Print Friendly, PDF & Email

Der HTG-Fachausschuss Consulting (FAC) beschreibt Grundsätze, die aus seiner Sicht bei Planung und Verwirklichung von großen Infrastrukturprojekten gelten sollten
In Deutschland geraten Großvorhaben von öffentlichen Auftraggebern immer häufiger in die Kritik. Spätestens seit den Schlagzeilen über Projekte wie Stuttgart[ds_preview] 21, Elbphilharmonie und den Flughafen Berlin Brandenburg ist klar, dass es sich hierbei um ein Thema mit Krisenpotenzial handelt. Signifikante Kos­tensteigerungen und erhebliche Termin­überschreitungen stehen beispielhaft für Fehlentwicklungen, die in Zukunft durch ein Umdenken vermieden werden können.

Diesem Thema widmete sich der HTG-Fachausschuss Consulting (FAC), der im Vergleich zu reinen Interessenverbänden die fachliche Expertise von Vertretern öffentlicher Auftraggeber und privater Planungs­unternehmen aufbietet. Die im Folgenden aufgeführten Grundsätze zur Umsetzung von Großvorhaben wurden im Austausch von erfahrenen Ingenieuren disziplinübergreifend erarbeitet. Es handelt sich hierbei um fachlich versierte Handlungsempfehlungen, die in der vom Bundes­bauminister Peter Ramsauer eingesetzten Reformkommission »Bau von Großprojekten« Beachtung finden sollten.

1. Bedarfsbegründung

Hinter Großprojekten stehen entsprechende Investitionssummen, die nach einer öffentlichen Legitimation verlangen. Deshalb sollten der Bedarf für das Vorhaben sorgfältig über entsprechende Studien ermittelt, der Kosten- und Zeitbedarf seriös abgeschätzt sowie mögliche Projektrisiken aufgezeigt werden. Dafür müssen zu Beginn des Projektes die notwendigen Planungsmittel zur Verfügung gestellt werden, um einen Termindruck bereits in diesem ersten Stadium zu vermeiden.

Voruntersuchungen sollten ausdrücklich ohne Präjudiz für eine spätere Realisierung erfolgen. Empfohlen wird die Einführung des Instruments »Vorstudien«, die es Verwaltungen ermöglicht, Voruntersuchungen, insbesondere auch hinsichtlich der Projektmachbarkeit, durchzuführen. Erst auf dieser Grundlage belastbarer Projektinformationen sollte ein parlamentarisches Mandat eingeholt werden.

2. Projektplanung

Durchführbarkeitsstudien, Variantenuntersuchungen, Vor- und/oder Entwurfsplanung im Sinne der HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) müssen in ihrer Tiefe so betrieben werden, dass sich die erforder­lichen Finanzmittel in einem gesicherten Rahmen bewegen, die Umweltverträglichkeit und öffentliche Akzeptanz erreichbar erscheinen und der Zeitbedarf für das Projekt abschätzbar ist. Verbleibende Risiken müssen ausdrücklich benannt und in ihrer Auswirkung seriös abgeschätzt und beschrieben werden. Die erforder­lichen Voruntersuchungen (wie Baugrunduntersuchungen, Vermessungen, hydraulische bzw. hydrologische Messungen) müssen im Dialog mit fachkompetenten Bauherrenvertretern nach Art und Menge im Einzelfall festgelegt werden. Diese Aufgabe sollte nicht auf Dritte übertragen werden! Während der Planung und Genehmigungsphase sind die Kostenschätzungen fortzuschreiben und nach Abschluss dem Parlament als Entscheidungshilfe zu nennen.

Ein zumeist vernachlässigter Aspekt in der Realisierung von Großprojekten ist die Öffentlichkeitsbeteiligung. Ein offener und direkter Austausch mit Bürgern und Betroffenen von Beginn an kann Kritik, Widerstand und damit Zeitverzögerun­­gen verhindern. Dabei geht es um Schlüs­sel­themen wie Nachhaltigkeit, Umwelt- und Emissionsbelastungen, Auswirkungen auf die lokale Lebensqualität, die regionale Wirtschaft, Kosten und Nutzen. Noch sind die Maßstäbe, die an eine Öffentlichkeitsbeteiligung gelegt werden, sehr unterschiedlich. Es fehlen einheitliche Standards zum Nachweis ausreichender Öffentlichkeitsbeteiligung in den Planungsprozess.

