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»Als ich Ende der 1980er Jahre zum ers-ten Mal von der Idee über den Bau eines

Containerterminals in Wilhelmshaven hörte, hielt ich diese für einen Aprilscherz.«

Im Rückblick zollt Claus Wilde den ideellen Vätern seinen Respekt

Das Aktuellste vorneweg: Am 21. Sep­tember wurde der fertiggestellte Jade­WeserPort dem Verkehr übergeben. Den ersten Schritt in das[ds_preview] Container-Logistik­geschäft haben die Wilhelmshavener also geschafft. Nun müssen die Wirtschaftsunternehmen beweisen, dass die Investitionen (grob überschlagen 1 Mrd. € – ca. zwei Drittel der Summe für die Infrastruktur und ein Drittel für die Suprastruktur) nicht nur im Wilhelmshavener Schlick verbuddelt wurden. Die Aussichten für das Gelingen dieses Beweises sind besser, als es die nun schon seit vier Jahren permanent schlechten Nachrichten über Finanz-, Wirtschafts- und Schifffahrtskrisen vermuten lassen.

Richtig, die Frachtraten der Seeschifffahrt sind im Keller. Die Schifffahrt stöhnt. Aber deshalb müssen die Häfen und die Umschlagunternehmen nicht stöhnen. Die schlechten Frachtraten in der Seeschifffahrt sind im Wesentlichen einer wenig klugen, Überkapazitäten schaffenden Flottenstrategie der Reeder, genauer gesagt der Initiatoren von Schiffsfonds, geschuldet und nicht dem fehlendem Ladungsaufkommen. So kommt es eben, wenn das Anlegerkapital, blind vor Gier nach hohen Renditen und ohne Rücksicht auf die Ratenentwicklung, Schiffe bauen will.

Der mit den Überkapazitäten erforderlich gewordene Umbau der Flottenstruktur, der in vollem Gange ist, wird den Wilhelmshavenern, beziehungsweise den Betreiber-gesellschaften, der Eurogate-Tochter Container Terminal Wilhelmshaven (70 %) und APM International (30 %), nicht schaden. APM ist eine Tochtergesellschaft der Reederei Maersk. Die großen tiefgehenden Schiffe, für die der neue Containerhafen JadeWeserPort besonders attraktiv ist, werden im Verkehr bleiben und zahlenmäßig noch zunehmen. Die kurze, weitgehend tideunabhängige Revierfahrt von ca. 23 sm ist zusätzlich attraktiv für die großen Schiffe. Dennoch, der Kampf um den Container­umschlag und mehr noch um das Wirtschaftswachstum, das sich die Wilhelmshavener von dem neuen Terminal erhoffen, wird nicht einfach. Zumal Eurogate und Maersk als Terminalbetreiber mit vielen Standorten in Europa eigene und nicht unbedingt Wilhelmshavener Interessen verfolgen und weiter verfolgen werden. Aber einfach war es noch nie an der Nordseeküs­te.

Zuerst lachte die Küste über Wilhelmshaven

Als Anfang der 1990er Jahre die ersten Promotoren des Jade-Ports, das waren alle Mitglieder der Wilhelmshavener Hafenwirtschaftsvereinigung (WHV), ihre Köpfe zusammensteckten, um über einen Containerhafen am Jadefahrwasser nachzudenken – der Name JadeWeserPort wurde erst viel später etabliert –, passten sie alle zusammen noch in ein kleines Sitzungszimmer. Freiwillig und ehrenamtlich dachten sie nach. Zu verdienen gab es damals noch nichts an diesem Projekt – außer Spott natürlich. Den kleinen Kreis um Hans-Peter Cramer, damals Geschäftsführer von Ineos Chlor Atlantik und ProLog, und den Makler John H. Niemann focht das nicht an. Sie ärgerten sich mehr darüber, dass der Sand, der im Zuge der ständigen Unterhaltungsbaggerung für die Zufahrt und die Liegeplätze der großen Tanker dem Grunde der Mündung des Jadebusens entnommen wurde, nutzlos weiter draußen wieder verklappt werden musste. Die Idee, mit diesem gewissermaßen kostenfrei zu habenden Baggergut ein Hafengelände für einen Containerhafen aufzuspülen, war naheliegend. Mindestens so naheliegend und plausibel, wenngleich ungemein friedfertiger als die Idee von Wilhelm I., dort den Kriegshafen zu bauen, dem die Stadt – zusammengesetzt aus Dörfern wie Bant, Neuende und Heppens – ihre Entstehung und ihren Namen verdankt.

