Print Friendly, PDF & Email

Wie trainiert man die Besatzungen von Kreuzfahrtschiffen im Umgang mit Gefahrensituationen? Eine mögliche Antwort auf diese Frage sind »Serious Games«. beschreibt die Vorteile dieser hilfreichen virtuellen Methode

Dreitausend Menschen vergnügen sich bestens in oder auf einem schwimmen­den Luxushotel. Alles ist getan, damit sie sich wohl fühlen[ds_preview] und ihre Alltagssorgen ein paar Tage vergessen. Eintau­send Bedienstete kümmern sich rund um die Uhr, um den Gästen ein unvergessliches Erlebnis zu ermöglichen. Probleme oder gar Gefahren sind das allerletzte, was den Gästen in einem solchen Umfeld durch den Kopf geht.

Doch die Bediensteten wissen, dass die Katastrophe nicht unmöglich ist, wenn auch sehr unwahrscheinlich. Und das wissen auch die Besitzer des Hotels und die Instanzen, denen es obliegt, die Unversehrtheit der Gäste zu garantieren. Folgerichtig wird verlangt, dass sich die Bediensteten und ihre Chefs auf eventuelle Ausnahme­situationen vorberei­ten und fähig sind, im Falle des Falles das zu tun, was die Sicherheit der Gäste garantiert.

Der Ausdruck »fähig sein« impliziert Aktion: Er oder sie ist fähig, etwas zu tun. Auf einem Passagierschiff kann das für den Fall der Vorbereitung einer Evakuierung be­deuten, dass die betreffende Person (Besatzungsmitglied) fähig ist, zu erklären, zu begleiten, zu helfen, zu beruhigen. Auf Englisch wird dies als »Crowd Management« bezeichnet. Eine mögliche Definition wäre auch: »die Fähigkeit, eine große Ansammlung von Menschen in einer kritischen Situation panikfrei und geordnet zu führen«.

Die zuständigen Instanzen wie die IMO und die Flaggenstaaten haben erkannt, dass Aus- und Weiterbildung der Besatzungen nötig ist, wenn man die Passagiere so sicher wie menschenmöglich transportieren und begleiten will. Außerdem tragen andere Betroffene wie Versicherer und Reeder selbst zum Erhalt dieser Sicherheit bei. Aus- und Weiterbildung findet statt, sie wird reglementiert und überprüft.

Trotz alledem ist das Vertrauen in den Erfolg der Maßnahmen begrenzt; viele – und nicht zuletzt die »Objekte« der Ausbildung, sprich Besatzungen und Passagiere – sind nicht überzeugt, dass kritische Sicherheits­situationen wirklich gemeistert werden können. Da fragt man sich: Wie kann das sein? Was stimmt da nicht? Gibt es vielleicht einen besseren Weg auszubilden?

Kommen wir zurück auf das eigentliche Ziel: fähig sein, etwas zu tun. Schauen wir jetzt, was gelehrt und gezeigt wird, z. B. im STCW-Kurs zur Sicherheit auf Passagierschiffen. Man könnte es überspitzt so ausdrücken: fähig sein, zuzuhören; fähig sein, zu wissen.

Es ist ein bisschen wie ein Kochkurs ohne Küche: Es werden Rezepte gegeben, aber es gibt keinen Herd, keine Lebensmittel, keine Messer usw. Da ist es kein Wunder, dass die Gerichte, welche die Kursteilnehmer Monate oder Jahre später zubereiten, kaum Leckerbissen sein werden.

»Crowd Management« ohne Menschenmassen, ohne Krisensituation, fern von dem eigentlichen Einsatzort (dem Schiff), in einer gemeinsamen Sprache, die alle verstehen (oder auch nicht; wer merkt das denn im Trainingszentrum schon, es gibt ja für den STCW-Kurs nicht einmal eine richtige Prüfung). So ist ein Wunder, dass die später produzierten Gerichte (um beim Kochkursbeispiel zu bleiben) überhaupt genießbar sind. In anderen Worten: Hut ab vor der Leistung der Hotel-und Restaurant-Bediensteten der »Costa Concordia«, die unter den schwierigsten Umständen eine außergewöhnliche Leistung vollbrachten.

