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Künftig will die Deutsche Marine unter Wasser gegen die Mutterschiffe der Seeräuber vorgehen. Antriebsanlagen sollen so außer Betrieb gesetzt werden.

Unter dem Druck internationaler Marineeinheiten vor der ostafrikanischen Küste haben somalische Piraten ihre Überfälle auf Handelsschiffe immer weiter hinaus auf[ds_preview] den Indischen Ozean verlagert. Damit ihre schnellen, aber kleinen Boote so weit draußen auf See überhaupt operieren können, benötigen sie eine Basis. Dafür benutzen sie gekaperte Schiffe, deren ursprüngliche Besatzung unter Waffengewalt gezwungen wird, diese Schiffe zu fahren und zu navi­gieren. Zugleich ist die Crew ein mensch­liches Schutzschild, denn keine Marineeinheit wird ein solches Mutterschiff entern, solange Personen an Bord sind, die nicht zu den Piraten gehören. Die Bekämpfung dieser Schiffe ist also schwierig. Andererseits sind mit ihnen Überfälle möglich, die das Operationsgebiet weit in den In­dischen Ozean hinein bis ins Umfeld der Seychellen ausweiten.

Die Deutsche Marine mit ihrer Beteiligung an der EU-Mission Atalanta hat sich angesichts dieser Ausgangslage eine neue Taktik überlegt: Erstmals seit Aufstellung der Mission im Jahr 2009 wurde eine Fregatte von einem Einsatzgruppenversorger (EGV) abgelöst. Dieser dient jetzt als Basis für die Bundeswehrsoldaten. Der Einsatzgruppenversorger »Berlin« ist 173 m lang und wie alle Schiffe seiner Klasse dafür ausgestattet, Marineeinheiten fern der Heimatbasis logistisch zu unterstützen. Neben der Funktion als Versorgungsbasis kann das Marineeinsatzrettungszentrum (MERZ) aber auch Menschen medizinisch versorgen und erreicht dabei das Niveau eines Kreiskrankenhauses an Land. An Bord der »Berlin« sind zwei Bordhubschrauber vom Typ Sea King des Marinefliegergeschwaders 5 aus Kiel. Sie haben mittlerweile auch die ersten Piratenangriffe auf Handelsschiffe abwehren können.

Konzipiert sind die EGV als Basis für gemischte Einsatzgruppen. An Bord befinden sich Teams, die unmittelbar auf stark gefährdete Handelsschiffe gehen und diese vor Überfällen schützen können. Diese sogenannten Vessel Protection Teams werden überwiegend auf Schiffen eingesetzt, die mit humanitären Hilfsgütern für Ostafrika den Hafen von Mombasa zum Ziel haben und damit pirateriegefährdete Gewässer durchqueren müssen.

Auf der »Berlin« gibt es zudem Boardingteams, die sich von Hubschraubern aus auf Schiffe abseilen, um sie zu überprüfen oder Piraten festzunehmen, wenn eine Schiffs­besatzung sich in die Sicherheitsräume zurückgezogen hat und deshalb keine Geiseln genommen werden konnten.

Bei dem jetzigen Einsatz befinden sich auch Kampfschwimmer an Bord. In ersten Medienberichten war die Rede davon, dass sie sich unbemerkt den Piratenmutterschiffen nähern und deren Maschinen unbrauchbar machen sollen. Dafür aber müssten die Kampfschwimmer die Schiffe entern und bis in die Maschinenräume vordringen. Trotz aller Überraschungs­effekte könnten sie dabei in Kämpfe verwickelt werden, in deren Folge die Geiseln gefährdet wären. Wahrscheinlicher ist daher, dass die Kampfschwimmer von Hubschraubern oder Schnellbooten abgesetzt werden, sich unter Wasser den Mutterschiffen nähern, um dort die Propeller oder Steueranlagen funktionsuntüchtig zu machen.

Die Kampfschwimmer gehören zu den ­spezialisierten Einsatzkräften der Marine (SEK M). Der Verband ist in Eckernförde stationiert und gehört zur Einsatzflottille 1 in Kiel. Die Angehörigen dieser Elitetruppe sind alle als Tauchspezialisten, Waffenexperten, Fallschirmspringer, Einzelkämpfer und im Landkampf ausgebildet. Außerdem können sie sämtliche Boote und Kraftfahrzeuge fahren und haben eine Ausbildung im Umgang mit Sprengstoffen. Sie arbeiten in kleinen Gruppen. Im Einsatz sind sie auf sich allein gestellt. Sie vertrauen dabei nach Darstellung der Deutschen Marine auf ihre Ausbildung und auf ihr Team, ihre physische und psychische Belastbarkeit, ihr Improvisationstalent und ihre Ausrüstung.

Lange Strecken unter der Wasserober­fläche können die Kampfschwimmer mit sogenannten Unterwasserscootern zurücklegen, fast wie in einem James-Bond-Film. Die Marine hat zwar keine technischen Details veröffentlicht, aber die Geräte sind vermutlich mindestens ebenso leistungsfähig wie solche im zivilen Markt. Sie sind elektrisch betrieben. Die stärksten Geräte können bis in eine Wassertiefe von 250 m eingesetzt werden und erreichen Geschwindigkeiten bis zu 3,7 kn. Die Betriebsdauer liegt zwischen zwei und drei Stunden. Das reicht aus, um außerhalb der Sichtweite eines Piratenschiffes abgesetzt zu werden, heranzutauchen, Ruderanlage oder Propeller außer Gefecht zu setzen und unbemerkt wieder zu verschwinden. Dass sie Besuch von Kampfschwimmern hatten, werden die Seeräuber erst bemerken, wenn plötzlich der Propeller leer durchdreht oder das Schiff nicht mehr auf Ruderlagen reagiert. Die ersten Einsatzerfahrungen in der Praxis bleiben abzuwarten.


Eigel Wiese