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Im Zuge des Bauprogramms für den öffentlichen Hochwasserschutz wurde die Ernst-August-Schleuse neu gebaut. Nach rund dreijähriger Bauzeit wurde das Projekt im Juli 2012 abgeschlossen. Planung und Ausführung beschreiben Bernd Kling und Tim Geier

In den 1990er-Jahren wurden die Hamburger Hochwasserschutzanlagen hin­sichtlich ihrer langfristigen Schutzwirkung überprüft. Aus der Überprüfung resultier­ten neue[ds_preview] Bemessungswasserstände für Sturm­fluten, die bei der Bemessung der Anlagen zugrunde zu legen sind. Im Zuge eines neu aufgelegten Bauprogramms für den öffent­lichen Hochwasserschutz wurden daraufhin alle Hochwasserschutzanlagen der Stadt hinsichtlich des baulichen Aufwandes für eine Verstärkung und Erhöhung untersucht. Für die Hamburger Elbinsel Wilhelmsburg betraf dies unter anderem die Ernst-August-Schleuse, die im Nordwesten des Stadtteils die Deichlinie durchschneidet und das Wilhelmsburger Kanalsystem mit der Elbe verbindet.

Vorplanungsphase

Bei der Sturmflut von 1962 wurde die um 1930 erbaute Ernst-August-Schleuse überströmt. In den Folgejahren wurden daher die Häupter und To­re erhöht. Neben ihrer Bedeutung als Bestandteil der Hochwasserschutzlinie dient sie der schiffbaren Verbindung zwischen dem Ernst-August-Kanal und der Elbe (vornehmlich für Freizeit- und Sportboote) sowie der Be- und Entwässerung des nordwestlichen Kanalsystems in Wilhelmsburg. Der Hochwasserschutz wird durch zwei Schiebetore gewährleistet, die Häupter sind durch Hochwasserschutzwände miteinander verbunden (Abb. 10).

Bei der Untersuchung der Schleuse wurden zwei Planungsansätze verfolgt: Zum

einen wurde die Anpassung der vorhandenen Schleuse untersucht, zum anderen der Bau einer neuen Schleuse unter Beibehaltung der vorhandenen Funktionen und Nutzungen. Die Bauwerksuntersuchungen begannen im Jahr 2004 mit Gutachten zu den Massiv- und Stahlwasserbauteilen sowie statischen Berechnungen des Bestandsbauwerks. Dabei wurden rechnerische Defizite in der Standsicherheit sowie beträchtliche Instandsetzungsbedarfe der Bausubstanz festgestellt. Als Konsequenz der Untersuchungsergebnisse wurden der Neubau beider Schleusentore, der Austausch der elek­trotechnischen und maschinenbaulichen Ausrüstung sowie Sanierungsmaßnahmen an den Kammerwänden und Häuptern als notwendig erachtet.

Auf diesen Ergebnissen basierend wurden von der Planungsgemeinschaft Ernst-August-Schleuse insgesamt 21 Planungsvarianten mit verschie­denen Verschluss-Systemen untersucht. Aus technischen und wirtschaftlichen Gründen wurde als Vorzugsvariante ein Schleusenneubau gewählt, der ca. 100 m östlich der bestehenden Schleuse den Klütjenfelder Hauptdeich im 60°-Winkel durchschneidet und den Ernst-August-Kanal mit dem Spreehafen verbindet. Durch den Neubau an benachbarter Stelle wird gewährleistet, dass der Schleusen- und Sielbetrieb während der Bauphase weitgehend störungsfrei aufrechterhalten werden kann. Für die Verschlussorgane wurden Hubtore gewählt. Diese haben den Vorteil, dass sie im Sturmflutfall auch bei einem Ausfall der Antriebstechnik durch ihr Eigengewicht abgesenkt werden können. Zudem können die beweglichen Teile für Wartung und Reparatur aus dem Wasser gehoben werden und der Verzicht auf Torkammern verringert die In­vestitionskosten.

Entwurfs- und Genehmigungsphase

Der Entwurf der neuen Ernst-August-Schleuse (Abb. 2) sieht vor, das Bauwerk an die vorhandene Nutzung anzupassen und seine Abmessungen im Vergleich zur Alt-Schleuse zu reduzieren. Die Länge der Schleusenkammer beträgt ca. 48 m zwischen den Toren und 10 m in der Breite.

