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Um international konkurrenzfähig zu bleiben, ist die Erschließung neuer Absatzmärkte essen-ziell. Kann Indien als eine der größten Volkswirtschaften der Welt für maritime

mittelständische Unternehmen ein Zukunftsmarkt sein? Eine kritische Beurteilung von Raphaela Cordes vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut
Auch wenn in den letzten Monaten die mediale Berichterstattung das positive Bild Indiens getrübt hat, bieten sich langfristig gute Chancen[ds_preview] für die deutsche Industrie und industrienahe Dienstleistungen.Die Wirtschaftsleistung Indiens ist seit Beginn des letzten Jahrtausends um mehr als 140 % gestiegen. Einer aktuellen Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge wird Indien zusammen mit China in 50 Jahren knapp die Hälfte des weltweiten Bruttoinlandproduktes erwirtschaften und damit die Euro-Zone deutlich hinter sich lassen.

Zwar sind solche Langfristprognosen vorsichtig zu interpretieren – denn zu unvorhersehbar sind die politischen Ereignisse und sozio-ökonomischen Ent­wicklungen. Aber gerade vor dem Hintergrund der politischen Systeme und der demografischen Entwicklung spricht vieles dafür, dass die Bedeutung Indiens gegen­über China mittel- bis langfristig ansteigen wird. Die derzeitige Diskrepanz zwischen bedeutendem Absatzmarkt für Konsum­güter und noch geringer Bedeutung Indiens als Investitionsstandort sollte sich mittelfristig aufheben.

Schiffbau und Werftenlandschaft

Dem Schiffbau in Indien kommt im globalen Vergleich derzeit eine untergeordnete Rolle zu. Der maritime Sektor umfasste lange vor allem das Abwracken und Reparieren von Schiffen.

Laut Zahlen des Bremer Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) beliefen sich die Auftragsbestände Anfang 2013 auf 696.000 cgt, was einen Weltmarktanteil von lediglich 0,9 % ausmacht. Damit liegt Indien abgeschlagen auf dem neunten Rang hinter dem Marktführer China (37,1 % der Auftragsbestände), Korea (31,8 %) und Japan (18,5 %). Besonders die staatlich unterstützte Preis­politik chinesischer Werften drückt weltweit die Margen der Schiffbauer und macht die Fertigung von gewöhnlichen Frachtern und Containerschiffen für kleine Werften unrentabel.

Insgesamt haben sich die Auftragsbestän­de indischer Schiffbauunternehmen von 2011 bis 2013 reduziert, dies liegt vor allem an den derzeitigen Überkapazitäten in der Schifffahrt. Auffallend dabei ist der deutliche Schwerpunkt der indischen Werften auf den Bau von Massengutfrachtern (74,2 % der Auftragsbestände), die beispielsweise Kohle, Erze oder Getreide transportieren. Für den Bau von Containerschiffen und Tankern existieren dagegen keine bzw. nur geringe Auftragsbestände.

Im Zuge der weltweiten Auftragseinbrüche 2008/2009 schrumpfte die Anzahl der indischen Werften von 32 (2009) auf nunmehr 27 (2012). Von derzeit 27 Werftanlagen sind acht in staatlicher Hand. Tabelle 1 zeigt die größten Schiffbauunternehmen Indiens gemessen an den maximalen Kapazitäten der Werftanlagen pro Schiff auf.

Der Schiffbausektor wird von Larsen & Toubro, dem größten Bau- und Maschinenbauunternehmen Indiens, dominiert. Der Konzern hat seinen Hauptsitz in Mumbai und besitzt Werftanlagen in Hazira (Bundesstaat Gujarat) sowie in Chennai. Die Werften weisen mit jeweils 300.000 dwt die zweithöchsten Kapazitäten des Landes auf.