Als ich Ende der 1980er Jahre, damals in der Funktion des Chefredakteurs dieser Zeitschrift, zum ers­ten Mal von der Idee mit dem Containerterminal hörte, hielt ich diese für einen Aprilscherz. Erst nach längerem Nachdenken erschien der erste Artikel mit positiver Bewertung des Projekts.

Natürlich war damals allen Beteiligten bewusst, dass dieser Containerhafen kein nennenswertes lokales Ladungsaufkommen haben würde, und auch als Verbrauchermetropole war und ist Wilhelmshaven mit seinen rund 80.000 Einwohnern – vermutlich die größte der deutschen Kleinstädte – nicht gerade berühmt. In der Stadt sind mindestens seit Kriegsende lukrative Arbeitsplätze Mangelware. Was also, so wurde gespottet, soll Reeder wohl bewegen, ihre Containerschiffe ausgerechnet nach Wilhelmshaven zu schicken?

Allerdings sind diese Kriterien, die früher für die gute Entwicklung eines Hafens zwingend Voraussetzung waren, für die moderne Containerlogistik nicht mehr unbedingt ausschlaggebend. Der Rotterdamer Hafen ist schließlich auch nicht mit Ladungsaufkommen aus Rotterdam und Umgebung zu seiner heutigen Größe gewachsen, sondern mit der Logistikkette über den Rhein. Die Hinterlandanbindung war ausschlaggebend und sie ist es auch für Wilhelmshaven. Über die vorhandene, damals schon fast bis in den Hafen reichende Autobahn und die noch auszubauende Eisenbahn, die bis dahin eingleisig und nicht elektrifiziert war, ist die Anbindung nicht schlecht. Dass das funktioniert, beweisen die Bremer mit Bremerhaven seit Jahrzehnten.

Der Hafen muss, wirtschaftlich betrachtet, nur in die Logistikkette passen. Und da das Stichwort Bremerhaven schon gefallen ist, sei angemerkt, dass die Bremer, samt Eurogate, sicherlich lieber Bremerhaven weiter ausgebaut hätten, aber das ging nur nach Niedersachsen hinein. Da allerdings hatten die Niedersachsen mit Umschlag­interessen in Cuxhaven und neuerdings nun auch in Wilhelmshaven, ganz abgesehen von ökologischen Motiven, erhebliche Einwände. Auch das war den Planern damals bewusst und deswegen ließen sie sich auch nicht beirren. Mochten die Wettbewerber an der Küste auch noch so sehr mit dem Schlachtruf »Der Jade-Port ist so überflüssig wie ein Kropf!« durch die Lobbys ziehen. »JadeWeserPort« hieß das Projekt erst, nachdem die Bremer ernsthaftes Interesse bekundeten, sich am Terminalbau zu beteiligen. Weise und weitsichtig wird man Väter der Idee nennen, wenn alles klappt – dickköpfig und selbstherrlich, wenn es nicht gut läuft. So philosophierten die Nachdenklichen schon damals.

Der lange Marsch

Die Idee hatte sich verfestigt in den Köpfen der Wilhelmshavener. Aber auch in Wilhelmshaven versetzen alleine eine Idee und der Glaube daran noch keine Sandberge. Harte Arbeit musste schon noch geleistet werden, bevor an Baumaßnahmen überhaupt gedacht werden konnte. Die WHV und mit ihr auch die damalige Ingenieur-Gesellschaft IBP um Günter Baak und Andreas Kahlfeld aus Oldenburg, die erste Planungsskizzen und Zahlenmaterial lieferten, legten sich ins Zeug und gingen mit dem Projekt an die Öffentlichkeit (etwa 1993). Vielleicht nicht Dickköpfigkeit, aber eine gewaltige Portion friesischer Beharrlichkeit, gepaart mit der Hoffnung auf eine wirtschaftlich bessere Zukunft Wilhelmshavens, gehörte schon dazu. Natürlich fehlte den Initiatoren das Geld, um ein derart gewaltiges Projekt aus eigenem Saft stemmen zu können. Wilhelmshaven selbst, mit hohen Arbeitslosenzahlen und ständiger Ebbe im Stadtsäckel geschlagen – man hatte sich nach nicht von üppigem Erfolg gekrönten Bemühungen, Industrie anzusiedeln gerade auf den Tourismus als Geldbringer festgelegt –, war kaum in der Lage, nennenswert mit Geldmitteln einzuspringen, und um das Land Niedersachsen oder gar private Investoren mit ins Boot zu holen, war eine hübsche Idee bei weitem nicht überzeugend genug. Auch Sachargumente allein halfen da nicht weiter. Sie mussten schon, wie bei jeder ordentlichen Kreditvergabe, mit handfesten Fakten untermauert werden. Das wurde den Einwerbern der Wilhelmshavener Hafenwirtschaftsvereinigung, allen voran John H. Niemann, Mitte der 90er Jahre sehr deutlich gemacht.

