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Zweieinhalb Jahre vor Inkrafttreten drastisch strengerer Brennstoffbestimmungen für Nord- und Ostsee suchen die Reedereien nach Strategien zur Verteidigung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Große Verlader in Skandinavien erwägen bereits den verstärkten Einsatz von Bahn- statt Schiffstransporten.

Wenn die auf Nord- und Ostseerouten aktiven Reeder sich heute die Karten legen, dann ist der Ausblick wohl alles andere[ds_preview] als zufriedenstellend. Zwar gibt es allgemeine Seeverkehrsprognosen, die für das nächste Jahrzehnt weiterhin strammes Wachstum prophezeien. Doch mit Blick auf die geplante Absenkung der Schwefelobergrenze für Schiffsbrennstoff im Schutzgebiet der Nord- und Ostsee stellt sich die Frage, ob die Schifffahrt auch ausreichend konkurrenzfähig sein wird, um die erwarteten Handelszuwächse abzuschöpfen.

Seit 2006 wurde die Region auf Beschluss der Schifffahrtsorganisation IMO zur Sulphur Emission Control Area (SECA) erklärt. Inzwischen dürfen Schiffe hier nur noch Schwer-, Diesel- oder Gasöl mit einem maximalen Schwefelanteil von 1,0 % verbrennen. Der sauberere Brennstoff ist deutlich teurer als Standardware der Klasse 380 cst, und die Kosten dürften 2015 noch einmal einen großen Satz machen, wenn das Schwefellimit auf 0,1 % abgesenkt wird.

Nach Berechnungen der TT-Line würde sich die Betankung der Fähren und Frachter um 80 % verteuern, es sei denn, die Reeder rüsten ihre Schiffe mit Abgaswaschanlagen, sogenannten Scrubbern, aus. Sie könnten dann weiterhin den billigeren, schwefelhaltigeren Brennstoff verbrauchen. Dafür müssten sie aber zunächst Investitionen im unteren bis mittleren einstelligen Millionenbereich für die Nachrüstung der Schiffe tätigen. Diese Ausgaben wirken sich dann ebenfalls erheblich – wenn auch nicht so stark wie schwefelarmer Treibstoff – auf die laufenden Kosten aus.

Laut einer vom Verband Deutscher Reeder (VDR) beim Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) in Auftrag gegebenen Studie drohen ab 2015 allein im Containersegment mehr als 800.000 TEU an Shortsea- und Transhipment-Ladung vom Schiff auf die Straße verlagert zu werden, weil der Seetransport durch die steigenden Treibstoffkosten entsprechend an Wettbewerbsfähigkeit einbüße.

Schwedische Exporteure denken um

Konkrete Hinweise für eine Abkehr der Verlader und Spediteure vom Seeschiff gibt es bislang kaum. Für Aufsehen in der Branche sorgen aber erste Berichte aus der skandinavischen Papier- und Zellstoffindustrie, wonach der Verkehrsträgermix im Export nach West- und Südeuropa zulasten des Schiffs abgeändert werden soll. Der Anteil der Schiene soll hingegen deutlich hochgefahren werden. »Die Unternehmen wollen eine sichere Ersatzlösung haben«, erklärte Mats Erkén, Geschäftsführer von Scandfibre Logistics vor einigen Monaten auf

dem BME/VDV-Schienenforum in Neuss. Scandfibre Logistics ist ein Joint Venture von fünf Papierherstellern (Korsnäs, Billerud, Smurfit Kappa Kraftliner, Mondi Dynäs, Holmen) mit zusammen zwölf Werken in Schweden und steuert quasi als gemeinsame Konzernspedition alle Lieferverkehre. Die Hersteller wollten mit der Verlagerung vom Schiff auf die Bahn einem erwarte­-

ten Kostenschub im Shortsea-Verkehr aufgrund der strengeren Brennstoffstandards vorbeugen, bestätigte Erkén. Für die Papierhersteller sei der Schritt sowohl logistisch als auch ökologisch sinnvoll. »Es gibt kein exaktes gemeinsames Ziel für den Umfang der Verlagerung. Die Hersteller haben uns aber beauftragt, die Ausweitung der Bahntransporte zu ermöglichen«, erläuterte Erkén. Der durchschnittliche Modal Split eines Papierwerkes in Schweden liegt seinen Angaben zufolge bei 60 % Schiff, 30 % Bahn und 10 % Straßengüterverkehr. Fabriken in Küstenlage könnten auch auf 80 % Seefracht kommen, während andere im Inland dafür deutlich mehr über die Güterbahn abfahren.

