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Das Seearbeitsrecht steht vor dem größten Umbruch seit über 50 Jahren. Mit dem

zukünftigen Seearbeitsgesetz werden die Vorgaben des internationalen

Seearbeitsübereinkommens in deutsches Recht umgesetzt.
Voraussichtlich zum 1. Juli 2013 wird das neue deutsche Seearbeitsgesetz in Kraft treten und damit das bisherige Seemannsgesetz aus dem[ds_preview] Jahr 1957 ablösen. Das Gesetz beinhaltet zahlreiche Neuerungen für die Seeschifffahrt unter deutscher Flagge: Reeder müssen mit den Seeleuten neue Heuerverträge schließen, ihnen im Krankheitsfall die Heuer länger als bisher zahlen und ein Beschwerdeverfahren an Bord entwickeln. Zudem werden zukünftig alle Schiffe im Rahmen einer umfassenden Arbeitsinspektion staatlich überprüft und zertifiziert.

Das Seearbeitsübereinkommen und das deutsche Seearbeitsgesetz

Die Reform des deutschen Seearbeitsrechts ist Folge des Seearbeitsübereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation – im Englischen als »Maritime Labour Convention, 2006« (MLC 2006) bekannt. Das Seearbeitsübereinkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag, dem die einzelnen Staaten beitreten können. Entscheidet sich ein Staat für den Beitritt, verpflichtet er sich, die Vorgaben des Seearbeitsübereinkommens anzuwenden.

Da es weltweit unterschiedliche Rechtsordnungen gibt, gelten völkerrechtliche Verträge nicht unmittelbar, sondern müssen erst in das jeweilige nationale Recht übernommen werden. In Deutschland wird das Übereinkommen durch das neue Seearbeitsgesetz und sechs Verordnungen umgesetzt. Im Gegensatz zu anderen Staaten wird Deutschland zunächst sein Recht an das Seearbeitsübereinkommen anpassen und erst anschließend dem Übereinkommen beitreten.

Auf den ersten Blick scheint das Seearbeitsübereinkommen den Flaggenstaaten wenig Spielraum bei der Umsetzung zu belassen. Dieser Eindruck täuscht aber. Wenn das Seearbeitsübereinkommen beispielsweise für den Schiffskoch vorschreibt, dass er einen anerkannten Lehrgang über praktische Kenntnisse in der Zubereitung von Speisen, Hygiene und Gesundheit besucht haben muss, sagt das wenig über die Details aus: Welche genauen Inhalte muss der Kurs haben? Wie lang soll der Kurs sein? Ist eine Abschlussprüfung vorgeschrieben?

Jeder Flaggenstaat gestaltet sein Recht innerhalb des Rahmens des Übereinkommens selbst. Das jeweilige Land kann seinen Seeleuten auch mehr Rechte einräumen, als es die Mindestanforderungen des Übereinkommens vorschreiben. Wie ein Flaggenstaat das Übereinkommen in sein Recht umsetzt, können Interessierte zukünftig im Teil I der Seearbeits-Konformitätserklärung (Declaration of Maritime Labour Compliance) nachlesen. Zusammen mit dem neuen Seearbeitszeugnis stellt der Flaggenstaat dieses Dokument für jedes Schiff in der internationalen Fahrt aus. Im Teil II dieser Erklärung muss der Reeder begründen, durch welche Maßnahmen er das Recht des Flaggenstaates in die Praxis an Bord seines Schiffes umsetzt.

Wesentliche Inhalte des Seearbeitsgesetzes

Geltungsbereich des Seearbeitsgesetzes, §§ 1 bis 3

Das Seearbeitsgesetz wird für Besatzungsmitglieder auf gewerblich genutzten Seeschiffen gelten; gewerbsmäßig genutzte Sportboote unter 24 m Länge sind allerdings ausgenommen. Besatzungsmitglieder sind alle an Bord tätigen Personen. Keine Besatzungsmitglieder sind dagegen Personen, die sich nur vorübergehend an Bord aufhalten oder nicht zum gewöhnlichen Schiffsbetrieb gehören. Für diese Personengruppe gelten nur einzelne Rechte des Gesetzes, § 3 des Seearbeitsgesetzentwurfes listet sie einzeln auf.