Die Drempelhöhe im Außen- und Binnenhaupt sowie die Kammersohle werden auf -4,00 mNN hergestellt. Die neuen Höhen der Häupter liegen bei +8,10 mNN, die der Tore bei +7,80 mNN. Die Kammerwände enden auf einer Höhe von +4,00 mNN. Das umliegende Schleusengelände wird hochwassergeschützt auf +8,10 mNN hergestellt.

Die Verschlussorgane der beiden Häupter werden als Hubtore ausgebildet, die über einen mittig angeordneten Hydraulikzylinder bewegt werden. Wasserspiegelausgleich und Sielfunktion werden über das Öffnen der Hubtore vorgenommen. Die tideabhängige Wasserspiegeldifferenz zwischen der Elbe und dem Kanalsystem beträgt im Schleusenbetrieb maximal 3,75 m. Im Vorhafen zum Spreehafen entsteht ein Dalbenliegeplatz für die auf Schleusung wartenden Schiffe. Im Vorhafenbereich des Ernst-August-Kanals wird sowohl ein Anlegesteg für kleinere Sport- und Freizeitschiffe als auch ein Dalbenliegeplatz für größere Schiffe hergestellt. Nordwestlich der Schleusenkammer wird ein zweistöckiges Betriebs­gebäude gebaut. Der Außendeichweg und die Deichverteidigungsstraße werden östlich der Schleusenkammer über Rampen auf der Krone des Klütjenfelder Hauptdeiches zusammengeführt und verlaufen über eine einspurige Stahlbrücke über die Kammer hinweg. Die Brücke ermöglicht Schleusennutzern den Übergang zum Betriebsgebäude und stellt die Anbindung der Anlieger im Spreehafen sicher.

Nach Inbetriebnahme des Schleusenneubaus wird die Alt-Schleuse teilweise abgebrochen und verfüllt. Über dem ehemaligen Binnenhaupt wird ein neuer Deichabschnitt errichtet, der den Reiherstieg-Hauptdeich mit den hochwassergeschützten Betriebsflächen der Ernst-August-Schleuse verbindet. Ebenfalls Teil der Baumaßnahme ist die Erhöhung der Straße Reiherstieg-Hauptdeich auf einer Länge von ca. 100 m, die für das Verschwenken der Hochwasserschutzlinie erforderlich ist. Mit Blick auf die 2013 in Wilhelmsburg stattfindende Internationale Bauausstellung (IBA) erfolgte die Gestaltung des Betriebsgebäudes, der Schleuse und der Außenanlagen unter Mitwirkung eines Architekten. Als wesentliche Planungsrandbedingung ist während der gesam­ten Bauzeit die Sicherstellung des Hochwasserschutzes zu gewährleisten. Weiterhin müssen die Anlieger am Südufer des Spreehafens ihre Liegeplätze zu jeder Zeit mit dem Fahrzeug erreichen können und die permanente Durchgängigkeit für Fußgänger und Radfahrer muss gegeben sein. Der Planfeststellungsbeschluss für die Maßnahme wurde im April 2008 erteilt.

Ausschreibungs- und Vergabephase

Die Gesamtmaßnahme wurde in drei Baulose gegliedert. Baulos 1 umfasst alle Arbeiten zur Errichtung eines betriebsfertigen und funktionsfähigen neuen Schleusenbauwerks sowie den Rückbau der alten Ernst-August-Schleuse. Für das Los 1 wurde ein nichtoffenes EU-Verfahren mit einem vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb durchgeführt. Vier Bietergemeinschaften wurden zur Angebotsabgabe aufgefordert. Der Zuschlag wurde im Januar 2009 auf ein Nebenangebot der Arbeitsgemeinschaft Aug. Prien / F+Z / Rönner erteilt.

Das Baulos 2 umfasst die Herstellung eines Betriebsgebäudes einschließlich technischer Gebäudeausrüstung. Es wurde öffentlich ausgeschrieben, der Auftrag wurde im Juli 2010 an die Firma Aug. Prien vergeben.

Das Baulos 3 beinhaltet Straßen- und Erdbauarbeiten zur Erhöhung des Reiherstieg-Hauptdeichs. Die Baumaßnahme wurde ebenfalls öffentlich ausgeschrieben und im August 2011 an die Firma Eurovia vergeben.

