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Mit ein wenig mehr Wasser unter dem Kiel als bei der Hinreise kam die maritime Wirtschaft

vom achten nationalen Gipfeltreffen in Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt zurück. Grundlegende Entscheidungen wurden nicht getroffen, aber die Berliner Spitzenpolitiker machten mit ihrer Präsenz doch die Bedeutung der Branche klar. Hitzige Debatten gab es vor allem um den NOK und die Energiewende.
In einer der größten Schifffahrtskrisen aller Zeiten hat die achte Nationale Mariti­me Konferenz (NMK) in Kiel Anfang April immerhin[ds_preview] ein wichtiges Signal gesendet: Berlin weiß um die Nöte der Branche, auch wenn von dort nur wenige Patent­rezepte zu deren Lösung zu erwarten sind. Eine passende Metapher hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) immerhin parat: »Wir können nicht über den Wind bestimmen, aber wir können die Segel setzen«, so Merkel. Das hätten seinerzeit schon die alten Wikinger gewusst.

Im Zentrum der zweitägigen Konferenz in der Sparkassen-Arena, die von mehr als 800 Entscheidungsträgern aus der gesamten maritimen Wirtschaft besucht wurde, stand vor allem die Frage nach der Verlässlichkeit der Politik. Besonders Reedereien (Versicherungssteuer auf Erlöspools, Zuschüsse für Ausbildung und Lohnnebenkosten), die Offshore-Windindustrie (Strompreisbremse) und alle von den Problemen am Nord-Ostsee-Kanal (NOK) Betroffenen hat­ten hier zuletzt schlechte Erfahrungen machen müssen.

Das Berliner Spitzenpersonal wollte angesichts der jüngsten Irritationen denn auch keine Zweifel daran lassen, dass es die maritime Industrie als eine »strategisch unverzichtbare Branche mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten« betrachte, wie der maritime Koordinator der Bundesregierung, Hans-Joachim Otto (FDP), eingangs betonte. Sie spiele eine zentrale Rolle für den Export, bei der Energiewende und damit der Bekämpfung des Klimawandels und sei zudem eine Quelle für innovative Arbeitsplätze. All dies müsse die Politik im Süden der Republik indes noch stärker vermitteln, sagte der gebürtige Heidelberger und Wahl-Frankfurter Otto.

Die Bedeutung der Konferenz unterstrich die Regierung allein durch ihr personelles Aufgebot: Neben der Kanzlerin waren Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und mehrere Staatssekretäre in Kiel zugegen. Zudem hatte auch Umweltminister Peter Altmaier (CDU) sein Kommen in die Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins zugesagt, war aber wegen eines Treffens in Berlin zum Endlagersuchgesetz verhindert.

Trotz des hohen Symbolcharakters bleiben von Kiel allerdings nicht mehr als Fortschritte auf Detailebene. Eine wirkliche Aufbruchsstimmung war nicht zu verspüren: Weder vernahm die Offshore-Branche ein klares Investitionssignal, noch gab es zusätzliche Finanzzusagen für den Schiffbau. Überbrückungskredite für in Schieflage geratene Reedereien standen ebenfalls nicht zur Debatte. Und in Sachen NOK-Ausbau machte die Politik keine konkreten Geldzusagen über die bislang bekannten 375 Mio. € für den Bau der fünften Schleuse in Brunsbüttel hinaus. Da die Erwartungshaltung angesichts der mageren Ergebnisse der letzten NMK 2011 in Wilhelmshaven aber recht niedrig war, hielt sich die Enttäuschung in Grenzen.

Verkehrsinfrastruktur – Zankapfel Nord-Ostsee-Kanal

Wie ein roter Faden zogen sich die Diskus­sionen um den Nord-Ostsee-Kanal durch die Konferenz, nachdem die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt im März wegen der maroden Schleusenanlage in Brunsbüttel für knapp eine Woche voll gesperrt werden musste.

Dabei kochten die Emotionen immer wieder hoch. So forderte etwa Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) von der Bundesregierung einen »klaren Fahrplan« bei Sanierung und Ausbau des NOK. Schließlich sei dieser nicht »irgendein Stichkanal«, sondern das »wichtigste Stück unserer maritimen Infrastruktur«. Verstopfe diese Verkehrsader, drohe der wirtschaftliche Infarkt – eben nicht nur in Norddeutschland, sondern im ganzen Land. »Dann bekommen die Autobauer in Baden-Württemberg und Bayern keine Teile mehr«, unterstrich Albig die nationale Bedeutung der Wasserstraße.