Verantwortlichkeit des Reeders, § 4

In der heutigen Seeschifffahrt ist es gängige Praxis, dass Crewing-Agenturen im Auftrag des Reeders vielfältige Aufgaben im Personalbereich wahrnehmen. Allerdings ist es schon nach bisherigem deutschem Recht verboten, dass Crewing-Agenturen außerhalb Europas Seeleute an einen deutschen Reeder »verleihen«. Dieser sogenannten Arbeitnehmerüberlassung muss die Bundesagentur für Arbeit zustimmen; sie ist nur bei Crewing-Agenturen mit Sitz in der EU zulässig. Ausländische Agenturen dürfen Seeleute aber weiterhin weltweit vermitteln, wenn sie nicht als Arbeitgeber der Seeleute auftreten.

Seediensttauglichkeit, §§ 11 bis 20

Künftig werden auch ausländische Seediensttauglichkeitszeugnisse auf Schiffen unter deutscher Flagge ohne weitere Prüfung anerkannt, sofern sie den Anforderungen des internationalen STCW-Übereinkommens und des Seearbeitsübereinkommens entsprechen. Umgekehrt müssen deutsche Seediensttauglichkeitszeugnisse auf Schiffen unter ausländischer Flagge anerkannt werden. Für Tauglichkeitsuntersuchungen bei deutschen Ärzten gelten bald internationale Standards und praktisch keine deutschen Sondervorgaben mehr.

In Zukunft werden nur solche Ärzte nach dem Seearbeitsgesetz zugelassen, die eine Facharzt­ausbildung in den Bereichen Allgemeinmedizin, Anästhesiologie, Chirurgie oder Innere Medizin haben und eine praktische Seefahrtszeit nachweisen können. Auch ein neu eingerichtetes Seediensttauglichkeitsverzeichnis beim Seeärztlichen Dienst wird die Qualität der Untersuchun­gen erhöhen.

Private Arbeitsvermittlung von

Seeleuten, §§ 24 bis 27

Private Arbeitsvermittler für Seeleute mit Sitz in Deutschland müssen künftig durch die Dienststelle Schiffs­sicherheit der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft (BG Verkehr) zugelassen sein. Agenturen oder Reeder dürfen für die Vermittlung keine Gebühren von Seeleuten erheben.

Heuerverträge, § 28

Die Änderung von Heuerverträgen wird in den Reedereien ein Schwerpunkt bei der Umsetzung der Vorgaben des Seearbeits­gesetzes sein. Die neuen Heuerverträge müssen zukünftig mindestens 13 einzelne Angaben enthalten (Abb. 2). Nur in ganz bestimmten Bereichen darf auf einen Tarifvertrag oder eine Bordvereinbarung verwiesen werden. Auch für Besatzungsmitglieder, die wechselweise auf Schiffen unter deutscher und ausländischer Flagge fahren, gelten diese Vorgaben, weil das Seearbeitsgesetz in diesem Punkt fast eins zu eins dem internationalen Seearbeitsübereinkommen entspricht.

Bestehende Heuerverträge, welche die Vorgaben nicht erfüllen, haben keinen Bestandsschutz. Wahrscheinlich müssen deshalb die meisten Heuerverträge mit Seeleuten neu abgeschlossen werden. In diesem Fall sollte eine Reederei mit ihrem Seemann vereinbaren, den bisherigen Heuervertrag zu denselben Rechten und Pflichten fort­zuführen. Außerdem sollte das Datum des alten Heuervertrages und der Grund für den neuen Vertrag – die Anforderungen des Seearbeitsgesetzes – genannt werden, damit der Seemann keinen Nachteil durch den Abschluss eines neuen Vertrages hat. Zudem muss der Reeder jeden Heuervertrag mitunterschreiben. Ist jemand anderes als der Reeder Arbeitgeber des Besatzungsmitgliedes – beispielsweise bei Catering-Personal auf Fahrgastschiffen –, kann der Reeder den anderen Arbeitgeber für die Vertragsunterschrift bevollmächtigen.

Wie bisher kann mit einem ausländischen Seemann ausländisches Recht bei der Höhe der Heuer, der Urlaubsvergütung, den Kündigungsfristen und beim Kündigungsschutz vereinbart werden – allerdings nur, wenn die Mindestanforderungen des Seearbeitsübereinkommens eingehalten werden. Das Seearbeitsgesetz lässt die Frage der Anwendung ausländischen Rechts offen. Es muss daher im Einzelfall und anhand objektiver Kriterien entschieden werden, welches jeweilige Recht für den Heuervertrag gilt.

