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Mit dieser Frage, die sich im Rahmen der Neufassung des Seemannsgesetzes zu einem Seearbeitsgesetz stellt, befasst sich Prof. Dr. Werner von Unruh

Im Rahmen der Umsetzung des Internationalen Arbeits­übereinkommens von 2006 werden die Bestimmungen des Seemannsgesetzes überarbeitet und durch ein neues[ds_preview] Seear­beitsgesetz ersetzt. In der bis­herigen Gesetzesplanung ist vorgesehen, das Erfordernis der Musterung eines Seemanns bei Dienst­antritt an Bord entfallen zu lassen. Im Folgenden soll untersucht werden, ob aufgrund der besonderen Anforderungen an die Tätigkeit auf einem Seeschiff auf eine Musterung generell verzichtet werden kann. Eine mögliche Vereinfachung des Musterungsverfahrens soll von dieser Frage­stellung unberührt bleiben.

Die Musterung ist die öffentlich-rechtliche Verhandlung vor dem Seemannsamt über die in die Musterrolle einzutragenden Angaben, wie die Legaldefinition des § 13 Abs. 3 Seemannsgesetz bestimmt. Der Kapitän ist verpflichtet, eine Musterung zu veranlassen, wenn ein Besatzungsmitglied oder eine sonstige Person den Dienst an Bord antritt (Anmusterung) oder beendet (Abmusterung). Der Kapitän hat die Musterung im Regelfall vor dem Beginn der Reise unverzüglich zu veranlassen.

Bei der Musterung muss neben dem Kapitän oder einem Vertreter auch die zu mus­ternde Person anwesend sein. Die Musterrolle ist von dem Besatzungsmitglied zu unterschreiben. Damit handelt es sich bei der Musterung um einen mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt, gegen den nach einem Vorverfahren die Anfechtungsklage vor den Verwaltungsgerichten i. S. d. §§ 68 ff VwGO gegeben ist.

Zweck und Charakter der Musterung haben sich im Laufe der Zeit vollständig gewandelt. Aus der in früherer Zeit üblichen Besichtigung der Schiffsmannschaft vor Ausreise des Schiffes, nämlich der »Musterung«, entwickelte sich die heutige Anmus­terung zu einer Bestätigung des abgeschlossenen Heuervertrages.

Die gesetzliche Regelung entsprach damit lange den tatsächlichen Gegebenheiten, bis die arbeitsrechtliche Entwicklung vielfach dieses zeitliche Zusammentreffen entfallen ließ, als nämlich die tarifvertragliche Entwicklung längere Kündigungsfristen für Schiffsoffiziere bestimmte, sodass diese aus der Besatzung eines Schiffes ausschieden, ohne dass auch das Heuer- bzw. das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt endete. Dieser Entwicklung trug das Seemannsgesetz darin Rechnung, indem es die Bindung der Musterung mit dem Heuerverhältnis löste. Die Musterrolle, die bis dahin auch eine amtliche Bestätigung des Vertragsverhältnisses darstellte, wurde eine Urkunde, die über die jeweilige Zusammensetzung der Schiffsbesatzung Auskunft gab. Die Musterung wurde damit zu einer amtlichen Bestätigung über den Antritt des Dienstes auf einem bestimmten Schiff.

Insofern ist festzustellen, dass das öffentlich-rechtliche Musterungsverhältnis von dem seefahrtsrechtlichen Arbeitsverhältnis zu unterscheiden ist. Damit drängt sich die Frage auf, ob die Beibehaltung eines öffentlich-rechtlichen Musterungsverhältnisses für die Zukunft noch weiterhin erforderlich ist. Ein Vergleich des Musterungsverhältnisses mit einem allgemeinen Arbeitsverhältnis könnte hier entscheidende Hinweise geben.

Während es sich beim Arbeitsverhältnis um eine Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer handelt, für das zwar durch den Hoheitsträger gewisse gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen wurden, ansonsten jedoch Vertragsfreiheit besteht, und bei dem der Hoheitsträger nicht Bestandteil der Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist, wird mit der Musterung ein Verwaltungsverfahren durchgeführt, das das Besatzungsmitglied ergänzend zu dem Arbeitsverhältnis in ein weiteres Rechtsverhältnis zum Hoheitsträger, vertreten durch die Seemannsämter bzw. im Ausland die Konsulate, setzt. Die Unterschrift des Besatzungsmitglieds unter die Musterrolle ist ein erforderlicher Bestandteil des Verwaltungsaktes, der die besonderen Rechtsbeziehungen des Besatzungsmitglieds zum Hoheitsträger feststellt.

Vom Zeitpunkt der Musterung an untersteht das Besatzungsmitglied den besonderen Regeln des Seemannsgesetzes. Durch die Lösung eines Schiffes vom heimatlichen Territorium fehlen an Bord hoheitliche

Organe wie Ordnungsbehörden und Vollzugskräfte. Nach dem Seemannsgesetz ist deshalb der Kapitän mit besonderen hoheitlichen Funktionen zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit an Bord beauftragt. Er ist damit nicht nur Vertreter des Reeders nach dem Handelsgesetzbuch, sondern auch Vertreter der Staatsgewalt.

