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Es ist an der Zeit, dass Berlin auf die Schifffahrt schaut und nicht umgekehrt die Schifffahrt hoffnungsvoll nach Berlin, meint Michael Rathmann

Die Schifffahrt in Deutschland ist an einem Punkt angekommen, an dem vermutlich nur noch politische Eingriffe eine Rettung bringen können[ds_preview]. Die Commerzbank hat Ende Juni 2012 angekündigt, sich komplett aus der Schiffsfinanzierung zurückzuziehen, eine Entscheidung zur Unzeit. Nun ja, wir sind in der Schifffahrt mit dem Verhalten der Banken in den letzten zweieinhalb Jahren dieser Krise Kummer gewohnt. Aber ein kompletter Rückzug der Commerzbank aus der Schifffahrt ist nach der vollmundigen Ankündigung aus dem Frühjahr und zuletzt noch Anfang Juni 2012 auf dem Hamburger Schifffahrtsdialog, dass die Schiffsfinanzierung ein Standbein im Geschäftsfeld der Commerzbank sein soll, ein nicht nachvollziehbarer Paradigmenwechsel.

Es hat einen faden Beigeschmack, wenn sich ein mit Steuergeld unterstütztes Kredit­institut, das zudem im Teilbesitz des Bundes ist, von einem Tag auf den anderen aus der Schifffahrt verabschieden will. Um den maritimen Standort Deutschland zu sichern, sind von der Bundesregierung Engagement und Entscheidungen gefragt, aber scheinbar hat Berlin noch gar nicht begriffen, worum es momentan in der Schifffahrt geht und welche Folgewirkungen deren Aus in Deutschland hätte.

Ursachen der Krise

Um die Sensibilität für die Probleme des Wirtschaftszweiges Schifffahrt in Berlin zu wecken, soll der Lauf der Dinge kurz skizziert werden, denn dieser Wirtschaftszweig benötigt dringend Hilfe, sonst droht der Verlust vieler Arbeitsplätze. Vier sehr schwierige Jahre haben besonders die Containerschifffahrt in Deutschland in existenzielle Not gebracht. Das Thema Überbauung möchte ich bewusst ausblenden. Rückblickend auf die jüngste Vergangenheit liegt das Hauptproblem in der Containerschifffahrt nämlich in dem Preiskrieg und Verdrängungswettbewerb, den die großen Linienreedereien, allen voran eine aus unserem Nachbarland Dänemark, im Jahr 2011 erbittert untereinander ausgetragen haben. Dieser Versuch, Wettbewerber aus dem Markt zu drängen, ist kläglich gescheitert, und wie in jedem Krieg gab es am Ende der Schlacht nur Verlierer.

Durch die Senkung der Frachtraten für den Transport von Containern auf den Langstrecken haben die großen Linienreedereien im Jahr 2011 ungeheure Verluste erlitten, zum Teil im dreistelligen Millionenbereich. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Raten für den Transport eines Containers von Asien nach Europa zuletzt im Dezember 2011 bei 470 $ lagen. Kosten­deckend sind die Frachtraten erst ab ca. 1.100 $. Da solche Verluste nur eine begrenzte Zeit verkraftet werden können, besann man sich im ersten Quartal 2012 eines Besseren. Die Frachtraten wurden in mehreren Schritten deutlich nach oben gesetzt und mittlerweile liegt das Niveau wieder in einer lukrativen Gewinnzone. Normalerweise folgen die Charterraten den Veränderungen der Frachtraten in engem Abstand. Deswegen gingen die Charterraten ab Frühsommer 2011 deutlich nach unten und lagen am Jahresende nur noch knapp im Bereich der Schiffsbetriebskosten. Aber mit dem Aufschwung der Frachtraten für den Containertransport ab Ende des ers­ten Quartals 2012 haben sich die Charterraten dieses Mal nicht mit nach oben entwickelt, sondern verharren auf dem Niveau des Tiefstandes von Ende 2011. Fatalerweise ist sehr deutlich zu sehen, dass die großen internationalen Linienreedereien, die an dieser Entwicklung Schuld sind, überhaupt kein Interesse daran haben, dass sich die Charterraten in absehbarer Zeit wieder erholen. Diese werden niedrig gehalten und eine Verbesserung des Chartermarktes ist nicht abzusehen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist dies logisch und verständlich, weil nur so die Extremverluste des Jahres 2011 kompensiert und nachhaltig Gewinne erzielt werden können. Ethisch und moralisch kann man dieses Vorgehen nur verurteilen, denn die aktuelle Krise ist durch das Verhalten der großen Linienreedereien im letzten Jahr ausgelöst worden und bedroht in Deutschland mittlerweile die gesamte Containerschifffahrt in ihrer Existenz. Das aber ist nicht das Problem der Linienreedereien, denen ist es völlig egal, wo sie Chartertonnage bekommen.

