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Kaianlagen müssen immer wieder an wachsende Schiffsgrößen angepasst werden. Robert Howe und Christian Hein berichten über die Gewinnung von Messdaten, deren Analyse und Schlussfolgerungen

1. Einleitung

Seit 2006 laufen die Großcontainerschiffe der E-Klasse der dänischen Reederei Maersk regelmäßig den Container Terminal[ds_preview] Bremerhaven an. Seit einem halben Jahr ist der Hafenstandort nun auch Anlaufpunkt der neuen Triple-E-Klasse. Europas viertgrößter Containerhafen musste sich mit den gestiegenen Anforderungen durch Anlegemanöver und deren Wirkungen auf die Kajenbauwerke auseinandersetzen. Da die deterministischen Bemessungsrichtlinien (PIANC Guidelines for the Design of Fender Systems 2002, Marcom Report of WG 33) (PIANC WG 33: Guidelines for the Design of Fender Systems. Marcom Report of WG 33, Brüssel, 2002) für Schiffe dieser Größenordnungen konstante und nicht mehr differenzierte Annäherungsgeschwindigkeit ausweisen, wurde eine Anlage konzipiert, die vollautomatisch in der Lage ist, die realen Anlegegeschwindigkeiten von Großcontainerschiffe zu messen und auch auszuwerten.

In dieser Ausarbeitung werden die Anlage und ihre Funktionalität beschrieben. Es werden im Anschluss daran die Ergebnisse aus über 1.000 Anlegevorgängen beschrieben und analysiert. Abschließend werden die Ergebnisse der Auswertung mit den Empfehlungen der Bemessungsrichtlinien verglichen. Es folgt ein Ausblick auf mögliche weitere Schlussfolgerungen.

2. Geschwindigkeitsmessanlage

2.1 Anlegegeschwindigkeit

Die Anlegegeschwindigkeit eines Schiffes ist die entscheidende Bemessungsgröße bei der Ermittlung von Anlegeenergien. Mit der berechneten Energie wird letztlich das erforderliche Arbeitsvermögen der Fender ermittelt und der Fender dementsprechend ausgewählt. Die Herleitung der deterministischen Bemessungsmethode der PIANC beruht auf der Grundgleichung der kinetischen Energie.

E = 1/2 m · v² (kinetische Energie)

Da die Geschwindigkeitskomponente in der Gleichung quadratisch berücksichtigt wird, können schon geringe Abweichungen bei der Festlegung der Anlegegeschwindigkeit zu großen Differenzen bei den Energiewerten führen.

Für die Bemessung der Anlegeenergie wird im Folgenden die Bemessungsmethode des PIANC-Reports von 2002 (PIANC WG 33: Guidelines for the Design of Fender Systems. Marcom Report of WG 33, Brüssel, 2002) herangezogen. Seit 2004 ist diese Bemessungsmethode auch in den »EAU – Empfehlungen des Arbeitsausschusses Ufereinfassungen« aufgeführt.

Normale Anlegeenergie (Normal Berthing Energy)

EN = 0,5 · MD · (VB)² · CM · CE · CS · CC

Hierbei ist:

MD = Schiffsverdrängung in t

(Displacement)

VB = Anlegegeschwindigkeit in m/s

(Berthing Velocity)

CM = Koeffizient des virtuellen Massenfaktors

(Added Mass Coefficient)

CE = Exzentrizitätskoeffizient

(Excentricity Coefficient)

CS = Dämpfungsfaktor des Uferbauwerks

(Berth’s Configuration Coefficient)

CC = Nachgiebigkeitsfaktor

(Sofness Coefficient)

2.2 Technische Konzeption

Um die Messwerte vorwiegend großer Schiffsgrößen zu erhalten, wurde ein fest installiertes Messsystem am Container Terminal Bremerhaven in einem Bereich platziert, in dem in der Regel die größten Containerschiffe anlegen (Abb. 1). Aufgrund der exponierten Lage entschied man sich für ein auf Radartechnologie basierendes und stationäres Messsystem, das automatisch rund um die Uhr Anlegevorgänge elektronisch aufzeichnet. Hierzu sind auf einer Länge von rund 430 m insgesamt 13 Sensoren angebracht, die zu einem jeweils zugehörigen Schwimmfender die Anlegegeschwindigkeit des Schiffes und die Kompression des Fenders beim Anlegevorgang messen (Abb. 2).

