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Dank der Initiative »Research at Alpha Ventus« lässt Deutschlands Pionier unter den Offshore-Windparks wertvolle Rückschlüsse für künftige Projekte zu. Die ersten Forschungsdaten liegen jetzt vor.

Deutschlands erster Offshore-Windpark »Alpha Ventus« ist mit seinen zwölf Windenergieanlagen zwar verhältnismäßig klein, aber für die weitere Nutzung der[ds_preview] Wind­energie auf See spielt er eine große Rolle: Als Demonstrations- und Forschungs­objekt liefert das 45 km von Borkum ent-fernte Testfeld sowohl der Wissenschaft als auch der Offshore-Branche wertvolle Daten und Informationen. Seit dem Jahr 2009 haben die Beteiligten der Forschungsinitiative »Research at Alpha Ventus« (RAVE) dort mehr als 1.200 Sensoren und Messgeräte installiert, um Erfahrungen und Erkenntnisse für zukünftige Projekte zu gewinnen. Erste Ergebnisse sind jetzt im Rahmen einer mehrtägigen internationalen Konfe­renz in Bremerhaven vorgestellt worden.

Die vom Bundesumweltministerium mit 51,7 Mio. € geförderte Initiative umfasst derzeit 33 Einzelprojekte zu den Themenbereichen Betrieb und Koordination, Messtechnik, Gründungs- und Tragstrukturen, Anlagentechnik und Monitoring, Netzintegration sowie Ökologie und Sicherheit. »Die deutsche Offshorewind-Nutzung hat mit ›Alpha Ventus‹ einen großen Schritt nach vorne gemacht«, betonte Prof. Dr. Jürgen Schmid vom Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES), das RAVE koordiniert. Die bisherigen Ergebnisse seien sehr gut und weltweit einzigartig – sowohl was die Erträge aus dem Windpark angehe als auch hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Forschung und Naturschützern im Rahmen der Initiative.

Stromertrag liegt über den Erwartungen

Im vorigen Jahr, dem ersten kompletten Betriebsjahr, hatte »Alpha Ventus« 267 Gigawattstunden Strom ins deutsche Übertragungsnetz eingespeist, was rechnerisch 4.450 Volllaststunden der installierten 5-MW-Anlagen (jeweils sechs von Repower und Areva Wind) entspricht. Damit lag der Ertrag ca. 15 % über dem prognostizierten Wert. Zum einen sei das auf die hohe Verfügbarkeit der Anlagen zurückzuführen, die im Schnitt 95 % betragen habe, erläuterte Dr. Claus Burkhardt vom Energieversorger EWE in seiner Funktion als Gesamtprojektleiter und Geschäftsführer des Be­-

treiberkonsortiums DOTI (Deutsche Offshore-Testfeld und Infrastruktur GmbH & Co. KG). Zum anderen habe der Wind gerade in den Sommermonaten stetiger geweht als erwartet: »Eine Jahresdelle in dem Ausmaß, wie man gedacht hatte, gibt es draußen auf See nicht.« Auch im ersten Quartal dieses Jahres habe sich die erfreuliche Ertragslage mit einem Plus von rund 10 % im Vergleich zur Prognose fortgesetzt.

Dass die Anlagen nicht noch häufiger verfügbar gewesen seien, liege im Wesentlichen in der Erreichbarkeit begründet, so Burkhardt: So habe man den Windpark im Winter wegen schlechten Wetters zwei Monate lang nicht für Wartungs- und Reparatur­arbeiten anfahren können.

Gondelaustausch bereitet kaum Probleme

Dabei hatte es im Jahr zuvor mit der Verfügbarkeit noch nicht ganz so gut ausgesehen: Im Frühling 2010 waren bei den Areva-Turbinen erhöhte Temperaturen an den Gleitlagern aufgetreten, woraufhin zwei Anlagen vorübergehend außer Dienst gestellt wurden. Einige Monate später wurden alle sechs Maschinenhäuser dieses Typs ausgewechselt und durch Gondeln mit einem verbesserten Kühlsystem ersetzt.

