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Am 9. Mai 2012 hat das Bundeskabinett den Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Reform des deutschen Seehandelsrechts vorgestellt. Einen Überblick zur neuen Rechtsfigur des »ausführenden Verfrachters« aus Sicht der Hafenwirtschaft gibt vom Unternehmensverband Hafen Hamburg

Nach einigen Änderungen des ursprünglichen Referentenentwurfs für ein Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts vom 5. Mai 2011 hat das Bundesministerium[ds_preview] der Justiz (BMJ) am 9. Mai 2012 den vom Bundeskabinett beschlossenen Regierungsentwurf vorgestellt.

Ausführender Verfrachter

Aus der Sicht der Hafenwirtschaft ist im reformierten Seehandelsrecht vor allem die Einführung der neuen Rechts­figur des »ausführenden Verfrachters« in § 509 des HGB-Entwurfs (HGB-E) von Bedeutung. »Ausführender Verfrachter« soll dem aktuellen Regierungsentwurf zufolge derjenige sein, der zwar keinen Vertrag mit dem Befrachter geschlossen hat, jedoch die Beförderung ganz oder teilweise selbst durchführt. Laut dem Regierungsentwurf soll § 509 HGB hierzu die folgende Fassung erhalten:

(1) Wird die Beförderung ganz oder teilweise durch einen Dritten ausgeführt, der nicht der Verfrachter ist, so haftet der Dritte (ausführender Verfrachter) für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung des Gutes während der durch ihn ausgeführten Beförderung entsteht, so, als wäre er der Verfrachter.

(2) Vertragliche Vereinbarungen mit dem Befrachter oder Empfänger, durch die der Verfrachter seine Haftung erweitert, wirken gegen den ausführenden Verfrachter nur, soweit er ihnen schriftlich zugestimmt hat.

(3) Der ausführende Verfrachter kann alle Einwendungen und Einreden geltend machen, die dem Verfrachter aus dem Stückgutfrachtvertrag zustehen.

(4) Verfrachter und ausführender Verfrachter haften als Gesamtschuldner.

(5) Wird einer der Leute des ausführenden Verfrachters oder ein Mitglied der Schiffsbesatzung in Anspruch genommen, so ist § 508 (Anm.: Haftung der Leute und der Schiffsbesatzung) entsprechend anzuwenden.

Direktanspruch

Durch die Vorschrift soll der Befrachter oder Empfänger im Zusammenhang mit einem Stückgutfrachtvertrag bei Güterschäden zusätzlich zu seinem vertraglichen oder aus Konnossement folgenden Ersatzanspruch gegen den Verfrachter einen gesetzlichen Direktanspruch gegen denjenigen erhalten, der als Dritter das Gut beför-

dert hat und in dessen Obhut es zu einem Güterschaden gekommen ist.

Haftung

Der »ausführende Verfrachter« soll dann so haften, als wäre er der Verfrachter, nämlich mit Haftungshöchstbeträgen von 666,67 Sonderziehungsrechten (SZR) – rund 797 € – je Stück oder Einheit (gegebenenfalls ei-

nen Container) oder 2 SZR – 2,39 € – je Kilogramm Rohgewicht der betroffenen Güter, je nachdem, welcher Betrag höher ist. Im Gegenzug soll er sich mit allen für den vertraglichen Verfrachter zur Verfügung stehenden Einwendungen und Einreden verteidigen können. Von diesen Haftungs-

vorschriften bei Güterschäden soll durch allgemeine Geschäftsbedingungen nicht abgewichen werden können (§ 512 Absatz 1 HGB-E).

Aus Wettbewerbsgründen ist es zunächst einmal begrüßenswert, dass der Regierungsentwurf nicht dem Vorschlag des Referentenentwurfs gefolgt ist, die Haftungshöchstbeträge auf das Niveau der Rotter­-

dam-Regeln anzuheben, nämlich auf 875 SZR je Stück oder Einheit (gegebenenfalls einen Container) oder 3 SZR je Kilogramm des Rohgewichts der verlorenen oder beschädigten Güter, sondern die derzeitigen Haftungshöchstbeträge der Haager/Visby-Regeln beibehalten werden sollen.

Die Beibehaltung der derzeitigen Haftungshöchstbeträge ist sinnvoll, weil ihre Geltung international verbreitet ist, ein baldiges Inkrafttreten der Rotterdam-Regeln mehr als zweifelhaft erscheint und eine Vorwegnahme des strengeren Haftungsniveaus der Rotterdam-Regeln im deutschen Seehandelsrecht zu Wettbewerbsverzerrungen geführt hätte.

Gerade aus Wettbewerbsgründen sollte aber im laufenden Gesetzgebungsverfahren noch einmal sehr kritisch geprüft werden, ob eine Einbeziehung von Umschlagunternehmen in den Anwendungsbereich der Regelung zum »ausführende Verfrachter« wirklich politisch gewollt und juristisch sinnvoll ist.

