Ballins Ende in seinem dokumentarischen Roman »Der Kaiser ging, die Generäle blieben« in folgende Worte gefasst: »Und von der gewaltigen Perspektive Ballins auf die Schlüsselstädte der fünf Meere, auf die Schifffahrtslinien seiner Gesellschaft, die wie ein Netz den Erdball umspannen, bleibt nichts weiter als ein letzter blinzelnder Blick auf das Wasserglas, das er gewissenhaft an seinen Platz zurückgestellt hat. Dann erlischt auch das in dem Glas gefangene Licht.«

Noch bei Bewusstsein und unter starken Schmerzen wurde Ballin von seinem Diener und einem eilig herbeigerufenen Arzt in die Privatklinik Wünsch am Mittelweg 144 geschleppt, wo ihm der Magen ausgepumpt wurde. Dennoch fiel er noch vor Mitternacht ins Koma und verstarb am 9. November 1918 um 13.15 Uhr. Die Frage, ob Ballin Selbstmord begangen hat oder nicht, ist vielfach diskutiert worden. Eine Obduktion der Leiche fand nicht statt. Manche Zeitgenossen bezweifelten einen Suizid Ballins, viele andere wiederum zeigten sich hierüber nur wenig verwundert. Eduard Rosenbaum von der Handelskammer Hamburg, einer der letzten Menschen, mit denen Ballin vor seinem Tod sprach, kommt zu folgender Einschätzung, für die einiges spricht: »(…) he took more than the normal dose of his sleeping tablets because he was undecided whether he wanted a long or an eternal sleep.«

Ballins Begräbnis fand am 13. November auf dem Ohlsdorfer Friedhof statt. Am Vorabend entwarf sein Freund Max Warburg einen Nachruf: »Albert Ballin war eine Kraftnatur. Kraftvoll war in ihm der Wille, und kraftvoll und groß sein durchdringender Verstand, und warm und stark schlug das Herz. Ein genialer Kaufmann, begabt mit einer nahezu seherischen Kraft und großer Phantasie. Er war mehr Künstler als Rechner, mehr Maler als Zeichner. (…) Die Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten dreißig Jahre kann man sich in Deutschland ohne Albert Ballin nicht vorstellen. Unter den vielen Helfern, die uns beim Wiederaufbau des Deutschen Reiches fehlen werden, und auf die wir stark rechneten und rechnen durften, steht sein Name an erster Stelle!«


Dr. Johannes Gerhardt