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Die technischen Voraussetzungen für die saubere Energieversorgung sind geschaffen. Nun kommt es auf die systemische Umsetzung an, schreibt Hans-Erhard Schmidt
Frachtschiffe tragen die Hauptlast des weltweiten Güterverkehrs. Sie wickeln über 90 % der globalen Handelsströme über die Weltmeere ab. Zahllose Fährverbin[ds_preview]­dungen und die boomende Kreuzschifffahrt übernehmen zudem einen nicht unbeträchtlichen Teil des Passagierverkehrs. Doch die Verbrennung von Schiffstreibstoffen während der Liegezeit im Hafen zur notwendigen Stromerzeugung ist eine der Hauptursachen für die lokale Luftverschmutzung und die damit verbundenen Belastungen für Mensch und Umwelt.

Untersuchungsprogramme, die den von Schiffen verursachten Anteil der Luftschadstoff-Konzentration überprüft haben, stellten vor allem in Hafengebieten signifikante Werte fest. Insgesamt verursachen Schiffe weltweit 2 % aller CO2-, 15 % aller Stickoxid- und 6 % aller Schwefeloxid-Emissionen. Entsprechende Untersuchungen zeigen, dass die im Hafenbetrieb verursachten Schadstoffe konzentriert in Terminalnähe anfallen.

In Hamburg wurde im Zuge der Bauleitplanung für die HafenCity eine Immissions­prognose für 2015 berechnet, nach der die geltenden Immissionsgrenzwerte überschri­tten wer­den und somit im unmittelbaren Umfeld des Kreuzfahrtterminals keine Wohnnutzungen ausgewiesen werden dürfen bzw. Bürogebäude im Nahbereich nur bei kontrollierter Belüftung zulässig sind.

Bereits seit Beginn des Jahres 2010 stehen Reeder unter Zugzwang, weil seitdem schärfere Umweltrichtlinien gelten (Europäische Richtlinie 2005/33/EG vom 6.7.2005). Seit 2010 dürfen alle Schiffe, die in einem EU-Hafen liegen, nur Schiffstreibstoffe mit maximal 0,1-prozentigem Schwefelgehalt verwenden. Zudem hat die Europäische Kommission 2013 einen Richtlinienvorschlag »Strategie für umweltverträgliche, alternative Kraftstoffe, einschließlich der zugehörigen Infrastruktur« erarbeitet. Demnach sollen die verkehrsbedingten Treib­hausgasemissionen bis 2050 um 60 % verringert werden. Für Seehäfen gewinnen deshalb Alternativen wie Elektrizität und Flüssigerdgas (LNG) an Bedeutung. Gemäß Artikel 4 Absatz 4 des Vorschlags sollen die Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass in Häfen eine landseitige Stromversorgung für Schiffe vorgesehen wird, sofern dies kosteneffizient ist und sich günstig auf die Umwelt auswirkt.

Landstromanschlüsse technisch für alle Schiffe gelöst

Diese Möglichkeit zur Emissionsreduktion in Häfen wird vielerorts schon seit langem diskutiert. Bereits seit über zehn Jahre drängt die Europäische Kommission Hafenbehörden, durch Vorschriften, Anreize oder die Erleichterung des Zugangs dafür zu sorgen, dass Schiffe während der Liegezeit im Hafen landseitige Stromquellen nutzen. Diese Empfehlung wurde zuletzt 2006 konkretisiert und erweitert (Empfehlung der EU-Kommission 2006/339/EG vom 08.5.2006 betreffend der »Förderung der Landstromversorgung von Schiffen an Liegeplätzen in den Häfen der Gemeinschaft«). Demnach sollen die Mitgliedsstaaten u.a. den Aufbau von Landstromanlagen in Häfen prüfen und auch wirtschaftliche Anreize für die Nutzung dieser Versorgung durch die Schiffsbetreiber setzen.

Die technischen Voraussetzungen für Landstromanschlüsse sind inzwischen von der Industrie voll erfüllt und für alle infrage kommenden Schiffstypen gegeben. Die Lösungen sind abhängig von der Liegezeit und der notwendigen Leistung. So benötigen Fähren und RoRo-Schiffe eine Anschlussleistung von bis zu ca. 3,5 Megawatt (MW), Containerschiffe mit Kühlcontainern ca. 6–7 MW und Kreuzfahrtschiffe 10–11 MW. Bei besonders großen Schiffen wie der »Queen Mary 2« liegt der Bedarf sogar darüber.

Für alle Leistungsbereiche sowie für die weltweit gängigen Frequenzen von 50 und 60 Hertz hat Siemens mit Siharbor ein Landstromversorgungssystem entwickelt, dessen Herzstück Frequenzumrichter vom Typ Sip­link sind. Das System bietet über speziell entwickelte Kabelzuführungssysteme eine schnelle, einfache und flexible Verbindung zwischen Land und Schiff und entspricht den internationalen Standards IEC/ISO/IEEE 80005 (Hochspannungsverbindung zwischen Schiff und Land) und IEC 62613-2 (Stecker, Steckdosen und Kupplungen für Schiff-Hochspannungs-Landanschluss­sys­teme). Siharbor erfüllt die unterschiedlichen Anforderungsprofile von Hafenbetreibern, Schiffseignern, Werften und Energieversorgungsunternehmen. Das System kann in jedem Hafen installiert und an jede Liegeplatztopologie sowie jeden Leistungsbedarf angepasst werden.

