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Im zweiten Teil über die Geschichte des Leitrades berichten und über ein spektakuläres schnelles Scheitern auf der »Queen Elizabeth 2« einerseits, über 30 Jahre Zuverlässigkeit andererseits

»Queen Elizabeth 2«:

Das ungewollte Leitrad-Flaggschiff

Das langjährige Flaggschiff der Cunard Line, die »Queen Elizabeth 2« (»QE2[ds_preview]«), wurde von Oktober 1986 bis Mai 1987 nach 17 Jahren Betrieb für 162 Mio. $ (davon

allein 53 Mio. $ für den Maschinenteil) auf der Bremerhavener Lloyd Werft von einem Dampfer zu einem modernen diesel-elek­trischen Passagierschiff umgebaut. Für die »Jagd« über den Atlantik bei einer Geschwindigkeit von bis zu 30 kn verschlangen die bisherigen Turbinen rund 800 t Brennstoff am Tag. Bei Bunkerkosten, die zu dieser Zeit auf 185 $/t angestiegen waren, entsprach das einem Geldwert von rund 150.000 $ pro Tag. Ein Dieselmotor­antrieb versprach Einsparungen von rund 250 t pro Tag, eine diesel-elektrische Anlage mit Verstellpropellern andererseits bot mehr Flexibilität für zunehmende Einsatzzeiten als Kreuzfahrtschiff. Nach Auswertung von 15 Vorschlägen von sieben verschiedenen Herstellern wurden schließlich neun Dieselgeneratorensätze vom Typ MAN B&W 9L58/64 mit jeweils 10,6 MW bei 400 rpm ausgewählt, die über je einen elektrischen GEC-Fahrmotor zwei fünfflügelige Lips-High-Skew-Verstellpropeller in zwei Drehzahlstufen (144 oder 72 rpm) antreiben sollten; effektiv arbeiteten also fast 45 MW pro Welle. Cunard begleitete den geplanten Umbau mit einer intensiven Kampagne in den Medien, in der die »QE2« als der künftige Stand der Technik propagiert wurde. Irgendwie war man dabei auch auf das Grim’sche Leitrad aufmerksam geworden und so wurden Otto Grim und Michael vom Baur eines Tages im Frühjahr 1986 gemeinsam mit dem Hersteller Lips zu einer Präsentation in ein Frankfurter Hotel eingeladen, wo es vor Lieferanten für das Umbauprojekt wimmelte. Wegen der vielen Termine der Cunard-Manager fand die Präsentation der Wirkungsweise des Leitrades schließlich auf Servietten bei einem Arbeitsfrühstück im Hotelrestaurant statt: Man war begeistert!

Bei Grim wuchs allerdings bald die Skepsis, ob die »QE2« ein passendes Schiff für den Einsatz eines Leitrades sein würde. Seine berechneten Prognosen lagen bei – im Vergleich zu den anderen Fällen – geringen 1–2 % Einsparung, was seiner Meinung nach innerhalb der Rechengenauigkeit lag und sich vor allem durch den relativ ge­ringen Schubbelas­tungsgrad des schnellen Zweischraubers erklärte. Eingedenk der berechneten kleinen Wirkung, der hohen Geschwindigkeit und der enormen Leis­tung pro Welle hatte Grim kein gutes Gefühl und riet in mehreren Besprechungen von der Verwendung des Leitrades für die »QE2« ab.

Aber die Sache hatte längst eine eigene Dynamik bekommen. Cunard wollte die neue Technik, trotz der geringen Einsparungsprognosen (Zitat: »… und wenn wir es aus dem Werbe­etat bezahlen …«), und dachte über eine Fern­übertragung von Live-Videoaufnahmen der arbeitenden Propeller-Leitradkombination in den Passagier­bereich nach. Der Lizenznehmer Lips war natürlich sehr an dieser spektakulären ers­ten Referenz interessiert und hielt die Konstruktion trotz der schon bekannten Leitradverluste für beherrschbar. So wurde die »QE2« dann doch Flaggschiff des Grim’schen Leitrades. Umfangreiche Modellversuche wurden in Wageningen durchgeführt, die Leiträder mit einem Durchmesser von 6,70 m und sieben Flügeln wurden in Drunen gegossen, gefertigt und auf der Lloyd Werft an den Verstellpropellern (D = 5,80 m) montiert.