Also ließ die WHV zu dieser Zeit auf eigene Kosten eine erste kleine »Bedarfs­analyse« für einen Container-Mehrzweckhafen in Wilhelmshaven erstellen. Die erste Potenzialeinschätzung wurde durch das Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) in Bremen vorgenommen. Das Institut befasst sich seit seiner Gründung mit der Erfassung statistischer Daten aus der Seeverkehrswirtschaft. Auf der Basis dieser vom Institut in langjähriger Arbeit ermittelten Zahlen und Zuwachsraten im Containerumschlag und den damaligen Ausbauplänen der Wettbewerbshäfen Bremerhaven und Hamburg ermittelten die Bremer einen beachtlichen Bedarf für den Bau eines Tiefwasserhafens in Wilhelmshaven.

Das Echo auf die Studien war erwartungsgemäß gemischt. Die Wettbewerbshäfen verstärkten ihr Störfeuer. Der Umweltschutz zusammen mit den Touristikern – »rettet Wilhelmshavens einzigen Badestrand« – plante die Mobilmachung gegen das Projekt, und die Politik war dementsprechend unentschlossen. Die Köpfe hinter der Idee werteten diese Reaktionen insgesamt als ein gutes Zeichen, zeigten sie doch, dass auch die Gegner begannen, das Projekt ernst zu nehmen.

Das Ergebnis rechtfertigte aber auch den nächsten Schritt: die Anfertigung einer umfangreichen technischen Machbarkeits­studie. Geplant wurde damals für die Abfertigung von Containerschiffen der Größe 6.000–12.000 TEU. Die Obergrenze von 12.000 TEU ist heute schon überholt.

Diese Fehleinschätzung – schon seinerzeit war die achte Generation der Containerschiffe mit 18.000 TEU absehbar – ist nicht mangelhafter Weitsicht der damaligen Promotoren zuzurechnen. Der Grund dafür liegt vielmehr in den unverhältnismäßig langen Verwaltungs- und Rechtsverfahren in Deutschland.

Darüber hinaus gilt: Wer vorgibt, über 20 Jahre in die Zukunft schauen zu können, wirkt unglaubwürdig. Und da die meisten Containerhäfen weltweit – so auch Hamburg – noch Schwierigkeiten mit derart großen Schiffen haben, war abzusehen, dass diese Wettbewerber alles daran setzen würden, den Wunsch der Reeder nach noch mehr Tragfähigkeit und Tiefgang möglichst lange zu dämpfen. Da war es besser, sich nicht angreifbar zu machen. So gesehen waren die 12.000-TEU-Schiffe als Planungsgrundlage durchaus »realistisch«.

Sowohl die Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen des ISL als auch die technische Studie verfehlten ihre Wirkung nicht. Die Diskussion nahm Fahrt auf. Als diese Studie Anfang des Jahres 2000 auf dem Tisch lag, änderte sich die bis dahin weitgehend ablehnende Haltung der Hafenwirtschaft an der Küste. Eurogate, Europas größter Umschlagbetrieb, bezog erstmals eindeutig Stellung für Wilhelmshaven und bekundete, dass man bereit sei, 500 Mio. DM in die Suprastruktur des Projektes zu inves­tieren, falls der Hafen gebaut werde.

