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Helgolands Bürgermeister Jörg Singer erhofft sich von der Offshore-Windenergie neue Impulse für das Inselleben. Dennoch wird der Tourismus das wichtigste Standbein bleiben, erläutert er im Gespräch mit der HANSA

Herr Singer, welche Priorität setzen Sie als Bürger­meister Helgolands auf die Offshore-Windenergie?

Jörg Singer: Sie hat[ds_preview] eine sehr große Bedeutung für Helgoland, auch wenn unser Kerngeschäft der Tourismus bleiben wird. Von ihm hängen 80 % der Jobs hier ab, und die Gemeindeeinfuhrsteuer, die wir unter anderem auf Tabakwaren erheben, ist unsere wichtigste Steuereinnahme. Der Tourismus kann aber letztlich sogar vom Offshore-Wind profitieren, und auch mit der Forschung auf der Insel passt das wunderbar zusammen.

Wir sind bestrebt, einen sehr integrativen Weg zu gehen. Es geht nicht nur um die Vermietung von Liegeplätzen oder die Errichtung von Gebäuden, sondern wir entwickeln im Offshore-Bereich Wege, eine größtmögliche Wertschöpfung zu generieren. Das Wirtschaftsforum in diesem Jahr, ein geplantes Trainingszentrum sowie ei­ne Tagung, die Studenten und Offshore-Firmen zusammenbringt, sind dabei ers­te Schritte. Tourismus, Gastronomie und der Einzelhandel werden in der Nebensaison mehr Geschäft bekommen. Insgesamt werden auch das kulturelle Leben und das Vereinsleben durch Offshore profitieren.

Wie groß ist bei diesem Thema der Rückhalt in der Gemeindevertretung und bei den Helgoländern insgesamt?

Singer: Bei den wesentlichen Akteuren gibt es eine deutliche Zustimmung, auch wenn sich der eine oder andere bei den aktuellen Diskussionen und Verzögerungen in der Branche sicher fragt, ob wir da aufs richtige Pferd gesetzt haben. Die Windparkfirmen haben uns aber noch einmal bestätigt, dass die Entscheidungen gefallen sind und dass die Parks fertig gebaut werden. In der Bevölkerung gibt es, wie überall, natürlich einige wenige kritische und ängstliche Stimmen – Sorgen um die Natur und um den Tourismus. Aber es werden lediglich 5 % der Inselfläche für Offshore-Zwecke genutzt, und wir machen hier keinen Industrieumschlag, sondern Ersatzteilumschlag und Personenlogistik. Ich sehe da im Vergleich zu den Zeiten, in denen die Marine auf der Insel präsent war, keine größeren Störfaktoren.

Auf anderen Nordsee-Inseln besteht durchaus die Sorge, dass die Offshore-Windenergie den Tourismus negativ beeinträchtigen und Gäste verschrecken könnte. Bei Ihnen nicht?

Singer: Die Überlegungen haben wir natürlich auch angestellt. Aufgrund des Hafentyps und des Angebot-Mixes für die Firmen ist das aber kein anderer Betrieb als früher die Fischerei. Es sind zunehmend mehr Menschen, es ist mehr Aktivität im Hafen, das Inselleben wird wieder lebendiger – also ich sehe das überhaupt nicht.

Während die Mitarbeiter von RWE Innogy in eigens gebaute Häuser einziehen werden, hat sich Eon vorerst Übernachtungskapa­zitäten in verschiedenen Hotels gesichert. WindMW hat sogar ab dem 1. Janu­ar 2013 für zehn Jahre das Designhotel »Atoll« gemietet. Was ist Ihre Meinung dazu?