Die niedrigen Charterraten, die seit dem Frühsommer 2011 gezahlt werden, reichen gerade aus, um davon die Schiffsbetriebskosten und Zinsen zu bedienen. Tilgungsleistungen sind nur eingeschränkt möglich. Da aber Tilgungsleistungen planmäßig erbracht werden müssen, nimmt an diesem Punkt der Circulus vitiosus seinen Lauf. Aufgrund eines Schriftwechsels, den ich mit dem maritimen Koordinator Hans-Joachim Otto, dem Verband Deutscher Reeder, dem Berichterstatter für maritime Wirtschaft Eckhardt Rehberg (MdB) und der Handelskammer Hamburg, geführt habe, ist ein Hinweis unisono auffällig. Nach Aussagen der schiffsfinanzierenden Banken stellen Finanzierungsprogramme des Staates keine Lösung für die aktuellen Probleme

in der Schifffahrt dar. Vielmehr wollen die schiffsfinanzierenden Banken gemeinsam mit den Reedern und den Eigenkapitalgebern Lösungen finden. Sind wir in einer »Realsatire« angekommen oder handelt es sich um eine Kontradiktion bisher gelebter Praxis? Ich bin mir nicht sicher, ob die Banken von der gleichen aktuellen Krise sprechen, die uns schon seit vier Jahren begleitet. Vor vier Jahren waren die Probleme nicht anders und die Reaktionen der Banken darauf unterschieden sich nicht einen Deut davon, wie die Banken heute »Lösungen« mit den Reedern und Eigenkapitalgebern finden wollen. Wenn die Banken das Problem in der Schifffahrt nicht sehen und staatliche Hilfen ablehnen, vermutlich außer der, die sie selbst erhalten haben, dann verkennen die Banken, dass sie selbst das originäre Problem in der gegenwärtigen Situation sind.

Die Themen Basel II und III sind die Rettungsanker, mit denen die restriktive Geldvergabe der schiffsfinanzierenden Banken gerechtfertigt wird. Deswegen wird bei jeder Anfrage nach Tilgungsstundungen, Betriebsfortführungskonzepten und Betriebsmittelfinanzierungen zur Überbrückung von Schwierigkeiten sofort der Ruf nach der Mitwirkung der Gesellschafter und deren Bereitschaft zur Bereitstellung von Liquidität laut. Mit dieser Maßnahme versuchen die Banken auf sehr billige Weise, die Überbrückungsfinanzierung abzuwälzen, um die ohnehin sehr dünne Eigenkapitalhinterlegung nicht schmälern zu müssen. Klappt dies nicht, wird oftmals die Reißleine gezogen, gnadenlos auch bei bereits komplett entschuldeten Schiffen. Da zeigen die Banken in der Krise ihr wahres Gesicht, obwohl sie mit ihrem Verhalten in der Vergangenheit Mitschuld an der Situation tragen. Wurde in der Hochphase des Marktes fast alles finanziert, was annähernd schwimmfähig war, so kehrt man sich jetzt ab und verwertet Schiffe, deren Kredite ohnehin bereits wertberichtigt sind. Betriebsmittelkredite sind ein Fremdwort, das unisono aus dem Vokabelschatz der Banken gestrichen wurde. Verlangt werden stattdessen Liquiditätseinschüsse der Reeder und Eigenkapitalgeber. Flankierend werden die Kreditmargen zum Teil mehr als verdoppelt – eine zusätzliche starke Belas­tung und extrem kontraproduktiv in dieser Situation!

