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Die Station der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger in Sassnitz ersetzt den außer Dienst gestellten »Wilhelm Kaisen«

Im Hafen von Sassnitz wurde Ende Mai der neue Seenotkreuzer, der 36,5 m lange und 2,7 m breite »Harro Koebke«, von Britta[ds_preview] Selle­ring, Gattin des Ministerpräsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, getauft. Mit der Namensgebung dankt die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in Bremen dem 2003 verstorbenen Unternehmer Harro Koebke, der das Rettungswerk in seinem Nachlass mit einer namhaften Zuwendung bedacht hat. Koeb­ke war langjähriger Geschäftsführer der Berliner Automatenfabrik, Produzent u. a. von Spielautomaten, der ihm den Titel »Vater der Nachkriegsautomatenspiele« einbrachte.

Das Tochterboot wurde von Anne Mühlwald, der Tochter des Sassnitzer Vormanns Hartmut Mühlwald, auf den Namen »Notarius« getauft. Der Notarius zählt zu den wichtigsten Personen der traditionsreichen Bremer Eiswette, die alljährlich im Januar prüft, ob die Weser zugefroren ist oder fließt, und die seit Jahrzehnten die Arbeit der Seenotretter mit Spenden im besonderen Maße unterstützt.

»Harro Koebke« löst den 44 m langen, 1978 erbauten und inzwischen ausgemus­terten Seenotkreuzer »Wilhelm Kaisen« auf der Station Sassnitz ab. Für die »Wilhelm Kaisen« konnte mittlerweile ein Interessent gefunden werden.

Die Rettungsstation Sassnitz wurde 1873 eingerichtet und wenig später mit einem Raketenapparat ausgestattet. Im Jahr 1912, und somit exakt hundert Jahre vor Indienststellung des neuen Schiffes »Harro Koeb­ke«, erhielt die Station ihr ers­tes Motorrettungsboot. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs musste die DGzRS ihre Stationen in diesem Bereich der Ostsee räumen. Im Zuge der Wiedervereinigung nahm sie die Arbeit 1990 dort wieder auf. Der Neubau trage dem starken Verkehrsaufkommen in der Pommerschen und der Mecklenburger Bucht Rechnung, teilte die DGzRS im Rahmen der Taufe mit.

Der neue Schiffstyp ist in der bewährten Netzspanten-Bauweise konstruiert. Sowohl der Seenotkreuzer wie auch das Tochterboot sind als Selbstaufrichter konzipiert. Ein Novum für die DGzRS ist, dass es sich bei dem Tochterboot erstmals um ein gemeinsam mit der britischen Werft Marine Speciali­sed Technology entwickeltes Festrumpfschlauchboot (Rigid Inflatable Boat / RIB) mit geschlossener Kajüte handelt. Die »Notarius« überzeugt nicht zuletzt durch ihre Geschwindigkeit von 32 kn.

Nach über einjähriger Vorplanung und einer europaweiten Ausschreibung hatte die DGzRS im Sommer 2009 die Schiffs- und Bootswerft Fr. Fassmer in Berne an der Unterweser mit dem Bau des Projekts »SK 32« beauftragt. Entwurf, Modellversuche, Werkstattzeichnungen und Materialzuschnitt beschäftigten die Werft und das Rettungswerk gleichermaßen bis weit ins Jahr 2010 hinein. Die Kiellegung des aus Aluminium gefertigten Schiffes mit der Baunummer 4080 erfolgte dann im Dezember 2010. Nach dem »Rollout« Mitte März 2012 konnte das Schiff bereits einen Tag später zu Wasser gelassen und nach umfangreichen Tests auf der Außenweser Ende April an die DGzRS übergeben werden. Auf der Überführungsreise von Berne über den Nord-Ostsee-Kanal nach Sassnitz stellte sich der Rettungskreuzer in Bremerhaven und Rostock-Warnemünde der Öffentlichkeit vor.

Der rund 15 Mio. € teure Neubau ist für eine fünfköpfige Crew ausgelegt und verfügt über eine leistungsstarke Feuerlöschanlage am Mast von Alco (600 m3/h) mit einer Wurfweite bis zu 110 m, Verteilersystem und Schaumlöschanlage. Er ist ausgerüstet mit einem Hubschrauberarbeitsdeck, Bergungs- und Fremdlenzpumpen, einer Schleppwinde mit 250 m langem Draht und einer Zugleistung von 12 t sowie einem Schlepphaken mit einem Pfahlzug von 15 t. Für eine Rettung im Brandfall stehen der Besatzung Atemschutzgeräte und ein Atemluftkompressor zur Wiederbefüllung der Geräte zur Verfügung. Zum umfangreich ausgestatteten Bordhospital gehören Notfallkoffer- und Rucksackset, ein Halbautomatik-Defibrillator und eine Beatmungsanlage.

Drei Fahrmotoren von MTU sorgen für eine Gesamtleistung von 4.785 kW. Die

beiden Seitenmaschinen leisten jeweils 1.160 kW, die Mittelmaschine kommt auf 2.465 kW. Zwei Reintjes-Zweigangschiffswendegetriebe vom Typ ZWVS 730 und ein WVS-1540-Wendegetriebe geben die Leis­tung an die drei Festpropeller weiter, sodass im Einsatz eine maximale Geschwindigkeit von über 25 kn erreicht werden kann. Bei einem vollen Brennstofftank mit 45.000 l beträgt die Reichweite bei maximaler Geschwindigkeit 900 sm, bei einer Dienstgeschwindigkeit von 17 kn sind es 1.400 sm.

Die Stromversorgung übernehmen zwei Deutz-Dieselgeneratoren vom Typ 1013 mit je 88 kVA. Des Weiteren verfügt der Neubau zur besseren Manövrierfähigkeit über eine Bugstrahlanlage mit 150 kW Leistung.

Zwei Steyr-Motoren des Typs MO 256 mit je 184 kW liefern die Energie für die beiden Wasserjetantriebe (Hamilton, Typ 274) des 8,9 m langen Tochterboots »Notarius«. Dank des geringen Tiefgangs von 0,65 m kann das Tochterboot auch in flachen Gewässern eingesetzt werden. Die Anforderungen an Geschwindigkeit, Manövrierfähigkeit, erleichtertes Längsseits-gehen und vor allem Kostenersparnis gegenüber den bisher üblichen Tochterbooten bei vergleichbarer Sicherheit wurden bei diesem Typ umfassend erfüllt, wie ein Sprecher der DGzRS mitteilte.

Die DGzRS finanziert sich ausschließlich durch Spenden. Mittlerweile werden auf 54 Stationen rund 60 Seenotkreuzer und Seenotboote eingesetzt. Im Jahr 2011 waren die Einheiten der Rettungsflotte 2.106 Mal im Einsatz und haben 1.323 Menschen aus Seenot gerettet und aus Gefahrensituationen befreit.


DGzRS / CE