Im April 1987 war die »QE2« von Bremerhaven aus zu ersten Probefahrten nach dem Umbau unterwegs, Geschwindigkeitsversuche bei Höchstfahrt (fast 33 kn) und auch Crash-Stop-Manöver wurden durchgeführt. Danach machte die »QE2« in Southampton fest. Dort wurde bei einer Inspektion festgestellt, dass beide Leiträder nur noch zwei nebeneinanderliegende Flügel hatten, die anderen waren, möglicherweise schon bei den Probefahrten, abgebrochen. Da vor der ersten Reise mit Passagieren keine Zeit zur Demontage blieb, überquerten die beschädigten Leiträder noch zweimal den Atlantik, wobei bei beiden je ein Flügel auf der Überfahrt nach New York abbrach, an einem der letzte auf der Rückreise nach England. Der verbleibende Flügel wurde dann im Mai in Southampton abgeschnitten und untersucht. Eine spätere Inspektion der Bruchstellen an den noch an den Propellern sitzenden Naben ergab, dass die Brüche bei einigen Flügeln auf der Vorderseite, bei anderen auf der Rückseite begonnen hatten, jeweils bei ca. 0,27 R (im Turbinenteil, knapp über der Nabe). Acht von 14 Flügeln waren nach achtern abgebrochen, obwohl der resultierende Schub bei Vorausfahrt eine Biegung in Fahrtrichtung (nach vorn) verursacht. Die relativ großen Restbruchzonen wiesen auf Ermüdungsbrüche hin, Guss- und Materialqualität schienen allerdings einwandfrei. Anfang Juli wurden dann auch die Leitradnaben demontiert. Bei ihrer Untersuchung wurde festgestellt, dass einer der Lagerringe des Steuerbord-Leitrades gebrochen war. Für die Konstruktion der Lagerung war jeder Lizenznehmer – in diesem Fall Lips – selbst verantwortlich.

In den darauffolgenden Monaten wurde intensiv über die möglichen Gründe für die Schäden diskutiert, was aufgrund des Wettbewerbsverhältnisses zwischen »QE2«-Leitradhersteller und Lizenznehmer Lips sowie Lizenzgeber Ostermann nicht gerade einfach war. Spekulationen über die Ursachen reichten über Grundberührungen in Bremerhaven, Kontakt mit (damals noch regulär) während der Probefahrt über Bord geworfenen großen Abfallteilen bis zur Überlastung durch grobe und in kürzester Zeit durchgeführte Crash-Stop-Manöver aus voller Geschwindigkeit (möglich durch die diesel-elektrische Antriebsanlage). Ei­ne einvernehmliche öffentliche Schlussfolgerung ist nicht bekannt geworden.

Die Firma Lips führte nach der Havarie umfangreiche hydrodynamische Analysen durch. Dabei wurden besonders die instationären Effekte im Nachstrom sowie die aktuelle relative Stellung eines Leitradflügels zum Propellerblatt betrachtet, unter Berücksichtigung der vom Propeller induzierten Geschwindigkeiten und seines Spitzenwirbels. In den Ergebnissen wurde deutlich, dass der Propeller die durch Nachstromspitzen verursachten Schwankungen der Zustromgeschwindigkeit in das Leitrad zwar stark glättet, dass aber bei bestimmten relativen Stellungen der Leitrad- und Propellerflügel zueinander für die inneren Leitrad-Radien große Bandbreiten der Spannungsmaxima auftreten, die für die Dauerfestigkeit der Flügel relevant sind.

Lips zog daraus die Schlussfolgerung, dass die Leitradwurzeln generell, trotz der von Ostermann bereits bewusst konservativ vorgegebenen Mittelspannung von maximal 40 N/mm², zu schwach dimensioniert seien und änderte seine internen Designricht­linien entsprechend. Im speziellen Fall »QE2«, bei dem trotz des niedrigen Schubbelastungsgrades »cT« mehr als doppelt so viel Schub bzw. Leistung pro Quadratmeter Propellerfläche konzentriert war als bei allen anderen Leiträdern (Schub ca. 2.300 kN pro Propeller), mag das tatsächlich von ausschlaggebender Bedeutung für die aufgetretenen Schäden gewesen sein.

