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Mit neuen und noch »grüneren« Lösungen will Siemens in der maritimen Branche weiter wachsen. Da die Themen Energieeffizienz und Technologie-Integration in aller Munde sind, ist dem Unternehmen um die Zukunft nicht bang, wie Andreas Schwan und Kay Tigges im Interview mit der HANSA schildern
Herr Schwan, welchen Stellenwert hat die maritime Industrie für Siemens – aus his­torischer Sicht und heute?

Andreas Schwan: Die maritime Branche hat schon immer eine bedeutende Rolle gespielt. In der jüngsten Vergangenheit haben wir unseren Auftritt innerhalb des Industriesektors noch einmal geschärft, um den Kunden unser Know-how noch stärker darzustellen.

Inwieweit arbeiten Sie mit den Kollegen aus dem Offshore-Bereich zusammen, die im Energiesektor angesiedelt sind, aber hier in Hamburg mit Ihnen in einem Haus sitzen?

Schwan: Wir versuchen stets, einen engen Schulterschluss mit den Bereichen Offshore-Windkraft und Öl & Gas herzustellen, da es durchaus Überlappungen bei den Kundenkreisen gibt, etwa wenn wir über FPSOs, Drilling Rigs oder die gigantischen HGÜ-Plattformen für die Windkraft auf hoher See sprechen. Immer dann, wenn maritime Anforderungen im Vordergrund stehen, unterstützen wir die Kollegen natürlich.

Kay Tigges: Zwischen den Bereichen Offshore und Schiffbau gibt es bei den Anforderungen durch Wind, Seegang oder Umgebungstemperatur durchaus Paralle­len. Auch die Klassevorschriften sind zum Teil sehr ähnlich – somit kann man bewährte Systeme hier wie dort einsetzen.

Siemens weist konzernweit seit einigen Jahren ein gesondertes »grünes« Portfolio aus, d. h. Produkte, die energieeffizienter und umweltfreundlicher sind als die des Wettbewerbs. Wie stellt sich dies im maritimen Bereich dar?

Schwan: Ich kann nicht quantifizieren, welcher Teil unserer Produktpalette als »grün« titulierbar ist. Grundsätzlich gilt auf Konzernebene, dass alles »grün« ist, was 20 % über dem Branchendurchschnitt liegt. Aber allein an dieser Zahl kann man es nicht festmachen. Bestimmte Lösungen ergeben nur dann einen Sinn, wenn das Fahrprofil eines Schiffes entsprechend ausgelegt ist, sodass die Effizienzsteigerung wirklich zutage tritt. Es wäre beispielsweise nicht sinnvoll, einen Tanker, der mit konstanter Geschwindigkeit von A nach B fährt, mit einem diesel-elektrischen Antrieb auszurüs­ten. Denn ein solider Arbeitspunkt für den Dieselmotor liegt bei 80 bis 85 %. Das Schiff fährt also in einem bestimmten Tempo gleichmäßig durch – effizienter geht es nicht. Alles, was dazwischen geschaltet wird, bringt nur Verluste ein.

Sehr lukrativ dagegen ist ein diesel-elektrisches Antriebssystem im Niedrigvoltbereich für Spezialschiffe, die an Offshore-Plattformen andocken und ein variables Fahrprofil haben, wie z. B. das Halten in schwerer See, Vorausfahren, Manövrieren etc. Bezogen auf einen Standarddieselantrieb können Einsparungen von bis zu 30 % erreicht werden.

Eines Ihrer »grünen« Produkte ist die Softwareplattform EcoMain, die den Schiffs­betrieb durch die Darstellung aller Verbrauchsdaten effizienter machen soll. Wie sind die Rückmeldungen auf das im Rahmen der SMM 2012 vorgestellte System?

Tigges: Sehr gut, denn der Trend geht zunehmend zur Integration. Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass man viele Systeme verbinden muss, um Informationen zu erhalten und somit effizienzsteigernde Systeme überhaupt erst wirksam werden zu lassen. Das ist der Grundgedanke von EcoMain. Deshalb wird es von anderen Firmen unterstützt, die sich bei uns einklinken und unsere Schnittstellen nutzen wollen.

Gibt es schon konkrete Aufträge?