In Wahrnehmung dieser hoheitlichen Aufgabe kann der Kapitän nach dem Seemannsgesetz Maßnahmen treffen, durch die die Grundrechte des Besatzungsmitgliedes eingeschränkt werden. Droht Menschen oder dem Schiff eine unmittelbare Gefahr, so kann der Kapitän die zur Abwendung der Gefahr gegebenen Anordnungen notfalls mit den erforderlichen Zwangsmitteln durchsetzen – sogar die vorrübergehende Festnahme ist zulässig. Die Grundrechte des Artikels 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 sowie des Artikels 13 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes werden insoweit eingeschränkt. Die für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auf einem Seeschiff erforderliche Einschränkungsmöglichkeit der Grundrechte eröffnet sich damit nicht im Arbeitsverhältnis, sondern allein im Musterungsverhältnis. Insofern wäre das Musterungsverhältnis als ein Sonderrechtsverhältnis zu bestimmen. Wenngleich die Vorschrift über die Strafbarkeit des Entweichens an einem Ort außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes (§ 114 Seemannsgesetz a.F.) inzwischen aufgehoben wurde und damit die Erfüllung der Verpflichtung aus dem Heuerverhältnis nicht mehr mit Strafe bedroht wird, ist die Nichtbefolgung dienstlicher Anordnungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung an Bord unter bestimmten Umständen – wie dem Vorliegen einer konkreten Gefahr (z. B. Rettung von Personen aus Seenot) – weiterhin mit Strafe bedroht. Diese Regelung spricht für ein Sonderrechtsverhältnis, da im allgemeinen Arbeitsverhältnis, also nicht auf einem Seeschiff, der vertragsbrüchige Arbeitnehmer sich allenfalls einem Schadens­ersatzanspruch des Arbeitgebers, aber nicht einer hoheitlichen Ahndung gegenüber ausgesetzt sieht, wie es im Musterungsverhältnis der Fall ist.

Die Sonderverhältnisse bzw. öffentlich-rechtlichen Sonderbindungen haben sich zumeist aus der Haus- und Herrengewalt entwickelt. Wenngleich sich zwar Schrifttum und Rechtsprechung teilweise terminologisch von den besonderen Gewaltverhältnissen distanziert haben, bestehen sie der Sache nach weiter, sofern bestimmte rechtliche Mindesterfordernisse erfüllt sind. Sonderverhältnisse stellen die Verwaltungswirklichkeit dar. Ihre Beibehaltung wird hinsichtlich der Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens und der Verwaltung als unentbehrlich angesehen. Begründet und beendet werden solche verwaltungsrechtlichen Sonderverhältnisse teils kraft gesetzlichen Zwangs wie für Grundschüler, Wehrpflichtige und Gefangene, teils aber auch freiwillig wie von höheren Schülern, Beamten und Soldaten. Erforderlich ist ein hoheitlicher Akt, durch den der Beginn und das Ende des Sonderverhältnisses ausdrücklich festgestellt wird. Unter einem solchen hoheitlichen Akt ist beispielsweise die Ernennung zum Beamten und in der Seeschifffahrt auch die Musterung zu verstehen.

Das verwaltungsrechtliche Sonderverhältnis hebt den allgemeinen Grund­rechtsstatus nicht auf, kann aber die Ausübung der Grundrechte einschränken und die Pflichten erhöhen, wie es im Musterungsverhältnis der Fall ist. Die Grundrechtsbeschränkungen in Sonderverhältnissen unterfallen – entgegen früherem Verfassungsverständnis – in vollem Umfang dem Gesetzesvorbehalt in Gestalt des Parlamentsvorbehaltes. Derjenige, der sich, ob freiwillig oder aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung, in ein Sonderverhältnis begibt, bleibt Rechtsperson und wird nicht bloßes Objekt einer besonderen Herrschaftsgewalt. Danach ist der Gesetzgeber aus rechtsstaatlich-demokratischen Erwägungen und wegen der Grundrechte der Betroffenen verpflichtet, selbst die Grundzüge der verwaltungsrechtlichen Sonderverhältnisse zu fixieren, wie es mit der Ablösung der Seemannsordnung von 1903 durch das Seemannsgesetz im Jahre 1957 geschehen ist. Die prinzipielle Geltung der Grundrechte ist auch im verwaltungsrechtlichen Sonderverhältnis und damit im Musterungsverhältnis gegeben, wobei das Seemannsgesetz die erforderliche gesetzliche Grundlage für eine Einschränkung eines Grundrechtes darstellt.

Es ist damit festzustellen, dass auch künftig das Sonderverhältnis des Dienstes auf einem Kauffahrteischiff durch einen besonderen hoheitlichen Akt, die Musterung, begründet werden muss – und zwar als Voraussetzung für eine besondere gesetzliche Bindung zum Hoheitsträger zur Aufrechterhaltung eines geordneten Schiffs­betriebes.

Prof. Dr. Werner von Unruh