Loan-to-value und 105-%-Klausel sind die Reizworte, mit denen der Schifffahrt das Leben extrem schwer gemacht wird. Dass in einem aktuell desolaten Markt, der sich erst einmal erholen muss, eine Loan-to-Value-Klausel zwangsweise greifen muss, ist doch logisch, weil ein vorübergehender Werteverfall bei den Marktpreisen der Schiffe stattgefunden hat. Aber ist dieses Bewertungsschema überhaupt noch haltbar? Die Zinsswaps mit bedingtem Kapital­tausch in den japanischen Yen waren keine Idee aus der Schifffahrt, vielmehr wurden sie der Schifffahrt von den Banken aufgeschwatzt. Komisch, daran erinnert sich heute kein Banker mehr, aber nachdem der bedingte Kapitaltausch in den japanischen Yen ausgeübt wurde, waren die Banker sofort mit der 105-%-Klausel präsent, wenn diese verletzt war – und das war sie überall. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde auf der nordfriesischen Insel Nordstrand für solche Scheinheiligkeit ein passender Ausdruck geprägt: »Oh, ihr Pharisäer!«

Was kommt auf uns zu?

Sofern bei den derzeitigen Charterraten und beim Verhalten der Banken der Status quo nicht verändert wird, hat die Schifffahrt keine Chance. Im Gegenteil, die Branche treibt in Masse auf die Insolvenz zu und die Banken werden im nächsten Jahr die Sense schwingen und durch die Verwertung der Schiffe der Schifffahrt den Garaus bereiten. Verbessert sich aber der Markt und die Second-Hand-Preise ziehen wieder an, besteht die große Gefahr, dass die Banken bei Erreichung des jeweiligen Kreditlevels den sofortigen Verkauf der Schiffe erzwingen.

Egal, welche dieser beiden Varianten zum Tragen kommen sollte, für ausländische Käufer, insbesondere die griechische Reederschaft, werden die Aufkaufkonditionen sehr attraktiv mit Beleihungen von 80–85 % und sehr angenehmen Terms in der Vertragsgestaltung ausgestattet sein. Selbstredend werden diese Kredite von den Banken gewährt, die die Schiffe verwerten und die es zeitgleich ablehnen, der deutschen Schifffahrt weitere Kredite zu geben.

Die ironische Frage, woher die griechischen Reeder die Mittel haben, die Schiffe zu kaufen, halte ich für akademisch, aber es würde mich auch nicht überraschen, wenn deutsche Schiffe mit deutschen Rettungsgeldern von Griechen gekauft würden. Die neuen Eigentümer der Schiffe können nach Erwerb ungerührt fast jede Ratenentwicklung im Chartermarkt problemlos mitmachen und die Banken haben wieder »saubere« Bilanzen. Auf diese Art und Weise kann man sehr nachhaltig und in kürzester Zeit eine ganze Industrie vernichten.