Schwan: Ja , aber darüber kann ich ohne vorherige Klärung mit unseren Kunden nicht reden. Es wird eine entsprechende Mitteilung für die noch zu erwartenden Aufträge geben.

Ist das EcoMain-System grundsätzlich für alle Schiffstypen geeignet?

Schwan: Auf jeden Fall. Wenn EcoMain zum Flottenmanagement genutzt werden soll, eignet es sich nicht etwa nur für Containerschiffe, sondern auch für einen Fregattenverband. So ist die australische Marine sehr an der Lösung interessiert, sei es für Retrofits wie auch für künftige Neubauten.

Bezüglich Waste Heat Recovery (WHR) ist es kein Geheimnis, dass Ihre Lösung zur Abwärmerück­gewinnung bei der Triple-E-Klasse von Maersk eingesetzt wird …

Schwan: In der Tat wird das System auf den größten Containerschiffen der Welt mit einer Stellplatzkapazität von 18.000 TEU eingebaut! Wenn man auf einem Schiff mit einer solchen Größe eine Verbrauchserspar­nis von 12 % erzielt, sind das Welten.

Was sagen Sie dazu, dass einige Klassifikationsgesellschaften und Reeder WHR noch immer skeptisch gegenüberstehen? Kritikpunkte sind die technische Zuverlässigkeit und der Amortisationszeitraum.

Tigges: Diese Vorbehalte liegen in der Historie begründet. In den 1970er-Jahren ist die Technik zur Abwärmerückgewinnung relativ unprofessionell angegangen worden. So gab es große Probleme, weil die Anlagen komplexer waren und der heutige Automatisierungsgrad gar nicht denkbar war. Inzwischen gibt es sehr viel besser adaptierte Systeme, sowohl von der Regelung und Energieflusssteuerung her als auch seitens der Turbinen und Dampfturbinen, die jetzt für den Schiffbau tauglich sind. Damit sind Handhabungs-, Sicherheits- und Optimierungsautomatismen gegeben. Ein Problem ist allerdings, dass es immer weniger ausgebildetes Personal gibt, das damit umgehen kann. Viele Reeder haben Angst, solche komplexen Systeme einzusetzen, weil sie befürchten, sie nicht richtig betreiben zu können.

Über welche Amortisationszeiträume sprechen wir bei WHR aus Ihrer Sicht?

Tigges: Das ist stark vom Bunkerpreis abhängig. Bei zurzeit knapp 700 $ für eine Tonne Schweröl sprechen wir über gerade einmal drei bis vier Jahre. Umso unverständlicher ist, dass wir noch immer auf Vorbehalte treffen. Deshalb müssen wir vor allem die Werften überzeugen, die Technologie anzubieten. Bislang waren diese wenig an solchen komplexen Systemen interessiert, da sie mehr Arbeit und Aufwand bedeuten, was zu Preissteigerungen führt.

Eignet sich die Abwärmerückgewinnungstechnik auch zum Nachrüsten?

Tigges: Im Prinzip sehr gut, weil man einzelne Komponenten vorfertigen kann und das System dann im Komplettaustauschverfahren einbaut – sprich den Abgasschacht durch einen Abgasschacht mit Kessel ersetzt. Allerdings muss der Verlust einiger Containerstellplätze hingenommen werden. Das große Problem indes liegt in der Umbauzeit. Das Nachrüsten ist zurzeit unter drei bis vier Wochen nicht machbar – das stört den Trade und das Schiff verdient kein Geld.

Ein Refit während Klassearbeiten kommt ebenfalls nicht infrage?

Tigges: Das ist angedacht worden, aber die Werftliegezeit würde sich dennoch verlängern. Deshalb wurde solch eine Nachrüs­­tung noch nicht durchgeführt. Allerdings sind Umbauwerften an der Thematik naturgemäß sehr interessiert und führen entsprechende Untersuchungen durch. Man muss also abwarten.

Auf welche weiteren Themen legt Siemens aktuell den Fokus?