Der Schaden an den »QE2«-Leiträdern war Titelmeldung in »Lloyd‘s List« am 1. Mai 1987 und fand daher weltweite Beachtung, die natürlich auch die 18 weiteren Leitraddefekte bzw. -verluste im Zeitraum von Mitte 1986 bis Frühjahr 1990 stärker ins Bewusstsein rief. In der Schifffahrtswelt verfestigte sich der Eindruck, dass das Leitrad dem Schiffsbetrieb nicht gewachsen sei. In einem Umfeld mit wieder stark verbilligtem Treibstoff ging so das breite Interesse an dieser Innovation verloren. Das Leitrad schien ein Fall für das Museum zu sein.

Für die Kölner Firma Ostermann Metallwerke als Hersteller der meisten Leiträder bedeutete die Vielzahl von Garantiefällen den Anfang vom Ende. Die nahe der Kölner Innenstadt gelegene und zunehmend mit immer strengeren Emissionsauflagen beaufschlagte Gießerei, für die die Auslieferung großer Leiträder schon immer eine transporttechnische Herausforderung darstellte, hatte durch die Leitradverluste ihre Mittel für notwendige Investitionen in einen neuen Fertigungsstandort verbraucht und entschloss sich, auch angesichts der neuen Konkurrenz nach der deutschen Wiedervereinigung, 1992 zur Schließung des Traditionsbetriebes in Köln-Ehrenfeld.

Neuer Anlauf in Japan:

IEA-Modellprojekt VLCC »Draco«

Die japanische Werft IHI bezog das Leitrad, trotz der vielen bekannt gewordenen Defekte, nach umfangreichen Studien als überzeugendste Lösung in ihr Entwurfskonzept für eine neue Generation von 16,5 kn schnellen, energieeffizienten Supertankern (VLCC) mit 240.000 dwt und 20 MW Antriebsleistung ein. Gemeinsam mit Lips wurden die bisherigen Probleme analysiert und nach neuen Lösungen gesucht. Neben der Verstärkung der Leitradflügel im Wurzelbereich sah das Konzept vor allem die Abkopplung der Lagerung des hier mehr als 60 t schweren Leitrades (11,64 m Durchmesser, neun Flügel) vom Propellerwellenstrang und deren Anordnung am Ruderhorn vor.

Für diese Konfiguration wurden umfangreiche Berechnungen nach der Finite-Element-Methode und Schwingungsanalysen des Ruderhorns ausgeführt, dessen Longitudinalschwingungen neben den Tiefgangsunterschieden (hydrostatischer Druck) zu Druckschwankungen innerhalb der Lagerung beitragen. Für die beiden Pendelrollenlager wurde eine Ölschmierung mit externer Nachfüllung und einem Monitoringsystem für Abrieb gewählt. Auch wurde ein Sensor für die Drehzahl des Leitrades installiert, der bei den Probefahrten interessante Informationen über die Abläufe beim Crash-Stop-Manöver lieferte.

Der Tanker »Draco« wurde im September 1988 an eine Reederei in Singapur ausgeliefert und bestätigte in den folgenden Jahren die hervorragenden Ergebnisse der Probefahrt (mittlere Brennstoffeinsparung von 8 %). Eine Inspektion des Leitrades nach 2.500 Betriebsstunden ergab keinerlei negative Befunde. Im Juli 1992 wurde das Projekt als Energieeinsparvorbild durch die Internationale Energieagentur IEA (Caddet-Service) propagiert. Leider wurde nach Angaben von Lips (heute Teil von Wärtsilä) auch dieses erfolgreiche Leitrad einige Zeit später demontiert, nachdem man bei einer regulären Dockung Spuren von Korrosion an der Lagerung festgestellt hatte. Die niedrigen Bunkerpreise der späten 1990er Jahre und die mittlerweile geringeren Service­geschwindigkeiten waren keine Motivation mehr für eine Instandhaltung.

Wären Leiträder heute

wieder interessant?