Bauphase

Nach Erteilung des Zuschlages Anfang 2009 an die Arbeitsgemeinschaft Ernst-August-Schleuse wurde sofort mit der technischen Bearbeitung begonnen. Die gesamte Gründung war Teil des Nebenangebots, welches von der HPA beauftragt wurde. Der Sondervorschlag sieht folgende drei wesentlichen Änderungen (Abb. 3) zum ausgeschriebenen Entwurf vor:

1. Die Auftriebssicherung der Unterwasserbetonpfähle war im Amtsentwurf mittels gerammter Stahlpfähle HP 400 geplant. Im Sondervorschlag wurden diese Pfähle dann durch GEWI-Anker ersetzt.

2. Der Hauptentwurf für die Kammerwand war mit zwei Spundwänden geplant. Die eine Spundwand sollte als Schleusenkammerwand dienen und die andere, dahinterliegende Wand als Hochwasserschutzwand. Beide Spundwände sollten durch Horizontalanker miteinander verbunden werden. Die Hochwasserschutzwand sollte mit gerammten Schrägpfählen rückverankert werden. Im Nebenangebot wurde die Schleusenkammerwand direkt mit Schrägpfählen rückverankert. Die dahinterliegende Spundwand entfiel. Die erforderliche Schutzhöhe von +8,10 m NN wird durch eine Stahlbetonstützwand gewährleistet. Diese Winkelstützwand ist auf der Kammerwand und auf einzelnen Lotpfählen gelagert.

3. Die Widerlager der Brücke waren als Einzelfundamente konstruiert. Diese wurden im Zuge des Nebenangebotes in die Kammerwand integriert.

Der erste Spatenstich mit den vorlaufenden Erdarbeiten erfolgte im April 2009. Für den Neubau der Schleuse wurden im Zuge der Gründungsarbeiten Spundwände gerammt, welche mit Schrägpfählen bzw. Verpressankern rückverankert werden. Diese Arbeiten wurden land- und wasserseitig ausgeführt (s. Abb. 4). Da die neue Schleuse Teil des Landeshauptdeiches Ham­burgs ist, musste der Hochwasserschutz jederzeit gewährleistet werden. Dazu wurden Teile der Schleusengründung während der Baumaßnahme als temporärer Hochwasserschutz genutzt, sodass hinter deren Schutz die Arbeiten weitergeführt werden konnten.

Um die Zufahrt für die Anwohner und die Deichverteidigung aufrechtzuerhalten, war nördlich des Außenhauptes eine provisorische Umfahrung herzustellen (Abb. 5).

Die Schleusensohle ist als Unterwasserbetonsohle mit Taucherhilfe hergestellt und mit Auftriebspfählen (GEWI-Ankern) verankert worden. Um den Verzug aus dem langen Winter Anfang 2010 aufzuholen, wurden beide Schleusenhäupter parallel hergestellt. Verwendet wurde dabei Beton nach Eigenschaften. Die Bauteilfugen mussten hochwassersicher mithilfe von außen und innen liegenden Fugenbändern ausgebildet werden. Um die hohen Genauigkeiten für die Sohl- und Torlaufschienen zu gewährleisten, wurden diese mithilfe von Trigoform-Schalungen im Zweitbeton (s. Abb. 6) hergestellt. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass die Torlaufprofile millimetergenau justiert werden können. Die Massivbauarbeiten waren Ende 2010 abgeschlossen.

Anschließend begann der Stahlbau für die Portale, welche im Werk komplett vorgefertigt und auf der Baustelle gerichtet wurden. Die Fertigung der Schleusentore (Faltkon­struktion, Breite x Höhe = 10 m x 12 m) erfolgte in der Werft Boizenburg. Bewegt werden die Tore durch einen mittig angeord-

neten Hydraulikzylinder. Der Einhub der ca. 50 t schweren Tore fand Anfang des Jahres 2011 statt (Abb. 7). Zum Leistungsumfang gehört ebenfalls eine ca. 50 t schwere Stahlbrücke, welche von der Arbeitsgemeinschaft Ernst-August-Schleuse geplant und gebaut wurde. Der Einhub der Stahlbrücke erfolgte im März 2011 in einem Stück.

