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Auf Brasiliens Werften herrscht Hochbetrieb. Aber wegen deren Mangel an Erfahrung im Schiffbau gibt es für die Kunden oft Auslieferungsprobleme.

Diesmal war es eine eher bescheidene Feier: Ende Mai stach der brasiliani­sche Tanker »João Cândido« in Gegenwart von Eduardo[ds_preview] Campos, Gouverneur des Bundesstaates Pernambuco, und Graça Foster, Vorstandsvorsitzende des Ölkonzerns Petrobras, zu seiner ersten Dienstfahrt in See. Vom Atlantikhafen Suape bei Recife ging es südwärts in die Bucht von Campos, wo die »João Cândido« eine Million Barrel (137.000 t) Rohöl als Fracht an Bord nahm.

Zwei Jahre früher waren zum Stapellauf des Tankers noch Staatspräsident Luiz Inácio (Lula) da Silva und seine heutige Amtsnachfolgerin Dilma Rousseff erschienen. Doch auf die damals mit viel Vorschuss­lorbeeren bedachte Schiffstaufe folgte zunächst eine Serie technischer Pannen. Bei den Probefahrten des Tankers stellten sich Schäden am Wasser-, Dampf- und Ölkreislauf heraus; außerdem drang durch Risse an den Schweißnähten Wasser in den Rumpf, sodass das zur Suezmax-Klasse gehörende Schiff auf Grund lief. Erst nach 20 Monaten dauernder Reparaturarbeit war es schließlich einsatzfähig; seine Gesamtkosten beliefen sich danach auf etwa 215 Mio. €.

Ursprünglich war die »João Cândido« das erste Schiff, das die Reederei-Tochter Trans­petro von Petrobras im Rahmen ihres Flotten-Erneuerungsprogramms (Promef) von 2005 bei der Werft Estaleiro Atlântico Sul (EAS) in Auftrag gegeben hatte – neun weitere Tanker des gleichen Typs stehen bei EAS noch in den Büchern. »Wir entschieden uns damals zur Auftragsvergabe an eine einheimische Werft, obwohl uns bewusst war, dass Brasiliens Schiffbauindustrie geraume Zeit brauchen wird, um sich von ihrem Niedergang vor 20 Jahren völlig zu erholen«, erläutert Transpetro-Chef Sérgio Machado (siehe auch Interview auf S. 101). Schließlich hätten ja auch Japan und Südkorea keine funktionsfähige Werftenbranche über Nacht hochgezogen.

Doch dass es so schlimm kommen würde, ahnte das Topmanagement von Petrobras/Trans­petro wohl kaum. Entsprechend wuchs der Verdruss von Unternehmensleitung und Regierung angesichts immer neuer Verzögerungen nicht nur bei der »João Cândido«. Machado drohte darum kürzlich, alle Lieferanten, an die sein Unternehmen Aufträge erteilt habe, unter strikte Aufsicht des Kunden zu stellen und Bestellungen auszusetzen oder gar zu kündigen, bis die betreffenden Werften nachwiesen, dass sie termintreu zu arbeiten imstande seien. Allein bei EAS ginge es da um 16 von insgesamt 22 Orders. Um die Probleme bei der Auslieferung der 16 Tanker im Wert von etwa 2,15 Mrd. € zu lösen, gab Machado der Werft eine Frist bis Ende August.

EAS-Vorsitzender Agostinho Serafim jr. führt die Mängel an der »João Cândido» und die verzögerte Auslieferung auf zwei Faktoren zurück, für die seine Werft nicht allein haftbar gemacht werden könne. Einer dieser Faktoren ist der ungünstige Standort: Genau wie eine neue Raffinerie von Petrobras oder die jüngste Autofabrik von Fiat entstand auch EAS – dank üppiger öffentlicher Ansiedlungshilfen – im noch stark landwirtschaftlich geprägten Nordosten Brasiliens. Deshalb mussten von den 7.000 Beschäftigten, die im Herbst 2011 dort tätig waren, fast drei Viertel in aller Eile zu Werftarbeitern umgeschult werden – Unzulänglichkeiten waren damit vorprogrammiert. Sogar 80 Schiffbauingenieure studierten zunächst noch auf Kosten der Werft im 3.000 km entfernten Rio, weil die Universität im nahegelegenen Recife keine entsprechenden Fachkurse anbot.

Zum anderen haperte es gewaltig bei der Ausrüstung der Werft. Zwei 40 m hohe Brückenkrane einer chinesischen Maschinenbaugruppe trafen nicht planmäßig in Suape ein, weil der Lieferant Konkurs anmeldete. Deshalb waren zum Bau der »João Cândido« noch 250 Stahlkomponenten nötig; Werften in Singapur und Südkorea setzen einen Öltanker aus 22 bis 28 solcher »Mega­blöcke« zusammen. Serafim jr. hofft aber, die Zahl der Komponenten schon beim Bau des nächsten Tankers auf die Hälfte drücken zu können und ab dem vierten einen Wert zu erreichen, der den Produktivitätsnormen von Werften in Asien entspricht.

