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Gas als Treibstoff für Schiffe stellt nicht nur an die Infrastruktur in den Häfen neue Anforderungen, sondern auch an die Besatzungen an Bord. Holger Watter berichtet über die gegenwärtig laufende Anpassung der internationalen Regelwerke
Bei der aktuellen Diskussion zur Redu­zierung von Schiffsemissionen könnte Gas als zukünftiger Kraftstoff einen we­sentlichen Beitrag leisten. Wegen[ds_preview] der besonderen Explosions- und Brandgefahren war dieser Betriebsstoff jedoch bisher nach dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS – Safety of Life at Sea) zur Sicherheit an Bord von Seeschiffen (außer als Ladung) verboten. Durch Anpassung der internationalen Vorschriften werden zurzeit die Grundlagen zur Realisierung gasbetriebener Schiffe in der internationalen Fahrt geschaffen. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO erarbeitet dazu den IGF-Code (International Code of Safety for Ships using Gases or other Low Flashpoint Fuels) Eine deutsche Arbeitsgruppe bestehend aus Klassifikationsgesellschaften, Werften, Zulieferbetrieben, Verbänden, Behörden und Hochschulen hat den Prozess auf nationaler Ebene begleitet. Es wird der aktuelle Diskussionsstand (BLG 17 – 2013) vorgestellt und insbesondere auf betriebliche und operative Aspekte eingegangen. Rückschlüsse für die zukünftigen Ausbildungsanforderungen von Schiffsingenieuren und Besatzungsmitgliedern werden vorgestellt.

Vorschriftenentwicklung durch die IMO

Die Seeschifffahrt ist ein äußerst internationales, globalisiertes Gewerbe. Regionale oder nationale Vorschriften sind kaum umsetzbar, weil es durch Marktmechanismen (z.B. Transportpreise) schnell zu Verdrängungs- oder Ausweichreaktionen kommen kann. Regulatorische Anforderungen können nur sicher durch Anreizsysteme (Steuern und Gebühren) oder konsequente Gleichbehandlung auf internationaler Ebe­ne durchgesetzt werden. Die IMO ist eine Unterorganisation der Vereinten Nationen (UN). Durch die Mitgliedsnationen werden Regelungsbedarfe identifiziert und in die Vollversammlung eingebracht. Zur Bearbeitung werden diese Angelegenheiten den Arbeitsgruppen und -ausschüssen zugeordnet. Im vorliegenden Fall erfolgte die Bearbeitung durch das Marine Saftey Committee (MSC) in der Arbeitsgruppe für flüssiges Massengut und Gase (Bulk, Liquids and Gases – BLG). Die Arbeitsgruppen tagen regelmäßig jährlich oder halbjährlich. Die Nomenklatur der vorgelegten Dokumente enthält die Sitzungsnummer und den Tagesordnungspunkt. So bedeutet BLG/17/8/1: 17. Sitzung der BLG-Arbeitsgruppe, Tagesordnungspunkt Nr. zurzeit 8, Dokumentvorlagennummer 1. Der Zeitplan für die Umsetzung des IGF-Codes sieht für 2013 die 17. BLG- und die 92. MSC-Sitzung vor. Hier soll der letzte Entwurf (Final Draft) verabschiedet und die Inkraftsetzung nach SOLAS 2014 erfolgen. Verabschiedete Dokumente können auf der IMO-Web-Seite eingesehen werden [Scholz, B.; Plump, R., Würsig, G.: Die IMO-Richtlinie MSC.285(86) und die GL Richtlinie für Gas als Schiffsbrennstoffsicherheitstechnische Herausforderungen und Perspektiven, Vortrag bei der Schiffbautechnischen Gesellschaft (STG), 2010]. Da die IMO über keine hoheitlichen Durchsetzungskompetenzen verfügt, müssen die Vorschriften in nationales Recht überführt und durch die Nationalstaaten durchgesetzt werden. Im vorliegenden Fall sind Beschlüsse durch die Europäische Kommission und durch den deutschen Bundestag zu erwarten. Die zuständige nationale Aufsichtsbehörde ist die Schiffssicherheitsabteilung der BG Verkehr.