Der SPD-Politiker argumentierte, die Kanalprobleme dürften nicht als »bürokratisches Problem« gehandhabt werden. Er konzedierte indes, dass der marode Zustand des NOK nicht ausschließlich von der jetzigen Bundesregierung verursacht wurde, sondern »Ausdruck des Versagens einer ganzen politischen Klasse« sei. Insofern reiche er der schwarz-gelben Koalition in Berlin bei der Bewältigung der Kanalprobleme die Hand.

Gar »politische Kanalblindheit« in der deutschen Hauptstadt machte Kiels Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke (SPD) aus. Mit Blick auf Pläne der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, den damaligen Kaiser-Wilhelm-Kanal komplett zu zerstören, sagte Gaschke in ihrer Eröffnungsrede, der NOK bombardiere sich durch seinen schlechten Zustand inzwischen selbst. Bei ihrem Grußwort zum Abendempfang ging die Oberbür­germeis­terin Ramsauer dann derart harsch an, dass dieser drauf und dran war, die Konferenz zu verlassen. »Das muss ich mir nicht antun«, schimpfte der Verkehrsminister an­gesichts Vermutung der Sozialdemokratin, dass Millionensummen aus dem Bundesverkehrsetat vor der Wahl in Ramsauers Heimatland Bayern umgeleitet worden seien. Gaschkes Entschuldigung nahm er dann aber doch an.

Am Folgetag untermauerte Ramsauer, der von den Oppositionsparteien geforder­te »Masterplan« zur Kanalsanierung stehe längst fest. Wie zum Beweis zückte er das Tabellenwerk aus seiner Sakkoinnentasche und wedelte damit am Rednerpult herum. Die Maßnahmen, die neben dem Schleusenneubau in Brunsbüttel anstehen, sollen bis 2025 abgeschlossen sein und werden noch einmal knapp 1 Mrd. € kosten. Entsprechende Haushaltsmittel des Bundes sind hierfür allerdings noch nicht bereitgestellt worden.

Laut Ramsauer sieht das Sanierungsprogramm in Kurzform wie folgt aus:

• Schleusenneubau in Brunsbüttel, für den die europaweite Ausschreibung direkt vor der NMK startete (375 Mio. €);

• Grundinstandsetzung der bestehenden Schleusen in Brunsbüttel (210 Mio. €);

• Sanierung der Schleusen in Kiel-Holtenau (240 Mio. €);

• Ausbau der Oststrecke zwischen Kiel-Holtenau und Rendsburg. Das Baurecht hierfür soll bereits in diesem Herbst vorliegen. Eine Veranschlagung der erforder­lichen Haushaltsmittel vorausgesetzt wären erste Bauvergaben im besten Fall 2014 möglich (250 Mio. €);

• Ersatz der Levensauer Hochbrücke, voraussichtlich zwischen den Jahren 2017 und 2019 (50 Mio. €);

• Vertiefung des Kanals auf der ganzen Länge um 1 m und Begradigung des Profils (235 Mio. €).

Ramsauer gab unterdessen zu, der Fahrplan sei »noch nicht ambitioniert genug«. Auch sein Wunsch wäre es gewesen, dass die Arbeiten paralleler und schneller vollzogen werden, aber es gäbe eben Finanzierungsrealitäten. Ohnehin würden von der Zusatzmilliarde im Verkehrshaushalt des Jahres 2012 allein 30 % in eine einzige Kanalschleuse fließen. Dafür werde er im Süden Deutschlands regelrecht »verhauen«, berichtete der Bayer. An allen Ecken und Enden sei das Geld knapp und in der ganzen Republik würden nachvollziehbare Forderungen gestellt, machte der Minister am Beispiel der Moselschleusen klar, die ebenfalls völlig überlastet seien.

Ramsauers Parlamentarischer Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU) räumte ein, dass der NOK in den vergangenen Jahrzehnten stark vernachlässigt worden sei und wollte eine weitere Totalschließung nicht gänzlich ausschließen.

Elbvertiefung: Appell an Verbände

Neben dem NOK sei die Elbvertiefung das zweite Wasserstraßenprojekt von nationaler Bedeutung, unterstrich Kanzlerin Merkel persönlich. Komme die Fahrrinnenanpassung nicht, sehe man im Ausland – wo die »Schnelligkeit deutscher Entscheidungen« genau verfolgt werde – schwarz für den Hamburger Hafen, berichtete sie von Reaktionen in China oder Chile.