Spätestens diese Fanfare – »die Wirtschaft beteiligt sich« – war auch die Initialzündung für die Politik. Schon im ersten Halbjahr des Jahres 2000 gründete das Land Niedersachsen eine Projektgruppe für weitere Planungen und für die Konkretisierung der Finanzierungsmöglichkeiten. Das wurde damals als der große Durchbruch gefeiert, aber es folgten noch Machbarkeitsunter­suchungen für ein Containerterminal in Cuxhaven (Sellhorn Ingenieurgesellschaft) und Grundsätzliches vom unvermeidlichen Roland Berger zum Thema Bedarfs- und Standortanalyse in der Deutschen Bucht. »Und noch’n Gedicht«, so stöhnte man damals mit Heinz Erhardt, und dass nicht nur in Wilhelmshaven. Cuxhaven, das seinen Containerhafen schon immer ausbauen wollte, kam letztendlich nicht zum Zuge.

Der Berg der Gutachten wuchs weiter an und der gewollte Entscheidungsdruck nahm zu. Hamburg und Bremen erkannten offensichtlich, dass es keinen Sinn mehr machte, sich der Entwicklung in Niedersachsen entgegenzustellen. Zunächst wollte man zumindest dabei sein, und es ist wohl nicht unzulässig spekuliert, wenn man von der Annahme ausgeht, dass einige der Beteiligten mehr an Verzögerungen dachten als an Kooperation. Die üblichen Projektgruppen wurden gegründet usw. …

Knapp ein Jahr später hatte die niedersächsische Projektgruppe ihre Arbeit getan und im Jahr 2001 wurde die JadeWeserPort-Entwicklungsgesellschaft gegründet. Am 30. März 2001 einigten sich die damaligen Regierungschefs, der Niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel, Hamburgs Bürgermeister Ortwin Runde und Bremens Bürgermeister Henning Scherf, getragen vom Willen zu einer neuen gemeinsamen Hafenpolitik in der Deutschen Bucht, einen neuen Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven entstehen zu lassen. Damit war der eigentliche Startschuss für die Bauplanung gefallen und daran änderte sich auch nichts, als die Freie und Hansestadt Hamburg ein Jahr später wieder aus dem Projekt ausstieg. In einer Kabinettssitzung am 4. Juni 2002 bekräftigten die Landesregierungen Niedersachsen und Bremen die gemeinsame Realisierung des Container-Tiefwasserhafens in Wilhelmshaven. Niedersachsen und Bremen stellten für die Erstellung der erforderlichen Gutachten über 11 Mio. € zur Verfügung. Die Gutachten umfassten ausführliche Untersuchungen zu unterschiedlichen Aspekten und Wirkungen des JadeWeserPorts hinsichtlich Wirtschaftlichkeit, Umschlag, Nautik, Hydrologie und Morphologie, Verkehr, Immissionen, Belange der Menschen, Tiere und Pflanzen, so hieß es im damaligen Beschluss.

Die Macher in der WHV hatten längst erkannt, dass das weitere Verfahren ihre eigenen Kapazitäten weit übersteigen würde und traten in die zweite Reihe zurück. Die Entwicklungsgesellschaft war Herrin des Verfahrens und dann im Wesentlichen zuständig für die Vorbereitung des Planfeststellungsverfahrens.

Am 16. April 2002 – die Entwicklungsgesellschaft hatte die Hamburger IMS Ingenieurgesellschaft zur Verstärkung angeheuert, die dann später das Planfeststellungsverfahren betrieb – erfolgte der sogenannte Scoping-Termin im Gorch-Fock-Haus in Wilhelmshaven, mit umfassender Information für die Wilhelmshavener Bürger über das geplante Projekt. Es hagelte Fragen, Einsprüche und Widerstände, die alle abgearbeitet werden mussten. Am 31. Oktober 2003 ging es dann mit dem Antrag auf Planfeststellung endlich los und schon im Frühjahr 2004 waren die Antragsunterlagen bekannt gemacht. Im September desselben Jahres erfolgte der Erörterungstermin. Das ging, gemessen an der Umfänglichkeit des Verfahrens, bemerkenswert flott.

So hätte es auf der Zeitschiene weitergehen können. Bedauerlicherweise kamen im Sommer 2005 und im Frühjahr 2006 Änderungsanträge hinzu, die eingearbeitet werden mussten und für die ein erneuter Erörterungstermin festzusetzen war. Das kostete wertvolle Zeit. Nur am Rande sei erwähnt, dass der Antrag auf Planfeststellung aus zwölf prall mit Planungsunterlagen gefüllten Aktenordnern bestand.