»Das Positive daran ist: Wir haben gezeigt, dass Gondeln schnell ausgetauscht werden können und dass sie seitdem laufen«, bilanzierte Burkhardt nun rückblickend. Dies sei der Nutzen eines Forschungsprojekts wie RAVE: Fehler würden erkannt und könnten behoben werden. Unterdessen verlief der Betrieb der sechs Repower-Anlagen bisher weitgehend ohne Komplikationen. Nach Angaben des Herstellers flossen aber auch hier die Forschungsergebnisse in die Entwicklungsarbeit ein – unter anderem in die Entwicklung der neuen 6-MW-Turbine.

Kolk unter verstärkter Beobachtung

Während sich zahlreiche RAVE-Messwerte mit dem decken, was die Forscher anfänglich erwartet hatten, gab es bei der Kolkbildung eine negative Überraschung: Die strömungsbedingte Ausspülung des Meeresbodens an den Gründungen fiel stellenweise deutlicher aus als gedacht. Im Windpark sind sechs Tripod-Fundamente und sechs Jacket-Fundamente verbaut worden, und vor allem unter einem der Tripods ist der Kolk mit derzeit gut 7 m besonders tief. Allerdings befindet sich diese Vertiefung unter dem Zentralrohr und damit an einer Stelle, an der das Fundament nicht im Meeresboden verankert ist. Für die Standfes­tigkeit habe das bisher keine Relevanz, beteuerte DOTI-Geschäftsführer Burkhardt. Die überraschend deutliche Auskolkung an dieser Stelle erklären sich die Verantwortlichen damit, dass das Zentralrohr hohl und geöffnet ist und somit das Wasser in der Säule arbeitet. Da das Rohr zudem nach unten etwas schmaler wird, entsteht eine Art Düse, durch die das Wasser zurückströmt und den Boden ausspült. Künftig soll die Bauweise der Dreibeinfundamente dahin­gehend angepasst werden, dass die Rohre unten geschlossen werden.

Rund um die drei Standbeine des Tri­pods liegt die Kolktiefe im Rahmen dessen, was die Ingenieure im Vorfeld berechnet hatten. Nun muss beobachtet werden, ob sich der zentrale Kolk nach außen auswächst und somit letztlich doch zu einem Problem werden könnte. Während Burkhardt dafür aktuell keine Anzeichen sieht, zeigte sich Chris­tian Dahlke vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) diesbezüglich etwas vorsichtiger. Die Forschungsplattform »Fino 1« sei auf einem Jacket gegründet, an dem sich ebenfalls rund um die Pfähle Vertiefungen gebildet hätten – und hier sei der Kolk durchaus zusammengewachsen. »So einfach ist das dann vielleicht doch nicht«, meinte Dahlke mit Blick auf das Vorhaben, demnächst Tripods ohne offene Zentralrohre installieren zu wollen. »Wir müssen hin zu innovativen Kolkschutzsystemen«, forderte denn auch Prof. Dr. Torsten Schlurmann von der Leibniz Universität Hannover im Verlauf der Konferenz.

Mehr Leistung durch neue Technik

Als einen der Erfolge der RAVE-Forschung verbuchten die Beteiligten die Weiterentwicklung der sogenannten Lidar-Technologie (Light Detection and Ranging), bei der ein Laserstrahl Windrichtung und -geschwindigkeit vor beziehungsweise hinter der Windenergieanlage erfasst. Durch eine solche Kontrolle des Offshore-Feldes könne die Leistung einer Turbine um 1–2 % erhöht werden, hieß es. Andreas Rettenmeier von der Universität Stutt­gart erläuterte, dass sich Böen durch neuartige Regelungsstrategien rechtzeitig erkennen ließen und dadurch die Rotorblätter optimal angestellt werden könnten. »Ziel ist es, Lasten zu reduzieren und die Windenergieanlagen samt Struktur leichter zu dimensionieren«, machte Rettenmeier deutlich. Darüber hinaus könnten die horizontalen Lidar-Messungen den Einsatz teurer Windmessmasten sowohl auf See als auch an Land unnötig machen.