Singer: Für mich war es ein Schock, als ich davon gehört habe. Uns fehlt dadurch, Stand heute, eine Hotelmarke im hochwertigen Urlaubssegment. Aber wir müssen diese Situation jetzt als Chance nutzen. Wir haben zwei Hotelprojekte, die gerade intensiv diskutiert werden und die vorher gar nicht möglich gewesen wären – jetzt aber vielleicht schon, weil eben die entsprechende Kapazität fehlt. Und daher kann das auch eine Chance für die Zukunft sein: Es wird sich in den nächsten sechs Monaten herauskristallisieren, ob das so ist.

Ein weiteres großes Projekt, das Sie nach Ihrem Amtsantritt vor knapp zwei Jahren angehen wollten, war eine Inselerweiterung durch Landaufspülung. Fast 55 % der Helgoländer haben sich dann aber voriges Jahr in einem Bürgerentscheid dagegen ausgesprochen – warum waren Sie dafür?

Singer: Weil mir deutlich wurde, dass so wie wir heute leben, nicht genug Platz ist. In der Wiederaufbauzeit hat jeder Mensch im Schnitt 15 m² für sich beansprucht, jetzt sind es 45 m². Mit unserem hauptsächlich touristisch ausgerichteten Geschäftsmodell ist das gar nicht möglich, und als Insel haben wir keinen Speckgürtel, in den man ausweichen und auf dem man sich entwickeln kann. Mit der Offshore-Windenergie haben wir jetzt neue Einnahmequellen, die unsere Möglichkeiten erweitern – da muss man abwarten, wie sich das mit dem Platzbedarf entwickelt. Es kann aber sein, dass das Thema irgendwann wieder aktuell wird. Formal ist es jedenfalls so, dass so ein Bürgerentscheid für zwei Jahre rechtskräftig ist.

Nachdem die Saison 2011 von Stürmen und Schiffsausfällen geprägt war, haben Sie den Bau eines neuen und stabilen Schiffes gefordert, das ganzjährig verlässliche An- und Abreisen ermöglicht. Wie ist der Stand?

Singer: Wir sind in einer EU-weiten Ausschreibung, in der ein 15 Jahre gültiger Verkehrsvertrag mit der Forderung nach einem Schiffsneubau kombiniert ist. Momentan verhandeln wir mit Bietern, die schon in der Nordsee aktiv sind und Helgoland gut kennen. Ich erwarte, dass Mitte des ersten Quartals 2013 die Entscheidung getroffen wird. Der Gewinner der Ausschreibung muss eine ganzjährige und wetterfeste Verbindung auf der Strecke Helgoland–Cuxhaven garantieren, dafür werden wir den Neubau mit einem Betrag in Millionenhöhe unterstützen. Es sind faszinierende Konzepte dabei: Das Schiff wird einen ganz neuen Fahrkomfort haben, und es wird auch einen neuen Antrieb bekommen. Für Reisende wird das auf jeden Fall ein Riesenschritt nach vorne.

Wann soll das Schiff einsatzbereit sein?

Singer: Zum Jahreswechsel 2014/2015. Es kann sein, dass es schon im Winterverkehr eingesetzt wird, das wäre dann Ende 2014. Sonst startet es im Frühjahr 2015, das hängt jetzt von den Verhandlungen ab.

Wenn wir uns in einem Jahr zum Ende dieser Serie wiedertreffen: Was hoffen Sie, ist bis dahin erreicht worden?

Singer: Ich hoffe, dass wir eine Kurskorrektur bei der Energiewende erlebt haben, mit mehr Schub für die Offshore-Windenergie und die beteiligten Unternehmen insgesamt. Das bedeutet für uns dann auch mehr Druck bei der Umsetzung, das war bis jetzt ganz gut. Wir haben nächstes Jahr um diese Zeit die ersten Rohbauten im Hafen stehen, und sechs bis acht Serviceschiffe werden dort unterwegs sein. Die RWE-Häuser sind bis dahin bewohnt, im Hotel nebenan sind mehr als 30 Techniker untergebracht, die anderen Hotels sind zum Teil auch voll. Es wird hier ein buntes Treiben sein, glaube ich.


Anne-Katrin Wehrmann