Irrläufer der IMO

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Mal wieder wurde auf Zeit gespielt, und mal wieder scheinen jene, die bis zuletzt pokern, (zu Unrecht) zu gewinnen. Worum[ds_preview] geht es?

Völlig überraschend hat das Maritime Environment Protection Committee (MEPC) der Weltschifffahrtsorganisation IMO kürzlich entschieden, die MARPOL-Konvention dahingehend zu ändern, dass die strengeren Stickoxidgrenzwerte (NOx) für die Schifffahrt nach Tier III erst 2021 statt 2016 in Kraft treten sollen.

Begründet wurde dieser Schritt mit dem unzureichenden Entwicklungsstand entsprechender Technologien. Dabei lag dem MEPC der Bericht einer IMO-Arbeitsgruppe vor, in dem eine hinreichende Anzahl bereits anwendungsreifer technischer Lösungen zur NOx-Reduzierung – wie etwa Scrubber, SCR-Systeme oder LNG-Antriebe – dokumentiert wird.

Die deutsche Schiffbauindustrie hat sehr verärgert auf die Entscheidung des MEPC reagiert. Zu Recht. Denn die meisten deutschen Zulieferer und Werften haben sich mit hohen Investitionen und großem Forschungs- und Entwicklungsaufwand auf den Stichtag vorbereitet und sich damit einen Wettbewerbsvorsprung erarbeitet. Wenn jetzt Konkurrenten, die diese Entwicklung verschlafen haben, plötzlich deutlich mehr Zeit eingeräumt wird, ist das unfair. Gleiches trifft bei den Reedern zu. Jene, die bereits einen NOx-Scrubber oder einen Dual-Fuel-Antrieb mit Gas eingebaut haben (es ist freilich eine verschwindende Minderheit), könnten nun insofern benachteiligt werden, als dass in drei oder fünf Jahren möglicherweise technisch noch ausgereiftere und günstigere Lösungen auf dem Markt sind, von denen die Nachzügler dann profitieren.

Auf jeden Fall wird bis zum aktuell noch geltenden Stichtag 2016 Verwirrung herrschen, was niemand befürworten kann. Denn ob die Verschiebung um fünf Jahre wirklich kommt, entscheidet sich frühestens im nächs­ten Jahr – dann verbleiben bis 2016 nur noch wenige Monate. Das Chaos ist also vorprogrammiert.

Zu befürchten ist eine ähnliche Entwicklung auch beim Thema Ballastwasserbehandlung. Laut dem Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) tobt bereits eine entsprechende Rückzugsdiskussion um die ab 2016 geplante Regulierung. Die Konvention tritt erst in Kraft, wenn sie durch wenigstens 30 Staaten, die insgesamt mindestens 35 % des Bruttoraumgehalts der Welthandelsflotte stellen, ratifiziert wurde. Bis heute haben 36 Staaten mit 29,1 % der weltweiten Handelstonnage diese völkerrechtlich verbindliche Erklä­-

rung abgegeben – aber nun ist erst einmal Stagnation eingetreten.

Mit Verweis auf die vermeintliche technische Unreife der auf dem Markt befindlichen Lösungen (die Zahl der zertifizierten Anlagen spricht dagegen) wird wieder auf Zeit gespielt – vonseiten einiger IMO-Mitgliedsstaaten in Sachen Unterzeichnung wie auch durch die Reeder beim Einbau entsprechender Anlagen. So werden Fakten geschaffen – bzw. keine Fakten –, die den Regulierer unter Druck setzen.

Damit die Vorgaben nicht zur Farce werden (denn was passiert, wenn eine Regel in Kraft tritt und kaum einer hält sich daran?), scheinen IMO bzw. die Regierungen eher dazu zu neigen, zeitlichen Aufschub zu gewähren. Zur Glaubwürdigkeit trägt ein solches Verhalten indes nicht bei. Zudem bestraft es umweltbewusste und innovative Unternehmen, die mit der Zeit gehen.


Nikos Späth