Dienstbescheinigungen, § 33

Der Reeder muss zukünftig jedem Besatzungsmitglied eine Dienstbescheinigung als Nachweis der Seefahrtszeiten an Bord ausstellen. Dieses Dokument müssen die Seeleute spätestens zum Dienstende an Bord erhalten. Stimmt das Besatzungsmitglied zu, ist auch die elektronische Form zulässig. In der Fähr- und Schleppschifffahrt wird es wegen der häufigen Besatzungswechsel Sonderregelungen geben.

Arbeits- und Ruhezeiten, §§ 42 bis 55

Der politisch umstrittenste Punkt im

Gesetzgebungsverfahren für das Seearbeits­gesetz ist der Bereich der Arbeits- und Ruhezeiten. Im Gespräch ist eine Angleichung der deutschen Arbeitszeiten an Bord an

das internationale Niveau. Zu Redaktionsschluss stand jedoch noch nicht fest, wie die Entscheidung des Deutschen Bundestags in dieser Fragestellung aussehen kann.

Heimschaffung, § 76

In Zukunft muss ein Nachweis einer finanziellen Sicherheit zur Deckung der Heimschaffungskosten an Bord sein, beispielsweise eine Bescheinigung einer P&I-Versicherung.

Unterkünfte an Bord, §§ 93 bis 96

Die detaillierten Vorgaben des Seearbeitsübereinkommens zu den Unterkünften an Bord finden sich im deutschen Recht in der neuen See-Unterkunftsverordnung wieder. Die neuen Regelungen gelten nur für Schiffe, die nach Inkrafttreten des Seearbeitsgesetzes gebaut werden. Für kleinere Schiffe mit einer Bruttoraumzahl von bis

zu 3.000, für Spezialschiffe sowie Fahrgast- und Fischereifahrzeuge sind Sonderregelungen vorgesehen.

Als weitere Ausnahme dürfen auch auf größeren Schiffen zwei Auszubildende in einer Kammer untergebracht werden, wenn für sie ein eigenes Bad und eine Toilette vorhanden sind.

Verpflegung, §§ 97 und 98

Zukünftig muss ein Schiffskoch an Bord sein, wenn das Schiffsbesatzungszeugnis zehn oder mehr Besatzungsmitglieder vorschreibt. Die Befähigung als Schiffskoch kann durch eine Ausbildung als Koch, eine Gaststättenunterrichtung durch eine Industrie- und Handelskammer oder einen Nachweis eines ausländischen Staates über die Befähigung als Schiffskoch nachgewiesen werden.

Heuerfortzahlung, § 104

Im Krankheitsfall wird Besatzungsmitgliedern zukünftig nicht mehr sechs, sondern 16 Wochen ihre Heuer weitergezahlt. Ab der 7. Woche muss der Reeder allerdings »nur« noch die Heuer in Höhe des Krankengeldes in der gesetzlichen Krankenversicherung zahlen. Gesetzlich krankenversicherte Besatzungsmitglieder erhalten da-

gegen wie bisher das Krankengeld von ihrer Krankenkasse.

Medizinische Ausstattung, §§ 107 bis 109

Die BG Verkehr überprüft zukünftig die medizinische Ausstattung an Bord. Den Umfang der medizinischen Ausstattung von Seeschiffen wird der neue »Ausschuss für medizinische Ausstattung in der Seeschifffahrt« festlegen. Neben allen wichtigen Experten im maritim-medizinischen Bereich und einem Nautiker werden auch seefahrt­erfahrene Vertreter der Gewerkschaft Verdi und des Verbandes Deutscher Reeder im Ausschuss vertreten sein.

Arbeitssicherheit, §§ 115 und 116

Auf Schiffen mit fünf oder mehr Besatzungsmitgliedern muss ein Sicherheits­beauftragter bestellt und ein Schiffssicherheitsausschuss eingerichtet werden. Der Ausschuss muss mindestens viermal im Jahr an Bord beraten. Die Zuständigkeit für den staatlichen Arbeitsschutz wird von den Ländern auf die BG Verkehr (Dienststelle Schiffssicherheit) verlagert.