Die einzelnen Radargeräte sind auf die Außenkante des Fenders justiert, so dass Verformungen und Geschwindigkeiten mit einer maximalen Abweichung von ± 3mm sehr genau aufgezeichnet werden können. Ab einer Distanz von 30 m erkennt das System vollautomatisch ein anlegendes Schiff und zeichnet den Anlegevorgang über kurze Messintervalle von mindestens zwei Messungen pro Sekunde auf. Hierdurch werden je nach Schiffsgröße bis zu zehn Geschwindigkeitskomponenten am Schiff erfasst.

Die für eine spätere Energieberechnung erforderliche Schiffsverdrängung in Tonnen erhält das System zunächst aus dem AIS-System (Automatic Identification System). Daten wie Schiffsname, Ort, Uhrzeit und Tiefgang werden zur Verfügung gestellt (Abb. 3). Über für die meisten Schiffstypen vorliegende Loading-scales können bei der Auswertung der Ergebnisse sehr genaue Aussagen über die Wasserverdrängung und damit der Schiffsmasse in Tonnen während des Anlegevorganges gemacht werden.

2.3 Aufbereitung der Messergebnisse

Die Daten werden via Netzwerkverbindung direkt an die Datenbank ACRON weitergeleitet, das die Informationen dann in graphischer und tabellarischer Form an den Nutzer ausgibt.

Alle Prozessdaten werden archiviert und sind jederzeit wieder abrufbar. Die Auswertungsergebnisse werden auf einer Bildschirmoberfläche graphisch dargestellt und können bei Bedarf in Echtzeit verfolgt werden (Abb. 4). Hierbei werden interessante visuelle Effekte wie das Drehen des Schiffes um die Schwerpunktachse dargestellt.

Bei der Betrachtung der reinen Zahlenwerte der Ergebnisse wären solche Effekte nur sehr schwer nachvollziehbar. Die Sensoren messen in regelmäßigen zeitlichen Abständen die Entfernung zur Schiffshaut und ermitteln über die Distanzmessungen die Anlegegeschwindigkeiten. Die Darstellung der Geschwindigkeit erfolgt über ein grafisches Koordinatensystem mit einer Zeit-Weg-Achse.

Das Messsystem wurde in seiner Entstehungsphase eigentlich ausschließlich für die Erfassung der Annäherungsgeschwindigkeit bis zum Kontaktpunkt mit dem Fender konzipiert. Jedoch wurde auch die Bewegung über den Kontaktpunkt hinaus aufgezeichnet, und so erhielt man neben den maximalen Verformungsdaten des Fenders auch die negative Beschleunigung des Schiffes. Damit liefert dieses System eine hervorragende Möglichkeit, die reale Verformung eines Fenders und damit den zugehörigen Energiewert zu ermitteln, welcher sich aufgrund eines spezifischen und nicht theoretischen Anlegevorgangs eingestellt hat (Abb. 5). Eine solche Betrachtungsmöglichkeit am Realsystem ist nach Wissensstand der Autoren derzeit weltweit einmalig und bietet die Möglichkeit, theoretisch ermittelte Anlegeenergien nach der PIANC (PIANC WG 33: Guidelines for the Design of Fender Systems. Marcom Report of WG 33, Brüssel, 2002) mit am Realsystem gemessenen Energien zu vergleichen. Durch einen solchen Vergleich ist es möglich, Abweichungen der gemessenen Energiewerte zu erkennen und zu erforschen, warum die Bemessungsvorschriften eventuell ein anderes Ergebnis liefern.

3. Ergebnisse

Im Folgenden werden die Ergebnisse aus einer Messdauer von vier Jahren präsentiert. Während dieses Zeitraumes wurden 1082 verwertbare Anlegevorgänge aufgezeichnet und ausgewertet. Aus den Datensätzen lassen sich u.a. folgende Kerndaten darstellen (Tab. 1):

Anlegegeschwindigkeit zum Kontaktzeitpunkt Schiff-Fender

Anlegewinkel des Schiffes

Kompression der beanspruchten Fender

Gesamtanlegeenergie des Vorganges

Bei den gemessenen Anlegegeschwindigkeiten sind recht große Abweichungen in beide Richtungen zu erkennen. Liegt gerade bei den großen Schiffen die mittlere Geschwindigkeit bei ca. 5 cm/s, so sind die Extremwerte (bis zu 17 cm/s) wesentlich größer (Abb. 6).

