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Die Zunahme von Handel und Arbeitsteilung über Kontinente hinweg ist aber keine

Einbahnstraße. Das wurde durch die globale Rezession deutlich. Laut einer Studie von Deutsche Post DHL hat die globale Vernetzung ihren Höchststand noch nicht wieder

erreicht.
Wie sich Märkte entwickeln, lässt sich schon auf kurze Sicht nie mit Gewiss­heit sagen. Langfristige Trends bergen noch größere[ds_preview] Überraschungen. Dass die industrielle Globalisierung einmal vom Wachstumspfad abkommen könnte, galt bis 2008 als nahezu ausgeschlossen. Die riesigen Investitionen in Schifffahrt und Logistik, die in den Boomjahren davor auf den Weg gebracht wurden, zeugen von einem fast blinden Vertrauen in diesen Trend. Umso härter traf es viele Marktteilnehmer beim Zusammenbruch der Investmentbank Lehman und der folgenden Finanz- und Wirtschafskrise.

Laut dem Global Connectedness Index (GCI) des Logistikkonzerns Deutsche Post DHL liegt die weltwirtschaftliche Integra­tion trotz der makroökonomischen Erholung immer noch unter dem Spitzenwert des Jahres 2007. Der Indikator notierte zuletzt bei 110 %, was zwar ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr bedeutet, aber deutlich unter dem Wert von 115 % aus 2007 liegt. Der Ausgangspunkt der Datenreihen ist das Jahr 2005 mit 100 %.

Für die laufende Studie unter Federführung des international renommierten Wirtschaftsprofessors Pankaj Ghemawat seien mehr als eine Million Datenpunkte ausgewertet worden, teilte die Deutsche Post DHL mit. Aus den Messungen zum globalen Austausch von Waren, Dienstleis­tun­gen, Kapital, Informationen und Personen ermitteln die Forscher den Grad der Globalisierung. Die Ergebnisse unterstrichen die »anhaltenden Auswirkungen der Finanzkrise auf das aktuelle, von Volatilität und Verunsicherung geprägt Geschäftsumfeld«, kommentierte Deutsche-Post-Chef Frank Appel. Der Konzern befördert nicht nur Post- und Expresssendungen, sondern steuert mit seiner Speditionssparte DHL Global Forwarding auch gewaltige Mengen See- und Luftfrachtgut im Auftrag von Industrie- und Handelsfirmen. In den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 2012 buchte das Bonner Unternehmen 2,14 Mio. TEU bei Linienreedereien – das sind 6,3 % mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Die jüngste Analyse belege, dass der grenz­überschreitende Austausch »bedeutend geringer als gemeinhin wahrgenommen« sei. »Außerdem gibt es in jedem Land Potenzial für eine weitere Vertiefung der Integration«, zitiert DHL Ghemawat.

Durchschnittliche Handelsdistanzen konstant

Dabei sind die Rahmenbedingungen speziell für die Schifffahrt und internationale Speditionen, deren Aussichten vor allem durch das Segment Warenaustausch definiert werden, gar nicht schlecht. Immerhin hat sich der Anteil der Exporte am weltweiten Bruttoinlandsprodukt wieder auf den Spitzenwert von 30 % erholt. Diese wertmäßige Betrachtung lässt sich nur nicht eins zu eins auf die für den Transport relevanten Volumenumfänge übertragen. Die Tatsache, dass die Umschlagmengen in einigen wichtigen Häfen – darunter Hamburg – noch nicht wieder das Vorkrisenniveau erreicht haben und die Ladungsmengen im Asien–Europa-Verkehr seit Monaten rückläufig sind, unterstreicht, dass es in puncto Güterverkehrsaktivität Nachholbedarf gibt.

Was die für See- und Luftfracht entscheidende Kenngröße der Transportleis­tung (Menge x Distanz) angeht, zeigt die DHL-Studie gewisse Stagnationstendenzen auf. So liege die durchschnittliche Handelsdis­tanz pro Dollar Warenwert bei 4.750 km. Das ist etwas höher als in den 1990er-Jahren, aber niedriger als zu Beginn der 1980er- Jahre. »Während die Handelstiefe (die Menge von Ex- und Importen zur gesamten Wirtschaftsleis­tung) in den vergangenen Jahrzehnten neue Höhen erklommen hat, sind die Distanzen, über die Güter gehandelt werden, diesem Trend nicht gefolgt«, konstatiert Ghemawat. Insofern hätten sich die Zuwächse vorrangig im kontinentalen, nicht im interkontinentalen Handel abgespielt.

Die jüngsten Vorhersagen der Welthandelsorganisation WTO gäben noch mehr Anlass zur Vorsicht. Für den weltweiten Güterhandel sind demnach für 2012 und 2013 nur noch wertmäßige Zuwächse von 2,5 % bzw. 4,5 % zu erwarten, gegenüber 5 % im Jahr 2011 und 14 % im Jahr 2010. Gebremst werde die Entwicklung auch durch den zunehmenden Protektionismus, mit dem Nationalstaaten ihre Binnenmärkte abschotten. Laut dem Global Trade Alert des Institute for Ecomomic Policy Research in Großbritannien sind seit Ende 2008 welt­weit dreimal mehr protektionistische als handelserleichternde Maßnahmen umgesetzt worden.