Trotz aller schlechten Nachrichten wurden weiter Leiträder projektiert und gebaut, wenn auch einige Reeder, wie z. B. Hapag-Lloyd, gegen Ende der 1980er Jahre bereits georderte Leiträder zurückgaben. Insgesamt sind weltweit 60 Leiträder installiert worden, von denen ein Drittel von Problemen unterschiedlicher Art betroffen waren.

In der Blütezeit des Leitrades während und nach der zweiten Ölkrise – in den Jahren 1983 bis 1988 – wurden für ein Leitrad bei Bunkerpreisen von 150 bis 190 $/t Amortisationszeiten durch Brennstoffeinsparung von zwei bis drei Jahren errechnet. Im Vergleich dazu sind die Preise für Schweröl heute mit über 700 $ fast viermal so hoch.

Zusätzlich wird es künftig immer mehr Seegebiete geben, in denen das preisgüns­tigste schwefelhaltige Schweröl nicht mehr oder nur noch mit kostspieliger Abgasreinigung verwendet werden darf. Einsparung von Brennstoff und CO2 ist heute wieder ein Topthema.

Der Preis eines Leitrades wird wesentlich vom Kupferpreis sowie von den Energiekos­ten für den Gussvorgang beeinflusst. Beide Parameter sind heute, wie auch die Fertigungslöhne, im Vergleich zu den 1980er Jahren deutlich höher. Der Preis für ein Leitrad dürfte nach überschlägigen Abschätzungen heute auf Euro-Basis nicht mehr als das Dreifache des damaligen Preises betragen. Angesichts der oben genannten Brennstoffpreise (ca. viermal so hoch wie zur Blütezeit des Leitrades) wäre in jedem Falle eine kurzfristige Amortisa­tion gegeben.

Es wäre jedoch mit Sicherheit eine Überarbeitung der Blattdimensionierung notwendig, um die schlanken Leitradflügel fest genug für den Kontakt mit großem Treibgut und Eisschollen zu machen. Weiterhin müsste eine gründliche konstruktive Aktualisierung der Leitradlagerung erfolgen, um diese »resistent« gegen das Eindringen von Seewasser zu machen und so einen sicheren Betrieb mit langen Inspektionsintervallen zu gewährleisten.

Ohne Frage könnte das Grim’sche Leitrad auch heute für etliche Anwendungen in der Handelsschifffahrt eine sehr effiziente Lösung bieten, wenn man die Erkenntnisse aus den Schadensfällen der Vergangenheit bei künftigen Konstruktionen berücksichtigen würde. Dafür stehen heute ganz andere Analysewerkzeuge zur Verfügung als in der Pionierzeit vor fast 30 Jahren. Vom früheren Vorstand des Germanischen Lloyd, Prof. Gerhard Gütschow, stammt die Aussage während der Zeit der Leitradverluste, es sei eine Schande für den deutschen Schiffsmaschinenbau, dass man die technischen Probleme noch nicht gelöst habe.

Aktuelle Herausforderungen an den mechanischen Elementen der riesigen Offshore-Windkraftwerke (Durchmesser über 100 m) zeigen, dass keine Innovation je ohne Anfangsschwierigkeiten eingeführt worden ist, aber auch, dass man in notwendige Analyse- und Entwicklungsarbeit gern investiert und dadurch maschinenbauliche Probleme schnell lösen kann, wenn nur das wirtschaftliche Interesse groß genug ist. Beim Demonstrationsprojekt »Growian« (Große Windenergieanlage), das mit 3 MW bereits die Größe heutiger Offshore-Windkraftanlagen aufwies, hatte man 1987 wegen der vielen Probleme mangels wirtschaftlicher Perspektive noch aufgegeben.

Dass Grims innovatives Leitrad tatsächlich über Jahrzehnte zuverlässig seinen Dienst im rauen Schiffsbetrieb versehen kann, zeigt eine kürzlich erhaltene Nachricht vom neuen Betreiber des Forschungsschiffes »Gauss«, der Seismikfirma Fugro: Bei der letzten Dockung im Jahr 2010 habe man das Leitrad inspiziert und alles in guter Ordnung und Funktion gefunden, und das 30 Jahre nach der Installation! Diese Nachricht hätte Grim für viele schlaflose Nächte entschädigt.


Dr.-Ing. Klaus J. Meyne, Michael vom Baur