Wird im Rahmen der Bemessungstabellen nach der spanischen ROM (ROM 0.2-90, Actions in the design of Maritime and Harbour Works, Ministerio de Obras Publicas y Transportes, Madrid, 1990) und der EAU (EAU 2012, Empfehlungen des Arbeitsausschusses »Ufereinfassungen« Häfen und Wasserstraßen, 11. Auflage, Hamburg, 2012) für die hier dargestellte Schiffsklasse eine einheitliche Annäherungsgeschwindigkeit von 20 cm/s (ungünstige Bedingungen/mit Schlepperhilfe) für die Berechnung zugrunde gelegt, so darf hinterfragt werden, ob die Abweichungen dieser Bemessungsgröße in Hinblick auf die gemessenen Durchschnittswerte nicht zu groß sind. Aufgrund der bereits angesprochenen Quadratur dieser Werte wird eine rechnerische Erhöhung (5 cm/s zu 20 cm/s) der Energiewerte mit dem Faktor 16 erzeugt.

Inwieweit für künftige Geschwindigkeitsannahmen hieraus Rückschlüsse gezogen werden dürfen, ist insbesondere in Bezug auf Sicherheitsreserven des Fendersystems und mögliche Havarieschäden bei missglückten Anlegevorgängen ein noch zu diskutierender Punkt, der mit Sicherheit bei der Überarbeitung der Geschwindigkeitstabellen in der PIANC Arbeitsgruppe WG 145 hinreichend berücksichtigt wird.

Bei den Ergebnissen bezüglich der Anlegewinkel sind die Ergebnisse jedoch sehr eindeutig (Abb. 7).

Für die Bemessung nach den Bemessungsrichtlinien der PIANC (PIANC WG 33: Guidelines for the Design of Fender Systems. Marcom Report of WG 33, Brüssel, 2002) werden für die großen Schiffsklasse 6° als rechnerischer Anlegewinkel empfohlen. Diese Werte werden für die Berechnung des Exzentrizitätskoeffizienten herangezogen. Im Rahmen der Ergebnisauswertung wurden deutlich geringere Anlagewinkel gemessen. So liegt bei den größten Schiffseinheiten der größte je gemessene Anlegewinkel bei 0,82°. Die durchschnittlichen Anlegewinkel betrugen 0,24°.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass heutzutage bei den Anlegemanövern von Großcontainerschiffen von einem nahezu parallelen Anlegen auszugehen ist. Dies ist aus geometrischen Gründen auch gar nicht mehr anders möglich. Würde ein Großcontainerschiff heute mit einem Anlegewinkel von > 5° anlegen, würden die überkragenden, geschwungenen Bugpartien des Schiffes über den Kaibereich ragen. Das Schiff und möglicherweise die Hafensuprastruktur könnten erheblich beschädigt werden.

Daraus lässt sich herleiten, dass die bisherigen Bemessungsannahmen, nach denen die gesamte Anlegeenergie von einem einzelnen Fender aufzunehmen ist, überdacht werden muss.

Durch die aufgezeichneten Vorgänge lässt sich zweifelsfrei ermitteln, dass bei allen Anlegevorgängen aufgrund des niedrigen Anlegewinkels immer mehrere Fender beansprucht wurden und demnach die Energiewerte der jeweiligen Fenderkompressionen nach Auffassung der Autoren kumuliert im Gesamtsystem zu betrachten sind. Diese Sichtweise würde zu einer deutlichen Entspannung bei der Fenderbemessung insbesondere der neuen Schiffsgrößen führen.

4. Zusammenfassung

Bei der Ermittlung und Auswertung von real gemessenen Anlegegeschwindigkeiten von Großcontainerschiffen konnte zumindest für den als exponiert geltenden Standort Bremerhaven festgestellt werden, dass die mittleren Anlegegeschwindigkeiten deutlich unter den Angaben der Bemessungsempfehlungen liegen. Insbesondere bei der Größe der Anlegewinkel sind deutlich geringere Werte gemessen worden, als die heute geltenden Empfehlungen ausweisen. Falls es durch die geschilderte Betrachtungsweise einer kumulierten Energiesumme des Gesamtsystems gelingen würde, die aktuellen Bemessungsmethoden anzupassen, könnte dies in Zukunft dazu führen, dass Fendersysteme insbesondere für Großcontainerschiffe deutlich wirtschaftlicher zu planen und zu realisieren sind.

Autoren:

Dipl.-Ing. Robert Howe, Geschäfts­führer

Dipl.-Ing. Christian Hein, Abteilung Hafenbau

beide bremenports GmbH & Co. KG

christian.hein@bremenports.de, www.bremenports.de

 


Robert Howe, Christian Hein