Dass die Bauarbeiten noch nicht gestartet sind, liege aber nicht an der Politik. So forderte ihr Kabinettskollege Ramsauer die Umweltverbände BUND, Nabu und WWF erneut auf, ihre Klagen gegen den Mitte 2012 gefassten Planfeststellungsbeschluss zur Elbvertiefung zurückzunehmen – »dann könnten wir morgen mit den Bauvorbereitungen beginnen«.

Für die Schwierigkeiten beim Nord-Ostsee-Kanal und der Elbvertiefung machte Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) grundsätzliche Ursachen verantwortlich: »Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte über die Bedeutung von Infrastruktur in Deutschland«, forderte Meyer, der zugleich Berichterstatter des Workshops II (Hafenwirtschaft & Logistik) war.

Schifffahrt – Klarheit in Steuerfragen

Aus Sicht der Schifffahrtsbranche erfreulich war das Bekenntnis der Regierung zur Fortführung der Zusammenarbeit. »Wir halten am Maritimen Bündnis fest«, machte Kanzlerin Merkel deutlich. Damit dürften die jährlich knapp 60 Mio. € Schifffahrtsförderung für Ausbildung und Beschäftigung vom Bund künftig nicht mehr in Frage gestellt werden. Gleiches gilt für die Ton­nagesteuer, zu der sich Merkel ebenso klar bekannte. Auch bei der Versicherungssteuer werden wohl keine neuen Irritationen bei den Reedern auftreten. Der maritime Koordi­nator Otto sagte, die Risikostreuung durch Erlöspools sei wirtschaftlich vernünftig. Deshalb solle noch in dieser Legislatur­periode, voraussichtlich vor der Sommerpause, Rechtssicherheit geschaffen werden. Kanzlerin Merkel habe grünes Licht gegeben, dies entsprechend umzusetzen. Dazu, so Otto, solle ein Gesetz verabschiedet werden, laut dem Einnahmepools nicht zur Versicherungssteuerpflicht führen. Eine Nichtanwendungsverordnung, um das Bonner Bundeszentralamt für Steuern einzubremsen, reicht demnach nicht aus. Per Gesetz werde nun klar geregelt, dass auch nachträglich keine Steuerpflicht eintritt. Reedereien hatten jüngst Steuerbescheide bis zu sieben Jahre rückwirkend erhalten.

Keine »Extrawurst« für Reeder

Auf taube Ohren stießen die Reeder allerdings mit ihrer Forderung nach Überbrückungskrediten. »Wir wollen kein spezifisches Sonderfinanzierungsprogramm für eine Branche«, so Otto. Eine »Extrawurst« für Reeder würde nur öffentlichen Schaden anrichten. Auch Wirtschaftsminis­ter Rösler sagte, »strukturelle Antworten« der Schifffahrtsindustrie dürften nicht »durch Steuergelder maskiert« werden. Die Regierungsvertreter machten stattdessen deutlich, dass bestehende Finanzierungsmöglichkeiten u. a. über das KfW-Umweltprogramm nachhaltig ausgeschöpft und eventuell ausgeweitet werden sollten.

An die Adresse der Banken gerichtet, sagte Staatssekretär Ferlemann, der Rückzug der Institute aus der Schiffsfinanzierung sei »falsch«. Die Schifffahrt sei eine zukunftsträchtige Branche, in der deutsche Banken ihrer Verantwortung nachkommen sollten. Um Druck von den Schiffsfinan­zierern zunehmen, in Schieflage geratene Kreditengagements fällig zu stellen, wolle sich der Bund nun bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) für die Einführung des Bewertungsmodells nach dem Long Term Asset Value (LTAV) einsetzen, kündigte Ferlemann an. Dieser sei eine wichtige Voraussetzung für die Schiffs­finanzierung der Zukunft.

Bürokratieabbau bei Flagge

Neben Steuern und Finanzierungsfragen war das dritte zentrale Seeschifffahrtsthema in Kiel die Frage nach der deutschen Flagge und der Entbürokratisierung der Verwaltung. Angesichts des Schwunds an schwarz-rot-gold geflaggten Schiffen sagte Ferlemann, die Regierung wolle weiter an der Modernisierung des Flaggenrechts arbeiten. Demnach sollen künftig immer mehr Serviceleistungen digital angeboten werden. In einem ersten Schritt ging – nach fast zwei Jahren Verzögerung – das Internet-Portal www.deutsche-flagge.de online. Es ist bislang aber nicht mehr als eine Informa­tionsplattform. Zudem sollen künftig statt mehr als ein Dutzend weniger als acht verschiedene Stellen für Umflaggungen angesteuert werden müssen. Darüber hinaus soll eine Rückflaggung nicht mehr sechs Monate oder länger benötigen.