Bei den Inlandwerken, die kaum das Schiff einsetzen, gehe es darum, den Anteil der Schiene gegenüber dem Lkw zu erhöhen. Die wichtigsten Märkte der schwedischen Papierexporteure seien Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande. Bereits heute disponiert Scandfibre für seine Gesellschafter pro Jahr 35.000 Waggonladungen im Gesamtumfang von 2,5 Mio. t in diese Länder. Als Dienstleister und Lieferanten im Schienenbereich würden Captrain, Green Cargo, NTR, Hector Rail und Transwaggon eingesetzt. Der Verkehr ist allerdings extrem unpaarig, wodurch hohe Positionierungskosten anfallen.

Laut Erkén können bislang nur 10.000 Waggons rückbefrachtet werden, etwa mit Lebensmitteln aus Italien und Frankreich, Streusalz aus Deutschland oder Automotive-Lieferungen aus Frankreich. Entsprechend groß ist der Druck zur Auslastung der Züge in der Hauptrichtung. »Wenn wir die Kapazität nur zu 80 % ausnutzen, verdienen wir kein Geld mehr«, verdeutlichte Erkén.

Auch in Finnland könnte den Shortsea-Reedereien im großen Stil Papierladung verloren gehen, wird befürchtet. »Der Transport von Papier aus Finnland nach Deutschland wird teurer als der Transport von Papier aus Nordamerika nach Deutschland«, unterstrich Dr. Ulrich Bauermeister, Geschäftsführer der Hafenentwicklungs­gesellschaft Rostock, auf der Baltic Logis-

tics Conference vergangenen Monat in Ros­tock. Berechnungen finnischer Institute hätten gezeigt, dass sich die Transportkosten im finnischen Außenhandel durch die geplanten Brennstoffbestimmungen um 750 Mio. € verteuern könnten. »Das führt dazu, dass so ein Land völlig aus dem Markt geboxt wird«, warnte Bauermeister.

Die Lücke könnten vor allem Papierlieferanten aus anderen europäischen Ländern wie der Tschechischen Republik füllen, die gar nicht auf das Seeschiff angewiesen sind, vermutet Hanns Heinrich Conzen, Geschäftsführer der TT-Line, die mit sechs Fähren im Verkehr zwischen Deutschland und Schweden aktiv ist. Der Schifffahrtsmanager wirbt innerhalb der Branche und der Politik um Unterstützung seiner Forderung nach Verschiebung der neuen Bestimmungen.

Übergangsfrist gefordert

Conzen will erreichen, dass die Reedereien eine Übergangsfrist von fünf Jahren bei der Schwefelabsenkung bekommen. »Ich halte ein solches Moratorium nach wie vor für sehr realistisch«, bekräftigte er auf einer Konferenz des Shortsea-Förderzentrums SPC in Hamburg. Dazu müssten sich Vertreter Deutschlands und anderer nordeuropäischer Staaten bei der IMO zusammenschließen, um Anpassungen im Annex VI der MARPOL-Konvention zu erwirken.

Von der Europäischen Union, die zu den Bestimmungen eine eigene Richtlinie erlassen hat, sei zu erwarten, dass sie dem Votum der IMO folgen würde. »Wenn die IMO sagt, dass es hier ein Problem gibt, dann wird das auch EU-weit möglich sein«, sagte Conzen. Die gewonnene Zeit könnten die Reedereien dann nutzen, um Abgaswaschanlagen durch Pilotprogramme zur Marktreife zu führen. »Für unsere Schiffe ist bislang noch kein System verfügbar«, betonte Conzen. Für 2013 oder 2014 sei jedoch die Installation einer Pilotanlage an Bord eines TT-Line-Schiffs geplant. Erste Berechnungen deuteten auf Installationskosten von rund 5 Mio. € pro Anlage plus 200.000 bis 500.000 € an zusätzlichen Betriebskosten hin.