Doch was sollte man anders machen? Ein Schiff 24 Stunden lang vollkommen lahmlegen, 2.000 Freiwillige darauf versammeln, ein Feuer simulieren und dann die Evakuierung vorbereiten? Etwa dieses Szenario regelmäßig durchspielen, um Tausende von Besatzungsmitgliedern zu trainieren? Das scheint in der Tat ideal. Noch besser wäre es, dies auf dem Schiff zu machen, wo der Steward oder die Bedienung dann auch arbeitet und dabei die spezifischen Reedereiprozeduren und Anordnungen zu beachten.

Ideal wäre es vielleicht, aber wirtschaftlich und organisatorisch nicht verwirklichbar. Zudem wäre eine solche Übung nicht einmal vollkommen ideal, da der wirkliche Stress einer Krisensituation dennoch nicht zu 100 % gespürt würde und außerdem extreme Situationen wie von Panik ergriffene Passagiere oder Schwierigkeiten mit dem Material nicht unbedingt auftreten. Also doch: Weitermachen wie bisher und vielleicht, wie auf manchen Fischkuttern, eine ewig brennende Kerze für den oder die Schutzpatron(in) installieren?

Jede Krise ist anders und kann niemals zu 100 % »vorgespielt« werden – das ist klar. Aber der Ausdruck »vorspielen« weist in eine interessante Richtung und eröffnet vielversprechende Möglichkeiten. Warum das Schiff nicht virtuell benutzen und mit virtuellen Passagieren in einer sehr realen Situation, aber in virtueller Umgebung ausbilden?

Dieser Ansatz entwickelt das Simulationskonzept weiter und nennt sich »Serious Game«, wenn man so will: »Ernstfallspiel«. Die Streitmächte z. B. der USA bedienen sich dieser Möglichkeit schon seit Längerem.

Aber was ist so besonders an einem »Serious Game«? Was sind seine spezifischen Vorteile in der Seefahrtswelt? In Stichworten liest sich das wie folgt:

• Der Kursteilnehmer wird zum Handelnden, er produziert statt zu konsumieren.

• Seine Fähigkeiten sind sofort, automatisch und zuverlässig messbar.

• Die Ausbildung und Beurteilung kann dezentral, ortsunabhängig und ohne Anwesenheit eines Ausbilders stattfinden.

• Kompetenzen wie Entscheidungen treffen, kommunizieren, Situationsdynamik erkennen, im Team arbeiten werden beigebracht und erprobt.

• Die Kurse (Spiele) können verschiedene Schwierigkeitsgrade integrieren, sind also entwickelbar und dem Lernfortschritt des Kursteilnehmers anpassbar.

• Die Spiele können die tatsächliche berufliche Wirklichkeit des Auszubildenden berücksichtigen (Prozeduren, Schiffslayout und Ausstattung).

• Die in der Wirklichkeit auftretenden Krisensituation können mit allen Folgen von falschen Entscheidungen durchgespielt werden.

• Der natürliche Wettbewerbsgeist wird geweckt (wer ist der Beste?).

• Das Medium (Videospiel) spricht die jüngeren Generationen (die Zukunft) an.

• Der Auszubildende lernt nach seinem eigenen Rhythmus; Fehler machen wird in einer Spielumwelt leicht akzeptiert, weil man das Spiel wiederholen kann.

• Einmal produziert und bezahlt, kann das Spiel beliebig oft wiederverwendet werden (der ausgebildete Seemann nimmt, wenn er die Reederei verlässt, nicht das ganze Wissen mit; mit seinem Nachfolger muss nicht bei null angefangen werden).

Vieles von dem, was hier angeführt wird, gilt selbstverständlich auch für das sogenannte »Computer Based Learning« (CBL). Andere Elemente finden sich in der Simulationstechnik wieder. Was wären also die speziellen und zusätzlichen Vorteile von »Serious Games« Eine Zusammenfassung ergibt die folgende Liste:

• Bei dem dynamischen Ansatz wird die Mensch-Mensch-Schnittstelle insofern dargestellt, dass zwei verschiedene Personen, die es »richtig« machen oder zweimal das gleiche Spiel wiederum »richtig« spielen, nicht automatisch zu demselben Ergeb­nis kommen, denn Menschen reagie­-

ren und entscheiden nicht immer rational.

• Krisensituationen mit Risiken und Ausfällen (Material- und Personenschaden) können dargestellt werden; falsche Entscheidungen ergeben neue Situationen; wie im richtigen Leben geht es weiter und man muss mit den Konsequenzen seiner Entscheidung leben.