Auf der Habenseite verbuchte die Koa­lition ferner Erleichterungen bei Visaregelungen für ausländische Seeleute. Außerdem schaffe das Seearbeitsgesetz verbindliche Standards.

Schiffbau – Enorme Überkapazitäten

Politische Schiffbauthemen wurden in Kiel nur am Rande diskutiert. So hielt sich Hans-Joachim Otto im Rahmen der Podiumsdiskussion des entsprechenden Workshops I denn auch erstaunlich zurück. Dabei konstatierte der Vorsitzende des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik (VSM), Harald Fassmer, die »stärkste Marktver­werfung seit 50 Jahren«. Der weltweite Auftragseingang kann demnach höchstens die Hälfte der internationalen Werftkapazitä­ten auslasten. Der einzige Weg zum Abbau des Kapazitätsüberhangs sei, dass Werften schließen und vom Markt verschwinden, sagte Alexander Nürnberg, Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Schiffbau- und Offshore-Zulieferindustrie im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), der gemeinsam mit Fassmer referierte. So gingen inzwischen selbst die Chinesen davon aus, dass von ihren ehemals 2.000 Werften im Jahr 2015 nur 300 übrig bleiben.

Nachdem Deutschland nur noch der Spezialschiffbau geblieben ist, nehme die Komplexität der Aufträge deutlich zu, betonten Fassmer und Nürnberg. Deshalb sei der Bedarf an Ingenieurskompetenz sogar höher als in der Vergangenheit. Zwei Schiffe desselben Typs zu bauen komme schon fast einer Serienfertigung gleich.

Kampf gegen Protektionismus

Nürnberg, der zugleich Geschäftsführer der Uetersener Maschinenbaufirma Hatlapa ist, berichtete von zunehmenden protektionistischen Tendenzen bei Auftragsvergaben weltweit – »selbst in Freihandelsnationen wie den USA«. Er appellierte an die Politik, international faire Auftragsvergabebedingungen zu unterstützen. Gleichzeitig fragte Nürnberg, was eigentlich gegen den Versuch spreche, die Wertschöpfung im Inland zu halten. »Die Holländern lachen uns doch aus, dass wir dort ein Feuerwehrschiff für Bremen bestellen, nur weil wir an die Wettbewerbsfähigkeit in Europa glauben!«

Finanzhilfen aus Berlin?

Auf politische Unterstützung in Form neuer Geldquellen braucht der Schiffbau offenbar nicht zu hoffen. So bleiben Schiffe für die Offshore-Windindustrie weiterhin aus dem Fünf-Milliarden-Euro-Kreditprogramm der staatlichen KfW-Bank ausgeschlossen. Erst einmal sollten vorhandene Instrumente für den Schiffbau wie Exportkreditgarantien des Bundes, Hermesdeckun­gen sowie CIRR-Zinsausgleichsgarantien laut FDP-Politiker Otto von den Werften voll ausgeschöpft werden – womöglich würde auch ihr Umfang erweitert. Zur Forderung der IG-Metall, das Kurzarbeitergeld für Werftmitarbeiter von 12 auf 24 Monate zu verlängern, zeigte sich Otto offen. Es lohne sich, dies zu prüfen, sagte er.

Schlussendlich blieb bei Beobachtern in Kiel das Gefühl, die deutsche Schiffbau­industrie müsse sich vor allem selbst helfen. Im Rahmen des Workshops skizzierten die Referenten Fassmer und Nürnberg folgende Maßnahmen, die aus ihrer Sicht bei der Krisenbewältigung hilfreich seien:

• Erschließung neuer Marktsektoren;

• Forschung & Entwicklung: Technikvorsprung ausbauen und in Innovationen umsetzen;

• Produktivitätssteigerung;

• neue Finanzierungsansätze;

• verstärkte Nachrüstungen/Umbauten von Schiffen (Umwelt-/Effizienzregularien);

• Vorsprung im Service ausbauen;

• Ausbildung und Nachwuchsförderung;

• Wettbewerbsfähigkeit politisch stützen;

• Dreiecksverhältnis Werften–Zulieferer–Reeder stärken.

