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Allianz-Studie zeigt neue Sicherheitsrisiken in der Seeschifffahrt auf

In den 100 Jahren seit der »Titanic«-Katastrophe hat sich die kommerzielle Welt­schiffsflotte auf über 100.000 Schiffe verdreifacht. Zugleich[ds_preview] gingen die Totalverluste zurück: Während 1912 noch eines von 100 Schiffen unterging, war es im Jahr 2009 nur noch eines von 670, hat der Schiffs­versicherer Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) in der Studie »Sicherheit und Schifffahrt 1912–2012: Von der Titanic bis zur Costa Concordia« gemeinsam mit dem Seafarers’ International Research Centre (SIRC) der Universität in Cardiff ermittelt.

»Die Meere sind heute sicherer denn je. Doch es gibt neue Risiken, die die Schifffahrtsindustrie proaktiv angehen muss«, betont Dr. Sven Gerhard, der bei AGCS weltweit für Schiffsversicherungen verantwortlich ist. »Schiffe mit Übergröße stellen uns Versicherer allein aufgrund ihrer Dimension und ihres immensen Wertes vor Herausforderungen.« Manche Experten würden auch ihre Stabilität und Festigkeit anzweifeln. »Zwar macht die Größe allein Schiffe nicht automatisch gefährlicher, aber es sind besondere Risiken zu berücksichtigen«, erklärt Gerhard. »Im Notfall sind die Evakuierung wie auch die Bergung natürlich schwieriger zu bewerkstelligen.«

Risikofaktor Mensch

Auch der Kostendruck könne zu einem Gefahrenrisiko werden, wenn er Schiffseigner dazu dränge, Besatzungen aus Schwellenländern mit oftmals niedrigeren Aus­bildungsstandards zu rekrutieren. Knapp kalkulierte Besatzungsstärken begünstigten ebenso Fehlverhalten. »Da die technologischen Verbesserungen das Risiko vermindern, wird das schwächste Glied in der Kette – der menschliche Faktor – immer wichtiger«, erläutert AGCS-Experte Gerhard. Mehr als drei Viertel der Unfälle im weltweiten Seeverkehr sind Statistiken zufolge auf viel­fältige Varianten menschlichen Versagens zurückzuführen, beispielsweise auf Übermüdung, unzureichendes Sicherheitsmanagement, Zeitdruck oder Mängel in der Ausbildung. Gerhard: »Bewährte Standards im Risikomanagement und eine auf Eigenverantwortung setzende Sicherheitskultur sollten an Bord eines jeden Schiffes nicht nur Vorschrift, sondern gelebte Praxis sein«, so der Versicherungsexperte.

Während Technologien wie Radar oder GPS zu weiteren Verbesserungen bei der Sicherheit geführt haben, waren oft größere Unglücke die eigentlichen Katalysatoren für einschneidende Veränderungen: So wurde beispielsweise nur wenige Jahre nach dem Untergang der »Titanic« 1914 das SOLAS-Übereinkommen unterzeichnet, welches Bestimmungen über Eisschifffahrt und ­lebensrettende Ausrüstung enthält. Die Seekatastrophe der »Herald of Free Enterprise« im Jahr 1987 gab den Impuls für die Verabschiedung des Internationalen Codes für Maßnahmen zur Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs, der entscheidend zur Verbesserung bewährter Sicherheitsverfahren beigetragen hat.

»In der Geschichte haben große Schiffskatastrophen stets zu Verbesserungen der Sicherheit geführt. Und die ›Costa Concordia‹ wird hier sicherlich keine Ausnahme machen, unabhängig davon, wie das Ergebnis der offiziellen Ermittlungen in der Sache aussehen wird«, bestätigt AGCS-Experte Gerhard.

Zahlen und Fakten aus der Sicherheitsstudie

• Seit 1910 hat die Tonnage der Weltflotte um das 23-fache zugenommen und erreicht heute fast 1 Mrd. GT (2010).

• Der Weltseehandel hat sich seit 1970 auf über 8,4 Mrd. t geladene Fracht pro Jahr verdreifacht.

• Die Zahl der Passagiere auf Kreuzfahrtschiffen ist kontinuierlich gestiegen – von 1990 bis 2015 wird von einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 7,4 % ausgegangen. 2011 haben über 19 Mio. Passagiere auf Kreuzfahrtschiffen Urlaub gemacht, bis 2015 sollen es sogar 22 Mio. sein.

• Der Seetransport ist eine der sichersten Beförderungsarten und verursacht weit weniger tödliche Unfälle, als beim Auto-, Motorrad- oder Fahrradfahren oder unter Fußgängern entstehen.

• Die Mortalitätsraten bei professionellen Seeleuten sind in vielen Ländern gefallen, so etwa in Großbritannien von 358 (auf 100.000 Seefahrer) im Jahr 1919 auf durchschnittlich elf in der Zeit von 1996–2005. Allerdings liegt die Todesfallrate immer noch zwölffach über dem Durchschnitt der arbeitenden Bevölkerung.

• Zu den Unfallschwerpunkten in der Seefahrt gehören Südchina, Indochina, Indonesien und die Philippinen mit 17 % der Schäden in den Jahren 2001–2011, gefolgt vom östlichen Mittelmeer und dem Schwarzen Meer (13 %) sowie Japan, Korea und Nordchina (12 %). Auch das Meer um die Britischen Inseln weist eine relativ hohe Unfalldichte auf (8 %).