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Der Bundesfinanzhof hat dem Bundesverfassungs-gericht die Frage vorgelegt, ob Deutschland mit seinen innerstaatlichen Rückfallklauseln gegen Verfassungsrecht verstößt

Innerhalb von nur sechs Wochen hat der Bundesfinanzhof (BFH) zwei bedeutsame Entscheidungen zu Rückfall­klauseln (»Treaty override«) veröffentlicht. Beide sind[ds_preview] zu ausländi­schen Arbeitslöhnen ergangen und betreffen auch deutsche Seeleute und Ree-dereien. Mit dem Beschluss vom 10.1.2012 (Az. I R 66/09; vgl. BFH-Pressemitteilung Nr. 30/12 vom 9.5.2012) »toppt« der BFH sein Urteil vom 11.1.2012 (HANSA 5/2012). Denn er bezieht in seiner Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sehr eindeutig Stellung gegen das »Überschreiben« von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mittels der Vorschrift des § 50d Abs. 8 EStG gegen »Keinmalbesteuerung« von Arbeitslohn.

Im Streitfall klagte der Arbeitnehmer einer deutschen Firma, der für seinen Arbeitgeber in der Türkei gearbeitet hatte. Er beanspruchte, mit diesem Lohn in Deutschland nicht besteuert zu werden, und berief sich auf das DBA Türkei, wonach nicht Deutschland, sondern die Türkei das Besteuerungsrecht hat. Das Finanzamt aber besteuerte ungeachtet des DBA und verwies auf die Rückfallklausel § 50d Abs. 8 EStG: Weil der Steuerpflich­tige nicht nachgewiesen habe, dass er entweder in der Türkei Einkommen­steuer bezahlt oder die Türkei auf ihr Besteuerungsrecht verzichtet habe, komme es auf die durch das DBA angeordnete Freistellung nicht an. Der BFH hält § 50d Abs. 8 EStG für verfassungswidrig und hat diese Frage dem BVerfG vorgelegt. Eine Rechtfertigung für »Treaty override« sieht der BFH besonders nicht darin, dass der Steuerpflichtige in beiden Vertragsstaaten unbesteuert bleibt. Das vorläufige Fazit bis zu einem BVerfG-Urteil lautet: Wenn ein DBA dem ausländischen Staat das Besteuerungsrecht zuweist, geht der deutsche Fiskus laut BFH leer aus. Viele Regelungen stehen nun auf dem Prüfstand: Der deutsche Gesetzgeber machte jüngst großzügig von dem Mittel Gebrauch.

Thomas Rauert