Beschwerderechte, §§ 127 und 128

Besatzungsmitglieder auf deutschflaggi­gen Schiffen haben in Zukunft das Recht, sich bei Verstößen gegen das Seearbeits­gesetz direkt an die BG Verkehr als staatliche Beschwerdestelle für Seeleute zu wenden. Außerdem müssen sie schriftlich vom Reeder über ihre Beschwerdemöglichkeiten einschließlich der Kontaktstellen an Bord und an Land informiert werden. Besatzungsmitglieder können sich mit ihren Beschwerden sogar an Hafenstaatkontrolleure wenden (Abb. 3).

Modernisierung und Bürokratieabbau

Mit dem Seearbeitsgesetz schafft der Gesetzgeber auch das seit langem umstrittene Musterungsverfahren ab. Außerdem stehen Seefahrtszeiten demnächst nicht mehr im Seefahrtbuch, sondern in den Dienstbescheinigungen. Das Seefahrtbuch in Form eines Seeleute-Ausweises kann zukünftig freiwillig beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) beantragt werden.

Dokumente und Kontrollen

Handelsschiffe mit einer Schiffsgröße von 500 BRZ oder mehr in der internationalen Fahrt müssen zukünftig über ein Seearbeitszeugnis sowie eine Seearbeits-Konformitätserklärung verfügen. Das Zeugnis ist fünf Jahre gültig und Reeder erhalten es erst nach einer eingehenden Überprüfung des Schiffes durch den Flaggenstaat. Zwischen dem zweiten und dritten Jahr der Laufzeit des Zeugnisses sind Zwischenüberprüfun­gen vorgeschrieben. Die Besichtigungen an Bord führt bei deutschflaggigen Schiffen entweder die Dienststelle Schiffssicherheit der BG Verkehr durch oder eine der anerkannten Klassifikationsgesellschaften. Das Seearbeitszeugnis wird ergänzt durch die Seearbeits-Konformitätserklärung.

Kleinere Schiffe mit einer Schiffsgröße von unter 500 BRZ und alle Schiffe in der nationalen Fahrt benötigen kein Seearbeitszeugnis und keine Konformitäts-Erklärung, werden aber seearbeitsrechtlich alle drei Jahre überprüft.

Fischereifahrzeuge, die länger als drei Tage auf See bleiben und mit einer Länge ab 24 m oder die regelmäßig in einer Entfernung von über 200 NM von der Küste unterwegs sind, müssen ein Fischereiarbeitszeugnis haben. Alle anderen Fischereifahrzeuge sind zeugnisfrei und werden nur dann überprüft, wenn etwa Beschwerden von Besatzungsmitgliedern beim Flaggenstaat eingehen und an Bord untersucht werden müssen.

Zeitplanung

Das Seearbeitsgesetz wird voraussichtlich am 1. Juli 2013 in Kraft treten. Schon vorher wird die BG Verkehr in Absprache mit den Reedereien mit den Überprüfungen deutschflaggiger Schiffe im Rahmen der Flaggenstaatkontrolle beginnen, damit ab dem 1. Juli Seearbeitszeugnisse ausgestellt werden können. Aber auch unabhängig vom Seearbeitszeugnis sollten die Reeder ihre Schiffe in der internationalen Fahrt für das Seearbeitsgesetz und für das Seearbeitsübereinkommen »fit machen«, um Probleme bei Hafenstaatkontrollen im Ausland zu vermeiden.

Für die Hafenstaatkontrollen nach dem Seearbeitsübereinkommen gibt es keinen weltweit einheitlichen Starttermin. Die ers­ten 30 Unterzeichnerstaaten des Seearbeitsübereinkommens, darunter Singapur und Spanien, könnten ab dem 21. August 2013 mit seearbeitsrechtlichen Hafenstaatkontrollen beginnen – ob sie tatsächlich schon im Sommer starten, ist aber derzeit noch unklar. Alle anderen Staaten dürfen erst zwölf Monate nach ihrem jeweiligen verbindlichen Beitritt (Ratifikation) zum Seearbeitsübereinkommen mit Hafenstaatkontrollen in ihren Häfen beginnen.

Deutschland wird das Seearbeitsübereinkommen voraussichtlich im Frühsommer 2013 ratifizieren, so dass die seearbeitsrechtlichen Hafenstaatkontrollen in deutschen Häfen nicht vor 2014 beginnen werden.