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Eine Bestandsaufnahme zur Schifffahrtskrise

Die deutschen Reedereien befinden sich im mittlerweile sechsten Krisenjahr. Trotz Stabilisierung der Weltwirtschaft ist das aktuelle Fracht- und Charterratenniveau weiterhin[ds_preview] nicht ausreichend. Zum Ende des Jahres 2012 ist die Anzahl deutscher Handelsschiffe seit der Einführung der Tonnagesteuer zum ersten Mal rückläufig. Diese Entwicklung hat sich bis zum Ende des Jahres 2013 weiter fortgesetzt. Mit der Einführung der Tonnagebesteuerung ist die deutsche Handelsflotte bis in das Jahr 2012 kontinuierlich ausgebaut worden. Die Schiffsanzahl hat sich innerhalb von 13 Jahren verdoppelt, der vorhandene Transportraum wurde mehr als vervierfacht. Die Erweiterung der Handelsflotte ist über Projektgesellschaften in Form von Einschiffsgesellschaften umgesetzt worden, deren wirtschaftlicher Erfolg vom generierten Cashflow abhängt. Die Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung erfolgte dabei über Schiffsfonds mit privaten Investoren und dem klassischen Schiffshypothekendarlehen. Die Vermarktung der Fonds war mit hohen Weichkosten verbunden, an denen Emissionshäuser, selbständige Kapitalvermittler, Kreditinstitute und Reedereien verdient haben. Durchschnittlich sind etwa 20% des eingeworbenen Eigenkapitals in Prospektierung, Vertrieb und Vermittlungsgebühren geflossen. Der effektiv zur Finanzierung eingesetzte Eigenkapitalanteil ist dadurch verringert und die Fremdkapitalabhängigkeit der Finanzierungen zusätzlich empfindlich erhöht worden. Diese vorgenannten Finanzierungsparameter haben in Kombination mit einem prozyklischen Investitionsverhalten und der Maßlosigkeit deutscher Emissionshäuser, Kreditinstitute und Reedereien zur aktuellen Situation am Standort Deutschland beigetragen. Nach mehreren Jahren Tilgungs- und Zinsstundungen kann der benötigte Kapitaldienst bei vielen Schiffen mittlerweile nicht mehr erwirtschaftet werden. Weiterhin fehlt Kapital, um Reparaturen und turnusmäßige Wartungsarbeiten durchzuführen. Ein Großteil der deutschen Schiffsfonds befindet sich aktuell in Sanierung, oder diese steht mit ungewissem Ausgang bevor. Deutsche Kreditinstitute haben zuzeiten der Hochkonjunktur etwa 45% des weltweiten Kreditvolumens in der Schiffsfinanzierung bereitgestellt. Aktuell sind die Kreditinstitute – aufgrund der Bankenregulierungen Basel II/III – gezwungen, das bestehende Kreditportfolio bilanziell auszugliedern und abzuwickeln. Nichtleistende Bestandskredite erfordern eine erhöhte Risikovorsorge in Form von steigenden Eigenkapitalhinterlegungen. Kündigungen von Schiffshypothekendarlehen deutscher Handelsschiffe haben in den meisten Fällen eine Veräußerung oder Insolvenz zur Folge. Im Insolvenzfall greift die erstrangige Hypothekenbesicherung des Kreditinstituts. Ausschüttungen an Kommanditisten, die nicht durch einen bilanziellen Gewinn abgedeckt sind, werden vom Insolvenzverwalter zurückgefordert. Diese tragen zur Verlustreduktion der Kreditinstitute bei. Zeitgleich stellt das bisher finanzierende Kreditinstitut ein neues Schiffshypothekendarlehen zur Verfügung. Das Asset wird im Portfolio gehalten und ein späterer Verkauf bei sich verbessernden Marktverhältnissen ermöglicht dem Kreditinstitut eine weitere Verlustreduktion.

Unter Berücksichtigung der Beteiligung deutscher Kreditinstitute an der globalen Schiffsfinanzierung und den vorgenannten risikoreichen und quantitativ maßlosen Finanzierungen ist deutschen Kreditinstituten eine Mitverantwortung an der anhaltenden Krisensituation zuzuschreiben.

Die finanziellen Eigenmittel der Reedereien sind in den vergangenen Krisenjahren aufgebraucht worden, um vor dem Jahr 2009 bestellte Neubauprogramme zu finanzieren und um Bestandsschiffe zu stützen. Nachdem die Akquisition von Eigenkapital über geschlossene Schiffsfonds nahezu zum Erliegen gekommen ist, erörtern deutsche Reedereien alternative Eigen- und Fremdkapitalquellen. Bis in das laufende Jahr steht jedoch kein neues Standardmodell zur Finanzierung von Handelsschiffen zur Verfügung. Deshalb gibt es bislang nur Einzelfalllösungen zur Sanierung und Finanzierung. Deutsche Reedereien setzen auf Private-Equity-Kapital als Eigenkapitalersatz oder die Einwerbung von Fremdkapital über Shipping Bonds.

Doch beide Kapitalquellen verlangen im Vergleich zu Schiffsfonds und dem klassischen Schiffshypothekendarlehen höhere Renditen und sind in der Laufzeit begrenzt. Deutsche Reedereien kalkulieren demnach mit einem deutlichen Anstieg der Schifffahrtsmärkte, um die geforderten Renditen zu erwirtschaften. Sollte bei einem Ausstieg des Private-Equity-Investors oder dem Laufzeitende des Shipping Bonds die geforderte Rendite nicht erwirtschaftet werden, wird weiteres Kapital benötigt, um einen Verkauf oder eine Insolvenz weiterer Handelsschiffe zu vermeiden. Eine Spirale neuer Kapitalaufnahmen zur Ablösung älterer Kredite ist als Folge absehbar. Deutsche Reedereien sind gezwungen, die seit der Jahrtausendwende aufgebaute, nicht nachhaltig finanzierte Handelsflotte mit der Nutzung alternativer Kapitalquellen für die nächsten Jahre aufrecht zu erhalten. Bei einer ausbleibenden Marktverbesserung ist der Bestand deutscher Handelsschiffe, die nicht den benötigten Kapitaldienst erwirtschaften, weiterhin bzw. erneut gefährdet. Eine neuerliche Verkaufs- und Insolvenzwelle ist nicht auszuschließen. Diese Entwicklung kann zu einer Gefahr für den Reedereistandort werden.

Die aktuell – vor allem im Ausland – getätigten Investitionen in Schiffsneubauten belasten die Schifffahrtsmärkte weiter. Während die Abwrackzahlen auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau verbleiben, steigen die Bestellungen effizienterer Schiffstypen an. Das Fracht- und Charterratenniveau ist in den meisten Teilbereichen der Schifffahrt jedoch weiterhin nicht ausreichend, um Schiffsbetriebskosten und Kapitaldienst abdecken zu können. Mit der bisherigen und voraussichtlich weiter steigenden Beteiligung von Private-Equity-Investoren auch im Bereich der Neubaufinanzierung wird eine Verlängerung der Schifffahrtskrise provoziert.
Florian Göbel