Tätigkeit zur Erfüllung eines Stückgutfrachtvertrages

Eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von § 509 HGB-E und des daraus folgenden Direkt­anspruches gegen einen »ausführenden Verfrachter« ist nach dem Regierungsentwurf, dass dieser Dritte zur Erfüllung eines Stückgutfrachtvertrages tätig geworden sein muss. Dementsprechend wird auf S. 86 der Begründung zum Regierungsentwurf klargestellt:

»Da es sich bei der Beförderung nur um eine Seebeförderung handelt, kann ausführender Verfrachter in diesem Sinne – ähnlich wie nach den Rotterdam-Regeln – nur ein Reeder oder Ausrüster oder ein in einem Hafengebiet mit Umschlagarbeiten betrautes Unternehmen sein. Eine Person, die eine Beförderung zu Lande durchführt, kann dagegen nicht ausführender Verfrachter im Sinne des Entwurfs sein. Eine sol­che Tätigkeit kann nur zur Erfüllung eines Vertrags über einen Multimodaltransport durchgeführt werden, nicht aber zur Erfüllung eines Stückgutfrachtvertrags im Sinne des § 481 HGB-E.« Zur Frage, wann § 509 HGB-E nicht anwendbar ist, heißt es in der Begründung zum Regierungsentwurf auf S. 153 weiter:

»Voraussetzung für die Einordnung eines Dritten als ›ausführender Verfrachter‹ ist aber in jedem Falle, dass er einen Teil der Beförderung über See durchführt. Die Einordnung eines in einem Hafen tätigen Umschlagunternehmens als ›ausführender Verfrachter‹ scheidet mithin aus, wenn es zur Ausführung eines nach den §§ 452 ff. HGB zu beurteilenden Vertrags über eine Beförderung mit verschiedenartigen Beförderungsmitteln eingesetzt wird und zu diesem Zweck im Hafen einen Lkw belädt, mit dem ein nachfolgender Landtransport durchgeführt werden soll« (so BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007, TranspR 2007, S. 472 ff.).

Im Ergebnis bedeutet dies für Umschlagunternehmen, dass eine Haftung als »ausführender Verfrachter« ausscheidet, wenn auf dem Terminal ein Lkw oder Zug be- oder entladen wird, da diese Tätigkeiten nicht zur Erfüllung eines Stückgutfrachtvertrages über See erfolgen.

Wenn aber auf der anderen Seite des Terminals Tätigkeiten an der Kaikante zur Erfüllung eines Stückgutfrachtvertrages ausgeführt werden, so wäre für dort eintretende Güterschäden ein Direktanspruch gegen das Umschlagunternehmen als »ausführender Verfrachter« nicht ausgeschlossen. Die Haftung als »ausführender Verfrachter« könnte nicht durch AGB abbedungen werden. Dies würde zu der Situation führen, dass bei der Frage, ob eine Haftung als »ausführender Verfrachter« möglich ist, ein »haftungsrechtlicher Riss« durch das Terminal ginge und zwei unterschiedliche Haftungsregime auf dem Terminalgelände bestünden, die durch AGB nicht zu harmonisieren sind, weil an der Kaikante gemäß § 512 Absatz 1 HGB-E zwingendes Recht herrschen soll, von dem nur durch Individualvereinbarung abgewichen werden kann.

Abweichende Individualvereinbarungen, die gemäß § 512 Absatz 1 HGB-E mit den anspruchsberechtigten Befrachtern und Empfängern im Einzelnen ausgehandelt werden müssten, wären von großen Terminalbetrieben mit mehreren Millionen umgeschlagenen Containern pro Jahr ohnehin faktisch gar nicht zu leisten. Auch hier zeigt sich, dass eine Ausdehnung der Verfrach­terhaftung auf Umschlagunternehmen, die mit den Befrachtern im Regelfall gar keine Vertragsverhandlungen führen, unpassend ist. Da der Seetransport zudem die Besonderheit aufweist, dass eine Vielzahl von Unternehmen Dienstleistungen im Umfeld der Ladungsbetreuung ausführen, entstünden zusätzlich Auslegungsschwierigkeiten, welche Tätigkeiten zum Bereich der Erfüllung eines Stückgutfrachtvertrages zu zählen sind.

Fazit

Diese Situation lässt sich nur dadurch auflösen, dass die im weiten Feld der Ladungsbetreuung tätige Hafenwirtschaft, insbesondere Umschlagbetriebe, explizit aus dem Anwendungsbereich der zwingenden Re­gelungen zum «ausführenden Verfrachter« herausgenommen werden.

Wenn die Rechtsfigur des »ausführenden Verfrachters« nicht gänzlich aufgegeben werden soll, ist zur Vermeidung unpassender Ergebnisse und zwangsläufiger Auslegungsschwierigkeiten daher ein enger und klar abgegrenzter Anwendungsbereich ohne Einbindung der Hafenwirtschaft vorzugswürdig, wofür sich auch der Vorsitzende der vom BMJ eingesetzten Sachverständigengruppe zur Reform des Seehandelsrechts ausgesprochen hat (Herber, TranspR 2011, 359). Durch eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 509 HGB-E würde auch den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung getragen, denn Wesensmerkmal des Kaiumschlags ist eben nicht die »Beförderung« der Güter im Sinne einer Ortsveränderung, sondern der Umschlag, nämlich der Wechsel des Verkehrsträgers im Sinne einer Schnittstelle.

RA Dr. Peter Hesse