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Im März trat am Nord-Ostsee-Kanal der Super-GAU ein: Welche Folgen die Teilsperrung der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt für die Schifffahrt hatte und wie es an der Großbaustelle nun weitergeht, berichtet Thomas Wägener
Meldungen über Störungen und eingeschränkten Schiffsverkehr im Nord-Ostsee-Kanal (NOK) gab es in der jüngeren Vergangenheit häufiger. Zumeist konnten[ds_preview] die entstandenen Schäden an den Schleusen aber in relativ kurzer Zeit behoben werden. Oder es wurde nur eine der beiden großen Schleusen gesperrt, was zwar zu Verzöge­rungen im Kanalbetrieb führte, aber immerhin konnte dieser fortgesetzt werden.

Sperrung durch gleichzeitigen Schleusenausfall

Im März gab es jedoch einen Totalausfall der beiden großen Schleusenanlagen in Brunsbüttel. Die fast 100 Jahre alten Schleusentore versagten zeitgleich ihren Dienst, sodass der Kanal für Schiffe mit einer Länge von mehr als 125 m für gut eine Woche gesperrt werden musste. Sowohl das elbseitige Tor 1 der Nordkammer als auch das Tor 6 der Südkammer auf der NOK-Seite funktionierten nicht mehr. Die Probleme mit den noch aus der deutschen Kaiserzeit stammenden Toren sind mechanischer Art. Sie laufen auf sogenannten Torunterwagen und Schienen, die auf einem Betonfundament am Grund der Schleusen befestigt sind. Belastungen durch Betrieb, Tide, Schlick und Schraubenwirkung der Schiffe führen dazu, dass sich die Schienen immer wieder lösen. Bei den beiden betroffenen Toren können die Schienen wegen des maroden Zustandes des Betonfundaments nicht mehr befestigt werden. Um den Kanalbetrieb dennoch aufrechtzuerhalten, wurden die Tore notdürftig auf Holzkufen gesetzt. Am Tor der Südkammer war das Holz jedoch zwischenzeitlich abgetrieben, und der schlechte Zustand der Granitfläche am Tor der Nordkammer, auf der die Holzkufen gleiten, hatte nahezu gleichzeitig dazu geführt, dass die Lastaufnahme für die entsprechenden Torantriebe zu groß geworden war. Deshalb hätten die Tore nicht mehr gefahren werden können, sagte Thomas Fischer, Sprecher beim Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) Brunsbüttel. Einzig kleinere Schiffe durften den Kanal noch nutzen, weil die kleinste Schleuse für Schiffe bis zu einer Länge von 125 m in Betrieb blieb.

Folgen für Reedereien und Kanalbetreiber

Der Kanalbetrieb war fast vollständig zum Erliegen gekommen. Dies hat weitreichende Folgen für im Kanal verkehrende Reedereien, aber auch für Lotsen, Kanalsteuerer und Schlepper – bis hin zum Endverbraucher, für den die per Schiff transportierten Waren bestimmt sind. Da die Kette der von der Kanalsperrung Betroffenen so lang ist, lassen sich die Zusatzkosten kaum abschätzen. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass sie eine beachtliche Höhe erreichen. Möglicherweise sind die Kosten sogar doppelt so hoch wie bei einem normalen Kanalbetrieb.

Schiffe, die den NOK als Verbindung zwischen Nord- und Ostsee nutzen, müssen bei einer Sperrung des Kanals den deutlich weiteren Weg durch Skagerrak und Kattegat in Kauf nehmen. Nicht nur, dass dieser mehr Zeit in Anspruch nimmt, er verursacht auch höhere Kosten beim Treibstoffverbrauch. Darüber hinaus können Schiffe ihre Fahrpläne nicht einhalten und müssen unter Umständen auf Reede gehen, da ihr Liegeplatz wegen der Verspätungen von anderen Schiffen belegt ist. Oder sie müssen zusätzliche Hafenschichten bezahlen, um die entstandenen Verzögerungen wettzumachen. Zudem sinkt durch den Umweg die Transportkapazität der Schiffe auf ihrer Route, weil die Taktung der Hafenanläufe zurückgeht. Hinzu kommen mögliche Strafzahlungen, da per Schiff angelieferte Teile nicht rechtzeitig beim Kunden ankommen und so letztlich auch bei Produktionsprozessen Verzögerungen entstehen.

Für Lotsen, Kanalsteuerer und Schlepper, welche die Schiffe im Kanal begleiten, hat eine Sperrung des NOKs ebenfalls erhebliche Folgen. Wenn nur noch kleinere Einheiten die fast 100 km lange künstliche Wasserstraße befahren können und diese weder Schlepper noch Kanalsteuerer als Assistenz benötigen, führt dies zu einer verringerten Beschäftigung des Personals. Darüber hinaus gehen Einnahmen verloren, die Schiffe für das Befahren des Kanals entrichten. Deren Höhe ist abhängig von der Größe. Die Schiffseinheiten sind in Kategorien von 1 bis 6 gestaffelt, wobei die größten Schiffe der Kategorie 6 zugeordnet werden. Je nach Größe und Ladung müssen Schiffe zusätzlich zu den Lotsen bis zu zwei Kanalsteuerer an Bord nehmen, was höhere Gebühren zur Folge hat. Für große Schiffe fallen also die höchsten Kos­ten an. Da der Kanal für solche Einheiten gesperrt war, entfiel diese Einnahmequelle.

