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Brasilien will rund 27 Mrd. € in seine Hafenlogistik stecken – unter anderem mithilfe

privater Investoren aus dem Ausland. Zudem sollen rechtliche und organisatorische

Reformen die Hafen- und Terminalanlagen kosteneffizienter machen.
Kurz vor Ostern schrillten bei Brasiliens Exporteuren die Alarmglocken: Die chi­nesische Sunrise Trading Co. stornierte Kaufverträge über 2 Mio. t[ds_preview] Sojabohnen wegen unakzeptabler Verzögerungen bei deren Umschlag in den Seehäfen des südameri­kanischen Landes. Nach Schätzungen des Reederverbands Sindamar warteten damals an die 150 Massengutfrachter auf die Ein- oder Ausfahrt am Hafen von Santos, dem größten Umschlagplatz Brasiliens für See­fracht. Die Schlange nicht abgefertigter Lkw auf der Autobahn zu diesem Hafen schwankte, bedingt durch eine Rekordernte und anhaltende Regenfälle, zwischen 25 und 35 km Länge. »Bei den Problemen mit der Infra­struktur sind wir inzwischen auf dem Boden des Abgrunds angelangt«, klagte Sindamar-Vorsitzender José Roque.

Umschlagkapazität reicht nicht aus

Brasilien wickelt traditionell 95 % seines Außenhandels auf dem Seeweg ab. Dabei wuchs das Frachtaufkommen seit 2003 um 150 % auf zuletzt knapp 900 Mio. t pro Jahr und könnte bei anziehender Konjunktur schon dieses Jahr auf über eine 1 Mrd. t klettern. Etwa bis 2030 soll sich der Umschlag sogar mehr als verdoppeln – und zwar zu den »niedrigst möglichen Tarifen«, wie Staatspräsidentin Dilma Rousseff dieser Tage erneut verlangte. »Doch schon für die Nahziele der Handelspolitik reicht die Umschlagkapazität unserer Häfen hinten und vorn nicht«, rügt Carlos Campos Neto, Leiter der Abteilung Infrastruktur beim Institut für angewandte Wirtschaftsforschung (IPEA) in Sao Paulo. Allein den finanziellen Gesamtbedarf zur Beseitigung heute schon erkennbarer Engpässe bei Import und Export schätzt der Fachmann auf umgerechnet rund 16,5 Mrd. €.

Im Frühjahr 2012 legte Rousseff einen Nationalen Plan für Hafenlogistik (PNLP) auf. Umgerechnet 15,4 Mrd. € sollen dabei bis 2017 aus öffentlichen Mitteln für sol­-

che Zwecke aufgebracht werden, davon 2,3 Mrd. € schon in diesem und dem nächsten Jahr. Ferner erhofft sich Leônidas Cristino, Staatssekretär im Ministerrang bei der Hafenbaubehörde (SEP), auch 11,9 Mrd. € privater Mittel, um den PNLP rasch auf Kurs zu bringen.

Von Nordrange-Häfen lernen

Darin enthalten sollen auch Kapitalzuflüsse aus dem Ausland sein, weshalb sein Kollege Mario Lima bei den Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstagen vom Sommer 2012 in Frankfurt Experten, Investoren und potenziellen Partnerfirmen technische Einzelheiten des Vorhabens erläuterte. Zugleich gab das Kabinett damals bei der Universität des Bundeslandes Santa Catarina eine Studie in Auftrag, die logistische Mängel der brasilianischen Seehäfen wie zum Beispiel deren mangelhafte Anbindung an das Auto- und Eisenbahnnetz durch einen Vergleich mit der Situation in Hamburg, Rotterdam und Antwerpen erhellen soll.

