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Die deutsche Seeschifffahrt – ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit? Welche Folgen die neue Besteuerungspraxis für das etablierte KG-System haben könnte.
Milliardenbeträge von privatem Kapital wurden in den Aufbau der deutschen Seeschifffahrtsflotte gelenkt, zigtausende hochwertige Arbeitsplätze geschaffen, ehemals strukturschwache Regionen an[ds_preview] Ems, Dollart, Weser oder Elbe erlebten einen wirtschaftlichen Aufschwung, Standorte der maritimen Ausbildung eine neue Blüte.

Dieser Erfolgsstory droht nun ein abruptes Ende. Was vier Jahre Weltfinanzkrise nicht geschafft haben, scheint nun der deutschen Finanzverwaltung zu gelingen, indem man daran geht, eine Jahrhunderte alte Form der Zusammenarbeit in der Seeschifffahrt einem fragwürdigen Steuerdiktat zu unterwerfen. Konkret sollen Einnahmepools als Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit deklariert und damit der Versicherungssteuer unterworfen werden. Einnahmepools haben zur Zielsetzung, die sehr hohen Risiken der Seeschifffahrt für die einzelne Schifffahrtsgesellschaft – in Deutschland vor allem für die Einschiffs-KGs (Kommanditgesellschaften) abzumildern. Schiffe mit überdurchschnittlichen Einnahmen (im Fachjargon als Overearner bezeichnet) zahlen in einen Topf (= Pool) ein, solche mit unterdurchschnittlichen Einnahmen (Underearner) erhalten daraus einen Ausgleich. Einnahmepools sind vermutlich so alt wie die kommerzielle Seeschifffahrt und internationaler Standard. Da die Charterverträge der einzelnen Poolmitglieder zu unterschiedlichen Zeiten und Höhen abgeschlossen werden, wechseln sich die Schiffe in der Rolle der Over- und Underearner ab.

Die Funktionsweise der Einnahmepools in der Seeschifffahrt entspricht im Übrigen der des deutschen Länderfinanzausgleichs. Reichere Bundesländer (Geberländer) zahlen einen Ausgleich an die ärmeren Bundesländer (Nehmerländer). So zahlte Bayern im Jahr 2012 beachtliche 3,9 Mrd. € in den Länderfinanzausgleich ein, über die letzten sieben Jahre waren es mehr als 20 Mrd. €. In früheren Jahren gehörte Bayern zu den Nehmerländern.

Das dem Bundesfinanzministerium unterstellte Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) vertritt neuerdings die Ansicht, dass Einnahmepools in der Seeschifffahrt als Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit anzusehen sind. Sollte sich diese Ansicht durchsetzen, hätte dies für die Overearner möglicherweise gravierende Konsequen­zen. Sie müssten auf die Ausgleichszahlungen in den jeweiligen Pool noch zusätzlich 19 % Versicherungssteuer entrich­ten. Die genaue Bemessungsgrundlage ist derzeit noch unklar. Diskutiert wurde, ob sich die Versicherungssteuer auf die Ausgleichszahlungen in den jeweiligen Pool bezieht; in diesem Fall müssten die Over­earner mit erheblichen Belastungen rechnen. Um ein Beispiel zu geben: Die durchschnittliche Rate in einem 2.500-TEU-Containerschiffs-Pool beträgt 10.000 $ pro Tag. Dabei verdient eines der Schiffe aus einem gut dotieren langfristigen Chartervertrag 25.000 $, während die anderen sechs Schiffe zu den aktuell sehr schlechten Raten fahren, also als Underearner agieren.

Würde der Overearner nun noch zur Zah­lung einer Versicherungssteuer von 19 % auf die Ausgleichszahlung gezwungen werden, müssten fast 3.000 $ pro Tag an das Finanzamt abgeführt werden, in einem Jahr kämen rund 1 Mio. $ an Versicherungssteuer zusammen. Da die Versicherungssteuer auch noch nachträglich für sieben Jahre zu bezahlen wäre, würde sich ein Betrag von mehreren Millionen Dollar addieren – ein Todesurteil für den Overearner! Selbst wenn die zusätzlichen finanziellen Lasten – gemäß dem Poolgedanken – auf alle Poolmitglieder umgelegt würden, wäre keine einzige Schiffsgesellschaft überlebensfähig, zumal in der aktuellen Situation, in der die Schiffe nicht einmal ihre Betriebskosten einfahren.