Die Normen für die Ausbildung und den Wachdienst auf Seeschiffen werden durch den STW-Unterausschuss (Standards of Training and Watchkeeping) diskutiert und festgelegt. Der Diskussionsprozess wurde durch STW43/14 initiiert, ist zurzeit aber noch nicht abge­schlossen. Auf nationaler Ebene werden diese Prozesse durch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) – als national zuständige Behörde – und die Arbeitsgemeinschaft der Küstenländer für das Seefahrtsbildungswesen (StAK) begleitet. Die Hochschulen beraten die Ministerien in den Arbeitsgruppen bei der curricularen Umsetzung.

Bearbeitungsstand IGF-Code Vorentwicklungen MSC.285(86)

Traditionell werden Seeschiffe mit Schwer­öl betrieben. Niedrige Betriebskos­ten, bewährte Aufbereitungsanlagen und effiziente Wirkungsgrade (40–50 %) sowie niedrige Emissionswerte (gemessen an der Transportleistung) sind die Hauptgründe dafür.

Neue Umweltanforderungen hinsichtlich Kohlendioxid, Schwefel- und Stickoxiden zwingen zur Wahl von alternativen Kraftstoffsubstituten. Hier kommt primär »Landdieselkraftstoff« oder »Erdgas« in Betracht. Nach SOLAS sind Betriebsstoffe mit einem Flammpunkt unterhalb von 60 °C aus Brandschutzgründen verboten. Dies war also bisher ein rein formales Ausschlusskriterium für Gas als Schiffsbetriebsstoff. Das MSC hat daher bereits im Juni 2009 die Interim Guideline MSC.285(86) erarbeitet. Sie beschreibt Sicherheitsstandards hinsichtlich Anordnung und Installation von gasbetriebenen Antriebs- und Hilfsmaschinen. Die daraus abgeleiteten Klassifikationsvorschriften legten vorläufige Empfehlungen, Genehmigungs- und Abnahmeverfahren fest [Scholz, B.; Plump, R., Würsig, G.: Die IMO-Richtlinie MSC.285(86) und die GL Richtlinie für Gas als Schiffsbrennstoffsicherheitstechnische Herausforderungen und Perspektiven, Vortrag bei der Schiffbautechnischen Gesellschaft (STG), 2010].

Bearbeitungsstand BLG17

Seit 2008 wird das Bundesverkehrsminis­terium im internationalen Diskussionsprozess von einer deutschen Arbeitsgruppe bestehend aus Klassifikationsgesellschaften, Werften, Ingenieurbüros, Zulieferbetrieben, Behörden und Hochschulen beraten. Dabei zeigte sich, dass bestimmte, nationale Anforderungen und Erfahrungen nicht auf alle Schiffstypen übertragbar waren (z. B. norwegische Bauvorschriften aus dem Offshore-Bereich versus Anforderungen für Passagierschiffe). Ziel war aus deutscher Sicht die Entwicklung eines sog. »Goal-Base-Standards«, um möglichst flexibel auf alternative Kraftstoffe reagieren zu können. Obwohl im Laufe des Diskussionsprozesses bei BLG trotzdem Detailfragen dominiert haben, sollte durch Zielvorgaben ausreichend Flexibilität für alternative Brennstoffe und Konzepte erreicht werden. Dieses Ziel konnte nur teilweise erreicht werden [Würsig, Gerd-Michael; Jost, Anneliese: BLG-17/8 development of the IGF-Code – view of German coordinator, Mail v. 8. Feb.; 11. Feb. und 14. Feb. 2013 (persönliche Mitteilungen)]. Dennoch ist der Anlagenbauer und -betreiber nun teilweise in der Wahl seiner Optionen freier. Bei abweichender Prozesswahl ist (in der Regel durch eine Risiko-Analyse) nachzuweisen, dass die vorgegebenen Ziele in gleicher Weise erreicht werden. Kernelemente des IGF-Codes sind [BLG 17/8/1 draft IGF-Code, IMO, London, Nov. 2012]:

• Konstruktive Hinweise (A1: schiffbauliche Anforderungen, Maschinenraumkonzepte, Notausvorrichtungen; Bunker-, Tanks-, Zellen- und Rohrleitungs-

anforderungen; Drucksysteme, Kompressoren und Ventile, Inertgas- und Belüftungssysteme, Bunker- und Übergabestationen, Versorgungssysteme und Sicherheitseinrichtungen, Anforderungen an die Energiewandler – Motoren, Turbinen, Brennstoffzellen, Kessel –, Brand- und Explosionsschutz, Definition von Gefahrenbereichen und deren Anforderungen, elektrische Systeme, Meß-, Steuer-, Regel- und Überwachungseinrichtungen); A2 – A7: Hinweise zu alternativen Kohlenwasserstoffen als Kraftstoffe)

• Alternative Konstruktionen und Nachweismethoden (Risiko-analyse, Fehlerbaumuntersuchungen o. ä.)