Hoher Logistikaufwand am Produktionswert

Einige der Handicaps waren der brasilianischen Öffentlichkeit schon vor dieser Studie deutlich bewusst. So investiert das südamerikanische Land nur 0,6 % seines Inlandsprodukts in den Ausbau und die Modernisierung von Häfen, Straßen und Bahnlinien – China, Russland und Indien, aber etwa auch Kolumbien, bringen dafür jährlich im Schnitt etwa 3,5 % auf. Die Verladung eines 20-Fuß-Containers kostet in Brasilien laut einer gemeinsamen Untersuchung der Dom-Cabral-Stiftung und der Boston Consulting Group 1.790 $ – davon etwa ein Drittel allein für die bürokratische Abfertigung eines Exportauftrags. In den USA schlägt derselbe Container dagegen nur mit 1.050 $ zu Buche, in Deutschland mit 872, in China mit 500 und in Singapur mit ganzen 456 $.

Im Schnitt beträgt der Logistikaufwand der brasilianischen Industrie etwa 13 % des Produktionswertes (in den USA sind es 8 %), und die ineffiziente Abwicklung des Binnen- und Außenhandels verursacht alljährlich Verluste der Unternehmenswirtschaft von rund 32 Mrd. €. Ineffizient bedeutet dabei etwa, dass ein Container in Santos 17 Tage zum Umschlag braucht, im weltweiten Durchschnitt dagegen nur fünf und in Singapur höchstens zwei.

Der Gesetzentwurf MP 595 von Ende 2012 enthielt dann nach der Anhörung von zwei Dutzend Firmen und Verbänden der Hafenwirtschaft erste Ausführungsbestimmungen zu dem erwähnten Entwicklungsplan. Dabei schraubte er zugleich manche der ursprünglichen Ziele zahlenmäßig und sachlich auf ein realistischeres Format zurück. Dennoch befinde sich die Regierung Rousseff auch mit dem modifizierten Plan immer noch »auf dem rechten Weg«, lautet die Einschätzung von Wilen Manteli, Vorsitzender des Verbands öffentlicher Lagerhausbetriebe Brasiliens (ABTP).

Mehr Schiffe mit lotsenfreier Hafeneinfahrt

Tatsächlich kommt es für den Außenhandel des Landes derzeit nicht so sehr auf möglichst viele Neubauten an, denn es verfügt ja bereits über mehr als 30 Seehäfen. Immerhin sollen im Rahmen des PNLP und der MP 595 je ein neuer Tiefwasserhafen in den Bundesländern Bahia und Espirito Santo angelegt und der Flusshafen von Manaus kräftig erweitert werden. In den meisten anderen Häfen werden die Fahrrinnen ausgebaggert und verbreitert.

Wichtiger sind kurzfristig aber die von Präsidentin Rousseff angemahnten Kostensenkungen und Produktivitätssteigerungen in strategisch wichtigen Hafenbetrieben, die sich schon durch eine Handvoll rechtlicher und organisatorischer Reformen erzielen lassen. Dazu gehören zum Beispiel die Anhebung des Grenzwertes für die lotsenfreie Hafeneinfahrt von Schiffen von 3.000 auf 5.000 BRZ sowie die Neueinstellung und Schulung von 200 weiteren Schiffslotsen.

Der Industrieverband Firjan in Rio fordert zudem seit langem für alle mit dem Hafenbetrieb befassten Behörden den Dienst rund um die Uhr. In privat betriebenen Häfen würde laut MP 595 künftig kein Unterschied mehr gemacht zwischen dem Umschlag von eigener und fremder Fracht, was vor allem für mehr Wettbewerb am Containermarkt sorgt. Etwa 45 Frachtterminals mit bereits verfallener Konzession, 70 mit demnächst auslaufender sowie 40 neue (diese in öffentlich betriebenen Häfen) werden demnächst nach einem einheitlichen Verfahren ausgeschrieben. Bisher gab es für jeden Hafen ein eigenes Modell und vor 1993 (als das erste Hafengesetz erlassen wurde) fanden überhaupt keine Ausschreibungen statt.

Minister Cristino versprach sich dafür einzusetzen, dass während der Wiedervergabe bisheriger Konzessionen »kein für unseren Außenhandel wichtiges Terminal stillgelegt wird« – was indirekt auch bedeuten dürfte, dass die bisherigen Betreiber ihr Erstrecht auf Neuverpachtung behalten.


Lorenz Winter