• Wenn in der Konzeption des »Serious Game« der Spielaspekt ernst genommen wird und eine entscheidende Rolle einnimmt, wird gelernt, ohne es zu merken (Kommentar eines Kursteilnehmers auf die Frage, was das Spiel ihm Neues gebracht hat). Der Lernprozess ist beinahe unbewusst – das ist spannend, schafft Motivation und wird nicht nur im Kurzzeitgedächtnis gespeichert.

• Damit später praktisch Anzuwendendes (z.B. einen in Panik geratenen Passagier zu beruhigen) wirklich assimiliert wird, müssen Kopf, Herz und Hand angesprochen werden. Die klassische Klassenzimmerausbildung ist fast vollständig auf den Kopf ausgerichtet. In einem Videospiel dagegen kann ich Emotionen wachrufen und dann einbinden (Stimmfärbungen, Laute, z.B. Kinderweinen); damit verankere ich Gelerntes, also richtige Reaktionen, die dann in Stress­situationen problemfrei abrufbar sind.

• Es ist möglich, Spiele zu entwickeln, welche auf verschiedenen Hierarchie-Niveaus und mit mehreren Spielern funktionie­ren. Dabei beeinflussen die Aktionen und Entscheidungen der einzelnen Spieler die Möglichkeiten der anderen Spieler (auf Englisch: Multi-Player, Multi-Level).

• Tendenzen der Persönlichkeit des Spielers werden erkennbar – in den Extremen die Person, die immer zunächst alles versucht, um allein klar zu kommen, und auf der anderen Seite die Person, die immer sofort Hilfe in der Hierarchie sucht (Entscheidungsfreude – Entscheidungsangst, Kommunikationsbereitschaft – Kommunikationsabneigung).

• Nicht zuletzt wird, wie schon erwähnt, die Freude am Wettbewerb geweckt. Das kann so weit gehen, dass ein Spieler Abkürzungen sucht oder sogar täuscht. Dies ist umso besser, denn so wird diese Charaktereigenschaft im Spiel entdeckt und nicht erst in der Wirklichkeit an Bord.

• Schließlich gibt es einen durchaus zu erwähnenden Hardwarevorteil, da kein komplizierter und teurer Simulator benötigt wird – ein Laptop reicht.

Was sind also die wichtigen Charakteristika eines Spieles und worin liegt der Vorteil für eine wirksame Ausbildung?

• Ein Spiel ohne bekannte und im Verlauf nicht veränderbare Regeln kann nicht funktionieren: Die Regeln sind von IMO, Flaggenstaat und Reederei vorgegeben.

• Man weiß nie, wie es ausgeht – gewinnen (Erfolg haben) ist nicht garantiert, selbst wenn ich das Spiel sehr gut kenne und spiele: Jede Krisensituation ist anders, besonders in der Multi-Player/Multi-Level- Anwendung wird es nie langweilig und das Besatzungsmitglied hat nie ausgelernt.

• Hat man verloren, kann man wieder neu anfangen; Niederlagen werden somit akzeptiert. Die Ausbildung ist nicht nach ein paar Stunden am Simulator oder im Klassenzimmer beendet, ein Misserfolg wird nicht persönlich genommen, nicht einem Ausbilder zugeschrieben.

Gut und schön, wird mancher sagen, aber die Seefahrt hat weder das Budget der US-Armee noch die Zeit für solche »Spielereien«. Das ist zurzeit noch die Einstellung vieler Menschen, die in der Seefahrt etwas zu sagen haben. Probleme im Tagesgeschäft, Zeitmangel, Unkenntnis (wer hat schon ein solches Spiel gesehen und gespielt!?), keiner will der Erste sein, der sich ins (vermeintlich) kalte Wasser wagt, es gibt (noch!) keinen Gesetzes- oder Konventionszwang – all das scheinen schlagkräftige Gründe zu sein, erst einmal abzuwarten.

Schade, denn die Technologie existiert, es gibt erste Verwirklichungen des Konzeptes für die Passagierschifffahrt, und die gesetzliche (STCW, IMO) Verpflichtung, Krisenmanagement zu trainieren, besteht bereits auch. Da stellt sich schon die Frage, wie die Entscheidungsträger das (Krisenmanagement trainieren) schaffen wollen, ohne den »Serious Games«-Ansatz zu integrieren.

Autor: Knud Kusche

CEFCM, Lorient/Frankreich

knud22@orange.fr


Knud Kusche