• Bau, Konstruktions- und Testmethoden

• Betrieb: Ausbildungsanforderungen und Qualifikationsstandards für Besatzungen (A = basic training) sowie Decks- (B) und Schiffstechnikoffiziere (C), Betriebskonzepte (Bunkervorgang, Begehung von geschlossenen Räumen, Inertisierung und Belüftung von Rohrleitungen, Voraussetzungen für Schweißarbeiten)

Im Ergebnis wurden die vorliegenden Entwürfe und Beiträge erörtert, diskutiert und eine abschließende Beratung für 2014 festgelegt.

Ausbildungsanforderungen

Durch das Maritime Zentrum der Fachhochschule Flensburg wurden die Vorschriftenentwürfe hinsichtlich Ausbildungsanforderungen und betrieblichen Notwendigkeiten untersucht [Centre of Maritime Studies, Flensburg University of Applied Sciences: www.fh-flensburg.de/mz, Böcker, Phillipp: Erfahrungen und Regelungsbedarfe zur Einführung von Gas als Schiffsbrennstoff, Abschlussarbeit, FH Flensburg, Normenstelle für Schiffs- und Meerestechnik (NSMT), 2013]. Durch den Wechsel von einem flüssigen zu einem teilweise gasförmigen bzw. tiefgekühlten Betriebsstoff mit definierten Phasenübergängen sind neue, zusätzliche Kompetenzen erforderlich. Exemplarisch seien hier genannt: Gasspezifische physikalisch-chemische Kenntnisse, thermodynamische und fluidtechnische Kenntnisse, Konstruktions-, Detail- und Betriebskenntnisse zu Einzelkomponenten und Anlagen, komplexe sicherheitstechnische Verfahrensprozeduren und Sicherheitsmaßnahmen zur Vermeidung von Brand- und Explosionsgefahren. Ein vollständiger Überblick zu den Ergebnissen der Studie befindet sich unter www.schiffsingenieursvereinigung.de.

Für Verfahrensprozeduren ist nach dem Internationalen Code zur Organisation eines sicheren Schiffsbetriebes (ISM-Code) neben der Besatzung auch der Schiffsbetreiber (Reeder/Charterer) zuständig [MO: Resolution A.741(18) as amended by MSC.104(73), MSC.179(79), MSC.195(80) and MSC.273(85), International Safety Management Code, IMO, London]. Insofern sind spezielle Schulungs- und Verfahrensanweisungen durch die Betreiberfirma des Schiffes zu veranlassen. Es sind damit zusätzliche, komplexe systemtechnische Kenntnisse auf allen Führungs- und Betriebsebenen erforderlich [STW 43/14: Report to the Maritime Safety Committee, Training Requirements, IMO, London, 2012].

Zusammenfassung und Bewertung

Schiffsingenieure sind Betriebsingenieure, die für Wartung, Betrieb und Instandhaltung aller Anlagen und Geräte verantwortlich sind. Es gibt keinen vergleichbaren Beruf im Landbereich, der ein derartiges breit angelegtes Fachwissen und hohe Verantwortung für Menschen und Material erfordert. Die neuen Kraftstoffe erfordern neue Konstruktions- und Betriebskonzepte. Der Betriebsingenieur muss in der Lage sein, Fehler oder Betriebszustände an Anlagen und Komponenten qualifiziert beurteilen und Maßnahmen ergreifen zu können. Die vorstehenden Ausführungen zeigen den aktuellen Diskussionsstand der Vorschriftenlage und leiten neue Ausbildungsanforderungen und Betriebskonzepte ab.


Prof. Dr.-Ing. Holger Watter