Offshore-Wind – Planungssicherheit gefordert

Eine deutliche Botschaft nach Berlin sendete die Offshore-Windbranche aus Kiel: Die Bundesregierung müsse sich jetzt ohne Wenn und Aber zur Offshore-Windenergie bekennen und endlich wieder für Planungssicherheit sorgen, hieß es im Workshop V, zu dem sich fast die Hälfte der Konferenzteilnehmer angemeldet hatten. Besonders heftig kritisiert wurde Altmaiers Vorstoß zur Strompreisbremse. Diese Idee ist zwar seit Ende April vorerst wieder vom Tisch, weil keine Einigung zwischen Bund und Ländern herbeigeführt werden konnte. Die dadurch entstandene Unsicherheit dürfte allerdings noch länger anhalten, wie in Kiel deutlich wurde. Selbst bei ausländischen Investoren sei nachhaltig der fatale Eindruck hängengeblieben, dass es in Deutschland keine Rechtssicherheit gebe, berichteten Teilnehmer.

Insgesamt machten die Redebeiträge deutlich, dass sich die Branche derzeit in einer kritischen Phase befindet. Zwar ist die erste Ausbaustufe mit aktuell mehreren Windparks im Bau erfolgreich angelaufen, doch es fehlen Folgeaufträge. Potenzielle Parkbetreiber hatten zuletzt geplante Investitionsentscheidungen aufgeschoben, wodurch bei Produzen­ten und Zulieferern etliche Arbeitsplätze in Gefahr sind. War es zunächst die bis vor Kurzem ungeklärte Haftungsfrage bei verspäteten Netzanbindungen, die Investoren abschreckte hat, sind es jetzt die lauter werdenden Debatten über die Zukunft des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Mittlerweile steht immer­hin fest, dass die geplante Gesetzesnovelle vor der Bundestagswahl nicht mehr angegangen wird – erst danach wird in einem voraussichtlich langwierigen Prozess geklärt werden, wie es mit der Förderung der Offshore-Windenergie weitergeht. Im Rahmen der anstehenden EEG-Novelle werde allerdings eine Debatte über die Förderhöhe nicht ausbleiben können, betonte Umweltstaatssekretärin Ursula Heinen-Esser (CDU) in Vertretung von Altmaier.

Installationsziel kaum noch haltbar

Die in Kiel anwesenden Regierungsvertreter zeigten sich dennoch um Optimismus bemüht und versicherten wiederholt, dass der Ausbau der Offshore-Windenergie nicht infrage stehe. Kanzlerin Merkel rief die Energiekonzerne dazu auf, bei der Stange zu bleiben: »Die Rechtsunsicherheiten gehören der Vergangenheit an. Es kann jetzt investiert werden«, sagte sie, ohne wirklich Gehör zu finden. Unterdessen räumte sie ein, dass die Regierung momentan nur noch mit 3 GW installierter Windkraft auf hoher See bis zum Ende des Jahres 2015 rechnet. Dass die angestrebten 10 GW bis 2020 erreicht werden, glaubt offenbar in Berlin niemand mehr.

Von den Branchenvertretern nahmen die Politiker die Zusicherung mit, dass man bei fortschreitender Lernkurve und techni­scher Entwicklung automatisch zu Kostenreduzierungen kommen werde – dass aber jetzt die politischen Weichen gestellt werden müssten, um den begonnenen Prozess weiterzuführen. Aus Sicht eines Investors berichtete Florian Bieberbach, Chef der an bislang zwei deutschen Offshore-Windparks beteiligten Stadtwerke München, dass in seinem Haus das Geld für weitere Vorhaben schon bereitliege. »Ich weiß aber aus heutiger Sicht überhaupt nicht, welche Förderbedingungen Ende 2014 gelten werden, darum ist die Unsicherheit für künftige Projekte sehr groß.« Wenn es auf abseh­bare Zeit keine verlässlichen Rahmenbedingungen gebe, werde man sich im europäischen Ausland umsehen müssen.

Meerestechnik – Boom im Öl- und Gasmarkt

Deutlich weniger Emotionen als zum Thema Offshore traten im Workshop IV zutage, der sich der Meerestechnik widmete, die für die maritime Wirtschaft nicht minder interessant ist. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Versorgungssicherheit durch maritime Technologien und welche Rolle Energie, Rohstoffe und Nahrungsmittel aus dem Meer künftig spielen.