Politik sichert Hilfe zu

In einem sind sich alle Beteiligten einig: Solch ein Super-GAU, wie viele den Totalausfall der Schleusen bezeichneten, dürfe sich unter keinen Umständen wiederholen. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer machte sich Mitte März persönlich ein Bild von der Situation in Brunsbüttel und stellte unmissverständlich fest, dass bei den 100 Jahre alten Schleusenanlagen »auf Verschleiß gefahren wurde«. Er sicherte Hilfe zu und will »alle Mittel bereitstellen, die für einen technisch einwandfreien Schleusenbetrieb notwendig sind«. Ein reibungsloser Betrieb der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt sei für die Häfen in Deutschland, aber auch den gesamten norddeutschen Raum von entscheidender Bedeutung. Zum Bau der dringend benötigten dritten großen Schleuse in Brunsbüttel will der Verkehrsminister die Ausschreibungen der Hauptmaßnahmen unverzüglich ver­öffentlichen, nachdem der Haushaltsausschuss des Bundestages die um 65 Mio. € gestiegenen Kosten inzwischen genehmigt hat. Nach dem Vergabeverfahren rechnet Ramsauer mit einer Bauzeit von etwa sieben Jahren.

Reaktionen

Der Hamburger Wirtschaftssenator Frank Horch, der ebenfalls beim Krisengipfel in Brunsbüttel zugegen war, sagte, Hamburgs Hafen sei ohne den NOK nur die Hälfte wert. Er unterstrich die Dringlichkeit des Baus der dritten großen Schleuse.

Dr. Jürgen Rohweder, Vorsitzender des Nautischen Vereins zu Kiel, hob in einem Statement den gesamtwirtschaftlichen Nutzen des Kanals hervor, der die Kosten für den Erhalt und Ausbau bei weitem übersteige: »Der Nord-Ostsee-Kanal ist ein integraler Bestandteil des norddeutschen Netzwerks aus seinen Häfen, seiner internationalen Schifffahrt und seinen seewärtigen Zugängen.« In diesem Zusammenhang sei er nicht nur Motor für die Wirtschaft Norddeutschlands, sondern ebenso für die Industrie in Süddeutschland, welche für den Export ihrer Produkte – immerhin gut 40 % – auf die maritime norddeutsche Verkehrsinfrastruktur dringend angewiesen sei, so Rohweder. »Letztlich geht es also um Tausende Arbeitsplätze in ganz Deutschland«, betonte er.

Christian Koopmann, Vorsitzender beim Zentralverband Deutscher Schiffsmakler (ZVDS), sagte: »Wir hoffen, dass nun jedem Beteiligten klar geworden ist, welche Bedeutung die Schifffahrt und eine moderne, leistungsfähige maritime Infrastruktur für die gesamte Volkswirtschaft haben. Bisher schien dies nicht der Fall gewesen zu sein.«

Maßnahmen

Nach Bekanntwerden des Defekts wurde schnell gehandelt. Die Südschleuse wurde zunächst notdürftig repariert und das defekte Schleusentor ausgetauscht, sodass der NOK früher als erwartet für große Schiffe wieder freigegeben werden konnte. Die Reparaturarbeiten an der Nordschleuse gehen indes weiter – sie bleibt bis zum Abschluss der Arbeiten gesperrt.

Da es sich bei alldem nur um Notreparaturen handelt und auch in Zukunft Probleme nicht ausgeschlossen werden können, kündigte Verkehrsminister Ramsauer an, eine elfköpfige Sondereinsatz­gruppe vorzuhalten, die im Notfall sofort eingreifen könne. Die entsprechenden Stellen, unter anderem für Schlosser und Elektriker, sollen demnächst ausgeschrieben werden.

Auch die Schifffahrtsunternehmen haben ihrerseits Maßnahmen getroffen, um die Mehrkosten in Grenzen zu halten. So hat die Reederei Unifeeder, die den NOK regelmäßig mit zahlreichen Schiffen befährt, für die Dauer der Kanalsperrung einen Zuschlag in Höhe von 20 € pro TEU für ihre Kunden in Skandinavien und im Baltikum berechnet.

Zudem fordert die Schifffahrtsbranche, etwa in Gestalt des Maklerverbands ZVDS, eine temporäre Absenkung der Kanalgebühren.

Ausblick

Der Kanalbetrieb geht zunächst mit einer Schleuse weiter. Nach Informationen von Michael Hartmann, Ältermann der Lotsenbrüderschaft NOK I in Brunsbüttel, werden die Arbeiten an der Nordkammer minde­s­tens bis Mitte April andauern. Danach geht es mit den Reparaturen an der Südkammer weiter. Hartmann erwartet, dass erst zur Jahresmitte beide Kammern wieder zeitgleich in Betrieb sein werden. Aber auch danach befürchtet er Probleme: »Wir müssen wohl das ganze Jahr mit ständigen Reparaturen rechnen«, lautet sein skeptischer Ausblick.


Thomas Wägener