3. Projektentscheidung

Auf der Grundlage des unter Punkt 2 beschriebenen Planungsstandes sollte die Entscheidung für die Projektrealisierung getroffen und die erforderlichen Haushaltsmittel sollten von dem zuständigen parlamentarischen Gremium bewilligt werden.

4. Ausschreibung und Vergabe

Der Ausschreibung muss eine detaillierte Planung zugrunde liegen, die den Umfang der zu erbringenden Leistungen präzise beschreibt, um alle Bieter auf den gleichen Informationsstand zu bringen, um beklagbare Wettbewerbsvorteile auszuschließen und Nachtragsforderungen einzugrenzen. Die strengen Regeln des Vergaberechtes müssen exakt beachtet werden, um langwierige gerichtliche Vergabeverfahren zu vermeiden. Weiterhin sollte eine zwingende Unterrichtung des Parlamentes über die Kostensituation nach der Ausschreibung vorgeschrieben sein, mit der ausdrücklichen Befugnis, das Projekt aus Kostengründen noch zu stoppen.

5. Realisierungsphase

Neben einer gründlichen technischen Bauüberwachung und einer kompetenten Wahrnehmung der Bauherrenfunktion durch den Auftraggeber ist ein kontinuierliches, fachkompetentes Controlling über Kosten, Leistungsstand und Risiken zwingend erforderlich, um den Überblick nicht zu verlieren. Diese kontinuierliche Statusbewertung setzt die Bereitschaft zur Kommunikation und Partnerschaft voraus. Alle am Prozess Beteiligten müssen gemeinsam eine neue Autorität in das Projektmanagement bringen und verstehen, dass Projekte erst durch das frühzeitige Erkennen von internen und externen Risiken und das proaktive Gegensteuern belastbar werden.

6. Schlussbemerkungen

6.1. In Deutschland gibt es trotz einiger

herausragender Negativbeispiele zahlreiche Großvorhaben, die ordnungsgemäß und kontrolliert abgelaufen sind bzw. ablaufen, insbesondere bei öffentlichen Bauherren, die über ausreichend technisches und qualifiziertes Personal verfügen.

6.2. Die notwendigen Werkzeuge für eine erfolgreiche und kostensichere Durchführung von Großvorhaben sind in Deutschland vorhanden (wie zum Beispiel kompetente Planungsfirmen, erprobte Planungssystematik nach HOAI oder technische Regelwerke/Normen).

6.3. Die haushaltsrechtlichen Abläufe sind klar definiert.

6.4. Mängel/Defizite bestehen jedoch in den folgenden Bereichen:

• Bestehende Werkzeuge werden nicht immer konsequent genutzt.

• Die stringente Beachtung der unter Punkt 1 bis 5 beschriebenen Grundsätze wird ignoriert, ohne dass dies wirksame Sanktionen nach sich zieht.

• Aufseiten öffentlicher Bauherren wird eigene technische Kompetenz oft zu weit abgebaut.

• Häufig werden in wesentliche Projektentscheidungen zu wenige kompetente Fachleute (Architekten und Ingenieure) eingebunden. Stattdessen wird mehr nach po­litischen Kriterien entschieden.

• Alle am Vorhaben Beteiligte müssen sich konsequent Versuchen widersetzen, Kosten zu manipulieren bzw. schönzurechnen oder Risiken zu verschweigen.

Auffällig ist auch, dass es sich bei den oben genannten »Skandalprojekten« ausschließlich um Unikatprojekte handelt. Die jeweiligen öffentlichen Bauherren haben hierfür keine Referenzerfahrungen. Daraus folgt zwingend, dass gerade auch für solche Fälle zukünftig die Einhaltung der skizzierten Grundsätze unbedingt vorgeschrieben werden muss.

Mitglieder des HTG-Fachausschusses Consulting, gez. 12. September 2013