Am 27. März 2007 wurde endlich der Planfeststellungsbeschluss der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nordwest in Aurich für den Ausbau der Bundeswasserstraße Jade durch die Einrichtung eines Tiefwasserhafens für Containerschiffe (JadeWeserPort) in vier Städten und Gemeinden der Region um Wilhelmshaven öffentlich ausgelegt. Rund 3.000 Stellungnahmen und Einwendungen von Betroffenen und Verbänden waren anschließend zu bearbeiten.

Als die HANSA im November 2004 über den JadeWeserPort berichtet hatte, hätten nach damaliger Zeitplanung nun schon die Ufer- und Flügelwände sowie die Kaimauer (Ende 2006) stehen können. Schon früh zeichnete sich also ab, dass der ursprüngliche Zeitplan bis zur Inbetriebnahme des neuen Terminals im Jahr 2010 nicht mehr zu halten sein würde, was im Wesentlichen an der Planänderung lag. Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung arbeitete zügig und das auf der Antragstellerseite von der Hamburger IMS organisierte Planfeststellungsverfahren lief samt den zahllosen Einsprüchen schnell, glatt und präzise ab, was bei dieser Größenordnung durchaus keine Selbstverständlichkeit ist. Trotz aller Verzögerungen startete Mitte 2012 schließlich der Probebetrieb durch Eurogate. Am 13. Juni dieses Jahres lief der Feeder »Pictor J« als ers­tes Containerschiff den JadeWeserPort an. Im September wurde der neue Containerterminal nunmehr offiziell dem Verkehr übergeben. Ein weiterer Punkt, die Bahnanbindung, wäre noch nachzutragen. Am 7. Juli 2010 durfte Philipp Rösler (FDP), damals Niedersachsens Wirtschaftsminister, den symbolischen ersten Spatenstich tun, mit dem die Bauarbeiten für die Bahnanbindung des Hafens begannen. Die im Endzustand erforderliche Zweigleisigkeit und Lärmschutzmaßnahmen wurden im Oktober 2011 in Angriff genommen. Am 30. Januar 2012 lehnte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Eilanträge der Stadt Oldenburg und einiger Anwohner der Bahnstrecke zwischen Oldenburg und Wilhelmshaven ab, die das Ziel hatten, einen vorläufigen Baustopp zu erreichen. Die Kläger befürchteten zu Recht Lärmbelästigung durch den Ausbau der Bahnstrecke. Ende 2012 soll der Ausbau weitgehend fertiggestellt sein. Die Elektrifizierung der Strecke wird allerdings noch bis (mindestens) 2014/2015 dauern.

Gefechte im Hintergrund

Ein derart gewaltiges Bauprojekt weckt Hoffnungen und Begehrlichkeiten. Die großen Baukonzerne werden lange warten müssen, bis noch einmal ein vergleichbar großes Bauprojekt an der norddeutschen Küste ausgeschrieben wird. Entsprechend hart wurde um die Vergabe gekämpft. Die Öffentlichkeit entdeckte bald den Geruch von Intrigen und Korruption in der Nähe der Realisierungsgesellschaft, die sich nach dem Ausschreibungsverfahren für den Baukonzern Hochtief entschieden hatte. Der Vorwurf stand im Raum, dass diese Entscheidung nicht mit den eingereichten Bewerbungsunterlagen der verschiedenen Unternehmen zu begründen sei, dass also sachfremde Erwägungen eine Rolle ge­spielt haben müssten. Die Opposition im Niedersächsischen Landtag hatte einen massiven Anfangsverdacht auf Korruption. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss wurde eingesetzt, der zumindest schwerwiegende Mängel im Vergabeverfahren entdeckte. Die Opposition forderte, das Ausschreibungsverfahren zu wiederholen. Dazu kam es nicht.