Das Unternehmen setzt seinen Schwerpunkt auf den Bau von Marine- und Spezial­schiffen und operiert auch in der Offshore-Technik. Im Jahr 2012 erwirtschaftete Larsen & Toubro einen Umsatz von 54,5 Mrd. INR (ca. 765 Mio. €), welcher mehr als doppelt so hoch war wie der Umsatz des zweitstärks­­ten Unternehmens, ABG Ship­yard (24,3 Mrd. INR = ca. 342 Mio. €). Spitzenreiter unter den privaten Werften war 2012 die Pipavav Defence and Offshore Engineering Company mit einer maximalen Kapazität von 400.000 dwt pro Schiff. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Mumbai und betreibt eine der größten Werftanlagen Indiens im Bundesstaat Gujarat, in der überwiegend zum Export bestimmte Massengutfrachter und Tanker sowie Schiffe für den indischen Offshore- und Marinesektor gebaut werden. Unter den staatlichen Werften besitzen Co­chin Shipyard (Kochi) im Südwes­ten und Hindustan Shipyard (Visakhapatnam) an der Ostküste die Infrastruktur und Docks, um größere Schiffe von 110.000 bzw. 70.000 dwt zu bauen.

Laut dem aktuellen Business Monitor International zur indischen Schifffahrt wird sich der Bundesstaat Gujarat im Nordwes­ten als Schwerpunktregion für den maritimen Sektor etablieren. Die größten privatwirtschaftlichen Schiffbauer haben zwar ihren Hauptsitz in Mumbai, die großen Werftanlagen sind aber in Gujarat angesiedelt. Die umsatzstarken Werften profitieren von der Nähe zu Indiens großen Wirtschaftsregionen Süd-Gujarat und Nord-

Maharashtra mit den Metropolen Mumbai, Pune und Ahmedabad.

Ehrgeiziges Investitionsprogramm

Es zeigt sich, dass sich – insbesondere aufgrund des technologischen Rückstands – die positiven Erwartungen an den indi­schen Schiffbau und damit auch der deutschen Zulieferer bislang nicht erfüllt haben. Die fehlenden staatlichen und privaten

Investitionen der letzten Jahre führen in Zeiten konjunktureller und branchenspe­zifischer Schwierigkeiten zu Werftschließungen und zeigen die fehlende Wettbewerbsfähigkeit des indischen Schiffbaus auf. Deshalb hat das indische Ministerium für Schifffahrt mit der »Maritime Agenda 2010–2020« ein ehrgeiziges Förderprogramm ins Leben gerufen. Ziel ist es, mit einem Investitionsvolumen in Höhe von 108 Mrd. INR (1,5 Mrd. €) für den Neubau von Werften und die Erweiterung bestehender Anlagen den Weltmarktanteil Indiens im Schiffbau bis 2020 auf 5 % zu steigern. Größte Projekte sind dabei der Bau einer Greenfield-Werft, auf der sogar VLCC-Tanker entstehen sollen, sowie der Bau einer Werft unter einer Public Private Partnership. Denn noch werden in Indiens Werften überwiegend mittelgroße Stückgut- und Schüttgutfrachter für den Feeder-Verkehr und den Rohstofftransport sowie kleinere Fahrzeuge wie Schlepper und Offshore-Versorgungsschiffe gebaut.

Künftig soll der ausländischen Konkurrenz durch eine Neuausrichtung bzw. Erweiterung der Produktpalette begegnet werden. Die Konstruktion von Spezialschiffen wie Gastanker und Mega-Containerschiffe, Sonderanfertigungen oder Offshore-Anlagen könnten den indischen Schiffbau aus der Krise führen. Einer sehr optimistischen Einschätzung der Indian Shipbuilders Association zufolge hat die Branche das Potenzial, bis zum Jahr 2017 um 30 % zu wachsen.

Die Anzahl der Beschäftigten könnte sich laut der Maritimen Agenda von derzeit ca. 38.500 auf 500.000 Beschäftigte im Kernsegment und weitere 2 Mio. Beschäftigte in den Zulieferindustrien vergrößern. Dabei hilft, dass der indische Staat neuerdings Zollfreiheit auf Schiffsausrüstungen gewährt – was den Standort auch für ausländische Zulieferer interessant macht.

Zukunft offshore

Die Offshore-Industrie könnte eine der größten Chancen für den indischen Schiffbau darstellen. Der Bau von speziellen Anlagen und Plattformen für die Öl- und Gasförderung vor der Küste sowie zur Windenergiegewinnung verlangt nach Spezialschiffen sowohl für die Installation, Wartung, Versorgung, Kabel- und Pipelineverlegung als auch teilweise für den Abtransport der geförderten Rohstoffe (Tabelle 2).