Zu den Fürsprechern einer Verschiebung zählt auch die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns. »Ich fordere nach wie vor von der Bundesregierung ein Moratorium, eine deutlich nach hinten verlagerte Einführung«, erklärte Volker Schlotmann, Landesminister für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung, auf der Baltic Logistics-Konferenz. »Schreiben Sie an das Ministerium, gehen Sie an Ihre Abgeordneten heran. Wir müssen da eine Schippe drauflegen«, so der SPD-Politiker.

Ihn stimmen jüngste Signale aus dem russischen Transportministerium zuversichtlich, dass Russland eine solche Initiative unterstützen würde. Rostocks Hafenchef Bauermeister wünscht sich auch von den anderen östlichen Nachbarn mehr Engagement in dieser Sache. »Es wundert mich, dass sich die baltischen Staaten und Polen nicht melden. Warum tritt die Ostsee nicht mit einer starken Stimme auf?«, sagte er.

Selbst wenn es gelänge, einen Großteil der eigenen Flotte bis 2015 mit Abgaswasch­anlagen auszurüsten und somit den Kosteneffekt beim Brennstoff abzudämpfen, wäre eine Verkehrsverlagerung kaum aufzuhalten, verdeutlichte Peder Gellert Pedersen, Executive Vice President der dänischen Schifffahrtsgruppe DFDS. Denn die neue Technologie schlüge mit Kosten von bis zu 155 Mio. € zu Buche, wenn DFDS alle Fähren nachrüsten würde, bei denen dies möglich sei – rund 40 % der heutigen Flotte.

Eine andere Variante wäre, nur fünf bis sieben Schiffe auf strategisch wichtigen Routen nachzurüsten, was immerhin noch mit 28 Mio. € zu Buche schlagen würde, so Pedersen. Grundsätzlich gebe es keine Alternative zur Nachrüstung von Scrubbern, wenn man auf bestimmten Routen die Kunden halten möchte. Zu hoch wären die Frachtpreissteigerungen, wenn die Reederei die Kosten für schwefelarmen Treibstoff durchreichen müsste. »Wir haben heute schon Probleme, die Bunkerzuschläge gegenüber den Kunden zu rechtfertigen. Ein Anstieg um 100 % wäre schon gar nicht möglich, es würde eine drastische Verkehrsverlagerung zur Folge haben«, so Pedersen. Intern bereite sich DFDS bereits auf eine Ausdünnung des Liniennetzes vor. Zu den wichtigsten Routen, die nach 2015 nicht mehr konkurrenzfähig sein dürften, zählen die Dänen den Ost-West-Verkehr zwischen Deutschland und den Baltischen Staaten, darunter die Verbindungen Sassnitz–Klaipeda und Kiel–Klaipeda. »Es ist einfach unrealistisch, dass es dort so weitergehen kann«, erklärte der DFDS-Manager.

Bündelung von Verkehren

Generell dürfte es für alle Marktteilnehmer im Schifffahrts- und Hafenbereich der Ostsee enger werden. Die Konkurrenz unter den Häfen wird wohl zunehmen, weil die Verkehre zunehmend konsolidiert werden, um die steigenden Kosten durch Betriebsgrößeneffekte ein Stück weit wettmachen zu können. »Die effizienteste Maßnahme ist der Einsatz größerer Schiffe, also die Bündelung von Verkehren«, machte TT-Line-Chef Conzen deutlich. Dafür könnte die Zahl der Abfahrten und der Häfen in den Fahrplänen der Reedereien abnehmen, wodurch sich das Geschäft zunehmend konzentriert. »Die Frequenzen werden geringer und dann sind wir alle in irgendeiner Form raus aus dem Geschäft«, gab Bauermeister zu bedenken.

Auch für die Reedereien, die sich am Markt behaupten, wird es sicherlich schwerer werden. »Es dürfte ein erhöhtes Überangebot an Tonnage geben, wenn nach 2015 zahlreiche Routen geschlossen werden«, meinte DFDS-Manager Pedersen. Wie viele der geschätzten rund 2.000 Seeschiffe, die heute überwiegend in der Ostsee verkehren, letztlich betroffen sein werden, steht noch in den Sternen. Es sei aber zu erwarten, dass die betroffenen Betreiber versuchen, über einen Preiskampf zurück ins Geschäft zu kommen.


Michael Hollmann