Entsprechend gedämpft sind auch die Erwartungen vieler Analysten, Reedereien und Befrachter in Bezug auf die Seeverkehrsentwicklung. Es wird zwar weiterhin mit Wachstum gerechnet, aber die Zuwächse werden tendenziell geringer, so der Tenor. Für den globalen Containerverkehr erwartet die US-amerikanische Marktforschungsfirma IHS Global Insight im Zeitraum 2012 bis 2017 jährliche Steigerungen von gut 5 % gegenüber 9,6 % in den Jahren 2000 bis 2007, welche die Richtschnur für viele Investitionen bildeten, die jetzt durch Schiffsablieferungen und Hafenneubauten zum Tragen kommen.

In dasselbe Horn blies Maersk-Vorstands­chef Søren Skou vor einigen Wochen in einer Rede vor dem Hafen-Klub Hamburg. »Der Wachstumstrend mit Raten von 8 bis 9 % scheint ausgelaufen zu sein«, warnte er. Zwei wichtige Faktoren, die den Containerverkehr bis 2008 massiv angeheizt haben, hätten sich abgeschwächt. Zum einen die industrielle Globalisierung: »Es gibt nicht mehr so viel verarbeitendes Gewerbe zum verlagern, was nicht längst schon verlagert worden ist«, sagte Skou. Zum anderen seien nach Jahrzehnten der Containerisierung im-

mer weniger konventionelle Warengruppen übrig, die sich ganz neu für den Containerversand erschließen ließen.

Nachholbedarf für Afrika

Allerdings lassen sich nicht alle Handelsströme und Industriesektoren über einen Kamm scheren. So gibt es weiterhin Bereiche, in denen die globale Vernetzung gegen den Trend deutlich zunimmt. Beispiele dafür finden sich sowohl in der DHL-Studie als auch im Geschäftsalltag der Speditionen und Reedereien. So zieht der Waren- und Kapitalverkehr zwischen den afrikanischen Ländern – speziell den Subsahara-Staaten – und dem Rest der Welt weiterhin kräftig an. Die größten Fortschritte bei der internationalen Vernetzung haben laut DHL Mosambik, Togo, Ghana, Guinea und Sambia gemacht. Ihr GCI-Wert liegt aufgrund der schleppenden wirtschaftlichen Entwicklung in früheren Jahrzehnten aber noch deutlich unter dem globalen Durchschnitt. Von der ökonomischen Aufholjagd in den ärmsten Ländern profitiert die Containerschifffahrt ­beträchtlich, wie auch eine Analyse der niederländischen Rating- und Marktforschungsfirma Dynamar zeigt.

Die Experten sagen den westafrikani­schen Häfen massive Umschlagzuwächse infolge des steigenden Warenaustauschs mit China voraus. So wird erwartet, dass sich die Abfertigungsmengen von und nach Asien in Westafrika bis Ende 2013 um rund ein Drittel gegenüber dem Jahr 2011 auf 1,54 Mio. TEU erhöhen werden. Die Verkehre sind aber extrem importlastig, weshalb der Anteil der Rücktransporte von Leercontainern der Prognose zufolge von 54 % auf 59 % aller eingehenden Behälter zunehmen wird.

Neue Möglichkeiten für Seetransport­lösungen sieht die DHL-Studie beispielsweise im Handel mit High-Tech-Produkten zwischen China und Indien sowie Afrika. Die Versorgung des schnell wachsenden Mobiltelefonmarktes in Afrika lasse sich angesichts der relativ niedrigen Transitzeiten der Containerdienste aus Fernost durchaus von Luft- auf Seefracht verlagern. Um den Modal-Split zugunsten des Schiffs zu beeinflussen, müssten aber die Engpässe bei der Zoll- und Hafenabfertigung in den afrikanischen Häfen behoben werden.

Eine noch interessantere und deutlich volumenträchtigere Warenkategorie ist der Be­reich Automotive mit Teilen und Bausätzen für Neufahrzeuge. Das bestätigen auch darauf spezialisierte Logistikfirmen wie die Bremer BLG Logistics, Dienstleisterin für Packing und internationalen Versand von Fahrzeugkomponenten im Seecontainer. »Neue Autofabriken entstehen heute eher im Ausland außerhalb Europas, infolgedessen nimmt der Teileaustausch weiter zu«, sagt Robert Bommers, Geschäftsführer bei BLG Automotive Logistics. Hinzu kommt der Trend zu Plattform-strategien und dem Verbau gleicher Kom­ponenten zu unterschiedlichen Fahrzeugmodellen, wodurch die Autokonzerne Einsparungen bei Entwicklung und Beschaffung erzielen wollen. Das führt dazu, dass dieselben Lieferanten in größerem Umfang Teile in alle Welt verschicken müssen. Bommers beobachtet zwar eine »verhaltene Abkühlung« beim Wachstum der Versandmengen für die Autohersteller aufgrund des schwächeren Weltwirtschaftswachstums. Er rechnet aber auch dieses Jahr noch mit steigen­den Umfängen. Allein in Bremen würden durch die BLG pro Tag 250 bis 300 Vierzigfußcontainer mit Autoteilen für den Export klargemacht. Auch Maersk-Chef Skou äu­ßerte sich vor dem Hafen-Klub zuversichtlich. Autoteile und Fahrzeugbausätze zählten zu den Gütern, die noch verhältnismäßig stabil liefen, erklärte er.