Schwan: Unter anderem wollen wir bei unseren Niederspannungsantrieben noch effizienter werden. Vorteilhafter in Bezug auf den Treibstoffbedarf und eines verringerten Emissionsausstoßes ist es, wenn die Drehzahl der Dieselgeneratoren variabel gestaltet werden kann und auch eine Synchronisation der Generatoren nicht notwendig ist. Anstatt über ein Wechselstrom (AC)-Steuerschrank wie bei der konven­tionellen diesel-elektrischen Lösung setzt Siemens auf einen sogenannten DC-Link (Gleichstrom). Hierbei wird der von den Generatoren erzeugte Wechselstrom in Gleichstrom umgewandelt. Stromerzeugung und Stromverbrauch für den Betrieb der Fahrmotoren als auch für das Bordnetz sind somit entkoppelt. Das bedeutet, dass die Dieselgeneratoren immer im optimalen Lastbereich arbeiten können. Die Abgabe der Leistung erfolgt durch das Umformen der Gleichspannung in Wechselspannung für den Motor. Ein weiterer Vorteil der DC-Lösung ist, dass Energiespeicher (z. B. Akku oder Brennstoffzelle) für einen zeitweisen emissionsfreien Betrieb oder bei Lastspitzen einfach integrierbar sind.

Beispiel Fährbetrieb: Hier ist das Prinzip relativ einfach. Während der Überfahrtzeit lädt sich eine Batterie auf, damit man im Hafen auf Batteriebasis emissionsfrei manövrieren kann.

Hat die Technik nur bei kleineren Fähren mit kurzen Routen Potenzial?

Schwan: Über die heutige Batterietechnologie ist das sicherlich auch auf längeren Trades machbar, aber es bedarf dazu einiger Überlegungen, unter anderem bezüglich der Beherrschbarkeit von Lithium-Ionen-Batterien. Wir sind da sehr vorsichtig, bevor wir uns an Größeres heranwagen.

Tigges: Zurzeit überlegen Maschinenhersteller, die Erdgas als Brennstoff für ihre Generatoren oder Hauptantriebe nutzen, wie sie die Nachteile von gasbetriebenen Maschinen im Drehmoment- und Beschleunigungsverhalten teilweise mit elektromotorischen Zusatzantrieben ausgleichen können. Da bieten sich Energiespeicher in Form von Batterien an, auch für längere Trades – allerdings nicht, um ausschließlich auf Batterie zu fahren. Dies schließt sich aufgrund des hohen Gewichtes aus. Innerhalb von Umweltzonen ist die Nutzung hingegen sinnvoll. In Skandinavien und Nordamerika gibt es schon einige solcher Lösungen. Teilweise wird bewusst mit schlechterer Energiebilanz gefahren, dafür aber mit null Emissionen.

Schwan: Beim Thema emissionsfreies Fahren über mittellange Strecken gibt es viele Diskussionen, auch in Bezug auf Brennstoffzellenapplikationen. Die Frage ist immer: Welchen Betrag ist man bereit zu investieren? Ist der Return of Invest gegeben? Rein technisch können wir sicherlich sogar mehrere Brennstoffzellenmodule zusammenschalten, um die nötige Energie an Bord zu generieren, aber es gibt neben der Kostenproblematik eine Menge Themen, die geklärt werden müssen, bevor diese Technologie im Überwasserschiffbetrieb Einzug erhält.

Gibt es andere zukunftsträchtige Lösungen, an denen Sie forschen?

Schwan: Ein Stichwort ist die HTS-Technologie, also Hochtemperatursupraleitung. Immer dort, wo Volumen- und Gewichtsbegrenzungen vorhanden sind, ist eine solche Anwendung sinnvoll – also gerade im Schiffbau. Wir haben entsprechende Szenarien durchgerechnet, ab wann sich ein HTS-Motor über die Lebenszeit rechnet, und glauben fest daran, dass das Thema kommen wird.

Aus welchem Anwendungsbereich erwarten Sie hier am ehesten Kunden?

Schwan: Da sind wir völlig offen. Das kann ein Navy-Kunde sein oder z. B. einer aus dem Yachtbau. Es gibt viele Anwendungsfälle, wo ein HTS-Motor oder -Generator von Vorteil sein wird.