Letztendlich sorgte das Oberlandesgericht in Celle (siehe HANSA 7/2007) nach Einsprüchen und Klagen für einen Abschluss im Vergabestreit. Das OLG schloss kurzerhand, freilich nach einem von den Parteien nicht akzeptierten Vergleichsvorschlag des Gerichtes, den zunächst von der Realisierungsgesellschaft favorisierten Baukonzern Hochtief vom Vergabeverfahren aus. Auch in der Realisierungsgesellschaft selbst gab es vor und nach dem Gerichtsverfahren das in solchen Fällen übliche »Stühlerücken« mit eigenen Gerichtsverfahren, bis die Realisierungsgesellschaft und ihr Aufsichtsrat dann endlich, nach dem Machtwort der Richter, das Firmenkonsortium um die Papenburger Baufirma Bunte ein- und den ursprünglich favorisierten Baukonzern vor die Tür setzte.

Leider, aus der Sicht des Autors, kam der Sondervorschlag des endgültig eingesetzten Konsortiums mit einer speziellen Variante der Kaimauerverankerung, der noch mit der IMS zusammen entwickelt worden war, nicht zum Zuge. Schade, es wäre vermutlich viel Geld gespart und der Kaimauerbau in Deutschland um eine interessante Variante bereichert worden. Nicht ganz abwegig ist wohl auch die Spekulation, dass mit einer anderen Verankerung und damit auch dem Einsatz anderer Bohlen die später aufgetretenen Schlosssprengungen in der Spundwand vermieden worden wären, aber das war und ist schwerlich vorhersehbar bzw. heute nachweisbar.

Neben diesem Streit um die Vergabe des Bauauftrags gab es natürlich noch reichlich Stoff für Klagen aus den Reihen der Umweltschützer, über deren eigene Chronologie und Streitgegenstände – von der Rohrdommel bis zum durch veränderten Tidehub gestörten Wattwurm – hier zu berichten den Rahmen sprengen würde.

Mängel gibt es auch

Zu allem Überfluss ist nun auch noch das fertiggestellte Werk mit Mängeln behaf-

tet. Bei der Überprüfung der gerammten Spundwand (ca. 1.725 m Kaimauerlänge) wurden, wie erwähnt, über 200 Schlosssprengungen entdeckt. Das ist (im Lauenburger Ton) nicht dramatisch, kann aber im Laufe der Zeit zu Hinterspülungen und Auskolkungen führen, was irgendwann die Standsicherheit der Containerbrücken berühren würde. Die Vermutung liegt nahe, dass letztendlich der Zeitdruck für die Sprengungen verantwortlich war. Die Arbeiten mit dem Mäkler – ohne wäre es nur mit Zustimmung der Realisierungsgesellschaft gegangen – kosten Zeit. Aber dieser Punkt ist noch streitbefangen und Spekulationen hierzu sind zu nichts gut, außer zur Behinderung einer vergleichsweisen Einigung. Die Betreibergesellschaft Eurogate hatte es aber offenkundig nicht eilig mit der Inbetriebnahme des neuen Containerterminals, was nur heißen kann, dass es noch ausreichend Liegeplätze und Terminalflächen in Hamburg und Bremerhaven gab. So nahm sie also das unstreitig mangelhafte Werk nicht ab, weshalb der Einweihungstermin im August zunächst in den Schlosssprengungen verschwand. Wer auch hier spekulieren möchte, kann schon einmal über Schadenersatzforderungen der Betreibergesellschaften wegen Betriebsausfalls nachdenken.

Fazit

Der Bau des JadeWeserPorts ist trotz aller Schwierigkeiten ein ganz besonderes Stück deutscher Industrie- und Wirtschaftsgeschichte. Selten lässt sich ein derart gewaltiges Projekt von der ersten Idee bis zur Fertigstellung so nahtlos gut verfolgen. Es waren die Köpfe der WHV, die die Idee kreierten und gegen alle anfänglichen Widerstände soweit auf den Weg brachten, bis das Projekt Eigendynamik entwickelte. Die selten gewordene Großtat? Die Köpfe der WHV durchbrachen die einfache Logik der Fortschreibung gegebener Umstände. Sie ließen sich nicht durch die Sachzwänge des Tagesgeschäfts leiten und bewegten nicht einfach nur die sattsam bekannte Tretmühle weiter, sondern sie durchbrachen die Denkschablonen und schufen etwas völlig Neues. Darüber hinaus wagten sie sich an ein Projekt, das in Deutschland nach Art und Größe in den letzten 100 Jahren eigentlich nur von der öffentlichen Hand, der Politik, bewegt werden konnte und bewegt wurde. Sie fassten eine Infrastrukturmaßnahme an, für die Ministerpräsidenten und Parteien, und dies nicht nur in Hannover, schon lange keine Kraft mehr aufbringen. Sie haben die Jagdhunde aus der Politik zum Jagen getragen. Sie nahmen es auf sich, verspottet zu werden und hielten unbeirrt an ihrer Idee fest.