In einem weiteren Projekt ging es um das Tragfähigkeitsverhalten von Einpfahl- und Mehrpfahlfundamenten unter zyklischen Einwirkungen durch Wind, Wellen und Betrieb. »Mit unseren Vorentwicklungen und den gewonnenen Projekterkenntnissen konnten wir auf der Basis von Modell- und Elementversuchen ein weltweit neues rechnerisches Nachweisverfahren zur Ermittlung der Pfahltragfähigkeit unter zyklischer Einwirkung entwickeln«, berichtete Professor Dr. Werner Rücker von der Bundesanstalt für Materialforschung und Materialprüfung (BAM). Dieses werde derzeit im Rahmen des Genehmigungsverfahrens beim BSH erprobt und habe bereits Eingang in deutsche Normen und Richt­linien gefunden. »Damit lassen sich zukünftige Offshore-Projekte sicherer und effizienter planen«, so Rücker.

Ziel der ökologischen Begleitforschung war und ist es, weiter­gehende Erkenntnisse der bau- und betriebsbedingten Auswirkungen auf die Meeresumwelt zu gewinnen. Unter Wasser sei an den Gründungskonstruktionen ein Bewuchs festzustellen, der so auch erwartet wurde, sagte BSH-Referatsleiter Dahlke. »Eine explosionsartige Entwicklung von bestimmten Arten, die andere dominieren, hat es nicht gegeben.« Die Schweinswale hätten nach Abschluss der Rammarbeiten offenbar keine relevanten Probleme, da sie regelmäßig im Windpark gesichtet würden. Auch hätten Beobachtungen der Rastvögel kaum Verdrängungseffekte gezeigt, wohingegen die Unter­suchungen von Zugvögeln bisher noch ohne greifbares Ergebnis geblieben seien, so Dahlke. Da aber nicht mehr tote Vögel angeschwemmt würden als vor dem Bau des Windparks, könne man nicht vermuten, dass es übermäßig viele Kollisionen mit den Flügeln gebe

Forschung soll weitergehen

Einig waren sich die Konferenzteilnehmer darin, dass die Forschung nun fortgeführt werden müsse und nicht als abgeschlossen bewertet werden dürfe. »Die bisherigen Ergebnisse sind von unschätzbarem Wert«, sagte IWES-Institutsleiter Schmid, »aber wir stehen noch ganz am Anfang.« Die Erkenntnisse aus der praktischen Umsetzung der Technologie müssten auch in Zukunft in die Forschung und die Entwicklung zurückgekoppelt werden, damit die Technik weiterentwickelt werden könne – nur so ließen sich die hochgesteckten Ziele an Erträgen, Zuverlässigkeit und Kostensenkungen erreichen. Sein Kollege Dr. Bernhard Lange, RAVE-Koordinator beim Fraunhofer IWES, ergänzte, dass es auf zwei Wegen weitergehen werde: Erstens werde sich der Schwerpunkt von den Themen Design und Errichtung hin zu den Bereichen Betrieb und Wartung verlagern, und zweitens werde der Aspekt der Demonstration, dass die Gewinnung von Offshore-Windenergie in der deutschen Nordsee tatsächlich möglich ist, zunehmend in den Hintergrund treten, während hingegen der Forschungsaspekt immer mehr in den Vordergrund rücken werde.

Unterdessen werden die drei Mitglieder des DOTI-Konsor­tiums ihre Erfahrungen aus »Alpha Ventus« für Folgeprojekte nutzen: EWE und Vattenfall wollen noch in diesem Jahr mit dem Bau ihrer Offshore-Windparks »Riffgat« beziehungsweise »Dan Tysk« beginnen, E.on plant den Start des Projekts »Amrumbank West« für 2013. Zwingend notwendig sei nun vor allem eine verstärkte Industrialisierung, betonte DOTI-Geschäftsführer Burkhardt. Hier sei die Forschung ausgesprochen wichtig, denn eines sei von vornherein klar: »Im Vergleich zu asiatischen Herstellern wird es nie Kostenvorteile geben, darum kann es nur über Qualität und Technologie gehen.«


Anne-Katrin Wehrmann