Nach dem Debakel mit der »João Cân­dido« zog sich die koreanische Samsung-Gruppe, die bis dahin 6 % am EAS-Konsortium hielt, aus der Unternehmung zurück. Es gehört jetzt vorerst je zur Hälfte den beiden brasilianischen Baukonzernen Camargo Corrêa und Galvão Queiroz. Sie suchen nun nach einem dritten Partner, der für 400 Mio. $ einen Anteil von 30 % an der Werft bekäme. Als Technologiepartner sind dabei Mitsui und Mitsubishi aus Japan, die polnische Firma Remontowa sowie ein norwegisches Unternehmen im Gespräch.

Derweil rührt sich bei einem halben Dutzend anderer brasilianischer Schiffbaubetriebe einiges. Die Mauá-Werft in Niteroi lieferte im Sommer dieses Jahres als ihren zweiten Großauftrag den Transpetro-Tanker »Sérgio Buarque de Holanda« aus. Allerdings nahm auch dieses Schiff seine Dienstfahrten verspätet auf – bei seinem Vorgänger »Celso Furtado« hatte die Verzögerung sogar 13 Monate betragen. Transpetro-Chef Machado belegte den saumseligen Lieferanten darum seinerzeit mit einem erheblichen Preisabschlag in Höhe von 800.000 €.

Der wichtigste Kunde der neu entstehenden brasilianischen Schiffbauindustrie ist bislang noch die Offshore-Branche. »Dank ihr verfügen die Unternehmen unseres Verbandes für die nächsten 20 Jahre über einen klar kalkulierbaren Bedarf«, unterstreicht Arioval­do Rocha, Vorsitzender der Vereinigung Sinaval.

Allmählich jedoch diversifizieren die Schiffbauer ihr Angebot. So soll die EISA-Werft auf der sogenannten Gouverneursinsel im Hafen von Rio zum Beispiel für die zur Hamburg-Süd-Gruppe gehörige Reederei Aliança zwei oder drei Containerschiffe mit einer Kapazität von 4.000 TEU herstellen. Über den Zeitplan und die Finanzierung durch den Subventionsfonds für die brasilianische Handels­marine (FMM) verhandelten Lieferant und Kunde im Sommer noch. EISA baute bereits zwei Containerschiffe für den Aliança-Konkurrenten Log­In und verbuchte weitere Be-

stellungen durch diese Firma.

Das koreanisch-brasilianische Joint Venture STX/OSV-Promar aus Niteroi ließ voriges Frühjahr für die norwegische Norskan-Gruppe die »Skandi Iguaçu» zu Wasser. Das Schiff kann mit einer bei Petrobras entwickelten Technologie Verankerungspfeiler für Bohrinseln (sogenannte Torpedos) präzise in den Meeresboden schießen. Norskan bezog insgesamt schon elf Schiffe von brasilianischen Werften, vier weitere sind derzeit im Bau.

Zwei seit Jahren nur teilgenutzte Schiffbaubetriebe erwachten letzthin zu neuem Leben. Die 2006 in Konkurs gegangene Caneco-Werft im Hafen von Rio war zwischenzeitlich für Reparaturarbeiten an Rio­nave und Intercan verpachtet worden. Nunmehr soll die 135.000 m2 große Anlage ge-

gen ein Mindestgebot von etwa 150 Mio. € an einen neuen Eigner versteigert werden. Nach Auskunft des Amtes für Wirtschaftsförderung der Stadt Rio zeigen vier einheimische und drei ausländische Unternehmen Interesse an einer Übernahme der Werft. Der Gewinner der Auktion muss sich freilich auch rund 220 Mio. € Altschulden aufbürden.

Lebhafter Betrieb herrscht heute auch wieder auf der Inhaúma-Werft in Rio, die vor Jahrzehnten unter der Bezeichnung Ishibras als japanisch-brasilianisches Joint Venture betrieben wurde. Im Jahr 2010 pachtete Petrobras die Anlage dann unter dem neuen Namen von der Companhia Brasileira de Diques (CBD) auf 20 Jahre zum Umbau von Schiffsrümpfen in schwimmende Förderplattformen, was bis dahin nur im Ausland möglich war. Der jüngste Großauftrag von Petrobras für Inhaúma ging kürzlich an das so genannte Paraguaçu-Konsortium der Bau- bzw. Anlagenbau-Unternehmen Odebrecht, OAS und UTC. Paraguaçu ersteigerte bei einer Ausschreibung für 1,75 Mrd. $ gegen zwei andere Bewerber den Auftrag zum Umbau von vier Förderplattformen (P-74/75/76/77). Die erste Einheit der Serie (P-74) soll ab 2017 etwa 150.000 Barrel (20 550 t) Rohöl aus der Untersalzschicht vor der Küste Brasiliens pumpen. Die Gesamtkapazität der vier Plattformen entspricht rund 30 % der heutigen Gesamtförderung des Landes.

Transpetros Muttergesellschaft Petrobras bestellte außerdem über das Reederei-Konsortium Sete Brasil bei den Werften EAS, Jurong Aracruz, Keppel Fels, Paraguaçu, Rio Grande und Ocean Rig insgesamt 33 Bohrsonden im Wert von etwa 26,4 Mrd. $ zur Auslieferung zwischen 2015 und 2020. Der Mineralölkonzern sah sich allerdings gezwungen, die erste Sonde in Singapur montieren zu lassen, weil mindestens zwei der genannten Schiffbaubetriebe noch nicht arbeitsfähig sind. Der »local content» der Bohrsonden liegt bei 55 %.

Autor: Dr. Lorenz Winter, Journalist, Rio de Janeiro riowinter@hotmail.com


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