Baukastensystem von Siplink erfüllt auch Schallschutz

Dank des Baukastenprinzips von Siplink lassen sich Landstromversorgungslösungen mit unterschiedlichen Kombinationen von 50-Hertz- und 60-Hertz-Stromversorgungssystemen sowie allen erforderlichen Spannungsebenen für die Schifffahrt realisieren. Im 50-Hertz-Bereich werden Spannungen von 6 bzw. 10 Kilovolt (kV), im 60-Hertz-Bereich 6,6 bzw. 11 kV verwendet. Grundsätzlich wird bei der Frequenzumwandlung Wechselstrom von zum Beispiel 50 Hertz in Gleichstrom umgewandelt, danach erfolgt die Frequenzanpassung auf 60 Hertz und die Rückwandlung in Wechselstrom. Beim Siplink-System sind also zwei Umrichter durch einen Gleichspannungszwischenkreis miteinander verbunden und jeweils an ein Stromnetz (einmal landseitig, einmal schiffsseitig) angeschlossen.

Damit ist das System in der Lage, nicht nur aus einem Verteilnetz heraus ein Inselnetz zu speisen, sondern auch Stromversorgungsnetze mit unterschiedlichen Parametern einander anzupassen und miteinander zu verbinden. Siplink setzt dreiphasige Umrichter ein, die eine absolut saubere Gleichstromübertragung garantieren. Stromrichtertransformatoren stellen den Anschluss des Siplink an das Versorgungsnetz her. Der schiffsseitige Transformator sorgt für die galvanische Trennung zwischen Schiffs- und Landnetz, wie es die IEC 80005-1 fordert.

Das Siplink-System ist wassergekühlt. Je nach Anwendung wird der Wärmetauscher bei Außenaufstellung als Wasser-Luft- oder als Wasser-Wasser-Austauscher ausgelegt. Dabei werden auch die Schallschutzanforderungen berücksichtigt.

Landanschlüsse in den USA und Skandinavien weiter verbreitet

Weltweit sind inzwischen über 100 Landanschlüsse installiert worden, vor allem in den USA sind sie verbreitet. Hier wird der Zwang zu dieser Lösung der Energieversorgung von Schiffen zunehmend stärker. In Europa sind die skandinavischen Länder Vorreiter bei Landstromanschlüssen. Alternativ werden hier höhere Liegegebühren verlangt, wenn Schiffe bei der Eigenversorgung bleiben. In Deutschland hat Siemens seit 2008 im Lübecker Hafen am Nordlandkai Landstrom verfügbar gemacht, der von drei Schiffen genutzt wird, die im Verkehr mit Nordfinnland stehen.

Siemens hat für die Verbindung von der Landstation zum Schiff unterschiedliche vollautomatische Kabelführungssysteme entwickelt. Die Kabelmanagementsysteme für unterschiedliche Schiffstypen werden direkt am Kai aufgestellt und können bei Bedarf vollautomatisch vom Schiff aus bedient werden. Die landseitigen Kabelzuführungssysteme kommen ohne Schleifringe aus, die aufgrund aggressiver Einsatzbedingungen in Seehäfen zu Betriebsstörungen führen können. Das System gleicht auch den Tiedenhub aus. Das Ziel der Kabelzuführung ist es, dass das System seine endgültige Position eingenommen hat, während das Schiff noch das Anlegemanöver durchführt.

Bei der Kabelführung auf dem Kai wird ein ähnliches System mit Stahlabdeckplatten verwendet, wie sie auch bei Containerbrücken zum Einsatz kommen. Der Kanal entlang der Kaimauer führt die hochwasserbeständige Kette zur Verfahrbahrkeit des Systems und lässt sich bis zu einer Länge von 300 m ausführen. Die Stahlplattenabdeckung des Kanals kann problemlos mit 20 t Achslast befahren werden, sodass der Kai ohne Einschränkungen von Teleskopkranen, Lkw und Bussen genutzt werden kann. Die Steuerung bzw. Bedienung des Systems kann bei Bedarf vollautomatisch vom Schiff aus erfolgen, sodass auf der Landseite kein zusätzliches Fachpersonal erforderlich ist.

Siemens bietet mit Siharbor eine Komplettlösung für die Landstromversorgung aus einer Hand – von der Planung bis zur Inbetriebnahme, sodass Schnittstellenprobleme entfallen. Der Lieferumfang kann ergänzend Beton- oder Containerstationen für den Anschluss an das Versorgungsnetz, Mittel- und Niederspannungsschaltanlagen beinhalten. Alle Komponenten sind standardisiert und stammen aus dem bewährten Siemens-Portfolio.

Der fünfjährige, störungsfreie Betrieb im Lübecker Hafen beweist die Zuverlässigkeit nachdrücklich. Der Profit für die Umwelt ist in jedem Fall erheblich: Mit Landstrom­anschlüssen, wie Siemens sie entwickelt hat, lassen sich 54 % der Kohlendioxid-, 97 % der Stickoxid- und 90 % der Feinstaub­emissionen vermeiden. Das bedeutet einen großen Gewinn für die Einwohner von Hafenstädten.

Autor:

Hans-Erhard Schmidt

Siemens AG, Region Nord

Lindenplatz 2, 20099 Hamburg

Tel. +49 (0)40/2889-3640

hans-.schmidt@siemens.com


Hans-Erhard Schmidt