Deutlich wurde dabei u. a., dass noch kein »Peak Oil« in Sicht ist – selbst Greenpeace geht in einer 2012 veröffentlichten Studie von einem erheblichen Öl- und Gasbeitrag zur langfristigen Energieversorgung aus. Die neu zu erschließenden Felder liegen mehrheitlich offshore und in immer größeren Wassertiefen. Werften in Singapur, Korea und China reagieren – mit massiver politischer Unterstützung – durch Geschäftsverlagerung in Richtung des Multimilliardenmarktes auf den steigenden Bedarf in der Öl- und Gasindustrie und die Krise im Handelsschiffbau.

Obwohl Deutschland in den vergangenen 20 Jahren durch das Verschwinden von Firmen wie z. B. Prakla, Deminex und Degussa Systemkompetenzen verloren hat, finden sich auf fast jeder Offshore-Anlage weltweit deutsche Produkte, die wegen ihrer Qualität und Zuverlässigkeit weiterhin gute Chancen haben.

Nachholbedarf bei Rohstoffförderung

Die Entwicklung bei den marinen mineralischen Rohstoffen (MMR) hat sich hingegen temporär etwas verlangsamt. Das »Solwara II«-Projekt (Nautilus Minerals, Papua-Neuguinea) ist wegen Vertragsstreitigkeiten zurzeit auf Eis gelegt. Die Aktivitäten der deutschen Rohstoff-Allianz laufen schleppend an und für viele der 20.000 metallverarbeiteten Betriebe in Deutschland sind MMR noch nicht auf dem Radar.

Professor Hans-Joachim Kümpel, Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), machte dennoch klar, dass die internationale Entwicklung voran geht. Die Zahl der Anträge für MMR-Lizenzen bei der internationalen Meeres­bodenbehörde hat sich verdoppelt und in Großbritannien ist gerade ein Milliardenprogramm bekannt geworden, in das Firmen wie Lockheed Martin involviert sind. Die BGR schlägt im Rahmen des Nationalen Masterplans Maritime Technologien (NMMT) den Erwerb einer Lizenz von polymetallischen Sulfiden östlich von Madagaskar vor und plädiert für ein großtechnisches Referenzprojekt zur Manganknol­-

lenförderung.

Strategische Forschungsagenda

Ein weiteres Thema in Kiel war die Herausforderung der Marikultur, die der neue Bundesverband Aquakultur im Zusammen­hang mit der Ernährung einer stetig wachsenden Weltbevölkerung darstellte. Hier soll­ten Kompe­tenzen interdisziplinär gebündelt werden, unterstrich Professor Peter Herzig, Direktor des Geomar-Forschungszentrums in Kiel und Berichterstatter des Workshops. Die Potenziale der »blauen Biotechnik« kamen ebenfalls zur Sprache.

In der Diskussion ermunterten die anwesenden Regierungsvertreter Unternehmer und Forscher, im Rahmen des NMMT eine strategische Forschungsagenda zu definieren und stellten dafür eine Verknüpfung von Haushaltstiteln für Forschung und Entwicklung sowohl des Bildungs- als auch des Wirtschaftsministeriums in Aussicht.

Bilanz und Ausblick

Insgesamt war die achte Nationale Maritime Konferenz eine der besseren. In einem für alle Beteiligten sehr schwierigen Umfeld hat sie zumindest deutlich gemacht, dass Berlin zur Küste steht. Unter dem Strich dürfte vor allem die Reedereiwirtschaft zufrieden sein, sind doch in Kiel in Sachen Versicherungssteuer, Tonnagesteuer und Schifffahrtsförderung »klare Zusagen« erfolgt, wie der VDR wohlwollend registrierte. Dagegen dürften sich Schiffbauer und Offshore-Wirtschaft konkretere Aussagen von der Politik erhofft haben.

Entscheidend ist nun, dass in den wenigen verbleibenden Monaten bis zur Bundestagswahl den Bekenntnissen weitere Ta­ten folgen und die Regierung sich nicht mit internen Ränkespielen (Stichwort: Energiewende) selbst im Wege steht.

Angesichts des völlig offenen Wahlausgangs im September bleibt abzuwerten, wie sich die Parteien künftig in den einzelnen Fragestellungen der maritimen Wirtschaft positionieren. Fest steht nur, dass es spannend bleibt und die Politik stets für Überraschungen gut ist, wie die Vergangenheit gezeigt hat. Bei der neunten Nationalen Maritimen Konferenz 2015 – voraussichtlich in Bremen – wird die Branche dann erneut Bilanz ziehen.


Nikos Späth, Michael vom Baur, Anne-Katrin Wehrmann