Tigges: Es bietet sich auch die Möglichkeit eines Retrofits mit einem HTS-Motor an, gerade für ältere Fregatten. Die Vorteile liegen in Leistungssteigerungen nahezu

ohne Gewichtszunahme auf gleichem Bauvolumen.

Was sind die zurzeit wichtigsten Absatzmärkte für die maritimen Produkte von Siemens?

Schwan: Im Fokus steht ganz klar die Spezialschifffahrt. Aufgrund unserer Stärke bei diesel-elektrischen Antrieben sind das zum einen Offshore-Spezialschiffe für die Windkraft- und Öl & Gas-Industrie und zum anderen ist es der Marine-Bereich. So haben wir etwa mit den U-Booten von TKMS ein starkes Standbein, aber auch mit großen Navy-Projekten in der ganzen Welt, z. B. in Australien und Spanien. Erst danach kommt die klassische Handelsschifffahrt mit Tankern, Bulkern und Containerschiffen. Bei letzteren wollen wir aber mit Produkten wie Wellengeneratoren, WHR, der EcoMain-Plattform und Automationslösun­gen noch stärker werden.

Von der großen Krise in der Handelsschifffahrt sind Sie demnach nicht so stark betroffen?

Schwan: Richtig. Das Marinegeschäft ist relativ stabil. Und in der Öl & Gas-Industrie wird ein jährliches Wachstum bei den Spezialschiffen von 5 % bis 2018 erwartet. Als Marktführer bei den Niederspannungsantrieben sind wir hier sehr gut aufgestellt. Fast wöchentlich bekommen wir Anfragen der großen Offshore-Flotten-Kunden für unsere Systeme, sodass wir von dem Boom noch die nächsten Jahre zehren werden. Im Windkraftmarkt ist die Entwicklung der erforderlichen Spezialschiffe zurzeit etwas verhaltener und hängt wesentlich von der Finanzierung der Parks ab. Langfristig sind die Aussichten aber ebenfalls gut.

Welchen Stellenwert haben für Sie Passagierschiffe?

Schwan: Einen sehr hohen! Wir waren bei den Aida-Schiffen immer sehr erfolgreich dabei und verfolgen nun mit Interesse die Neubauten bei Mitsubishi. Dafür liefern wir die komplette Automation; der An­triebs­part ging aber leider an uns vorbei. Spannend ist auch, was im Kreuzfahrtschiffbau künftig in China passiert. Die Chinesen wollen unbedingt in diesen Marktbereich rein, und da sind wir naturgemäß an entsprechenden Kooperationen interessiert. Nach wie vor sind wir aber auch mit der Meyer Werft im Gespräch.

Bei Pod-Antrieben stellen Sie sich gerade neu auf. Was sind hier die Hintergründe?

Tigges: Als Siemens werden wir Pods, die wir früher im Joint Venture mit der Firma Schottel als Siemens Schottel Propulsion (SSP) entwickelt haben, jetzt in Eigenregie weiterentwickeln und vermarkten. Da sind wir gerade mitten in der Know-how-Übertragungsphase. Wir liefern künftig das gesamte Pod-System inklusive Mechanik, Propeller und Steuerhydraulik.

Unter anderem sehen wir diesbezüglich in der Frachtschiff-Eisfahrt einen großen Markt auf uns zukommen. Hierbei fokussieren wir uns zunächst auf kleine und

mittlere Tankschiffe, die mit Pod-Systemen rückwärts fahrend Eis brechen können.

Durch unser spezielles Produkt, das besondere Eigenschaften betreffend Einbauhöhe, Wirkungsgrad und Eisbrecheigenschaften hat, erwarten wir ein gutes Ab-

satzpotenzial.

Siemens hat jüngst auf Konzernebene ein Sparprogramm angekündigt. Im Offshore-Bereich dagegen wird kräftig aufgestockt, gerade hier in Hamburg. Wie sieht die Entwicklung in Ihrem Geschäftsbereich aus?

Schwan: Wir haben kürzlich erst Arbeitskräfte eingestellt, sodass aktuell kein weiterer Bedarf besteht. Ein Abbau steht aber nicht zur Debatte. Inklusive der Auslandsregionen sind wir mit mehr als 500 Leuten im maritimen Bereich gut aufgestellt.


Nikos Späth, Thomas Wägener