Betrachten wir noch einmal den Länderfinanzausgleich: Das Land Bayern, also ein Overearner, müsste zu den Ausgleichszahlungen plötzlich noch zusätzlich 19 % Versicherungssteuer bezahlen, das macht für das Jahr 2012 die Kleinigkeit von weiteren 0,7 Mrd. € bzw. rückwirkend für die letzten sieben Jahre von zusammen rund 4 Mrd. €. Diese Vorstellung ist absurd; in München würde man alle Hebel in Bewegung setzen, damit es nicht soweit kommt.

Wird es aber den deutschen Seeschifffahrtsbetrieben, einer regionalen Branche, zerfächert in Tausende von Einzelgesellschaften, gelingen, die Versicherungssteuer für Einnahmepools abzuwehren? Überlegen wird doch einmal, was passieren würde, wenn sich das BZSt mit seiner Auffassung durchsetzt.

Bekanntermaßen ist die Seeschifffahrt ein Gewerbe, das wie kaum ein anderes dem scharfen internationalen Wettbewerb ausgesetzt ist. Dies war im Übrigen schon immer so. Schifffahrt ist Kapitalismus pur. Nur die Starken überleben. Die Kosten spielen die entscheidende Rolle. Nur aus diesem Grund, um also »internationale« Kosten zu haben, flaggen die Reedereien ihre Schiffe aus. Dies ist kein singuläres deutsches Phänomen: 71 % aller Frachtschiffe weltweit führen eine Flagge, die nicht die Heimatflagge ist. Beispielsweise haben Japan 90 %, die USA 88 % und selbst China 57 % ihrer Schiffe ausgeflaggt.* Nur wenn rechtliche (Kabotagegesetze), verteidigungspolitische oder steuerliche Faktoren (Flaggenbindung bei Steuervorteilen) gegeben sind oder im Vordergrund stehen, bleibt das Schiff der Heimatflagge erhalten.

Wenn nun die deutschen Schiffsgesellschaften mit einer Steuer belastet werden, die es im Ausland nicht gibt, ist ihr Ende vorprogrammiert. Um konkret zu sein: das Ende der Gesellschaften mit nur einem oder wenigen Schiffen. Große Reedereien brauchen keine Einnahmepools, weil sie einen internen Risikoausgleich vornehmen können. Aber: Wie viele Großreedereien haben wir denn in Deutschland? Nur eine Handvoll! Die deutsche Seeschifffahrt besteht überwiegend aus tausenden kleiner Kommanditgesellschaften.

Das Ganze käme einem wirtschaftspolitischen Kahlschlag in ansonsten strukturschwachen Regionen wie dem Emsland, Ostfriesland, der Wesermarsch oder dem Alten Land gleich. Auch Hamburg würde den Wegfall des Managements von Hunderten von Schiffen spüren – und die süddeutschen Geberländer müssten noch höhere finanzielle Lasten beim Finanzausgleich stemmen.

Es stellen sich weitere Fragen: Einnahmepools werden häufig, entsprechend dem internationalen Charakter der Seeschifffahrt, international organisiert. Was passiert also, wenn der Overearner eine ausländische Schiffsgesellschaft ist? Diese kann ja wohl nicht zur Zahlung der deutschen Versicherungssteuer herangezogen werden. Sollte die Versicherungssteuer auf Erlöspools kommen, würden nicht nur die Schiffe ausgeflaggt werden, sondern die Schifffahrtsunternehmen würden gleich mit ins Ausland abwandern. So etwas hatten wir schon einmal, als in den 1970er-Jahren Zypern zum Eldorado für die deutschen Reeder wurde.

Wie kommt das BZSt ferner darauf, möglicherweise die Ausgleichszahlung besteuern zu wollen? Bei einer »richtigen« Versicherung wird die Versicherungsprämie besteuert, die das Risiko eines Verlustes abdeckt, nicht aber die Zahlung, die als Ausgleich für einen tatsächlich entstandenen Verlust fließt. Nicht nur die Steuer an sich, sondern auch deren angedachte Funktionsweise verdient einen Platz im Kuriositätenkabinett.

Wie kommt man schließlich beim BZSt plötzlich auf die Idee, einen Jahrhunderte alten und in allen möglichen Ländern akzeptierten internationalen Brauch aushebeln zu wollen? Bei den gegebenen hohen Risiken der Seeschifffahrt braucht es Absicherungsmechanismen. Wem solche verweigert werden, der hat keine Chance. Hoffen wir also, dass beim BZSt bzw. bei den übergeordneten Institutionen die nötige Einsicht einkehrt und uns die deutsche Seeschifffahrt in ihrer zurzeit gegebenen Bandbreite erhalten bleibt.

Prof. Dr. Berthold Volk