Und noch etwas ist bemerkenswert für unsere Schnäppchenjägerrepublik: Sie taten das alles, ohne unmittelbaren Gewinn aus dem Projekt zu ziehen. Es war ihnen immer bewusst, dass sie früher oder später die Regie an die Politik abgeben mussten, dass der Erfolg viele Väter hat und dass der Glanz derjenigen, die letztlich wirtschaftlichen Erfolg mit dem Projekt haben werden, sehr bald die Väter der Idee im Schatten stehen lassen würde. Sie entschieden sich letztlich nicht für den unmittelbaren privaten Gewinn, sondern für das allgemeine Wohl. Sicher und zu Recht werden sie auch heute noch hoffen, dass von dem erwarteten Aufschwung im Wilhelmshavener Hafengeschäft auch ihre jeweiligen Unternehmen profitieren werden. Sie taten – frei nach dem Königsberger Emanuel Kant – das, was sie taten, so, dass es auch der Allgemeinheit dient. Hanseaten halten nicht viel von Orden, aber wenn überhaupt, dann ist dies einen Orden wert.

Vielleicht hilft dieser Gedanke auch beim Nachdenken über bei weitem zu lange Vorlaufzeiten für ein solches Projekt und über die exzessive Nutzung unserer Rechtswege durch Partikularinteressen. Wer mag sich, wie die Wilhelmshavener von der WHV, diese Ochsentour über mehr als zehn lange Jahre schon antun. In unserer (Wirtschafts-)Erfolgsgesellschaft wird so etwas in der Regel als Zeit- und Geldverschwendung angesehen. Schlimmer noch, der Wille Einzelner, positiv für die Gesamtheit zu wirken, wird erstickt von allzu vielen, die sich, wenn schon nicht ihre Mitarbeit, dann zumindest doch ihre Toleranz vergolden lassen wollen. Schnell noch ein bisschen Absahnen heißt die Devise. Und in leichter Abwandlung für die Gutmenschen vom Umweltschutz: »schnell noch ein bisschen draufsatteln«. Der politische Stillstand, der heute so heftig beklagt wird, hat hier vermutlich den größten Teil seiner Wurzeln.

Natürlich, wenn man bedenkt, welchen Weg wir über Monarchien und Diktaturen gegangen sind, kann die Stärkung der Rechte des Einzelnen nur gut sein. Betrachtet man das Wohl der Gesellschaft insgesamt, stellt man fest, dass die freilich legale, aber hemmungslose Durchsetzung von Individualinteressen die Gesellschaft und damit das Staatswesen tötet.

Daran anschließend – und fast schon in eigener Sache – ist wohl auch zu konstatieren, dass unser Verhalten zum Umweltschutz und entsprechender Gesetzgebung dringend auf den Prüfstand gehört. Wir leben nicht mehr im Ausgang der 1960er Jahre. Muss man heute, nachdem in diesem Lande der Umweltschutzgedanke nicht nur gehört, sondern mehrheitlich auch verstanden worden ist, wirklich noch jedem Berufsrandalierer in der Gesellschaft eine rechtlich abgesicherte Plattform für die Behinderung von zukunftssichernden Maßnahmen bieten? Degeneriert die Demokratie – frei nach Cicero – zur Herrschaft des Pöbels? Das muss man, ohne eine gesellschaftlich vernünftige Entwicklung abzuwürgen, intelligenter regeln können. Da sind die Grünen aufgerufen, ihr Verhältnis zur außerparlamentarischen Opposition zu überdenken. Natürlich ist das moralinsauer. Natürlich ist Moralinsäure eine widerliche Spaßbremse. Aber wer, egal wo immer er Verantwortung trägt, diese Bremse nicht will, muss sich wohl selber bremsen. Den Wilhelmshavenern, den Betreibern Eurogate und Maersk sowie all den Nutzern der Logistikflächen hinter dem Containerterminal sei trotz alledem viel Spaß und Glück für die Zukunft gewünscht.
Claus Wilde