Mit der Verkehrsfreigabe der Brücke konnte die endgültige Zuwegung für die Anwohner des Spreehafens genutzt werden, die temporäre Umfahrung wurde zurückgebaut. Nachdem die Schleusenkammerausrüs­tung und die elektrotechnische Ausstattung (wie Schleusensignale, Beleuchtung etc.) montiert wurden, erfolgte das Fluten der Schleusenkammer. In den Außenbereichen wurden die Vorhäfen ausgebaggert, die Ein- und Ausfahrbereiche mit Steinschüttungen und Vollverguss gesichert sowie die Liegeplätze mit dem Einbau der Dalben hergestellt.

Zeitgleich zu den Bauarbeiten für das Los 1 wurde im September 2010 mit dem Bau des zweigeschossigen Betriebsgebäudes begonnen. Das Gebäude beinhaltet neben dem Steuerstand auch einen Hausanschlussraum, Nassräume, jeweils einen Raum für die Antriebs- und Elektrotechnik sowie eine Werkstatt. Aufgrund der anstehenden Bodenverhältnisse wurde das Bauwerk tief gegründet. Die Tragkonstruktion besteht aus einer Mauerwerkskonstruktion mit einer Zwischendecke aus Stahlbeton. Die Glasfassade im Obergeschoss wurde als selbsttragende, wärmegedämmte Riegelkonstruktion ausgebildet. Sie ermöglicht den Betreibern ideale Sichtbeziehungen zur Schleusenanlage (Abb. 8). In den Außenwänden des Erdgeschosses sind Konsolen integriert, auf denen Fassadenplatten aus gekanteten Aluminiumblechen befestigt werden, die dem Bauwerk eine architektonisch ansprechende Form geben.

Nach der abgeschlossenen Montage der Schleusenausrüstung begannen die Arbeiten für den Probebetrieb und die Inbetriebnahme der hydraulischen und elektrotechnischen Anlagenteile der Schleuse. Aufgrund der gesetzlich verankerten Maschinenrichtlinie waren die Anforderungen an die Programmierung der Schleuse entsprechend aufwendig. Die Steuerung der Schleuse wurde auf die Möglichkeit einer späteren Fernbedienung ausgelegt. Die erste Probeschleusung konnte im September 2011 stattfinden. Die Arbeiten für den Neubau der Schleuse waren im Oktober 2011 abgeschlossen, sodass die Schleuse dem Betreiber übergeben werden konnte (Abb. 9). Nach rund zweieinhalb Jahren Bauzeit wurde die neue Ernst-August-Schleuse dann am 26. Oktober 2011 durch Staatsrat Holger Lange von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt der Freien und Hansestadt Hamburg feierlich eröffnet.

Im November 2011 begann der Rückbau der alten Schleuse. Für Aug. Prien als technischem Federführer der Arbeitsgemeinschaft Ernst-August-Schleuse schloss sich damit der Kreis, da bereits die 1930 erbaute Schleuse von Aug. Prien konstruiert und gebaut worden war. Im Zuge des Rückbaus wurde zunächst das Binnenhaupt abgebrochen (Abb. 11), anschließend wurde die alte Schleusenkammer verfüllt.

Danach wurde der Deich zwischen neuer Schleuse und dem vorhandenen Landeshauptdeich hergestellt. Erst nach der Fertigstellung des Deiches und Ablauf der Sturmflutsaison konnte das bis dahin für den Hochwasserschutz erforderliche Außenhaupt abgebrochen werden.

Mit der Fertigstellung der Asphaltarbeiten für die Deichverteidigungsstraßen wurde das Gesamt­projekt Anfang Juli 2012 nach ca. dreijähriger Bauzeit abgeschlossen (Abb. 1). Das wasserseitige Eingangstor nach Wilhelmsburg führt nun durch die neue Ernst-August-Schleuse, die dazu beiträgt, die Elbinsel langfristig gegen Sturmfluten zu schützen.

Autoren:

Dipl.-Ing. Bernd Kling, Projektleiter, Ingenieurbüro Entwicklungsvorhaben/ EP-136, Hamburg Port Authority AöR, Neuer Wandrahm 4, 20457 Hamburg bernd.kling@hpa.hamburg.de

Dipl.-Ing. Tim Geier, Aug. Prien Bauunternehmung (GmbH & Co. KG), Dampfschiffsweg 3-9, 21079 Hamburg


Bernd Kling, Tim Geier