Im Zusammenhang mit dem drohenden Niedergang der deutschen Schifffahrt sprechen wir von einem ganzen Industriezweig, der in seiner Existenz bedroht ist. Es geht nicht allein um die deutschen Seeleute auf den Schiffen, dies sind bei insgesamt rund 1.500 Containerschiffen ca. 4.500 Bundesbürger. Gravierender ist das direkt mit der Schifffahrt befasste Personal an Land. Dies dürften in Deutschland über alle Schifffahrtstandorte hinweg rund 50.000 Menschen sein. Darüber hinaus besteht ein erhebliches Gefährdungspotenzial im Bereich der Folgewirtschaft. Hier sind in erster Linie Emissionshäuser, Treuhandgesellschaften, Rechtsanwaltskanzleien, Notariate, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs­gesellschaften zu nennen, welche die spezielle Zielrichtung Schifffahrt haben. Sicherlich geht die Zahl der direkt bedrohten Arbeitsplätze in den Bereich von weit über 150.000 Beschäftigten. Die Schifffahrt mit allen Nebenbereichen beschäftigt in Deutschland ca. 380.000 Menschen! Ein Aus für den Schifffahrtstandort Deutschland bedeutet einen sozialen Folgeschaden im Milliardenbereich. Aber es geht noch weiter mit den negativen Folgen. Deutschland zählt sicherlich zu den bedeutendsten Schifffahrtsnationen weltweit. Hier ist ein unglaubliches Know-how auf der technischen und kaufmännischen Seite vorhanden, das unwiederbringlich verloren ginge. Ob man dieses Risiko in Deutschland eingehen soll?

Welche Lösungsansätze gibt es?

Um in Not geratenen Schiffen zu helfen, könnte die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) einen Betriebsmittelfonds auflegen. Damit gewänne man Zeit, um die Krise zu überstehen. Natürlich lohnt dies nicht für alle Schiffe – vor allem nicht bei solchen, die älter als 13 oder 14 Jahre sind und die dritte Klasse noch vor sich haben. Die Flexibilisierung der bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hinterlegten Ratingmodelle für die Schifffahrt ist erforderlich. Diese basieren auf den Marktwerten der Schiffe und infolge der Krise auf extrem gesunkenen Werten. Das macht die Schiffsfinanzierung zu einem schwierigen und teuren Geschäftsfeld. Hier sollten vorübergehende Anpassungen vorgenommen werden, damit die schiffsfinanzierenden Banken eine Erleichterung bei der Fortführung der Kreditengagements erhalten. Eine Aussetzung der sogenannten Dreijahresfrist würde den Banken und den Reedereien eine große Hilfe sein.

Zudem müssen sich die Bewertungs­methoden der Schiffe ändern. Der Wert der Schiffe sollte in Anlehnung an die Bewertung von Immobilien und Flugzeugen nach einer Discounted-Cash-Flow-Methode berechnet werden. Der so ermittelte Long Term Asset Value (LTAV) zeigt einen objektiveren Wert der Schiffe, welcher sich nicht an der aktuellen Marktsituation orientiert, sondern viele Parameter berücksichtigt und dem Schiff so einen echten Wert auf mittlere Sicht (Fair Value) gibt. Dadurch würden zyklische Spitzen in den Märkten egalisiert und man käme weder zu Über- noch zu Unterbewertungen. Auch muss die derzeitige Realisierung von minimalen Verwertungserlösen unbedingt die Bewertung der Unterschieds­beträge beim Wechsel zur Tonnagesteuer noch einmal auf den Prüfstand bringen. Die festgestellten Unterschiedsbeträge und die tatsächlichen Realisierungen von Vermögensverfall z. B. infolge von Verwertungen im Rahmen einer Insolvenz führt zu steuerlichen Belastungen, die bei der Schaffung dieser Gesetzesnorm sicherlich so gar nicht gesehen werden konnten und heute zu extremen Härten führt. Auch hier ist durch die gegenwärtige Marktsituation ein dringender Handlungsbedarf gegeben.

Fazit

Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem nur schnelles und unbürokratisches Handeln der Bundesregierung helfen kann, einen ganzen Wirtschaftszweig am Leben zu erhalten, um ein temporäres Problem zu überstehen. Die Folgen wären deutlich negativer! Die Hilfe hätte in meinen Augen einen weit höheren Stellenwert als sämtliche Hilfen für südeuropäische Länder, die uns im umgekehrten Falle vermutlich hängen lassen würden.

Michael Rathmann