Die Nachfrage nach Energie wird in Indien weiter steigen. Im Jahr 2012 machte der Energiekonsum Indiens 4,6 % des weltweiten Verbrauchs aus. Zwischen 2001 und 2011 wuchs allerdings die Nachfrage um 88 % – im Vergleich stieg die weltweite Nachfrage um 30,1 %. Derzeit setzt Indien vor allem auf fossile Energieträger: Über die Hälfte des indischen Energiebedarfs wird durch Kohle gedeckt (52,9 %), knapp 30 % entfallen auf Öl. Erneuerbare Energien machten im Jahr 2011 9,2 % des Gesamtenergieverbrauchs Indiens aus. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich deren Verbrauch um 20,6 % erhöht (Angaben: BP, 2012).

Insgesamt zeichnet sich ein politischer Kurswechsel in Richtung erneuerbare Energien ab. Hinzu kommt das Bestreben, unabhängiger von Energieimporten zu werden. Laut Germany Trade & Invest (gtai) belegt Indien schon heute Platz fünf unter den weltgrößten Windkraftproduzenten. Um dieses Potenzial weiter auszubauen, sollen künftig auch Offshore-Windkraftanlagen entlang der rund 7.000 km langen Küs­tenlinie gebaut werden. Der Bundesstaat Tamil Nadu sowie die Westküsten der Bundesstaaten Gujarat und Maharashtra weisen nach ersten Einschätzungen der Regierung das größte Potenzial für die Offshore-Wind-

energienutzung auf. Tamil Nadu übernimmt die führende Rolle in der Installationsplanung. Die Entwicklung befindet sich jedoch noch im Anfangsstadium. Es fehlt vor allem an verlässlichen Daten zur Windmessung und Know-how in der Projektentwicklung, verbunden mit einer fehlenden Infrastruktur im Bereich Werften und Häfen, um die notwendigen Anlagen vor Ort fertigen zu können. Einem Bericht der indischen Tages­zeitung »The Hindu Business Line« zufolge haben Anfang 2013 drei große Unternehmen, darunter Suzlon Energy, angekündigt, erste Pilotprojekte zu starten.

Bei Erdgasförderungen werden laut gtai bereits 90 % der Produktion offshore gewonnen. Nach einer Studie der International Energy Agency befinden sich die wichtigsten Explorationsvorkommen im Mumbai-Becken an der Westküste Indiens und im Krishna-Godavari-Becken zwischen Chennai und Kalkutta an der Ostküste.

Markteintritt – Chancen und Risiken

Deutsche Unternehmen sind dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zufolge im Bereich Offshore-Windenergie mit einem Anteil von 15 bis 20 % am internationalen Marktvolumen gut aufgestellt. Laut dem Hamburger Ingenieur­büro Overdick sind es vor allem maritime Dienstleistungen wie Projektentwicklung, die kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) aus Deutschland nach Indien exportieren können. Auch für hochwertige Technologien stellt Indien einen attraktiven Absatzmarkt dar. Von den Potenzialen im Offshore-Bereich könnten ebenso die Zulieferer der Schiffbauindustrie profitieren.

Beim klassischen Schiffbau, der insbeson­dere von staatlichen Aufträgen abhängig ist, sind mittelfristig Chancen nur im militäri­schen Schiffbau zu erwarten. Inwieweit die maritime Agenda der indischen Regierung pünktlich und vor allem nicht wettbewerbsverzerrend umgesetzt wird, kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Es darf zudem nicht übersehen werden, dass Indien in den Bereichen Schiffbau und Hafeninfrastruktur gemessen an seiner zukünftigen wirtschaftlichen Bedeutung unangemessen aus-

gestattet ist. Hier besteht das Risiko, dass das Land weiterhin durch andere Werften und andere Häfen (Dubai, Colombo) »mitversorgt« wird.

Ein Markteintritt deutscher KMU im Bereich Schiffbau und Zulieferindustrie muss daher langfristig strategisch geplant sein und sollte sich zunächst auf die genannten Teilmärkte (Offshore, Marine) konzentrieren.


Raphaela Cordes